NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 16.07.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Versorgung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) Infektionsschutzgesetz (IfSG) zusteht.
Die im Juni 1992 geborene Klägerin beantragte im Juli 1996 Versorgung nach dem BSeuchG wegen eines Kreislaufleidens mit hochgradigem Intelligenzdefekt als Folge der am 25.05.1994 erfolgten dritten Polioschluckimpfung. Sie gab an, am 12.06.1994 seien bei ihr Husten und Schnupfen aufgetreten. Drei Tage später habe sie mehrfach dünneren Stuhl abgesetzt. Am 16.06.1994 hätten ihre Eltern sie bewusstlos und an den Extremitäten (rechts betont) zuckend aufgefunden. Sie habe erbrochen und sei dann stationär im Allgemeinen Krankenhaus I aufgenommen worden. Der Krampfstatus habe nach wiederholter Medikamentengabe nur äußerlich unterbrochen werden können. Am 18.06.1994 habe sich die aufgetretene Halbseitenparese langsam zurückgebildet. Bereits am 20.06.1994 sei dann aber erneut ein schwerer manifester Krampfstatus aufgetreten. Bei einer Kernspinaufnahme sei ein massives Hirnödem links aufgedeckt worden. Auch nach der Verlegung in die Kinderklinik der Stadt I sei die Ursache der Erkrankung nicht festgestellt worden. Unter anderem sei eine linksseitige zerebrale Ischämie mit hoch fieberhaftem Infekt und Verdacht auf Stenosierung im Bereich des Bulbus caroticus links sowie ein Hemiepilepsie-Status mit schwerem linksseitigen Hirnödem diagnostiziert worden. Nach ausgedehntem Hirngewebsuntergang liege eine schwere geistige und sprachliche Behinderung sowie eine schwere motorische Behinderung mit spastischer Hemiparese rechts, Fazialisschwäche rechts und Strabismus vor.
Der Beklagte zog das Impfbuch sowie die Unterlagen der behandelnden Ärzte bei und holte sodann ein Gutachten von dem Ltd. Direktor des Institutes für Impfwesen und Virologie der Gesundheitsbehörde I1, Dr. O, ein. Der Gutachter gelangte nach konsiliarischer Expertendiskussion (u. a. Professor Dr. N, langjähriger Präsident der Vereinigung zur Bekämpfung der Poliomyelitis und anderer Viruskrankheiten) zu dem Ergebnis, dass die jetzt vorliegenden Behinderungen (hirnorganisches Psychosyndrom mit erheblicher mentaler Retardation, spastische Hemiparese rechts und Anfallsleiden) nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die am 25.05.1994 verabreichte dritte Schluckimpfung zurückgeführt werden könnten. – In einem Prüfvermerk führte Frau Regierungsmedizinaldirektorin Dr. C am P-Opitz ergänzend aus, dass die Erkrankung der Klägerin erst nach mehr als 14 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist. Dr. O ist trotz mehrerer Einwendungen der Klägerin in gutachtlichen Stellungnahmen bei seiner Auffassung verblieben. – Hierauf gestützt lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 28.01.1998 ab.
Den Widerspruch der Klägerin, der auf eine gutachtliche Stellungnahme des Ltd. Medizinaldirektors i. R. Professor Dr. F gestützt war, wies der Beklagte nach Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme des Dr. O mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.1999 zurück.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 14.02.1999 vor dem Sozialgericht Dortmund Klage erhoben. Sie hat zur Begründung ergänzend vorgetragen, den Stellungnahmen des Professor Dr. F komme ein höherer Beweiswert zu, weil es sich um den einzigen Professor für Impfwesen in Deutschland handele. Dr. O sei ein reiner Virologe ohne eigene wissenschaftliche Arbeiten, der nicht über vergleichbare Kenntnisse verfüge. – Zumindest komme eine "Kannversorgung" in Betracht, die mit der Möglichkeit zu begründen sei, dass eine Coinfektion wegen der vorausgegangenen Polioimpfung zu erheblichen schweren Reaktionen geführt habe. Eine derartige Coinfektion sei sicher vorhanden gewesen. Zu beachten sei auch, dass bei ihr zwischenzeitlich größere Blutbeimengungen im Urin festgestellt worden sowie auffällige Nierenwerte vorhanden gewesen seien. Hierbei handele es sich um Symptome einer akuten Vaskulitis, die neben den Hirn- auch die Nierengefäße betroffen habe. Es sei daher mit Wahrscheinlichkeit nach der oralen Polioimpfung eine systemische Vaskulitis an den Hirn- und Nierengefäßen abgelaufen, die sich unter dem klinischen Bild einer Encephalopathie mit Halbseitenlähmung rechts dokumentiert habe. Diese Erkrankungen seien durch eine Hypersensitivität gegenüber dem Impfstoff ausgelöst worden.
Das Sozialgericht hat ein Gutachten von Professor Dr. L eingeholt, der zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt ist, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsstörungen vorliegen, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung auf die Polioimpfung vom 25.05.1994 zurückzuführen sind. Auch bestehe über die Ursache der festgestellten Leiden keinerlei Ungewissheit in der medizinischen Wissenschaft.
Das Sozialgericht Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 16.07.2001 abgewiesen. Der Senat verweist auf die Entscheidung.
Gegen die ihr am 06.08.2001 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 04.09.2001 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie führt ergänzend aus, das Sozialgericht habe die Beweisanforderungen an das Vorliegen eines Impfschadens überhöht. Den Darlegungen des Professor Dr. L könne nicht gefolgt werden, weil nach wie vor bestritten werde, dass sie sich bei anderen Kindern angesteckt habe und im Übrigen in keiner Weise nachgewiesen sei, dass das gesamte Krankheitsbild mit Durchfällen etc. nicht auf die Schluckimpfung zurückzuführen sei. – Im Übrigen sei der Fall der Klägerin in allen maßgeblichen Aspekten mit dem Fall "N I1" vergleichbar, der vom Versorgungsamt N als Impfschadensfall nach Polio-Lebendimpfung anerkannt worden sei. – Soweit Professor Dr. L einen impfunabhängigen Parallelinfekt in seinen Kausalitätserwägungen einbezogen habe, fehle es insoweit am Vollbeweis einer derartigen Erkrankung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 16.07.2001 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28.01.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.01.1999 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen der Polioimpfung vom 25.05.1994 Entschädigungsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen nach einer MdE um 100 vom Hundert zu gewähren.
Hilfsweise, eine weitere schriftliche Stellungnahme von Professor Dr. F anzufordern, die in Kooperation mit seiner Ehefrau, Frau Dr. F1, anzufertigen ist.
Weiter hilfsweise, Dr. med. I zu den im Schriftsatz vom 09.11.2005 und 26.10.2005 gestellten Beweisfragen mündlich vor dem Senat anzuhören.
Hilfsweise und höchst vorsorglich, die Revision zuzulassen, zumal unklar ist, welche Anhaltspunkte auf den vorliegenden Fall anzuwenden sind (die mit der 30-tägigen oder die mit 14-tägigen Inkubationsfrist) und außerdem strittig ist, ob und inwieweit nicht sicher nachgewiesene und bestrittene Parallelinfekte in die Kausalitätsüberlegungen Eingang finden dürfen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist ergänzend auf vorgelegte gutachtliche Stellungnahmen des Professor Dr. T, der einen Kausalzusammenhang zwischen Impfung und dem jetzigen Krankheitsbild der Klägerin als nicht wahrscheinlich ansieht. – Eine Gleichsetzung der Krankheitsbilder der Klägerin und des N I1 sei unzulässig, weil bei N I1 eine gesicherte Rotavirusinfektion sowie ein im Computertomogramm nachgewiesener Zustand nach petechialer Hirnblutung vorgelegen habe.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat ein Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Professor Dr. F eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das jetzt bei der Klägerin nachgewiesene hirnorganische Psychosyndrom mit deutlicher geistiger Retardierung sowie spastischer Hemiparese rechts sowie das Anfallsleiden ursächlich auf die dritte Polioimpfung zurückzuführen sei. – Der Sachverständige hat seine Ergebnisse in weiteren Stellungnahmen ergänzt und die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 100 vom Hundert eingeschätzt.
Der Beklagte hat eine weitere Stellungnahme des Professor Dr. T vorgelegt, der bei seiner Auffassung verblieben ist, dass das Krankheitsbild der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ursächlich auf die Polioimpfung vom 25.05.1994 zurückzuführen sei. Die anerkannte Inkubationszeit von 30 Tagen gelte ausschließlich für die Impfpoliomyelitis, die bei der Klägerin nachweislich nicht vorgelegen habe.
Die Klägerin hat hierauf ein Gutachten von Dr. med. I vorgelegt, der zu dem Ergebnis gelangt ist, dass etwa drei Wochen nach der oralen Polioimpfung vermutlich ein immunologisch vermitteltes entzündliches Geschehen im Bereich der Hirngefäße und des Hirngewebes abgelaufen sei. Dies habe zu einem schweren Krampfanfall unter Ausbildung eines Hirnödems mit anschließendem Untergang von Nervenzellen und dem Folgeschaden des HHE-Syndroms geführt. Das Zeitintervall sei für eine solche Impfreaktion plausibel. Derartige Impfreaktionen seien bekannt und pathophysiologisch erklärbar. Zwar seien auch andere Infekte (wie etwa von Professor Dr. L in seinem Gutachten vermutet) mit Viren oder Bakterien als Auslöser solcher immunologisch vermittelten Erkrankungen möglich. Ein anderer Erreger sei bei der Klägerin aber nicht identifiziert worden und die Annahme einer anderen Infektion daher rein spekulativ. Fest stehe lediglich die Iatrogen-Infektion mit den dritten Impfpolioviren.
Professor Dr. T ist in einer weiteren vom Beklagten vorgelegten Stellungnahme bei seinem Ergebnis verblieben. Er hat darauf hingewiesen, dass weder eine Encephalitis noch eine Encephalopathie bei der Klägerin nachgewiesen seien. Die von Dr. med. I beschriebene Möglichkeit einer Encephalopathie sei nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Komplikationen nach oraler Poliomyelitisimpfung und den aktenkundigen Fakten über die Klägerin in hohem Maße unwahrscheinlich.
Der Senat hat eine gutachtliche Stellungnahme von Professor Dr. L eingeholt, der an seinem Ergebnis festhält: Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Poliomyelits-Schluckimpfung und den jetzt bei der Klägerin nachgewiesenen Erkrankungen sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Auch seien die Voraussetzungen für eine "Kannversorgung" nicht erfüllt.
Die Klägerin hat demgegenüber vorgetragen, auch der gutachtlichen Stellungnahme des Professor Dr. L könne nicht gefolgt werden. Nach den AP 1996 Seite 230 müsse von einer Inkubationszeit von 3 bis 30 Tagen ausgegangen werden. Insbesondere aber müsse davon ausgegangen werden, dass die zwei ersten Schluckimpfungen nicht "angegangen" seien. Hierzu sei Professor Dr. F mündlich zu hören.
Der Senat hat der Klägerin hierauf aufgegeben, die an Professor Dr. F zu stellenden Fragen schriftlich zu formulieren. In seiner Stellungnahme vom 30.05.2005 hat Professor Dr. F unter Vorlage weiterer wissenschaftlicher Ausführungen die gestellten Fragen schriftlich beantwortet. Er hat im Ergebnis an seiner in seinem Gutachten geäußerten Auffassung festgehalten.
Der Beklagte hat weitere Stellungnahmen seines beratenden Arztes Professor Dr. T vorgelegt.
Im Hinblick auf diese Ausführungen hat die Klägerin beantragt, die Ehefrau des Sachverständigen Professor Dr. F im Hinblick auf dessen fortgeschrittenen Alter erforderlichenfalls um eine persönliche Stellungnahme zu der medizinischen Problematik des sehr komplexen Falles zu bitten.
Abschließend hat die Klägerin "höchst vorsorglich" beantragt, den Verfasser des von ihr vorgelegten privat eingeholten Gutachtens, Herrn Dr. med. I, mündlich anzuhören.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem BSeuchG/IfSG.
Gemäß § 60 Abs. 1, 2 Nr. 11 und § 61 des am 01.01.2001 in Kraft getretenen IfSG, die den Vorschriften des vom Sozialgericht zu Recht herangezogenen BSeuchG (§ 51 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2) im Wesentlichen entsprechen, setzt die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Impfschaden u. a. voraus, dass die Impfung eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende, andauernde Gesundheitsschädigung verursacht hat. Dabei müssen die Impfung, die Schädigung durch die Impfung und der verbliebene Schaden voll bewiesen sein, während für den Ursachenzusammenhang zwischen der Schädigung und dem Gesundheitsschaden der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. hierzu auch Nr. 56 Abs. 1 der AP 2004, die den Vorgaben der AP 1996 entsprechen). Der Vollbeweis setzt voraus, dass die Tatbestandsmerkmale mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, ernste vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit erwiesen sind (BSG, Urteil vom 19.03.1986 – 9a RV 2/84 – in: SozR 3850 § 51 Nr. 9). Für den Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Primärschädigung sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es, wenn die Kausalität wahrscheinlich gemacht ist (§ 61 Satz 1 IfSG). Der ursächliche Zusammenhang ist dann wahrscheinlich, wenn mehr für als gegen diesen spricht, d. h. die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen (vgl. BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 m. w. N. sowie BSG, Urteil vom 15.08.1996 – 9 RVi 1/94 -). Ein Impfschaden ist nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 11 IfSG nicht jede Gesundheitsstörung, die auf der Impfung beruht, vielmehr muss bei dem Betroffenen ein über die übliche Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden als unerlässliches Mittelglied der Ursachenkette zwischen Impfung und verbleibender Gesundheitsstörung tatsächlich festgestellt werden, um rechtlich als Impfschaden gewertet werden zu können (so BSG, SozR 3850 § 51 Nr. 10; BSG, Urteil vom 27.08.1998 – B 9 VJ 2/97 R -).
Diese Voraussetzungen sind, wie das Sozialgericht überzeugend und nachvollziehbar dargelegt hat, nicht erfüllt. Der Senat verweist auf die Ausführungen des Sozialgerichtes, die er sich nach Überprüfung zu Eigen gemacht hat, § 153 Abs. 2 SGG.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Professor Dr. F sowie dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des Dr. med. I. Dies hat Professor Dr. L in der vom Senat eingeholten gutachtlichen Stellungnahme zu den Einwendungen der Berufung, insbesondere den Ausführungen des Professor Dr. F und des Dr. med. I, überzeugend und nachvollziehbar dargelegt: Da nach den Vorgaben der AP 1996 und 2004 Nr. 57 Abs. 2 ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung erst dann als wahrscheinlich anzusehen ist, wenn die Erkrankung zwischen dem dritten und 14. Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen und Erkrankungen ausscheiden, ist im Hinblick auf das Fehlen der Erstvoraussetzung u. a. entscheidungserheblich, ob neben der Schluckimpfung vom 25.05.1994 eine zufällig aquirierte (gleichgültig aus welcher Infektionsquelle) Virusinfektion als Verursachung für die bei der Klägerin aufgetretenen schweren Krankheitsbilder erheblich sein können.
Soweit Professor Dr. F moniert, dass für eine derartige Virusinfektion kein serologischer oder virologischer Nachweis vorliegt, ist dem neben den Vorgaben der Anhaltspunkte erforderlichen Zeitablauf entgegenzuhalten, dass das Symptomenmosaik der erst am 12.06.1994 aufgetretenen und letztlich zur desolaten zentralnervösen Komplikation führenden Erkrankung nicht zum Bild der Nebenwirkungen einer Schluckimpfung passt, wohl aber typischerweise zum Bild eines der gerade im Kleinkindesalter ungemein häufigen und typischen – auch zur Krampfauslösung fähigen – Virusinfekte. Denn derartige Infektanfälle wurden und werden nach der langjährigen Erfahrung der Praxis und Kinderklinik des Sachverständigen Professor Dr. L im Hinblick auf die gebotene Schonung sowie mangelnde therapeutische Konsequenzen ausschließlich anhand der klinischen Symptomatik, d. h. ohne zusätzliche virologische und serologische Untersuchungen, diagnostisch definiert. Ist aber, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ein Zusammenhang der Erkrankung mit der angeschuldigten Impfung weitgehend ausgeschlossen, andererseits aber eine Virusinfektion klinisch definiert und anhand der Datierung und des Verlaufes als Ursache der Erkrankung des Kindes erwiesen, ist daneben der volle virologische oder serologische Nachweis entgegen den Darlegungen der Berufung nicht erforderlich.
Der von Professor Dr. F erwähnte Encephalotoxikose-Fall hat nach den Ausführungen des Professor Dr. L nach Datierung und Abfolge der Symptomatik keine Parallelen zum Fall der Klägerin, wie er bereits in dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten eingehend dargestellt hat.
Auch soweit Professor Dr. F die bevorzugt linksseitige Hirnschädigung anspricht, (einerseits mit Kompression, andererseits mit Vaskulitis) vermögen diese Darlegungen nicht zu überzeugen. Professor Dr. L verweist zutreffend auf die klinischen Ereignisse sowie auch die bildgebenden Darstellungen in ihrer zeitlichen Abfolge und die entsprechenden EEG-Befunde: Danach ist es im Gefolge des am 12.06.1994 einsetzenden Infektes auf der Basis einer möglicherweise genetisch determinierten Anfallsneigung zu einem, wie bereits im Ursprungsgutachten nachvollziehbar dargelegten, halbseitig betonten Anfallsgeschehen gekommen, in dessen ausuferndem Gefolge ein Hirnödem auftrat, das seinerseits über eine ödematöse Druckerhöhung zu Gefäßkompression und Hirnzellenuntergang führte. Insbesondere ist ein vaskulitisch bedingter Infarkt nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen auszuschließen. – Auch der von Professor Dr. F angesprochene sonographische Befund einer Turbulenz und Einengung der linken Halsschlagader in Höhe ihrer Gabelung beweist keinen vaskulitischen primären Gefäßverschluss: Ausweislich des Berichtes der Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde der Universität L von Professor Dr. S war sogar eine beschleunigte Durchblutung der anschließenden linksseitigen Arteria cerebri media vorhanden. Auch spricht der sonographische Befund eher für eine Folge des ödematösen Geschehens und seiner Konsequenzen als für einen Ursachenzusammenhang mit der dritten Impfung.
Soweit Professor Dr. F behauptet, innerhalb von 30 Tagen nach der Schluckimpfung könne es noch zu einem impfbedingten Infektkrampf mit Folgen kommen, steht dies im Widerspruch zu den Vorgaben der Anhaltspunkte 2004 Seite 194 letzter Absatz. Dies hat der Sachverständige Professor Dr. L bereits im Einzelnen abgehandelt und die Ausführungen des Professor Dr. F nachvollziehbar widerlegt. – In gleicher Weise vermag die Hypothese, wonach die Kombination mit einem anderen Infekt die Inkubationszeit für postvakzinale Krampfanfälle verlängere, nicht zu überzeugen. Denn der Zytomegalie-Titer war nur grenzwertig und bei Kontrolle negativ, worauf Professor Dr. L in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 11.02.2005 zutreffend hingewiesen hat.
Soweit Professor Dr. F abschließend auf zwei neu vorgetragene Gesichtspunkte im Rahmen der Kannversorgung eingeht, sind auch diese nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu gelangen: Denn es steht zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin an einem HHE-Syndrom erkrankt war, über dessen Ursache – wie Professor L in seinem Gutachten nachvollziehbar dargelegt hat – in der medizinischen Wissenschaft keine Ungewissheit bestand und besteht. – Auch soweit die Klägerin auf die Ausführungen des von ihr benannten Sachverständigen hinweist, wonach im familiären Umkreis Familienkrankheiten unbekannt sind, ist dies nicht geeignet, eine genetische Determitation zu einem Anfallsleiden auszuschließen. Im vorliegenden Fall ist eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, signalisiert für eine genetische Anfallsdisposition sowie für eine Anfallsform, die dem Beginn der tatsächlichen Ereignisse entspricht, nach den Darlegungen des Professor Dr. L durch den Virusinfekt manifest geworden.
Diese Beurteilung des Professor Dr. L steht im Einklang mit den vom Beklagten vorgelegten Ausführungen des Professor Dr. T: Danach greift Professor Dr. F bei der Beantwortung der Frage ("Reduzierung der Frist der Inkubationszeit von 30 auf 14 Tage?") auf Beispiele von Impfpoliomyelitiden zurück. Eine derartige Impfkombination hat aber nachweislich zu keiner Zeit bei der Klägerin vorgelegen. – Soweit Professor Dr. F schließlich auf das Ergebnis der im Labor von Frau Professor Dr. F2 durchgeführten Antikörpertestung verweist und hieraus schließt, dass die ersten beiden Schluckimpfungen gegen den Poliovirustyp I und III nicht erfolgreich waren, sondern nur gegen den Typ II und hieraus auf ein damit verbundenes erhöhtes Impfrisiko (nicht 1: 15 000 000 sondern 1: 1 000 000), kann hieraus nicht auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Impfschädigung nach Polioerstimpfung geschlossen werden. Denn die Behauptung einer möglichen Impfkomplikation reicht im sozialen Entschädigungsrecht nicht aus. Vielmehr muss ein Grad der Wahrscheinlichkeit erreicht werden, wonach mehr für als gegen einen Zusammenhang sprechen muss. Eine derartige wahrscheinliche Kausalität zwischen Krankheitsbild und Impfung ist im konkreten Fall aber – wie Professor Dr. L bereits zutreffend und überzeugend ausgeführt hat – nicht erwiesen.
Ebenso wenig ergibt sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Ursächlichkeit der Impfung mit dem cerebralen Krankheitsablauf aus den von der Klägerin vorgelegten Ausführungen des Dr. med. I in seinem Gutachten sowie dessen ergänzende Stellungnahme. Zwar geht dieser Arzt zutreffend von der Diagnose eines HHE-Syndroms aus, für dessen Entstehung ein prolongierter Fieberkrampf von entscheidender Bedeutung ist. Auch stellt Dr. med. I zutreffend fest, dass ein Zusammenhang von Poliomyelitis-Schluckimpfung und HHE-Syndrom bisher nicht beschrieben worden ist. Soweit Dr. med. I im Folgenden aber stattdessen auf den beschriebenen Fall eines HHE-Syndroms nach Masern-Mumps-Röteln-Impfung zurückgreift, vermag dies nach dem auch insoweit nachvollziehbaren Ausführungen des Professor Dr. L in keiner Weise zu überzeugen: Denn in dem beschriebenen Fall der Masern-Mumps-Röteln-Impfung trat der dem HHE-Syndrom vorangehende Krampfanfall innerhalb der für zentral nervöse Ereignisse im Gefolge einer MMR-akzeptierten Inkubationszeit von einer Woche nach der Impfung auf. Gerade dies ist jedoch bei der Klägerin nicht der Fall, denn der Krampfanfall der Klägerin trat erst am 16.06.1994, also dem 22. postvakzinalen Tag auf, somit eindeutig außerhalb der für vakzinales Encephalitis oder Krampfanfälle nach Poliomyelitis-Schluckimpfung akzeptierten postvakzinalen Inkubationszeit von längstens 14 Tagen (AP 2004 Seite 194 unten). – Soweit Dr. med. I dann den Krankheitsverlauf bei der Klägerin in Parallele zu zentral nervösen Pocken-Impfschäden sowie insbesondere auch zum Guillain-Barré-Syndrom setzt, womit er zu einer postvakzinalen Inkubationszeit von bis zu 42 Tagen kommt, ist dies, wie Professor Dr. L nachvollziehbar dargelegt hat, reine Spekulation. Dr. med. I selber führt dies unter "Hypothesenbildung" aus. Dies kann aber an den verbindlichen Vorgaben der AP 1996 und 2004 mit einer maximal zu akzeptierenden postvakzinalen Inkubationszeit von 14 Tagen nicht in Einklang gebracht werden. – Soweit Dr. med. I die Diagnose eines Virusinfektes weiter in Zweifel zieht, verkennt er die von Professor Dr. L im Einzelnen beschriebene Dokumentation und führt wiederum nicht das vollständige Symptomenmosaik an sowie die erhebliche Überschreitung der für Durchfall nach Schluckimpfung anzusetzenden Inkubationszeit. – Soweit Dr. med. I in seinen gutachtlichen Ausführungen vom 13.09.2004 dann abschließend zu dem Ergebnis gelangt, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der oralen Polioimpfung und dem später aufgetretenen Krampfanfall mit folgendem HHE-Syndrom im Falle der Klägerin möglich ist, weil andere infektiöse Ursachen differenzialdiagnostisch nicht ausgeschlossen wurden, führt dies aber entgegen der abschließenden Gesamtbeurteilung nicht dazu, dass bei fehlenden Beweiserleichterungen oder gar einer Beweislastumkehr der ursächliche Zusammenhang als wahrscheinlich anzusehen ist, weil die fehlende Abklärung der Diagnose "keinesfalls nachteilig für die Geschädigte ausgelegt werden sollte". Möglich ist vielmehr, worauf Professor Dr. L völlig zutreffend hinweist, nicht hinreichend wahrscheinlich. Die "Hypothesenbildung" des Dr. med. I ist nicht nachvollziehbar und steht im Widerspruch zu den Vorgaben der AP 1996 und 2004. – Soweit Dr. I in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 06.01.2005 seine bereits im Gutachten vorgetragenen pathogenetischen Vorstellungen wiederholt, fallen diese unter die ausdrückliche Überschrift "Hypothesenbildung". Soweit die Klägerin abschließend nach der Ladung darauf hingewiesen hat, dass nach den Recherchen ihres Vaters die bei der Impfung verwandten Impfzusatzstoffe (fetale Affennieren-Zellkulturen, Aminosäuren, Neomycin, Peptide, Phenolrot, Polygelin und Polysorbat 80 sowie Salze und Zucker) ebenfalls ursächlich für ihre schwere Erkrankung sein können, steht dies im Widerspruch zum bisherigen Gesamtergebnis der Beweisaufnahme: Weder der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG gehörte Professor Dr. F noch der gemäß § 106 SGG gehörte Sachverständige Professor Dr. L haben in ihren Gutachten und Stellungnahmen die verwendeten Impfzusatzstoffe als wahrscheinlich krankheitsauslösend angesehen. Auch Dr. med. I bezeichnet dies in seinem von der Klägerin privat eingeholten Gutachten bei der "Kausalitätsbewertung von Impfschadensverdachtsfällen" als sehr schwierig und verbleibt letztlich bei seiner oben dargestellten "Hypothesenbildung", die Professor Dr. L in seiner gutachtlichen Stellungnahme nachvollziehbar widerlegt hat, weil Dr. med. I das vollständige Symptomenmosaik nach Eintritt der schweren Erkrankung der Klägerin nicht voll berücksichtigt hat. – Im Übrigen hat die Klägerin selber darauf hingewiesen, dass die Schweizer Forschungsarbeiten über die Gefährlichkeit verwandter Impfzusatzstoffe gerade beim Menschen mit genetischen Schwachstellen noch nicht abgeschlossen sind, sodass eine Kausalitätsbeurteilung derzeit aufgrund dieser Forschungsarbeiten noch nicht möglich ist.
Schließlich sind auch die Voraussetzungen einer Kann-Versorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht erfüllt. Der Sachverständige Professor Dr. L hat die Frage, ob die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge der Impfschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht (vgl. § 52 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG, nunmehr § 61 Satz 2 IfSG), eindeutig verneint.
Dem zunächst gestellten Antrag der Klägerin, Professor Dr. F zum Termin zur mündlichen Verhandlung als Sachverständigen zu laden, um sein Gutachten und die ergänzenden Stellungnahmen zu erläutern, ist der Senat nicht gefolgt, weil er einer anderen Art der Anhörung – hier: der Beantwortung schriftlich gestellter Beweisfragen – den Vorzug gegeben hat. Denn es steht dem Senat nach der ständigen Rechtsprechung des BSG frei, in welcher Weise er den Sachverhalt weiter aufklären will. Es besteht die Möglichkeit, weitere Sachverständigengutachten einzuholen; der Senat kann der Klägerin aber gemäß §§ 118 SGG, 411 Abs. 4 ZPO (eingefügt durch Gesetz vom 17.12.1990 – BGBl. 2847) auch aufgeben, die aufgeworfenen Fragen schriftlich zu konkretisieren und sie dann zur Beantwortung dem Sachverständigen, der das schriftliche Gutachten erstattet hat, zuzuleiten (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 12.04.2000 – B 9 VS 2/99 R – sowie Urteil vom 21.08.2002 – B 9 V 1/02 R -). Von dieser Möglichkeit hat der Senat Gebrauch gemacht.
Ebenso wenig hat es der Senat als geboten angesehen, eine weitere schriftliche Stellungnahme gemäß § 109 SGG von Professor Dr. F in Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau Dr. F1 zur medizinischen Problematik des anstehenden komplexen Falles ergänzend zu hören, wie es die Klägerin beantragt hat. Die Befragung des Sachverständigen Professor Dr. F war durch die ergänzende schriftliche Befragung abgeschlossen. Seine Ehefrau war in keinem Stadium des Verfahrens zur Sachverständigen gemäß §§ 106 oder 109 SGG bestellt worden. – In gleicher Weise ist die "höchst vorsorglich" beantragte mündliche Anhörung des Dr. med. I, dessen privat angefordertes Gutachten die Klägerin vorgelegt hat, nicht geboten. Denn auch dieser Arzt ist zu keiner Zeit zum Sachverständigen gemäß §§ 106 oder 109 SGG bestellt worden.
Einen Antrag gemäß § 109 SGG auf Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Dr. med. I hat die prozesskundig vertretene Klägerin nicht gestellt. – Der Senat geht zudem davon aus, dass der Anspruch auf Begutachtung gemäß § 109 SGG durch die Einholung des Gutachtens des Professor Dr. F sowie dessen ergänzenden Stellungnahmen zu allen von der Klägerin gestellten Fragen erschöpft ist. Die Anhörung mehrerer Ärzte gemäß § 109 SGG (vgl. dazu Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 109 Rn. 4 u. 10 b) soll vielmehr nur erfolgen, wenn die Klägerin besondere Umstände vorträgt, die es rechtfertigen, weitere Ärzte zu den entscheidungserheblichen Fragen gemäß § 109 SGG zu hören: Sowohl Professor Dr. F als auch Dr. med. I haben ihre Auffassungen in ihren Gutachten und gutachtlichen Stellungnahmen deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Senat sah sich indes aufgrund der mit den AP 1996 und 2004 übereinstimmenden Ausführungen des Professor Dr. L nicht in der Lage, den Darlegungen dieser Ärzte – insbesondere den pathogenetischen Ausführungen des Dr. med. I – zu folgen: Zudem besteht kein Rechtsanspruch darauf, dass der in einem Gerichtsverfahren nach § 109 SGG gehörte Sachverständige zu später eingeholten abweichenden Auffassungen anderer Sachverständiger oder Beteiligter abschließend erneut gehört werden muss und so "das letzte Wort" hat (vgl. dazu LSG NRW, Urteil vom 09.07.2003 – L 17 U 244/02 – sowie Behn, SozV 90, 29, 34).
Der Senat sah sich auch nicht gedrängt, von Amts wegen ein weiteres medizinisches Gutachten oder weitere Auskünfte zu den entscheidungserheblichen Fragen einzuholen. Denn der Sachverhalt ist durch die ausführlichen und nachvollziehbaren Darlegungen des Professor Dr. L, der sich mit allen Einwendungen der Berufung eingehend auseinander gesetzt hat, abschließend geklärt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Revisionszulassung bestand kein Anlass, denn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG sind nicht erfüllt. Insbesondere sind die Vorgaben der AP 1996 und 2004 zur Poliolebendimpfung eindeutig und abschließend geregelt. Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass der volle Nachweis einer Virusinfektion aufgrund der klinischen Symptomatik nach den Darlegungen des Professor Dr. L erbracht ist.
Erstellt am: 14.01.2010
Zuletzt verändert am: 14.01.2010