Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 08.11.2007wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller auch die Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten. Dem Antragstelller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin E, L-platz 0, F beigeordnet.
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller die begehrte Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im tenorierten Zeitraum auszuzahlen.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs.2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Können ohne den vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – NVwZ 2005, 927).
Der Antragsteller hat unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsanspruch folgt aus § 2 Abs. 1 AsylbLG. Hiernach ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) auf diejenigen Leistungsberechtigen nach dem AsylbLG entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten (Gesetzesfassung vor dem 28.08.2007: 36 Monate) Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben.
Der Antragsteller hat Leistungen nach § 3 AsylbLG in der Zeit vom 29.11.2001 bis zum 30.11.2004 bezogen. In der Zeit vom 01.12.2004 bis zum 30.09.2007 bezog er – höhere – Leistungen nach § 2 AsylbLG. Wie das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss bereits zutreffend ausgeführt hat, reichen zur Auffüllung der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG auch Zeiten des Bezuges von Leistungen nach § 2 AsylbLG aus, so dass der Antragsteller die 48-Monats-Frist im streitbefangenen Zeitraum bereits deutlich überschritten hat. Zwar spricht § 2 AsylbLG hinsichtlich der Erfüllung der o.g. Frist ausdrücklich nur von "Leistungen nach § 3 AsylbLG". Der Senat hat jedoch bereits entschieden, dass bei der Prüfung des § 2 Abs. 1 AsylbLG dem Sinn und Zweck der leistungsrechtlichen Priviliegierung in dieser Vorschrift entscheidende Bedeutung zukommt. Hiernach soll bei Leistungsberechtigten, bei denen aufgrund ihres längeren Aufenthalts eine stärkere Angleichung an die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist, Leistungen in entsprechender Höhe wie nach dem SGB XII erbracht werden (BT-Drucks. 12/5008, S. 15; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 2 Rn. 1). Der Gesetzgeber geht damit bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG im Regelfall davon aus, dass nach Ablauf von 48 Monaten des Bezuges niedrigerer Leistungen nach § 3 AsylbLG ein Wirtschaften unterhalb des sog. soziokulturellen Existenzminimums (welches etwa mit Leistungen nach dem SGB XII bzw. mit Leistungen nach § 2 AsylbLG gewährt wird) nicht mehr zumutbar erscheint (vgl. auch Beschluss des Senates vom 06.08.2007, L 20 B 50/07 AY ER ). Gerade das Integrationsbedürfnis, zu dessen Befriedigung auch ausreichende wirtschaftliche Leistungen in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums gehören, gebietet es, höhere Leistungen zu gewähren, wenn der Ausländer über einen mindestens 48- monatigen Zeitraum seinen Lebensunterhalt mit Leistungen nach § 3 AsylbLG oder jedenfalls aus Mitteln nicht oberhalb des soziokulturellen Existenzminimums bestritten hat. Entsprechend hat der Senat entschieden, dass auch Leistungen nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zur Erfüllung der o.g. Frist des § 2 AsylbLG ausreichend waren (Beschluss des Senates vom 27.04.2006, L 20 B 10/06 AY ER). Dann aber kann für Leistungen in entsprechender Höhe nach § 2 AsylbLG nichts anderes gelten.
Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Widerspruchsbescheid vom 27.09.2007 von einer Einzelfallentscheidung des Landessozialgerichts NRW spricht, übersieht sie, dass bereits mehrere Beschlüsse des erkennenden Senates ergangen sind, in denen zur gesetzgeberischen Intention bei Schaffung des § 2 AsylbLG und den sich hieraus ergebenden Konsequenzen Stellung genommen worden ist. Insbesondere ist dabei auch mehrfach bekräftigt worden, dass Sozialleistungen in der Höhe der BSHG- bzw. SGB XII-Leistungen ausreichen können, um die Wartefrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu erfüllen (LSG NRW, Beschlüsse des erkennenden Senates vom 26.04.2007, L 20 B 4/07 AY ER, vom 06.08.2007, L 20 B 50/07 AY ER, vom 27.04.2006, L 20 B 10/06 AY ER, ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 21.03.2007, L 7 AY 14/06 ER, SG Aachen, Urteil v. 19.06.2007, S 20 AY 4/07).
Soweit die Antragsgegnerin im Eilverfahren erstmals geltend macht, der Antragsteller habe die Aufenthaltsdauer rechtsmißbräuchlich selbst verursacht i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG und könne aus diesem Grunde keine höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG beanspruchen, so kann dem nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Sachlage nicht ohne weiteres gefolgt werden. Hierzu fehlt es an ausreichenden Feststellungen, die zweckmäßigerweise bereits im Verwaltungsverfahren hätten getroffen werden sollen und hier ersichtlich unterblieben sind. Selbst in einem Aktenvermerk vom 30.08.2007 hat die Antragsgegnerin noch lediglich von einer "evtl. Rechtsmißbräuchlichkeit" gesprochen und auch im Widerspruchsbescheid vom 27.09.2007 darauf verzichtet, Tatsachen darzustellen, die auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Antragstellers schließen lassen. Soweit die Antragsgegnerin erstmals im Schriftsatz vom 29.10.2007 darauf abhebt, das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Antragstellers sei bereits in der Unterlassung zu sehen, auszureisen, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen sei, und sich dabei auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 08.02.2007 beruft (B 9b AY 1/06 und B 9b AY 2/06), so übersieht sie, dass das Bundessozialgericht in den zitierten Urteilen auch Ausführungen zu einer etwaigen Unzumutbarkeit der Ausreise aufgrund solcher Gesichtspunkte unterbreitet hat, die weniger gewichtig sind als die Gefahr für Freiheit, Leib und Leben aufgrund zielstaatsbezogener Umstände. Insbesondere hat das Bundessozialgericht hervorgehoben, dass als Bleibegrund, der der Bewertung des Verhaltens des Ausländers als rechtsmissbräuchlich entgegenstehen könnte, auch die besondere Situation von Ausländern angesehen werden kann, denen sich die Ausreisemöglichkeit erst nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland eröffnet hat und die sich in die deutsche Gesellschaft und die hiesigen Lebensverhältnisse integriert haben. An der Integration kann man zwar im Falle des Antragstellers deshalb Zweifel hegen, weil er im Wiederholungsfall wegen Eigentumsdelikten Geldstrafen verwirkt hat; es fehlen jedoch ausreichende Feststellungen und Abwägungen hierzu im Verwaltungsverfahren, die die Antragsgegnerin ggf. nachzuholen hätte. Dabei dürfte in die Abwägung auch einzubeziehen sein, dass der Antragsteller in erheblichem Umfang Arbeitsgelegenheiten wahrgenommen hat, ohne hiergegen nach Aktenlage erkennbaren Widerstand zu leisten, und die letzte aktenkundige Straftat, die am 07.12.2006 erfolgte, nunmehr über ein Jahr zurückliegt. Unter Umständen könnte auch eine Prüfung der sprachlichen Fähigkeiten des Antragstellers Rückschlüsse auf das Ausmaß der Integration in Deutschland zulassen. Bei ihrer Entscheidung wird die Antragsgegnerin zu beachten haben, dass der Antragsteller zwar die in seinen Verhältnissen liegenden Bleibegründe darzulegen hat, der Antragsgegnerin jedoch die Nichterweislichkeit von Rechtsmißbrauch zur Last fällt, weil es sich hierbei materiell um eine anspruchsauschließende Einwendung handelt (BSG, Urteil v. 08.02.2007, B 9b AY 1/06 R). Erforderlich ist daher, dass sich die Antragsgegnerin mit den vom Antragsteller angesprochenen Ausreisehindernissen hinreichend konkret auseinandersetzt und die Feststellung einer etwaigen Rechtsmißbräuchlichkeit auf eine hinreichend tragfähige tatsächliche Grundlage stützt.
Der Anordnungsgrund ergibt sich bereits daraus, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller im angefochtenen Bescheid vom 04.09.2007 nur Leistungen unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums zur Verfügung stellen will.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.
Prozeßkostenhilfe war auch für das Beschwerdeverfahren zu gewähren, weil der Antragsteller die Kosten seines Bevollmächtigten nicht selbst tragen, seinem Begehren eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden kann und er im erstinstanzlichen Verfahren im wesentlichen obsiegt hat (§ 73a SGG, §§ 114 Abs. 1, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO.)
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 18.03.2008
Zuletzt verändert am: 18.03.2008