Die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30. Januar 2019 wird im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1) bis 6).
Gründe:
Nach § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, welches über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen.
1. Der hierauf gerichtete Antrag des Berufungsausschusses ist zulässig.
a) Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein als Beigeladene zu 7) hat gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 30. Januar 2019, das ihr am 13. März 2019 zugestellt worden ist, am 20. März 2019 Berufung eingelegt. Dieses Rechtsmittel hat keine aufschiebende Wirkung.
Nach § 154 Abs. 1 SGG hat die Berufung nur aufschiebende Wirkung, soweit die Klage nach § 86a SGG Aufschub bewirkt. Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG ist dies jedoch nur bei der Anfechtungsklage der Fall. Eine solche ist im vorliegenden Fall indessen nicht erhoben worden.
b) Unschädlich ist demgegenüber, dass der Antragsteller seinerseits keine Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt hat.
Zwar verpflichtet ihn dieses Urteil, die Anstellung der Fachärztin für Herzchirurgie Dr. N im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) der Antragsgegnerin zu genehmigen, sodass er als (einziger) möglicher Schuldner für eine Zwangsvollstreckung seitens der Klägerin in Betracht kommt. § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG setzt indessen nicht voraus, dass der Vollstreckungsschuldner auch Rechtsmittelführer ist. Dem Wortlaut nach kommt es nur darauf an, dass ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, welches keine aufschiebende Wirkung hat. Auch nach Sinn und Zweck ist eine einschränkende Auslegung der Vorschrift nicht geboten. Sie dient als Korrektiv in Fällen, in denen einerseits noch Unklarheit über die endgültige Rechtslage herrscht, weil wegen Einlegung eines Rechtsmittels noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt, andererseits aus dieser Entscheidung aber auch ohne Rücksicht auf deren Rechtskraft bereits vollstreckt werden kann, weil das Rechtsmittel keinen Aufschub bewirkt (vgl. Tammo Lange in jurisPK-SGG, 2017, § 199 Rdnr. 16). Die hierdurch hervorgerufene Konflikt- und Interessenlage ergibt sich unabhängig davon, wer das Rechtsmittel eingelegt hat.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a) Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, erfolgt die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung nach Ermessen des Vorsitzenden aufgrund einer Interessen- und Folgenabwägung (Senat, Beschluss vom 16. Oktober 2017 – L 11 SF 460/17 ER -; Beschluss vom 2. März 2016 – L 11 SF 76/15 ER; Beschluss vom 12. Juli 2012 – L 11 SF 181/12 ER -; jeweils juris m.w.N.; dies entspricht der herrschenden höchstrichterlichen Rechtsprechung: BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – B 8 SO 17/09 R – SozR 4-1500 § 154 Nr. 1; Beschluss vom 26. November 1991 – 1 RR 10/91 – juris). Im Rahmen der Interessenabwägung sind die gesetzlichen Wertungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit zu berücksichtigen. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass § 154 Abs. 1 SGG dem Interesse des Gläubigers, die ihm zustehenden Leistungen umfassend und zügig zu erhalten, prinzipiell Vorrang einräumt. Andererseits kann die Entscheidung des Gesetzgebers, Rechtsbehelfen und -mitteln der Kassenärztlichen Vereinigungen gegen Zulassungsentscheidungen grundsätzlich – auch im gerichtlichen Verfahren – aufschiebende Wirkung beizumessen (§§ 96 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V], 86a Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 1 SGG), nicht außer Acht bleiben. Hätte der Antragsteller die von der Antragsgegnerin begehrte Genehmigung erteilt und wäre die Beigeladene zu 7) hiergegen gerichtlich vorgegangen, so stünde ihre gegen ein der Antragsgegnerin günstiges Urteil eingelegte Berufung dessen vorläufiger Vollstreckung unproblematisch im Wege (§ 154 Abs. 1 SGG). Wertungsmäßig unterscheidet sich diese Fallkonstellation von der hier vorliegenden nicht wesentlich. Das rechtfertigt es, die Interessenabwägung über die vorläufige Vollstreckung bzw. deren Aussetzung auch an denjenigen Kriterien zu orientieren, die es dem Berufungsausschuss ermöglichen, seine Entscheidung über die Zulassung eines Vertragsarztes oder die Erteilung einer Anstellungsgenehmigung ungeachtet eines dagegen von dritter Seite, insbesondere seitens der Kassenärztlichen Vereinigung, erhobenen Rechtsbehelfs für sofort vollziehbar zu erklären (§§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG, 97 Abs. 4 SGB V). Danach ist neben den Interessen des Gläubigers insbesondere zu berücksichtigen, ob öffentliche Interessen für eine sofortige Vollziehung bzw. vorläufige Vollstreckung sprechen.
b) Wie der Senat (a.a.O.) ebenfalls bereits entschieden hat, sind im Rahmen der Interessenabwägung zunächst die Erfolgsaussichten der Berufung zur berücksichtigen. Zu entscheiden ist dabei auf der Grundlage präsenter Beweismittel. Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aussetzungsantrag. Nach diesen Maßstäben ist ein Erfolg der Berufung der Beigeladenen zu 7) derzeit überwiegend wahrscheinlich. Denn die Feststellungen des SG tragen die von ihm ausgesprochene Verpflichtung zur Erteilung der begehrten Anstellungsgenehmigung nicht.
aa) Die Zulassungsfähigkeit einer Arztgruppe zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung – auch als Angestellte eines MVZ – hängt davon ab, ob die Leistungen, die das jeweilige Fachgebiet prägen, zu einem relevanten Teil Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind und ambulant erbracht werden können (BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 35/08 R – SozR 4-2500 § 95 Nr. 15). Bezogen auf das Fachgebiet der Ärzte für Herzchirurgie sind die hierzu erforderlich Ermittlungen in drei Schritten vorzunehmen: Zunächst ist festzustellen, welche Leistungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM-Ä) zum Fachgebiet der Ärzte für Herzchirurgie rechnen. Dabei ist von Bedeutung, ob es sich um Leistungen handelt, die (auch) Herzchirurgen erbringen dürfen, oder um solche, die in der Regel nur von Ärzten für Herzchirurgie angeboten werden und allenfalls in Ausnahmefällen von Allgemeinchirurgen oder Kardiologen. In einem zweiten Schritt ist zu ermitteln, ob diese Leistungen regelmäßig oder mindestens in einer relevanten Zahl von Fällen ambulant erbracht werden können. In einem dritten Schritt ist schließlich zu klären, ob die nach dem EBM-Ä ambulant erbringbaren herzchirurgischen Leistungen im Gesamtspektrum des Fachgebietes nur von untergeordneter Bedeutung sind. Soweit dies der Fall ist, kommt eine Teilnahme von Herzchirurgen an der vertragsärztlichen ambulanten Versorgung der Versicherten nicht in Betracht.
bb) Zu der danach entscheidungserheblichen dritten Frage hat das SG keine aussagekräftigen Feststellungen getroffen. Es hat zwar unter Auswertung des betreffend Herzschrittmacherimplantationen, Aggregatwechsel und Systemrevisionen von dem Sachverständigen Prof. Dr. F zusammengetragenen Zahlenmaterials festgestellt, dass ein mehr als nur ganz kleiner Teil herzchirurgischer Leistungen ambulant erbringbar sei (S. 17 des Umdrucks unten). Feststellungen dazu, welchen Anteil diese ambulant erbringbaren Leistungen am Gesamtspektrum herzchirurgischer Leistungen haben, fehlen indessen. Hierzu hat der durch den Sachverständigen Prof. Dr. X beratene erkennende Senat an anderer Stelle ausgeführt, dass – ausgehend vom Datenmaterial des Jahres 2012 – ca. 7.290 ambulant durchführbaren Eingriffen mehr als 100.000 stationäre Eingriffe am Herzen und den herznahen Gefäßen gegenüberstünden (Urteile vom 20. Januar 2016 – L 11 KA 74/09 ZVW und L 11 KA 75/09 ZVW – juris). Diesen Feststellungen stehen die Ausführungen des SG, das von einem Potential von 27.000 ambulant erbringbaren Operationen ausgegangen ist, nicht maßgeblich entgegen, zumal der vom SG gehörte Sachverständige Prof. Dr. F dargelegt hat, die ambulant durchzuführenden Eingriffe machten etwa 25 % der insgesamt 107.750 jährlich anfallenden Schrittmacher-Operationen aus. Den danach auf den stationären Bereich entfallenden rund 80.000 Schrittmacher-Eingriffen müssten – um einen Eindruck von der Gesamtzahl der stationär durchzuführenden Operationen zu erhalten – noch die über 100.000 Operationen hinzugerechnet werden, die ausweislich des Gutachtens von Prof. Dr. X ohne Anrechnung der Schrittmacher-Operationen am Herzen und den herznahen Gefäßen stationär stattfinden. Die bisherige Beurteilung des erkennenden Senates, ambulant erbringbare herzchirurgische Leistungen seien im Gesamtspektrum des Fachgebietes nur von untergeordneter Bedeutung, ist damit – vorbehaltlich etwaiger weiterer Feststellungen auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren [insbesondere Schriftsatz vom 29. Mai 2019], die im vorbereitenden Berufungsverfahren in den Zuständigkeitsbereich des Berichterstatters fallen – gegenwärtig nicht widerlegt.
c) Sprechen folglich die überwiegenden Erfolgsaussichten der Berufung der Beigeladenen zu 7) nach derzeitigem Stand für eine Aussetzung der Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils, so sind entgegenstehende überwiegende öffentliche Interessen oder Interessen der Klägerin nicht ersichtlich oder dargelegt.
aa) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ohne die begehrte Anstellungsgenehmigung die Versorgungssituation der gesetzlich Versicherten im Einzugsbereich des MVZ der Antragsgegnerin auf herzchirurgischem Gebiet gefährdet wäre.
bb) Eigene Interessen der Antragsgegnerin sind zwar insoweit betroffen, als sie Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durch die von ihr anzustellende Ärztin erst ab der Genehmigung durch den Antragsteller erbringen kann. Dass ihr durch ein Zuwarten indessen unzumutbare Nachteile, etwa im Sinne einer Existenzgefährdung, entstünden, ist nicht erkennbar oder dargelegt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Diese Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Erstellt am: 12.11.2019
Zuletzt verändert am: 12.11.2019