Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.07.2012 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob die Antragstellerin mittels Anordnung der sofortigen Vollziehung im Wege des Sonderbedarfs als Psychologische Psychotherapeutin zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen ist.
Die Antragstellerin ist seit dem 29.04.2010 approbierte Psychologische Psychotherapeutin und als solche seit dem 11.05.2010 im Arztregister eingetragen. Antragsgemäß ließ sie der Zulassungsausschuss im Rahmen der Sonderbedarfsfeststellung als Psychologische Psychotherapeutin für den Vertragsarztsitz I, S-straße 00, zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zu (Beschluss vom 20.03.2012). Dem widersprach die Beigeladene zu 7). Angesichts der Anzahl der im Bereich der Kreisstelle N niedergelassenen psychotherapeutischen Leistungserbringer, die die Versorgung auch mit den als Sonderbedarf geltend gemachten Leistungen grundsätzlich sicherstellten, sei ein besonderer Versorgungsbedarf zu verneinen. Der Planungsbereich Kreis N sei mit einem Versorgungsgrad von 131,7 % für Psychotherapeuten gesperrt. Rechnerisch seien 80,2 psychotherapeutisch tätige Leistungserbringer zugelassen. Insgesamt seien zur Sicherstellung der Versorgung 43 Psychologogische Psychotherapeuten im Planungsbereich N niedergelassen, davon zwei in I und drei in W. Weiterhin seien rechnerisch 24,9 ärztliche psychotherapeutisch tätige Leistungserbringer im Planungsbereich niedergelassen, davon einer in I und zwei in W. In den Nachbarstädten N, Ratingen und Wülfrath seien insgesamt 15 Psychologische Psychotherapeuten sowie 12 ärztliche psychotherapeutisch tätige Leistungserbringer niedergelassen. Diese Leistungserbringer stellten die beantragten Leistungen in ausreichendem Maße sicher. Einer Zulassung der Antragstellerin im Rahmen des Sonderbedarfs bedürfe es daher nicht.
Mit Bescheid vom 14.06.2012 (Beschluss vom 23.05.2012) wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Im Ergebnis zu Recht habe der Zulassungsausschuss der Antragstellerin eine Zulassung nach § 24 a) der Bedarfsplanungsrichtlinie-Ärzte (BedarfsplanungsRL-Ä) für einen Vertragsarztsitz in I erteilt. Hiernach könne einem Zulassungsantrag bei nachweislich lokalem Versorgungsbedarf in der vertragsärztlichen Versorgung u.a. in Teilen eines großräumigen Landkreises entsprochen werden. Diese Voraussetzungen lägen vor. Halte man sich die Versorgungssituation in dem sicherlich großräumigen Landkreis N vor Augen, falle zunächst auf, dass in dem Bereich I und W insgesamt fünf Psychologische Psychotherapeuten niedergelassen seien. Ob dies für eine ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten ausreiche, lasse sich nicht an allgemeinen Verhältniszahlen prüfen. Vielmehr sei auf die konkrete Versorgungssituation abzustellen. Hierzu habe die Antragstellerin anhand diverser Unterlagen überzeugend dargelegt, dass sie auf der Grundlage von Kostenerstattungsverfahren zur Zeit insgesamt 60 Versicherte behandele und in der Vergangenheit bereits 160 Erstgespräche geführt habe. Wenn man auch aus der Zahl der Erstgespräche keine zuverlässigen Rückschlüsse auf ein bestehendes Versorgungsdefizit ziehen könne, zumal die Antragstellerin auf Befragen eines mit der Bedarfssituation im Kreis N vertrauten ärztlichen Mitglieds des Antragsgegners eingeräumt habe, hier keine vorhandenen Alternativangebote (etwa eine Beratungsstelle) in Erwägung gezogen zu haben, lasse die Zahl der von mehreren Krankenkassen genehmigten psychotherapeutischen Behandlungen doch den Schluss zu, dass ein entsprechendes Leistungsangebot niedergelassener Psychotherapeuten mit zumutbarer Wartezeit nicht zur Verfügung gestanden habe. Aufgrund dieser tatsächlichen Gegebenheiten, die auch dauerhaft zu gelten hätten, halte der Antragsgegner das Zulassungsbegehren für gerechtfertigt.
Hiergegen richtet sich die fristgerechte Klage der Beigeladenen zu 7) zum Aktenzeichen S 2 KA 333/12 (Sozialgericht (SG) Düsseldorf).
Am 11.07.2012 hat die Antragstellerin beim SG Düsseldorf um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Infolge der Klage der Beigeladenen zu 7) sei ihr die Aufrechterhaltung des Praxisbetriebes nicht mehr möglich. Derzeit werde ein Großteil der Kostenerstattungsanträge von den Krankenkassen abgelehnt. Diese verwiesen auf das laufende Verfahren und den ungeklärten Status der Zulassung. Auch laufende Behandlungen würden nicht verlängert, solange das Hauptsacheverfahren andauere. Behandlungen von schweren suizidalen Patienten würden nur in Ausnahmefällen genehmigt. Infolge dieser Situation sei die Praxis in Kürze nicht mehr tragfähig. Mit der sofortigen Vollziehung könne die Praxis bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortgeführt werden.
Die Antragstellerin hat beantragt:
1. Der Beschluss des Berufungsausschusses für Ärzte f. d. Bezirk der KV Nordrhein vom 23.05.2012 in Sachen Sonderbedarfszulassung für Frau Dipl.-Psych. X ist für sofort vollziehbar zu erklären.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Antragsgegner hat – ohne Sachantrag – auf den Beschluss vom 23.05.2012 verwiesen. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehung fehle es an einem besonderen öffentlichen Interesse im Sinne des § 86 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die übrigen Beteiligten haben ebenfalls keinen Antrag gestellt.
Mit Beschluss vom 20.07.2012 hat das SG den Antrag abgelehnt. Bei summarischer Prüfung erweise sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig. Der Antragsgegner habe seine Beurteilung, dass eine ausreichende Grundlage für eine Zulassung der Antragstellerin als Psychologische Psychotherapeutin wegen Sonderbedarfs in I bestehe, nicht auf ausreichend fundierte Ermittlungen gegründet. Ausgangspunkt sei, dass der Kreis N mit einem Versorgungsgrad von 131,7 % für Psychotherapeuten gesperrt sei. In Planungsbereichen, in denen wegen Überversorgung Zulassungsbeschränkungen angeordnet seien, kämen Zulassungen nur ausnahmsweise in Betracht. Dazu zähle gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 24 a) BedarfsplanungsRL-Ä ein Sonderbedarf. Dessen Anerkennung erfordere die Prüfung und Feststellung, dass "in Teilen" eines "großstädtischen Planungsbereichs oder eines großräumigen Landkreises" ein "lokaler Versorgungsbedarf" bestehe. Insoweit sei zu beurteilen, ob ein Landkreis "großräumig" sei und was als ein "Teil" eines Landkreises angesehen werden könne. Diese beiden Fragen würden von "Struktur, Verkehrsanbindung und Lage" abhängen. Bestünden in einem Landkreis gute und schnelle Verkehrsanbindungen aus allen Richtungen auf ein Zentrum hin, so reiche die in diesem Zentrum anzutreffende Vielfalt an Ärzten und Psychotherapeuten zur Versorgung des gesamten Landkreises typischerweise aus. In einem anderen Landkreis dagegen, möge dieser auch in seiner Ausdehnung viel kleiner sein, könne die Situation ungünstiger sein. Seien die Ärzte und Psychotherapeuten z.B. aufgrund der gebirgigen Struktur und schlechten Verkehrsanbindungen von einigen Teilen des Landkreises aus nur unter Aufwendung erheblicher Zeit und Mühe erreichbar, so könne hier der Tatbestand "lokaler Versorgungsbedarf in Teilen eines großräumigen Landkreises" gegeben sein. Die Beurteilung, ob solche speziellen Strukturen gegeben seien, könnten in sachgerechter Weise aber nur die ortsnahen fachkundigen Zulassungsgremien vornehmen. Dementsprechend sei diesen für die Merkmale "Teil" und "großräumig" ein Beurteilungsspielraum zuzuerkennen. Der Antragsgegner habe ohne nähere Begründung angenommen, der Landkreis N sei "sicherlich großräumig". Folge man dem, so sei eine Sonderbedarfszulassung zur Vermeidung von Versorgungsdefiziten im Regelfall dann zu erteilen, wenn die Versicherten anderenfalls auf Versorgungsangebote in einer Entfernung von mehr als 25 km angewiesen seien. Dabei sei bei der Bedarfsprüfung auf den konkreten Versorgungsbereich abzustellen. Psychoanalytisch begründete Verfahren (PT) und Verhaltenstherapie (VT) seien unterschiedliche Versorgungsangebote. Insofern sei bedeutsam, dass die Beigeladene zu 7) in ihrem Widerspruch vom 24.04.2012 eine Reihe Psychologischer Psychotherapeuten und ärztlicher Leistungserbringer benannt habe, die in einer Entfernung von deutlich weniger als 25 km zum Praxisstandort S-straße 00 in I zugelassen seien. Ein Abgleich mit der Arztsuche auf der Website der Beigeladenen zu 7) ergebe, dass folgende Psychologischen Psychotherapeuten VT erbrächten: O, T, H, T, X, H, U, G, S, G, I, I, L, O, Q, T, U. Hinzu kämen ggf. noch ärztliche Leistungserbringer. Um gleichwohl einen Sonderbedarf für I zu begründen, hätte der Beklagte jedenfalls die Psychotherapeuten (VT) und ärztlichen Leistungserbringer in diesem Einzugsbereich nach ihren Leistungsangeboten, freien Kapazitäten und Wartezeiten zu befragen gehabt und deren Angaben anhand von Anzahlstatistiken (Frequenztabellen) verifizieren müssen. Sollten sich im dortigen Einzugsgebiet Institute gemäß § 117 Abs. 2 SGB V befinden, die zur Erbringung von VT-Leistungen ermächtigt seien und auf die verwiesen werden könne, wäre auch insofern zu ermitteln und festzustellen gewesen, ob noch freie Versorgungskapazitäten im Bereich von VT-Verfahren bestünden. Allein die Angaben der Antragstellerin zugrunde zu legen, die auch von den Krankenkassen nicht wirklich belegt würden, reiche nicht aus.
Diese Entscheidung greift die Antragstellerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens fristgerecht mit der Beschwerde an.
Sie beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben und den Sofortvollzug anzuordnen.
Der Antragsgegner bezieht sich auf den angefochtenen Beschluss und sieht von einem Sachantrag ab.
Die Beigeladene zu 7) verweist darauf, dass der Antragsgegner die Voraussetzungen des § 24 a) BedarfsplanungsRL-Ä nur unzureichend geprüft habe.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die Streitakte S 2 KA 333/12, die Verfahrensakte sowie den Verwaltunsgvorgang des Antragsgegners.
II.
Die statthafte und zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das SG den Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses vom 23.05.2012 zurückgewiesen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Entscheidung des SG (§ 153 Abs. 2 SGG analog) und merkt ergänzend an:
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Versorgungslage nicht hinreichend ermittelt worden. Die hohe Inanspruchnahme der Antragstellerin betreffend verhaltenstherapeutische Behandlungen mag ein Indiz für eine defizitäre Versorgungssituation sein. Indessen kann dieser Umstand auf einer Vielzahl von Gründen beruhen, die mit der konkreten Versorgungssituation ggf. wenig oder nichts zu tun haben. Der Antragsgegner hat seine Entscheidung indes wesentlich auf diesen Umstand gestützt (Seite 7 des Widerspruchsbescheides). Damit genügt er nicht den vom Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 23.06.2012 – B 6 KA 22/09 R – formulierten Anforderungen an die Sachaufklärung. Hiernach haben die Zulassungsgremien zu prüfen:
1. Zulassungsbeschränkung wegen Überversorgung (BSG, a.a.O., juris Rdn. 11).
2. Prüfung und Feststellung, dass "in Teilen" eines "großstädtischen Planungsbereichs oder eines großräumigen Landkreises" ein "lokaler Versorgungsbedarf" besteht (BSG, a.a.O., juris Rdn. 19 ff)
a) Hier ist zunächst zu beurteilen, ob der Kreis N "großräumig" ist und was ggf. als ein "Teil" dieses Landkreises angesehen werden kann. Diese beiden Fragen hängen von "Struktur, Verkehrsanbindung und Lage" ab (BSG, a.a.O., juris Rdn 19 bis 25).
b) Besteht in Teilen des (ggf.) großräumigen Landkreises ein lokaler Sonderbedarf (BSG, a.a.O., Rdn. 26 bis 34)? Hierzu sind u.a. die Psychotherapeuten im Einzugsbereich, die – wie die Antragstellerin – die Kompetenz zu verhaltenstherapeutischen Verfahren haben, nach ihren Leistungsangeboten, freien Kapazitäten und Wartezeiten zu befragen, wobei deren Angaben anhand von Anzahlstatistiken verifiziert werden müssen (vgl. BSG, a.a.O., Rdn. 34).
3. Ob und inwieweit auch der Sonderbedarfstatbestand des § 24b Bedarfplanungsrichtlinie näher zu prüfen ist, wird ggf. zu erwägen sein (hierzu BSG, a.a.O. Rdn. 36 ff).
4. Schließlich ist zu prüfen und festzustellen, ob und inwieweit der Versogungsbedarf dauerhaft erscheint und für eine wirtschaftlich tragfähige Praxis ausreicht (BSG, a.a.O., Rdn. 40).
Anzumerken ist, dass ein Zulassungsgremium von diesen Vorgaben (&8243;Prüfliste&8243;) im Einzelfall mit besonderer Begründung absehen kann (Senat, Beschluss vom 10.11.2010 – L 11 KA 87/10 B ER -). Im Übrigen sind diese Maßgaben bei der Prüfung des Vorliegens eines lokalen Sonderbedarfs zu beachten (so BSG, a.a.O., Rdn. 34).
Dem wird die Entscheidung des Antragsgegners nicht gerecht. Die Frage, ob der Kreis N ein großräumiger Landkreis ist, hat er nicht geprüft. Er hat lediglich ausgeführt, dass es sich &8243;sicherlich&8243; um einen solchen handele. Indes bedarf es hierzu näherer Feststellungen, namentlich zu Struktur, Verkehrsanbindung und Lage (s. oben). Feststellungen zum lokalen Versorgungsbedarf fehlen gänzlich. Statt dessen hat sich der Antragsgegner allein auf die Angaben der Antragstellerin und die Zahl der von den Krankenkassen genehmigten psychotherapeutischen Behandlungen bezogen. Dies genügt vor dem Hintergrund der vom BSG (a.a.O.) postulierten Anforderungen nicht, um einen Sonderbedarf bejahen zu können, wie schon das SG zutreffend ausgeführt hat.
Die Beschwerde konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
III.
Die Entscheidung über den Streitwert ergeht gesondert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.01.2013
Zuletzt verändert am: 09.01.2013