Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.07.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Der Kläger wurde 1938 als Sohn deutscher Volkszugehöriger in der ehemaligen Sowjetunion (heute: Ukraine) geboren. Während des zweiten Weltkrieges wurde er von seinem Heimatort in das von Deutschland besetzte Polen (Reichsgau Wartheland) umgesiedelt, wo er im Juli 1944 eingebürgert wurde. Im Jahre 1945 brachten ihn russische Truppen nach Kasachstan ("Repatriierung"), wo er bis Januar 1956 unter Kommandanturaufsicht stand.
Den Hauptteil seines Erwerbslebens verbrachte der Kläger in Kasachstan. Dort besuchte er bis 1958 die Mittelschule und war nach Abschluss seiner Ausbildung zum Kraftfahrer bis 1959 in diesem Beruf als leitender Mitarbeiter (Dispatcher) in einem Fuhrpark tätig. Von 1959 bis 1962 absolvierte er in der Abendschule ein Bergbautechnikum (Fachschule) der Fachrichtung "Untertage – Gewinnung von Kohlevorkommen", das er mit der Qualifikation zum Bergtechniker abschloss. Vom 1963 bis 1968 studierte er an einer volkswirtschaftlichen Hochschule, Fachrichtung "Planung der Industrie", die er als diplomierter Ökonom beendete. Vom 1961 bis 1962 war er als Energetiker, Haupttechnikerhelfer und Elektroschlosser tätig, in dieser Zeit absolvierte er zugleich ein Praktikum im Bergbau. Von 1962 bis 1969 war der Kläger als Meister der Untertagebauschicht, von 1969 bis 1973 als Vorgesetzter der Lohnarbeitsabteilung der Bauverwaltung, von 1973 bis 1976 als Abschnittsbergnormer, von 1976 bis 1985 als Vorgesetzter der Lohnarbeitsabteilung und von 1985 bis 1993 als Hauptbuchhalter tätig. Ab dem 8.8.1988 bezog er nebenher eine russische Altersrente wegen Berufsunfähigkeit.
Auf den Ausreiseantrag des Klägers erteilte das Bundesverwaltungsamt ihm am 09.10.1992 einen Aufnahmebescheid nach § 26 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in der bis zum 31.12.1992 geltenden Fassung (im Folgenden: BVFG aF). Zusammen mit seiner russischen Ehefrau reiste der Kläger am 18.2.1993 nach Deutschland ein. Die Stadt L stellte ihm (unter dem 07.07.1993) eine Spätaussiedlerbescheinigung (gemäß § 15 Abs 1 BVFG in der neuen, ab 01.01.1993 geltenden Fassung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 22.12.1992) und seiner Ehefrau eine Bescheinigung als (fremdländischer) Ehegatte eines Spätaussiedlers aus.
Ab dem 01.04.1993 bezog der Kläger (nach mehreren Klageverfahren) Rente wegen Berufsunfähigkeit nach Aufgabe der knappschaftlichen Beschäftigung (Bescheide vom 06.12.1996, 14.03.1997, 18.09.1997 und 13.10.1998). Anstellte dieser Rente gewährte die Beklagte ihm ab dem 01.09.1998 Altersrente für Schwerbehinderte (Bescheid vom 14.04.1999); dabei berücksichtigte sie – wie in allen vorangegangenen Bescheiden – die Zeiten vom 08.08. – 09.11.1988 und vom 12.02.1989 – 10.01.1993 als (Pflicht-)Beitragszeiten.
Im März 2002 beantragte der Kläger bei der Stadt L unter Hinweis auf seine Umsiedlung während des zweiten Weltkrieges und seine nachfolgende Verschleppung in die ehemalige Sowjetunion die Anerkennung als Umsiedler und Aussiedler nach dem BVFG aF. Die Stadt L lehnte den Antrag ab: Eine Anerkennung als Um- bzw. Aussiedler komme nicht in Betracht, weil der Kläger nicht vor dem 01.01.1993 im Wege des Aufnahmeverfahrens ausgesiedelt worden sei. Für ihn gelte deshalb das BVFG in der Fassung des zum 01.01.1993 in Kraft getretenen Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, das lediglich die (hier bereits erfolgte) Anerkennung als Spätaussiedler vorsehe (Bescheid vom 30.04.2002 in der Fassung des durch die Bezirksregierung L erlassenen Widerspruchsbescheides vom 17.02.2003). Die gegen diese Bescheide zum Verwaltungsgericht L erhobene Klage nahm der Kläger zurück.
Erstmals im August 2004 sowie anschließend mit weiteren Schreiben vom 27.09.2004, 20.06.2006 und 02.07.2006 beantragte der Kläger die Überprüfung seiner Altersrente mit den Begehren, ihn als Umsiedler anzuerkennen und ihm die Rente ohne Kürzung der Entgeltpunkte zu gewähren. Die Beklagte sah keine Veranlassung, beim Bundesverwaltungsamt einen Antrag auf Anerkennung des Klägers als Umsiedler nach § 100 Abs 2 Satz 3 BVFG zu stellen, da sich seine Rechtsposition bei entsprechender Anerkennung dramatisch verschlechterte (Schreiben vom 03.08.2006). Den Überprüfungsantrag lehnte sie ab (Bescheid vom 28.8.2006; Widerspruchsbescheid vom 03.11.2006). Mit der anschließenden Klage (SG Köln, Az S 2 KN 128/06) begehrte der Kläger, die Zeit von März 1956 bis Juli 1958 als Ersatzzeit nach § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI, die Zeit von Juli 1958 bis Oktober 1958 und von Mai 1959 bis September 1959 als Beitragszeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung, die Zeit von September 1959 bis Februar 1961 und von August 1988 bis April 1993 als Ersatzzeit anzuerkennen und die Zeit von Juli 1962 bis Dezember 1969 der Qualifikationsgruppe 2 zuzuordnen. Das SG wies die Klage ab: Die Klage sei jedenfalls unbegründet. Die Anerkennung als Vertriebener obliege nicht der Beklagten, sondern der Stadt L, die sie bestandskräftig abgelehnt habe. Abgesehen davon ginge der Kläger bei Anerkennung als Vertriebener aller in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Zeiten nach dem FRG verlustig (Urteil vom 28.05.2009). Im Berufungsverfahren (Az beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) zunächst Az L 2 KN 176/09, später L 18 (2) KN 324/09) wies die Berichterstatterin den Kläger darauf hin, dass das Bundesverwaltungsamt trotz der ausgestellten Bescheinigung als Spätaussiedler nicht gehindert sei, im Verfahren nach § 100 Abs 2 Satz 3 BVFG die Umsiedlereigenschaft festzustellen. Dies führe jedoch nicht zwangsläufig zu einer höheren Rente. Die Beklagte erklärte sich bereit, auf den Antrag des Klägers vom August 2004 erneut die Rechtmäßigkeit des Altersrentenbescheides zu prüfen und dabei auch – notfalls unter Einschaltung des Bundesverwaltungsamtes – zu prüfen, ob die Umsiedlereigenschaft nach § 1 Abs 2 Nr 2 SGB BVFG zu bejahen ist. Der Kläger erklärte daraufhin den Rechtsstreit für erledigt.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf teilweise Zurücknahme des Altersrentenbescheides und Zahlung höherer monatlicher Rente (ohne Einschaltung des Bundesvertriebenenamtes) erneut ab: Die Anerkennung des Klägers als Umsiedler obliege der Stadt L. Bei Anerkennung allein als Umsiedler wäre die Rente ohne die Zeiten vom 08.08.1952 bis 17.02.1993 neu zu berechnen, stattdessen wären nur die bis zum 08.05.1945 zurückgelegten Zeiten zu berücksichtigen. Da der Kläger bis dahin jedoch keine Beschäftigungszeiten zurückgelegt habe, entfiele der Anspruch auf die deutsche Rente wegen nicht erfüllter Wartezeit ganz. Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr seien Ersatzzeiten anerkannt worden, ebenso die Schulzeit vom 01.02.1956 bis 31.07.1958. Zeiten einer Beschäftigung könnten nach § 16 FRG erst nach Vollendung des 17. Lebensjahres angerechnet werden, insoweit sei lediglich die Zeit vom 22.08. bis 10.10.1958 belegt. Die Zeit vom 09.09.1959 bis 23.06.1962 sei als Zeit einer Fachschulausbildung anerkannt und zutreffend der Rentenversicherung der Arbeiter zugeordnet; dies ergebe sich aus der zuvor ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit als Kraftfahrer. Auch die Kürzung der versicherten Entgelte um 1/6 sei rechtmäßig. Es reiche nicht aus, wenn Anfang und Ende der jeweiligen Zeiten feststehen, es seien vielmehr auch fehlende Unterbrechungen nachzuweisen. Der Kläger habe indes nur sein Arbeitsbuch vorgelegt (Bescheid vom 19.08.2010; Widerspruchsbescheid vom 23.11.2010).
Mit seiner hiergegen am 29.11.2010 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe einen Anspruch auf Anerkennung als Umsiedler, die Beklagte sei verpflichtet, das Bundesverwaltungsamt um die entsprechende Feststellung zu ersuchen. Die Zeit von August 1988 bis April 1993 sei als Ersatzzeit wegen Altersrentenbezuges anzuerkennen, anzuwenden sei insoweit § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI in der vor dem 26.06.1993 geltenden Fassung.
Der Kläger hat beantragt,
"den Bescheid vom 19.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Vorliegen seiner Umsiedlereigenschaft zu prüfen. Die Zeit von 1946 bis Juni 1958 anzuerkennen. Die Zuordnung einer Berufsausbildung von 1959 bis 1961 anzuerkennen, und die von der Beklagten vorgenommene Kürzung seiner glaubhaft gemachten Zeiten als nachgewiesene Zeiten anzuerkennen und die Zeiten von Juli 1958 bis September 1958 als knappschaftliche Zeit zuzuordnen."
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Rechtsansicht festgehalten.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Eine Neufeststellung der Rente komme nicht in Betracht. Der Kläger sei nicht beschwert, da er vor sich selbst zu schützen und nicht durch immer wieder neue Überprüfungsanträge in eine Hoffnung getrieben werden dürfe, die die Beklagte nicht erfüllen könne. Der Kläger sei mehrfach darauf hingewiesen worden, dass seine Anerkennung als Umsiedler zur Folge hätte, dass er die Wartezeit für eine deutsche Rente nicht erfülle. Die Beklagte habe die Altersrente im Übrigen zutreffend festgestellt (Urteil vom 14.07.2011).
Mit seiner Berufung vom 01.08.2011 hat der Kläger erneut geltend gemacht, er sei nicht nur Spätaussiedler, sondern auch Umsiedler. Deshalb seien die FRG-Zeiten vom Vertreibungstatbestand "Umsiedlung" bis zum Vertreibungstatbestand "Spätaussiedlung" zu berücksichtigen. Die Zeit im Internierungslager sei als Anschluss-Ersatzzeit zu berücksichtigen. Ferner sei die Schulzeit von März 1956 bis Juli 1958 als Ersatzzeit zu berücksichtigen, weil sie unter das Rückkehrverbot in das Abstammungsgebiet falle. Darüber hinaus bestätige die Zeugenaussage seines Arbeitgebers T, dass er auch von Juli 1958 bis Oktober 1958 und von Mai 1959 bis September 1959 für das Kfz-Depot Transporte für die Bergwerke L und E durchgeführt und damit eine knappschaftliche Tätigkeit versehen habe. Die Zeiten von Juli 1958 bis Oktober 1958 und von Mai 1959 bis September 1959 seien Ersatzzeiten im Gewahrsam (§ 250 Abs 1 Nr 5 SGB VI) und Beitragszeiten zugleich. Der Besuch einer Fachschule im Gewahrsam von September 1959 bis Februar 1961 sei nach § 254 Abs 2 SGB VI eine Ersatzzeit wegen einer Lehre. Seine Beitragszeiten seien lückenlos nachgewiesen und von der russischen Rentenversicherung auch anerkannt, und zwar ohne Ausfälle. Im Arbeitsbuch seien für die Tätigkeit in der Kolchose 442 Tage nachgewiesen, was bei einem festgelegten Minimum von 420 Tagen belege, dass es keine Ausfallzeiten gegeben habe. Auch für die Beschäftigung bei der Bauverwaltung sei sein Gehalt von monatlich 190 Rubeln zuzüglich von Bonuszahlungen und Urlaubsgeld nachgewiesen, Krankheitsausfälle habe es nicht gegeben. Wenn die Beklagte Ausfallzeiten annehme, müsse sie diese als Ersatzzeiten anrechnen (§ 250 Abs 1 Nrn 3 und 5 SGB VI). Die Zeit des Rentenbezuges von August 1988 bis Dezember 1992 sei ebenfalls eine Ersatzzeit.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Köln vom 14.07.2011 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2010 zu verurteilen, den Bescheid vom 14.04.1999 teilweise zurückzunehmen und ab dem 01.01.2000 höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Berücksichtigung des Vorliegens eines Vertriebenenstatus nach altem, bis zum 31.12.1992 geltenden Recht und zwar nach § 1 Abs 2 BVFG alten Rechts (Umsiedler, die nach dem 31.12.1992 nach Deutschland einreisen und die Voraussetzungen für die Anerkennung als Spätaussiedler erfüllen) und ohne Anwendung des Rü-ErgG vom 24.06.1993, weil bereits zum 01.04.1993 Berufsunfähigkeitsrente bezogen worden ist, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf ihre bereits im Verwaltungsverfahren und im Klageverfahren vertretene Rechtsauffassung und bezieht sich ergänzend auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Akten der Beklagten und die Vorprozessakten des SG Köln (Az S 15 KN 63/97, S 2 128/06 = LSG NRW Az L 18 (2) KN 324/09 und S 7 R 236/05 = LSG NRW, Az L 3 (4) R 64/08 – C) Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht keine höhere Altersrente für Schwerbehinderte (seit dem 01.01.2002: für schwerbehinderte Menschen; diese Formulierung wird im Folgenden ausschließlich verwendet) ab dem 01.01.2000 oder ab einem späteren Zeitpunkt zu.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 19.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2010. Darin lehnt die Beklagte ab, den Bescheid vom 14.04.1999 (teilweise) zurückzunehmen, (rückwirkend) ab dem 01.01.2000 einen höheren Wert des Rechts auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen festzustellen und ab diesem Zeitpunkt (auch nachträglich) höhere monatliche Rente zu zahlen. Der Senat prüft dieses Begehren auf der Grundlage des (den Prüfungsumfang entsprechend beschränkenden) Sachantrags des Klägers nur noch dahingehend, ob der streitige Anspruch begründet ist, weil ein Vertriebenenstatus als Umsiedler nach altem, bis zum 31.12.1992 geltenden Recht vorliegt, und/oder weil die Zeit des Rentenbezugs im Vertreibungs-/Aussiedlungsgebiet von 1988 bis 1993 als Ersatzzeit zu berücksichtigen ist. Der Senat muss an dieser Stelle nicht abschließend entscheiden, ob es generell der Dispositionsbefugnis der Beteiligten unterliegt, im Rahmen eines einheitlichen Verfügungssatzes zur Höhe des monatlichen Werts des Rechts auf Rente den Streit auf einzelne Berechnungsfaktoren zu beschränken (vgl dazu Senatsurteil vom 28.02.2012, Az L 18 KN 25/11). Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn der Sachantrag ausdrücklich auf einzelne Berechnungs- bzw. Begründungselemente beschränkt wird. Dies macht deutlich, dass (konkludent) eine höhere Leistung aufgrund anderer Tatsachen nicht mehr begehrt wird (so bereits Senatsurteil vom 22.05.2012, Az L 18 KN 46/11). Dabei berücksichtigt der Senat das zu 2. genannte Begehren (Berücksichtigung der Rentenbezugszeit von 1988 bis 1993 als Ersatzzeit), obwohl es im erstinstanzlichen Sachantrag (sondern nur im schriftlichen Vortrag erster und zweiter Instanz) nicht ausdrücklich geltend gemacht wird. Denn Sachverhalte, die den einheitlichen Verfügungssatz zur Höhe der Rente (und nicht etwa separate "Unterverfügungssätze") betreffen, können jederzeit wieder in das Verfahren eingeführt werden und damit zur Überprüfung des Gerichts gestellt werden (arg. aus § 99 Abs 3 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die Klage ist zulässig.
Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl BSG SozR 3-4170, § 2 Nr 2; LSG BW, Beschluss vom 12.06.2009, Az 13 R 1824/09 ER B; BayLandessozialgericht, Beschluss vom 31.3.2009, Az L 13 R 9/09 B ER; zur richtigen Klageart bei Ansprüchen nach § 44 SGB X: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 10. Aufl. 2012, § 54 Rdnrn 20c und 20d).
Soweit der Kläger eine höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Berücksichtigung des Vorliegens eines Vertriebenenstatus nach altem Recht begehrt, fehlt es nicht etwa deshalb an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil eine Verbesserung der wirtschaftlichen oder rechtlichen Stellung von vorneherein ausgeschlossen ist (vgl BVerwG, Urteil vom 29.04.2004, Az 3 C 25/03, zitiert nach juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 10. Aufl. 2012, Vor § 51 Rdnr 16a). Die Frage, ob sich die erstrebte Rechtsfolge eines höheren Werts der Rente bei Annahme des Umsiedlerstatus ergibt, betrifft vielmehr die Begründetheit der Klage.
Die Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 19.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2010 (vgl § 95 SGG) ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 14.04.1999. Ein Anspruch auf Feststellung eines höheren Werts seiner Altersrente für schwerbehinderte Menschen und höhere monatliche Zahlungsansprüche besteht nicht. Er ergibt sich nicht bei Berücksichtigung eines Vertriebenenstatus nach altem – bis zum 31.12.1992 – geltendem Recht. Die Zeit des Altersrentenbezugs von 1988 bis 1993 ist nicht als Ersatzzeit nach § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI in der bis zum 30.06.1993 geltenden Fassung (ggf rentensteigernd) zu berücksichtigen, weil diese Vorschrift nach dem Rentenüberleitungsergänzungsgesetz (Rü-ErgG) vom 24.06.1993 nicht mehr auf den Kläger anwendbar ist.
Nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Wird ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches nach § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs 4 Satz 2 SGB X); erfolgt die Rücknahme – wie hier – auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag. Ausgehend von dem Überprüfungsantrag im August 2004 beginnt der überprüfbare Zeitraum danach 4 Jahre vom Beginn des Jahres 2004 zurückgerechnet. Zutreffend hat der Kläger sein Begehren danach auf die Zeit ab dem 01.01.2000 beschränkt.
Abzustellen ist zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit nach § 44 SGB X grundsätzlich auf die bei Erlass des zu prüfenden Bescheids geltende Sach- und Rechtslage aus heutiger, geläuterter Sicht (vgl BSGE, 88, 75, 81 = SozR 1300 § 44 Nr 13; Steinwedel in: KassKomm. SGB X. Stand: Juli 2009, § 44 Rdnr 37 f). Hat sich das Recht während des Rechtsstreits geändert, so ist das neue Recht dann zu beachten, wenn es das streitige Rechtsverhältnis nach seinem zeitlichen Geltungswillen erfassen soll (BSG, aaO; LSG NRW, Urteil vom 05.04.2011, Az L 8 R 821/10 unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Nach diesen Vorgaben ist der Prüfung das Rentenrecht in der Fassung zu Grunde zu legen, die zum Beginn der hier streitigen Rente am 01.09.1998 galt (im Folgenden: aF).
Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Sondervorschrift des § 300 Abs 3 SGB VI in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung (Artikel 1 des Gesetzes vom 20.12.2000, BGBl I, 1827). Nach dieser Reglung sind diejenigen Vorschriften des SGB VI maßgebend, die bei erstmaliger Feststellung der Rente anzuwenden waren, wenn eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist und dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind (vgl Kater in: Kass Komm. Stand: Dezember 2011. § 300 SGB VI Rdnr 13). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist nicht bereits vor dem Inkrafttreten des RÜG und des Rü-ErgG nach altem Recht geleistet worden. Eine Rente wurde nur dann geleistet, wenn der aus dem Stammrecht abgeleitete Einzelanspruch auf Zahlung bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts bestanden hat. Unerheblich ist, ob die Rente dem Berechtigten vom Rentenversicherungsträger bereits durch Bescheid zuerkannt worden ist oder Auszahlungen erfolgt sind (vgl Kater in: Kasseler Kommentar. Stand: Dezember 2011, § 300 SGB VI Rdnr 13). So liegt der Fall hier nicht. Zwar hat der Kläger bereits ab dem 1.4.1993 eine Rente wegen Berufsfähigkeit bezogen. Diese entspricht (in der Rentenart) jedoch nicht der (früheren) Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige nach § 37 SGB VI aF. Das entsprechende Stammrecht dieser Rente hat der Kläger erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres zum 07.08.1998 (vgl § 26 SGB X iVm §§ 187 Abs 2, 188 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) und damit lange nach Inkrafttreten des neuen Rechts erworben. Denn Anspruch auf Altersrente für Schwerbehinderte hat nur, wer das 60. Lebensjahr vollendet hat, § 37 Nr 1 SGB VI aF.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der zu § 300 Abs 3 SGB VI im Wesentlichen wortgleichen Norm des Artikel 6 § 4 Abs 4a Gesetz zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts (FANG), der speziell für Fremdrenten regelt: Ist eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen und sind dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln, sind die Vorschriften des FRG maßgebend, die bei erstmaliger Feststellung der Rente anzuwenden waren, soweit § 317 Abs 2a SGB VI nichts anderes bestimmt. Auch diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Stammrecht auf Altersrente für Schwerbehinderte ist erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres entstanden. Folglich ist eine solche Rente auch nicht bereits vorher geleistet worden.
Bei Berücksichtigung der am 01.09.1998 geltenden Rechtslage hat die Beklagte den Wert der Altersrente für schwerbehinderte Menschen zutreffend festgesetzt.
Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen hat nach § 37 SGB VI aF, wer das 60. Lebensjahr vollendet hat (Nr 1), bei Beginn der Altersrente als Schwerbehinderter [ ] anerkannt, berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist (Nr 2) und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt hat (Nr 3). Diese Voraussetzungen hatte der Kläger (erst) zum 07.08.1998 erfüllt, weil er zu diesem Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres als Schwerbehinderter anerkannt war und nach dem Versicherungsverlauf über 35 Jahre (= 420 Monate) rentenrechtliche Zeiten hatte, vgl §§ 50 Abs 4, 51 Abs 3 SGB VI.
Die Beklagte hat bei der Feststellung des Werts der Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu Recht (nur) den Spätaussiedlerstatus und nicht die Umsiedlereigenschaft zugrundegelegt (im Folgenden 1.) und zu Recht die Zeit von 1988 bis 1993 nicht als Ersatzzeit nach § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI aF berücksichtigt (im Folgenden 2.)
1. Die Anerkennung von Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach dem FRG ist nur unter der Voraussetzung möglich, dass der Antragsteller zu dem vom FRG begünstigten Personenkreis gehört. Das FRG findet gemäß § 1 FRG unter anderem Anwendung auf Vertriebene im Sinne des § 1 BVFG oder Spätaussiedler gemäß § 4 BVFG, die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt sind (§ 1 Buchstabe a FRG).
Der Kläger ist Spätaussiedler im Sinne von § 4 in Verbindung mit § 100 Abs 5 BVFG in der bis zum 31.12.1992 geltenden Fassung. Nach der Übergangsregelung des § 100 Abs 5 BVFG sind Personen, die vor dem 1. Januar 1993 einen Aufnahmebescheid nach § 26 BVFG erhalten haben, Spätaussiedler, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG, mit der Maßgabe, dass kein Ausschlussgrund nach § 5 Nr 1 Buchstaben d oder e vorliegt, oder des § 4 BVFG erfüllen. Dies ist der Fall. Der Kläger hat unter dem 09.10.1992 einen Aufnahmebescheid nach § 26 BVFG erhalten und erfüllt die Voraussetzungen des § 4 BVFG. Die Spätaussiedlereigenschaft ist dementsprechend kraft Spätaussiedlerbescheinigung vom 7.7.1993 bestandskräftig anerkannt und zwischen den Beteiligten unstreitig.
Der Kläger ist nicht zugleich Vertriebener im Sinne von § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG (Aussiedler). Das BVFG unterscheidet bei Personen, die als deutsche Staatsangehörige oder deutsche Volkszugehörige die ehemalige Sowjetunion nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen verlassen haben, nach dem Zeitpunkt der Ausreise zwischen Vertriebenen und Spätaussiedlern. Nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG ist Vertriebener, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen im Wege des Aufnahmeverfahrens vor dem 01.01.1993 die ehemalige Sowjetunion verlassen hat, es sei denn, dass er, ohne aus diesem Gebiet vertrieben und bis zum 31.3.1952 dorthin zurückgekehrt zu sein, nach dem 08.05.1945 seinen Wohnsitz in diesem Gebiet begründet hat. Für deutsche Volkszugehörige, die wie der Kläger die ehemalige Sowjetunion nach dem 31.12.1992 verlassen haben, ist dagegen ausschließlich der Status des Spätaussiedlers nach § 4 BVFG vorgesehen. Bei der Bestimmung des Zeitpunktes des Verlassens des Aussiedlungsgebietes ist nicht (allein) auf die Aufgabe des Wohnsitzes oder auf das Verlassen der jeweiligen Heimatstadt oder der weiteren Heimatregion abzustellen. Ein "Verlassen" des Vertreibungsgebietes im Sinne des § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG liegt vielmehr erst bei faktischer Überschreitung der Grenze des Vertreibungsgebietes unter Aufgabe des in diesem Gebiet bestehenden Wohnsitzes vor (BVerwGE 78, 147, 151; BVerwG in: DVBl 1994, 939; BVerwG, Urteil vom 08.11.1994, Az 9 C 472/93; vgl auch von Schenckendorff. Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht. Kommentar zum BVFG, Loseblattsammlung. Stand: März 2009, B 1 § 1 Anm i). Dabei ist Vertreibungsgebiet nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut das (jeweilige) in § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG bestimmte Staatsgebiet, dh im Falle des Klägers das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Die Grenze dieses Gebietes hat der Kläger mit seiner Frau jedoch (unstreitig) erst mit dem Abflug aus Moskau am 17.02.1993 und damit nach dem 31.12.1992 überschritten. Erst hierdurch hat der Kläger die seit 1991 als Nachfolgestaat der Sowjetunion bestehende russische Föderation und damit das Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion verlassen. Der Status als Aussiedler lässt sich für den Kläger auch nicht aus § 100 Abs 5 BVFG herleiten. Zwar enthält § 100 BVFG Übergangsregelungen für die Handhabung des bis zum 31.12.1992 geltenden Rechts und lässt es nach Abs 5 für Personen, die – wie der Kläger – vor dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes am 1.1.1993 einen Aufnahmebescheid auf der Grundlage der bis zum 31.12.1992 geltenden Gesetzeslage erhalten haben, für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft genügen, wenn entweder die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG aF oder die des § 4 BVFG erfüllt sind. § 100 Abs 5 BVFG begründet bei Vorliegen der Voraussetzung des § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG aF jedoch entgegen der Ansicht des Klägers nicht (auch nicht wahlweise) den Status des Aussiedlers nach der bis zum 31.12.1992 geltenden Fassung des BVFG, sondern allein den des Spätaussiedlers (iSd des § 4 BVFG in seiner ab dem 1.1.1993 geltenden Fassung). Zuzugeben ist dem Kläger, dass der Wortlaut des Gesetzes insoweit nicht eindeutig ist, und die Überschrift des § 100 BVFG "Anwendung des bisherigen Rechts" bei vordergründiger Betrachtung durchaus die Schlussfolgerung nahe legen mag, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 100 Abs 5 BVFG sowohl der Status des Spätaussiedlers nach neuem Recht als auch der des Aussiedlers nach altem Recht begründet werden könnte. Eine dahingehende Auslegung des § 100 Abs 5 BVFG wäre jedoch mit dem eindeutigen Sinn und Zweck der Bestimmung nicht vereinbar, nicht zu rechtfertigende Benachteiligungen zu vermeiden, die in Folge der Neuregelung des BVFG durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz im Sinne einer Stichtagsregelung zum 01.01.1993 auftreten können (so bereits LSG NRW, Urteil vom 19.07.2010, Az L 3 (4) R 64/08). Dies ergibt sich aus dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung, wonach es unbillig wäre, mit einem Aufnahmebescheid (nach altem Recht) nach dem 31.12.1992 eingereisten Personen die Spätaussiedlereigenschaft zu verweigern, wenn sie zwar die Voraussetzungen nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG aF, nicht hingegen diejenigen des § 4 BVFG erfüllen, wenn die Aufnahmebescheide am Maßstab des § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG aF ausgestellt worden sind (vgl BT-Drucks 12/3212, S 27/28). Auch dieser Personenkreis soll Anspruch auf Anerkennung als Spätaussiedler nach § 4 BVFG haben (so auch: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München, Urteil vom 18.09.2000, Az 24 B 99.2559; ebenso Beschluss vom 15.4.2008, Az 11 ZB 06.2008).
Ob der Kläger dagegen die Vertriebeneneigenschaft als Umsiedler erworben hat (wofür alles spricht, vgl das Urteil des 3. Senat des LSG NRW im Verfahren der Ehefrau des Klägers, vgl Urteil vom 19.07.2010, Az L 3 (4) R 64/08), kann im Ergebnis offen bleiben, weil dieser Status nicht zu einer höheren Altersrente für Schwerbehinderte führt.
Vertriebener ist nach § 1 Abs 2 Nr 2 BVFG (sowohl derzeitige als auch aF), wer aufgrund der während des zweiten Weltkrieges geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge aus außerdeutschen Gebieten oder während des gleichen Zeitraumes aufgrund von Maßnahmen deutscher Dienststellen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten umgesiedelt worden ist. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen, weil er während des zweiten Weltkrieges im Zuge des Rückzuges der Deutschen Wehrmacht aus der Sowjetunion von der Ukraine in das vom Deutschen Reich annektierte Gebiet Polens umgesiedelt und später von der russischen Armee in die Sowjetunion verschleppt wurde. Der Vertriebeneneigenschaft als Umsiedler steht nicht entgegen, dass der Kläger durch die Bescheinigung der Stadt L vom 07.07.1993 als Spätaussiedler anerkannt ist. Das Gesetz schließt nämlich einen mehrfachen Vertriebenenstatus (Fälle der sog. "Mehrfachvertreibung") nicht aus (vgl BSG, Urteil vom 17.10.2006, Az B 5 RJ 21/05 R, Rdnr 33 mwN; LSG NRW, Urteil vom 19.07.2010, aaO; Urteil vom 03.08.2009, Az L 3 R 220/089 unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Dass der Kläger behördlich nicht als Vertriebener anerkannt ist, steht einer gerichtlichen Überprüfung seines Status nicht entgegen. Der kraft Gesetzes eintretende Vertriebenenstatus konnte früher ausschließlich durch feststellenden Verwaltungsakt bestätigt werden, indem die Vertriebenenbehörde einen Vertriebenenausweis gemäß § 15 BVFG in der bis einschließlich 31.12.1992 geltenden Fassung vom 03.09.1971 (BGBl I 1565) erteilte (BVerwGE 78, 139, 144 = Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr 11 S 7). Nach der vorliegend anzuwendenden Übergangsregelung des § 100 Abs 2 BVFG in der vom 02.01.1993 bis 23.05.2007 geltenden Fassung (die mit der heutigen Fassung identisch ist) werden jedoch Ausweise nach § 15 BVFG in der vor dem 01.01.1993 geltenden Fassung nur noch ausgestellt, wenn sie vor diesem Tage beantragt wurden (Satz 1). Aussiedler, die den ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes nach dem 02.10.1990 und vor dem 01.01.1993 begründet haben, konnten den Ausweis noch bis zum 31.12.1993 beantragen (Satz 2). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger hat die Anerkennung als Umsiedler erst im März 2002 und damit nach dem Stichtag beantragt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, dass in dem Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedler nach der Einreise im Februar 1993 auch ein Antrag auf Anerkennung als Vertriebener zu sehen ist, weil auch dieser Antrag nicht vor dem 01.01.1993 gestellt wäre. Dies hat zur Folge, dass § 100 Abs 2 Satz 3 BVFG zur Anwendung gelangt, wonach die Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft im Übrigen nur auf Ersuchen einer Behörde, die für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen an Vertriebene oder Flüchtlinge zuständig ist, vom Bundesverwaltungsamt festgestellt wird. Diese Anforderung ist nicht erfüllt. Die Beklagte hat das Bundesverwaltungsamt nicht um die Feststellung des Vertriebenenstatus ersucht. Vielmehr hatte das Vertriebenenamt bereits zuvor den Antrag des Klägers bestandkräftig abgelehnt. Allerdings ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass nur der Rentenversicherungsträger an die Statusfeststellung des Vertriebenenamtes gebunden ist, während die Sozialgerichte die Vertriebeneneigenschaft – jedenfalls bei negativen Entscheidungen der Behörde – materiell-rechtlich zu prüfen und ggf. abweichend von diesen zu bejahen haben. Anderenfalls stünde den Betroffenen entgegen dem in Artikel 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) verankerten Justizgewährungsanspruch keine gerichtliche Kontrollmöglichkeit zur Verfügung, da die Tätigkeit des Vertriebenenamtes nach der Rechtsprechung als bloße verwaltungsinterne Mitwirkungshandlung ohne Verwaltungsaktqualität anzusehen ist (BSG vom 21.03.2006, Az B 5 RJ 54/04 R, Rdnr 22 unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Einer solchen Überprüfung steht auch nicht entgegen, dass das Vertriebenenamt der Stadt L den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Umsiedler bestandskräftig abgelehnt hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger bezüglich der Feststellung des Vertriebenenstatus nach § 100 Abs 2 Satz 3 BVFG bereits nicht antragsbefugt im Gesetzessinne war, so dass das durchgeführte Verfahren ohnehin "ins Leere" ging.
Mit der inzidenten Bejahung der Vertriebeneneigenschaft als Umsiedler ist jedoch nicht der Anspruch auf Feststellung weiterer Versicherungs-(insbesondere: Ersatz-)zeiten begründet. Ob und welche Versicherungszeiten für Vertriebene festzustellen sind, richtet sich nach §§ 15, 16 FRG. Nach § 15 Abs 1 Satz 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Dem Kläger ist zuzugeben, dass allein dem Wortlaut dieser Vorschrift keine zeitliche Beschränkung auf bestimmte Zeiträume zu entnehmen ist, in denen die Beitragszeiten im Herkunftsgebiet zurückgelegt worden sein müssen. Insbesondere fehlt in § 15 FRG die in § 16 Abs 1 FRG vorhandene Einschränkung, dass nur solche Zeiten den Bundesgebietszeiten gleichstehen, die vor der Vertreibung zurückgelegt wurden. Gleichwohl muss nach der Systematik sowie nach dem Sinn und Zweck des Fremdrentenrechts diese Einschränkung auch für die im Herkunftsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten gelten. Unabhängig davon, ob man eher den Entschädigungs- oder (wie seit 1960) den Eingliederungscharakter des Fremdrentenrechts betont, war und ist es immer noch dessen Grundanliegen, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten ist. Da derartige Nachteile alle Rentenversicherten gleich treffen, die außerhalb der Geltung von Sozialversicherungsabkommen und anderem internationalen Recht im Ausland beschäftigt waren, muss die Begünstigung durch das FRG auf die Fälle beschränkt sein, in denen der Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch einen Vertreibungstatbestand verursacht wird; andernfalls wäre die unterschiedliche Behandlung von Rentenversicherungszeiten im vertragslosen Ausland, je nachdem, ob sie von vertriebenen oder nicht vertriebenen Versicherten zurückgelegt wurden, sachlich kaum zu rechtfertigen. Infolgedessen wird in § 16 FRG ein Grundgedanke ausgedrückt, der auch für die Auslegung des § 15 FRG maßgeblich sein muss (BSG Urteil vom 17.10.2006 = SozR 4-5050 § 15 Nr 3; BSGE 49, 175, 189 = SozR 5050 § 15 Nr 13 S 47). Es sind nicht sämtliche Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet allein mit Rücksicht auf die Vertriebeneneigenschaft zu Grunde zu legen, sondern nur diejenigen, die vor der Vertreibung zurückgelegt wurden. Mit dem Ende der Vertreibung bleibt der Betroffene zwar Vertriebener, aber der durch das Vertriebenenschicksal erlittene rentenversicherungsrechtliche Nachteil kann sich nicht mehr vergrößern (BSG, Urteil vom 17.10.2006, aaO, Rdnr 27 ff mwN). Vor diesem Hintergrund hat die höchstrichterliche Rechtsprechung wiederholt entschieden, dass Zeiten nach dem FRG nicht festzustellen sind, wenn die in Rede stehenden Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet nach Abschluss des jeweils maßgeblichen Vertreibungsvorgangs zurückgelegt wurden (BSGE 41, 257 = SozR 5050 § 15 Nr 5; BSG SozR 5050 § 15 Nr 34; so auch VerbandsKomm. § 1 FRG Anm 6, § 15 FRG Anm 6; Hoernigk/Wickenhagen. FRG. Stand: Juli 1988, § 15 Seite 162/6; von Schenckendorff, aaO, § 1 BVFG Anm 8).
Die Anwendung dieser Grundsätze führte dazu, dass für den Kläger allein aufgrund eines Vertriebenenstatus als Umsiedler keine Versicherungszeiten nach dem FRG festzustellen wären. Er ist einem Rechtsirrtum unterlegen, wenn er meint, die Anerkennung als Vertriebener würde in seinem Falle seinen Rentenstatus verbessern und sich ohne Weiteres zu den aufgrund des Spätaussiedlerstatus festgestellten Zeiten addieren lassen. Als der Kläger 1945 nach Russland zurückverbracht wurde, war er sieben Jahre alt und hatte noch keine rentenrelevanten Zeiten zurückgelegt. Seine Umsiedlung war bereits mit der Aufgabe seines Wohnsitzes im ursprünglichen Herkunftsgebiet – hier der Ukraine – verwirklicht und dauerte folglich weder bis zu seiner Rückführung in das Gebiet der ehemaligen UdSSR nach dem Ende des zweiten Weltkriegs noch bis zu seiner Einreise und Wohnsitznahme in Deutschland an (vgl LSG NRW, Urteil vom 19.07.2010, aaO). Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Vertriebenenstatus werde im Grunde erst mit dem Zuzug in die Bundesrepublik erworben, weil Rechte und Vergünstigungen erst mit diesem Zeitpunkt entstünden, so dass der mit dem Zuzug verbundene Verlust von Rechten ebenfalls ausgeglichen werden müsse. Vielmehr ist der Zeitpunkt der Entstehung bzw. des Erwerbs des Vertriebenenstatus von dem Zeitpunkt der Wohnsitznahme in Deutschland zu trennen, der lediglich die Anmeldung und Geltendmachung der auf Grund des früheren Vertreibungsschicksals bereits entstandenen Rechte gestattet. Die mit der Einreise ermöglichte Anerkennung als Vertriebener hat ausschließlich deklaratorischen Charakter (Häußer, DÖV 1990, 919 f; von Schenckendorff. aaO, § 15 BVFG Anm 1). Die Wohnsitznahme des Klägers in Deutschland erlaubte lediglich die Anmeldung und Geltendmachung der auf Grund des früheren Vertreibungsschicksals bereits entstandenen Rechte. Der Ausgleich für den Ausfall der lange nach der Umsiedlung vom Kläger zurückgelegten Versicherungszeiten gehört nicht dazu (BSG, Urteil vom 17.10.2006, aaO, Rdnr 31).
Stellte man also allein auf die Umsiedlung ab, hätte der Kläger die für die Altersrente für Schwerbehinderte nach der hier einschlägigen Vorschrift des § 37 SGB VI aF erforderliche Wartezeit von 35 Jahren nicht erfüllt und folglich keinen Rentenanspruch, so dass die Beklagte im Interesse des Klägers zu Recht ausschließlich auf die Spätaussiedlereigenschaft abgestellt hat.
2. Die Zeit des Bezugs einer Altersrente für Berufsunfähige unmittelbar vor der Aussiedlung von 1988 bis 1993 ist nicht (auch) als Ersatzzeit nach § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI aF zu berücksichtigen. Im Zeitpunkt der Entstehung des Stammrechts auf Rente für Schwerbehinderte (August 1998) galt bereits § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI in der seit dem 01.07.1993 maßgeblichen Fassung, wonach Zeiten, in denen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine Rente wegen Alters bezogen worden ist, keine Ersatzzeiten sind. § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI aF, der diese Rechtswirkung noch auf Zeiten nach Vollendung des 65. Lebensjahres beschränkt hatte, kann zugunsten des Klägers nur dann zur Anwendung kommen, wenn eine Übergangsregelung dies anordnet, und der Kläger die Voraussetzungen dieser (Sonder-)Regelung erfüllt. Das ist nicht der Fall. Der Kläger erfüllt nicht die besonderen Voraussetzungen der Übergangsregelung des Art 16 Abs 5 S 1 Rü-ErgG.
Art 16 Abs 5 S 1 Rü-ErgG lautet: Soweit aufgrund von Vorschriften, die durch dieses Gesetz geändert worden sind, mit Wirkung von einem Zeitpunkt vor dem Tag seiner Verkündung eine Rente berechnet worden ist und dem Berechtigten hierüber ein bindender Bescheid erteilt worden ist, verbleibt es dabei, wenn nicht ein sonstiger Neufeststellungsgrund vorliegt. Diese Vorschrift gilt für die spätere Altersrente für schwerbehinderte Menschen schon deshalb nicht, weil mit Wirkung von einem Zeitpunkt vor dem 24.06.1993 (= Tag der Verkündung des Rü-ErgG) nicht diese Rente(nart), sondern eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bindend berechnet worden ist. Die Übergangsregelung schließt darüber hinaus nur eine Neufeststellung allein aufgrund der Rechtsänderung aus, erlaubt eine solche aber selbst bei einer geschützten Rentenart, wenn ein sonstiger Neufeststellungsgrund vorliegt.
Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob die Berücksichtigung einer Ersatzzeit und damit die Bewertung der streitigen Zeiten als (im Wesentlichen) beitragsgeminderte Zeiten (§ 54 Abs 3 SGB VI) überhaupt zu einer Erhöhung des monatlichen Werts des Rechts auf Rente führte.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 Satz 1 SGG.
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs 2 SGG. Insbesondere hat der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung, weil für die Entscheidung die konkreten Umstände des Einzelfalles ausschlaggebend sind
Erstellt am: 14.03.2013
Zuletzt verändert am: 14.03.2013