Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.10.2005 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L aus F bewilligt.
Gründe:
I.
Die am 00.00.1997 geborene Antragstellerin leidet unter einer mäßigen Dystrophie, einer Microcephalie, einem spontanen Pendelnystagmus beider Augen ohne Blickfixierung, einem eingeschränkten Hörvermögen beidseits mit Hörgeräteversorgung und einer schweren Muskelhypertonie. Eine Sprachentwicklung findet ebenfalls nicht statt. Sie ist schwerst mehrfach behindert unklarer Genese.
Ab August 2001 besuchte die Antragstellerin eine integrative Tagesstätte der M. Mit Bescheid vom 25.03.2004 stellte das Schulamt einen sonderpädagogischen Förderungsbedarf fest und legte gemäß § 12 Abs. 2 der Verordnung über die Feststellung des sonderpädagogischen Förderungsbedarfs und die Entscheidung über den schulischen Förderort (VO-SF) eine Schule für geistige Behinderte als Förderort fest. In dem Bescheid hieß es weiter, dass gegen den Besuch der D-Schule, Hstraße 00, C, keine Bedenken bestünden. Seit dem 01.04.2004 besucht die Antragstellerin die D-Schule für seelenpflegebedürftige Kinder in C.
Unter dem 07.05.2004 stellten die Eltern der Antragstellerin einen Antrag auf Bewilligung eines Integrationshelfers. Sie machten geltend, dass ihre Tochter auf Grund ihrer Mehrfachbehinderung während des ganzen Schultages ständig individueller Hilfe und Begleitung bedürfe, die über das reguläre Maß, das von den Klassenlehrern geleistet werden könne, hinausgehe. In einer Stellungnahme der D-Schule hieß es, dass die Antragstellerin während eines ganzen Schultages ständige individuelle Hilfe brauche, auf den Wegen im Schulhaus, bei der Nahrungsaufnahme, dem Windelwechsel u.s.w … Außerdem könne nur durch eine ständige direkte Ansprache ihre Aufmerksamkeit auf den Unterricht und das Schulgeschehen gerichtet werden. Eine so intensive Betreuung sei im Rahmen der Klassenlehrertätigkeit nicht zu leisten.
Mit Bescheid vom 18.08.2004 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab mit der Begründung, dass Eingliederungshilfe nicht in Betracht komme, weil die erforderlichen Gesamtmaßnahmen ihrer Typik nach dieser Hilfeform nicht zuzuordnen seien.
Hiergegen ließ die Antragstellerin Widerspruch einlegen, den die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13.12.2004 zurückwies. Diesbezüglich ist vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (15 K 6472/04) Klage erhoben worden.
Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 22.07.2005 hat die Antragstellerin Kosten eines Integrationshelfers für die Zeit ab 01.08.2005 (Beginn des Schuljahres 2005/2006) geltend gemacht. Sie hat darauf hingewiesen, dass sie zum Kreis der Behinderten im Sinne des § 53 SGB XII gehöre. Der Einsatz des Integrationshelfers diene dazu, ihr den Schulbesuch zu ermöglichen, jedenfalls zu erleichtern. Sie müsse transportiert werden, da sie sich selbständig nicht bewegen könne. Ihr müsse Hilfe bei der Nahrungsaufnahme geleistet werden und sie müsse bei den Toilettenbesuchen vollständig betreut werden. Darüber hinaus sei sie durch ihre Einschränkung des Hörvermögens und durch ihre Blindheit nicht in der Lage, dem Unterrichtsgeschehen sinnvoll zu folgen. Hinzu komme, dass die Antragstellerin auch durch ihre schwere geistige Behinderung nicht in der Lage sei, das Unterrichtsgeschehen aufzunehmen. In diesem Zusammenhang sei die Hilfe durch einen Integrationshelfer erforderlich, der ihr individuell den Unterrichtsstoff erläuterte und "übersetze". Bisher seien die Kosten des Integrationshelfers durch den Förderverein D-Schule vorfinanziert worden, weil die Antragsgegnerin nicht aktiv geworden sei. Für das jetzige Schuljahr sei eine entprechende Hilfe nicht mehr möglich, weil der Förderverein über keine ausreichenden Mittel mehr verfüge. Gegenstand der Leistungen sei die Ermöglichung und die Erleichterung des Schulbesuches. Dies seien alle Leistungen, die diesem Zweck dienen würden. In diesem Zusammenhang sei sicherlich einzuräumen, dass auch Pflegeleistungen erbracht würden. Es sei aber nicht möglich, Pflegeleistungen und Integrationsleistungen trennscharf auseinander zu halten. Vielmehr müsse hier auf das Gesamtkonzept abgestellt werden. Nach dem Gesamtkonzept sei aber ein Schulbesuch notwendig. Deshalb sei die Behauptung der Antragsgegnerin falsch, bei der Antragstellerin überwögen die pflegerischen Leistungen.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und hat im Wesentlichen geltend gemacht: Es sei zwar richtig, dass das Schulgesetz NRW in § 92 nunmehr vorsehe, dass die Kosten für die individuelle Betreuungsbegleitung einer Schülerin oder eines Schülers, durch die die Teilnahme am Unterricht in der Förderschule oder der Schule für Kranke erst ermöglicht werde, nicht zu den Schulkosten gehöre. Dies sage jedoch nichts darüber aus, ob die Kosten des Integrationshelfers für die vorliegenden Ersatzsonderschulen vom Sozialhilfeträger zu übernehmen seien. Bei der anzustellenden Gesamtschau sei zu berücksichtigen, dass bei der Antragstellerin nicht die Beschulung bzw. die Hilfe beim Unterricht, sondern die Pflege im Vordergrund stehe. Nach dem Gutachten des Fachbereiches Gesundheit vom 28.06.2004 stehe bei der beantragten Maßnahme aus ärztlicher Sicht eindeutig der pflegerische Aspekt im Vordergrund. Zudem sei die Antragstellerin nach ihrem eigenen Vortrag durch die Einschränkung des Hörvermögens und durch ihre Blindheit nicht in der Lage, dem Unterrichtsgeschehen sinnvoll zu folgen. Damit erfahre die Antragstellerin die unstreitig erforderliche Pflege in der Schule, die sie ansonsten zu Hause erhalten würde. Nach § 53 Abs. 1 SGG XII werde Eingliederungshilfe gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden könne. Der Träger der Sozialhilfe dürfe nicht verpflichtet werden, Hilfe für Maßnahmen zu gewähren, die nicht geeignet seien, das Ziel der Eingliederungshilfe, nämlich den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern, zu erreichen.
Mit Beschluss vom 07.10.2005 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 22.08.2005 längstens bis zum Ende des Schuljahres 2005/2006 Eingliederungshilfe für den zu ihrer schulischen Betreuung eingesetzten Integrationshelfer in Höhe von 8,50 EUR pro tatsächlich geleisteter bzw. betreuter Unterrichtsstunde zu gewähren. Der Anspruch der Antragstellerin auf Integrationsleistung folge aus §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Durch die ständige Betreuung im Bereich der Schule werde der Antragstellerin erst der Besuch der Schule ermöglicht. Die Antragsgegnerin könne den Anspruch nicht unter Hinweis auf den Nachrang der Eingliederungshilfe ablehnen. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch gegen den Schulträger, weil § 92 Schulgesetz NRW einen Anspruch gegen den Schulträger ausschließe. Die Antragstellerin könne auch nicht auf die Pflegekasse verwiesen werden. Die Pflegeversicherung müsse nicht für einen Integrationshelfer aufkommen.
Gegen den am 14.10.2005 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 24.10.2005 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht mit Beschluss vom 25.10.2005 nicht abgeholfen hat.
Die Antragsgegnerin macht geltend, dass aus der Neuregelung des § 92 des Schulgesetz NRW nicht der Schluss gezogen werden könne, dass der Bedarf für die Kosten des Integrationshelfers bei einer Ersatzsonderschule vom örtlichen Sozialhilfeträger zu übernehmen sei. Sie vertieft ihre Auffassung, dass bei der anzustellenden Gesamtschau nicht die Beschulung bzw. die Hilfe im Unterricht, sondern die Pflege im Vordergrund stehe.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.10.2005 zu ändern und den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Antragstellerin mit Beginn des Schuljahres 2005/2006 ein Anspruch auf Übernahme der Kosten eines Integrationshelfers zusteht. Insoweit hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Auch nach Auffassung des Senats steht der Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch nach §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Nr. SGB XII zu. § 12 Nr. 1 und 2 der Verordnung nach § 60 des SGB XII (Eingliederungshilfe – Verordnung) ergänzt die genannten Vorschriften dahingehend, dass die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch umfasst (Nr. 1) heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Zu den Hilfen einer angemessenen Schulbildung gehören auch die Kosten für die Übernahme eines Integrationshelfers als sonstige Maßnahmen des § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung.
Grundsätzlich ist es Aufgabe der jeweiligen Schulform, Betreuung, Erziehung und Unterrichtung sicher zu stellen. Ausnahmen können sich allenfalls dann ergeben, wenn die Art der Körperbehinderung so weit über das übliche Maß der Beschulung hinaus geht, dass auch die spezielle Schulform ihre Aufgabe ohne Einschaltung zusätzlicher Kräfte nicht erfüllen kann oder die Schule den zusätzlichen Bedarf nicht erfüllt (vgl. hierzu Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Sozialgesetzbuch XII, 2005, § 54 RdNr. 22). In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung war überwiegend anerkannt, dass Kosten, die durch die persönliche Assistenz während des Schulbesuches im zuvor dargestellten Umfang entstehen, vom Hilfeträger zu übernehmen sind (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 28.04.2005, Az. 5 C 20/04 sowie die weiteren Nachweise bei Wahrendorf, a.a.O.; Bieritz-Harder, Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 2005, § 54 RdNr. 47). Dieser Rechtsprechung hat sich, soweit bisher bekannt, auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 11.11.2005, Az. L 23 B 1035/05 SO ER ) angeschlossen.
Die von der Antragstellerin beanspruchte Hilfe für den Besuch der 2. Klasse der D-Schule in C ist als Maßnahme zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung erforderlich und geeignet.
Bei der Prüfung dieser Kriterien ist ein Sozialhilfeträger an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule bzw. eine bestimmte Schulart gebunden (so bereits BVerwG, Urteil vom 16.01.1986, Az. 5 C 36.84, Bucholz 436.0, § 39 BSHG Nr. 5). Mit Bescheid vom 25.03.2004 hat das Schulamt einen sonderpädagogischen Förderungsbedarf festgestellt und für die Antragstellerin eine Schule für geistig Behinderte als Förderort festgelegt. Zugleich hat das Schulamt gegen den Besuch der D-Schule in C ausdrücklich keine Bedenken geäußert.
Die D-Schule hat bereits in ihrer Stellungnahme vom 07.06.2004 ausgeführt, dass die Antragstellerin auf Grund ihrer erheblichen Behinderung während des ganzen Schultages ständiger individueller Hilfe bedarf, auf den Wegen im Schulhaus, bei der Nahrungsaufnahme, dem Windelwechsel usw … Außerdem könne nur durch ständige direkte Ansprache ihre Aufmerksamkeit auf den Unterricht und das Schulgeschehen gerichtet werden. Der Feststellung der D-Schule, eine so intensive Betreuung sei im Rahmen der Klassenlehrertätigkeit entsprechend den Stellenschlüsseln nicht zu leisten, ist die Antragsgegnerin nicht konkret entgegengetreten.
Dem auf die ärztliche Stellungnahme des Fachbereiches Gesundheit vom 05.01.2006 gestützten Hinweis der Antragsgegnerin, es handele sich schwerpunktmäßig um Hilfe zur Pflege und nicht um Eingliederungshilfe, vermag der Senat nicht zu folgen. Bestimmend für die Zuordnung der Hilfe ist, dass die Antragstellerin auf Grund der Zuweisung des Schulamtes ihre Grundschulpflicht zu erfüllen hat und dies ihr nur dann möglich ist, wenn während der Schulzeit auch pflegerische Leistungen erbracht werden. Der Senat ist wie das SG der Auffassung, dass erst die ständige Betreuung der Antragstellerin ihr den Schulbesuch ermöglicht.
Im Gegensatz zur der von der Antragstellerin vertretenen Auffassung kommt es für die Abgrenzung zwischen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob diese auf Grund der Einschränkung des Hörvermögens und durch ihre Blindheit in der Lage ist, dem Unterrichtsgeschehen sinnvoll zu folgen. Soweit die Antragstellerin damit das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit im Sinne des § 12 Nr. 1 Eingliederungs-Verordnung in Frage zu stellen scheint, ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz mit diesem Merkmal zum Ausdruck bringt, dass die dem behinderten Menschen zu ermöglichende Schulbildung seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten entsprechen muss. Würde die Antragsgegnerin, worauf ihr Vortrag hinausläuft, die Schulfähigkeit der Antragstellerin in Frage stellen, so würde sie letztlich doch eine Prüfung, wenn auch nur mittelbar, vornehmen, die ausschließlich der Schulbehörde, wie bereits ausgeführt worden ist, vorbehalten bleibt.
Auch nach Auffassung des Senats liegen die Voraussetzungen für einen Anordnungsgrund vor, soweit das Sozialgericht vorläufige Leistungen bis zum Ende des Schuljahres 2005/2006 vorbehaltlich einer rechtskräftigen Entscheidung zugesprochen hat. Grundsätzlich entspricht es der Rechtsprechung des Senats, bei zusprechenden einstweiligen Anordnungsverfahren Leistungen bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung zu bewilligen. Diese Rechtsprechung trägt dem Gedanken Rechnung, dass Sozialhilfeleistungen grundsätzlich keine rentengleichen Dauerleistungen sind. Von diesem Grundsatz hatte die verwaltungsrichtliche Rechtsprechung namentlich bei invariablen Sachverhalten z.B. bei der Eingliederungshilfe Ausnahmen zugelassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.1995, Az. 5 C 9/94; BVerwGE 99, 149, 154 f.) Insofern hat der Senat keine Veranlassung, im vorliegenden Fall die Entscheidung des Sozialgerichtes zu korrigieren, das Leistungen vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2005/2006 zugesprochen hat.
Einem Anordnungsgrund steht auch nicht entgegen, dass der Antragstellerin, worauf die Antragsgegnerin hingewiesen hat, eine Delphintherapie nach Florida ermöglicht wird. Die hierfür erforderlichen Kosten in Höhe von 10.000,- EUR stehen der Organisation Dolphin Aid und nicht der Antragstellerin zur Verfügung.
Der Antragstellerin war für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe gemäß § 73 a SGG, § 114 Zivilprozessordnung zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 03.07.2006
Zuletzt verändert am: 03.07.2006