Auf die Rev. des Beklagten wird das Urteil des LSG geändert. Die Anschlussberufung der Klägerin wird verworfen. Im übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Neues Az.: = L 20 SO 166/18 ZVW !!!
Auf die Berufung des Beklagten sowie auf die im Berufungsverfahren erweiterte Klage wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.10.2012 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die in Sachen Q M im Zeitraum vom 01.04.2010 bis zum 30.09.2014 entstandenen Aufwendungen in Höhe von 454.258,34 EUR zu erstatten. Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 454.258,34 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Klägerin als Jugendhilfeträger vom beklagten Landschaftsverband die Erstattung von Leistungen i.H.v. 454.258,34 EUR verlangen kann, die sie im Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.09.2014 für die Unterbringung des Q M aufgewandt hat.
Q M (im Folgenden: Hilfeempfänger) wurde am 00.00.1993 geboren. Seine Mutter war Heimkind und hat die Sonderschule besucht. In ihrer Familie gab es sexuellen Missbrauch über mehrere Generationen hinweg; bei einem Missbrauch durch Angehörige sind zwei Kinder (Zwillinge) entstanden, die zur Adoption freigegeben wurden. Der Vater des Hilfeempfängers hat ebenfalls die Sonderschule besucht und war später Lagerarbeiter. Die Eltern waren seit 1991 verheiratet. Nach Trennung 1995 wurden sie 1996 geschieden; die elterliche Sorge wurde der Mutter übertragen. Der Hilfeempfänger hat außerdem einen zwei Jahre älteren Bruder, der schon im Kindesalter Verhaltensauffälligkeiten zeigte und im Rahmen der Jugendhilfe (jedenfalls zeitweise) teilstationär betreut wurde. Die Mutter heiratete erneut, der neue Ehemann kümmerte sich jedoch – wie auch der leibliche Vater, der lediglich Unterhalt zahlte – nicht um die Kinder. Später war die Mutter wieder geschieden bzw. getrennt lebend. Sie wohnte durchgehend im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Klägerin.
Beim Hilfeempfänger war schon 1996 eine allgemeine Entwicklungsretardierung insbesondere der auditiven Wahrnehmung und der Sprachentwicklung festzustellen (Bericht Dr. S vom 05.08.1996). Seit August 1996 besuchte er daher einen Sonderkindergarten für geistig Behinderte. Das Versorgungsamt C stellte seit April 1997 einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie die Merkzeichen G, B und H fest.
Im Januar 1999 beantragte die Mutter für den Hilfeempfänger beim Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 39, 40 BSHG in Form einer Unterbringung in der Heilerziehungs- und Pflegeanstalt der Stiftung F. In einer im April 1999 durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung stellte die Kinderärztin M fest, dass sich die Defizite unter intensiver heilpädagogischer Förderung gebessert hätten, massive Verhaltensauffälligkeiten in Form von Hyperaktivität aber verblieben seien. Eine problembezogene Erziehung durch die Mutter sei nicht gewährleistet, so dass der Hilfeempfänger fremd untergebracht werden müsse, wenn man die bisherige Entwicklung nicht zerstören wolle. Die Entwicklungsdefizite seien aber nicht so schwerwiegend, dass eine Unterbringung in der Stiftung F gerechtfertigt wäre. Sinnvollste Lösung sei die Unterbringung in einer Pflegefamilie in einem Kinderdorf. Mit Bescheid vom 27.05.1999 lehnte der Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Aufnahme in der Stiftung F ab. Bei der vorliegenden Art der Beeinträchtigung handele es sich nicht um eine Behinderung im Sinne des § 39 BSHG, so dass eine sachliche Zuständigkeit des Beklagten nicht bestehe. Für die Betreuung bestünden Ansprüche gegen das Jugendamt; die Antragsunterlagen seien daher nach dorthin weitergeleitet worden.
Am 13.06.1999 beantragte der Hilfeempfänger durch seine Mutter bei der Klägerin die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe als Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII in Form von Heimerziehung. Er wurde ab dem 02.07.1999 probeweise bis zum 18.07.1999 im westfälischen Kinderdorf C untergebracht; danach war er wieder bei der Mutter und wurde seit dem 15.09.1999 durch eine von der Klägerin bezahlte Kraft für sechs Stunden pro Woche betreut bzw. beaufsichtigt. Zum 01.08.1999 schulpflichtig geworden, erhielt er zunächst Hausunterricht.
Ab dem 29.10.1999 wurde der Hilfeempfänger (nach viertägigem Probewohnen) in die Außenwohngruppe U des I1-Hauses in L aufgenommen, nachdem zuvor mehrere andere Einrichtungen wegen der Besonderheiten des Falles eine Aufnahme abgelehnt hatten. Die Klägerin sagte dem I1-Haus e.V. als Träger der Einrichtung die Kostenübernahme für die Heimpflege nach §§ 27 ff. SGB VIII aus Mitteln der Jugendhilfe zu; dem Hilfeempfänger gewährte sie Leistungen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gem. § 35a SGB VIII ab dem 29.10.1999 (Bescheid vom 25.11.1999). Der Hilfeempfänger besuchte in der Folgezeit – unter Stellung eines Integrationshelfers (bis Dezember 2002), für den die Klägerin ebenfalls Leistungen erbrachte – die Sonderschule "S-schule" in E. Ab Ende 2000 lebte er in einer dem I1-Haus zugehörigen Erziehungsstelle bei dem Ehepaar S, das die Rolle von professionellen Pflegeeltern einnahm; im Laufe des Jahres 2002 zog er wieder in die Außenwohngruppe U. Im Sommer 2003 erfolgte nach Ausschöpfung der Fördermöglichkeiten in der S-schule ein Wechsel auf die Schule für Körper- und Mehrfachbehinderte in Bad P. Im Hilfeplan vom 28.07.2004 wird trotz positiver Entwicklung von extremen Auffälligkeiten berichtet (Schmieren und Essen von Kot, Verletzungen im Analbereich); von der Notwendigkeit einer dauerhaften Unterbringung wurde ausgegangen. Die Kosten der Unterbringung und Pflege durch den I1-Haus e.V. betrugen pro Monat ca. 9.000 DM (ab 2002 ca. 4.500 EUR). Zahlungen erhielt die Klägerin vom Vater des Hilfeempfängers in Höhe des Unterhaltsanspruchs; außerdem wurde das Kindergeld an sie ausgezahlt. Am 16.11.2004 wurde die Unterbringung im I1-Haus e.V. beendet, nachdem ein über einen längeren Zeitraum geschehener sexueller Missbrauch durch zwei Gruppenmitglieder an mehreren Kindern – u.a. dem Hilfeempfänger – aufgedeckt worden war; die Mutter nahm den Hilfeempfänger zu sich. Die Leistungsgewährung wurde gegenüber dem I1-Haus und dem Hilfeempfänger eingestellt (Bescheide vom 19.11.2004).
Die Klägerin gewährte dem Hilfeempfänger mit Bescheid vom 05.01.2005 Leistungen der Hilfe zur Erziehung durch ambulante sozialpädagogische Familienhilfe bis zum 15.06.2005; er und seine Mutter bezogen Leistungen nach dem SGB II. Seit dem 10.01.2005 besuchte er die Albatros-Schule für Körperbehinderte in C, wo neben einer persönlichen Begleitung zur lückenlosen Beaufsichtigung auch eine Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wegen des sexuellen Missbrauchs für notwendig erachtet wurde. Diese Behandlung fand vom 24.02.2005 bis zum 15.06.2005 in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums Lippe in Bad T statt. Dort wurden eine Posttraumatische Belastungsstörung, Enkopresis mit analer Manipulation und eine leichte Intelligenzminderung diagnostiziert. Im Entlassungsbericht vom 19.07.2005 wurden massive Auffälligkeiten insbesondere in Form ausgeprägter analer Manipulationen und Masturbationen und damit einhergehendem Schmieren und Verzehren von Kot und Blut sowie der Gefahr des grenzüberschreitenden Auffälligwerdens gegenüber jüngeren Kindern mit dem Erfordernis einer sehr engen Beaufsichtigung beschrieben. Am 15.06.2005 wurde der Hilfeempfänger in die Krisen- und Diagnosegruppe des Kinderheims H in Bad T aufgenommen; die Klägerin sagte die Übernahme der Heimkosten gem. §§ 27 ff. SGB VIII zu (Bescheid vom 20.07.2005) und bewilligte außerdem Leistungen für den Einsatz eines Integrationshelfers (Bescheid vom 09.08.2005).
Zum 26.10.2005 wurde der Hilfeempfänger in einer Einrichtung der N-Stiftung in H-Hahnenklee untergebracht; dort besuchte er die Neue Waldschule in Hahnenklee. Die Klägerin erteilte auch insoweit eine Heimkostenzusage; die Kosten betrugen inkl. Schulgeld ca. 10.700 EUR, später über 11.000 EUR pro Monat. Nach dem Hilfeplan vom 03.04.2006 gab es keine Alternative zur Unterbringung dort; der Hilfeempfänger benötige ein intensives diagnostisches und therapeutisches Angebot. Es handele sich um eine Langzeitmaßnahme. Laut weiterem Hilfeplan vom 02.08.2007 waren bei einer Darmspiegelung lebensgefährliche Verletzungen durch Manipulation festgestellt worden, was einen noch engeren Betreuungsrahmen erforderlich machte. Der Hilfeempfänger setzte sein selbstverletzendes Verhalten weiter fort, so dass eine Sexualtherapie und perspektivisch eine Traumatherapie durchgeführt werden sollten (Hilfeplan vom 20.12.2007). Ab 14.07.2008 fand deswegen ein stationärer Aufenthalt im Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie statt. Dort wurden eine gravierende emotionale Störung mit autistisch anmutenden Zügen sowie sexueller Enthemmung vor dem Hintergrund traumatischer Erfahrungen, Minderbegabung im Grenzbereich zur geistigen Behinderung sowie eine Bindungsstörung im Kindesalter mit Enthemmung diagnostiziert. Zur Anamnese führte der Entlassungsbericht vom 22.10.2008 u.a. aus, der Hilfeempfänger sei häufig aus der Gruppe abgängig, um gezielt Spielplätze o.ä. aufzusuchen und dort sexuelle Kontakte mit Kindern zu suchen. Es wurde eine Weiterbetreuung in einem engen, beaufsichtigenden Rahmen mit besonderem Augenmerk auf dem Schutz der Umwelt vor triebgesteuertem Verhalten für erforderlich gehalten. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht sei der Hilfeempfänger aufgrund der massiven emotionalen Störung dem Personenkreis nach § 35a SGB VIII zuzuordnen.
Auf einen von der Klägerin für ihn bereits im Dezember 2005 gestellten Antrag auf Leistungen nach dem OEG stellte das Versorgungsamt C mit Bescheid vom 23.05.2007 bei Vorliegen einer psychoreaktiven Störung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 ab dem 01.01.2005 und von 20 ab dem 01.08.2006 fest; eine Grundrente für den Zeitraum der MdE von 30 i.H.v. insgesamt 2.242,00 EUR zzgl. Zinsen werde nachgezahlt. Auf Widerspruch erkannte das Versorgungsamt mit Abhilfebescheid vom 28.01.2008 auch über den 31.07.2006 hinaus den Anspruch auf eine Grundrente an (ab März 2008 monatlich 119 EUR). Die darüber hinaus beantragte Hilfe nach dem OEG i.V.m. dem BVG lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 19.09.2007); Grund der von der Klägerin zu erbringenden Leistungen sei nicht die Schädigungsfolge, sondern ein nichtschädigungsbedingter psychischer Vorschaden.
Anfang 2009 war der Verbleib in der Einrichtung in H aufgrund eines extrem sexualisierten Verhaltens mit Lebensgefahr sowie wegen sexueller Übergriffe gegenüber jüngeren Jungen (die aufgrund der Strafunmündigkeit des Hilfeempfängers nicht geahndet werden konnten) nicht mehr tragbar war (Hilfeplan vom 17.07.2009). Daraufhin kam es – nachdem vorher ca. 50 etablierte Einrichtungen der Jugendhilfe wegen der speziellen Auffälligkeiten eine Aufnahme abgelehnt hatten – zum Kontakt zwischen der Klägerin und dem Jugendhilfeprojekt R. Im März 2009 wurde zunächst ein Reiseprojekt durchgeführt, bei dem der Hilfeempfänger zum Zwecke des Kennenlernens mit dem Betreuer Herrn J und einem weiteren Betreuer in die Sächsische Schweiz reiste. Mit Schreiben vom 26.02.2009 erteilte die Klägerin dem Projekt R eine Kostenzusage ab dem 02.03.2009 (zunächst befristet bis zum 31.08.2009) für die Heimpflegekosten im Rahmen der geltenden Pflegesatzvereinbarung aus Mitteln der Jugendhilfe gem. §§ 35a, 39 Abs. 1 und 2 SGB VIII; die Maßnahme in der N-Stiftung wurde zum 02.03.2009 beendet. Zum 02.04.2009 erfolgte ein Wechsel in das Standortprojekt Familie J des Jugendhilfeprojekts R in F mit einer Betreuung im Verhältnis eins zu eins. Zum 01.07.2009 zog die Familie nach W/O um. Die Abrechnungen erfolgten monatlich mit dem Projekt R, das wiederum mit Herrn J (von Beruf Heilerziehungspfleger) einen projektbezogenen Honorarvertrag abgeschlossen hatte; auf diesen wird Bezug genommen (Bl. 731 Verwaltungsakte der Klägerin).
Anfang Juli 2009 wurde der Hilfeempfänger in der Heilpädagogischen und Psychiatrischen Ambulanz für Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung des LVR-Klinikums F untersucht. Dort wurden eine emotionale Störung mit autistisch anmutenden Zügen sowie sexueller Enthemmung vor dem Hintergrund traumatischer Erfahrungen, eine Minderbegabung im Grenzbereich zur geistigen Behinderung sowie eine Bindungsstörung im Kindesalter mit Enthemmung diagnostiziert. Es handele sich um eine geistige Behinderung im Bereich der leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung; eine forensische Begutachtung wurde empfohlen (Bericht vom 22.07.2009).
Mit Schreiben vom 17.12.2009 (Eingang beim Beklagten am 23.12.2009) bat die Klägerin den Beklagten um Übernahme des Falles in dessen Zuständigkeit und machte vorsorglich einen Erstattungsanspruch gem. § 104 SGB X geltend. Der Hilfeempfänger sei bisher dem Personenkreis des § 35a SGB VIII zugeordnet gewesen. Mittlerweile sei aber eine geistige Behinderung diagnostiziert worden; er gehöre deshalb zum Personenkreis des § 53 SGB XII.
Ab dem 07.01.2010 besuchte der Hilfeempfänger die Schule U für geistig Behinderte in W, nachdem zuvor in einem Gutachten der Sonderpädagogen S und X ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden war. Das Gutachten vom 09.12.2009 stellte den IQ des Hilfeempfängers mit 57 fest.
Mit Heranziehungsbescheid vom 15.02.2010 setzte die Klägerin gegenüber dem Vater einen Kostenbeitrag von monatlich 60 EUR fest. Der Vater zahlte von April 2010 bis Juli 2015 monatlich 60 EUR, im August 2015 noch 30 EUR. Außerdem wurde – wie schon zuvor – das Kindergeld in Höhe von monatlich 184 EUR bis Dezember 2014, danach bis August 2015 in Höhe von monatlich 188 EUR weiterhin direkt an die Klägerin ausgezahlt.
Im Auftrag der Klägerin wurde der Hilfeempfänger im Februar 2010 von Prof. Dr. I (Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Uniklinik F) mit Blick auf eine geistige Behinderung begutachtet. Das Gutachten vom 11.03.2010 gelangte zu einer geistigen Behinderung vom Ausmaß einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung (IQ 48 bis 58). Diese geistige Behinderung werde begleitet von deutlichen Verhaltensauffälligkeiten sowie einer vordiagnostizierten emotionalen Störung mit sexueller Enthemmung. In seinen alltagspraktischen Fähigkeiten und seiner Anpassungsfähigkeit sei der Hilfeempfänger erheblich eingeschränkt und daher auf intensive Betreuung und Unterstützung angewiesen. Er benötige einen geschützten Lebensraum in einer engmaschig betreuten Wohnform. Eine eigenständige Lebensführung werde ihm nicht möglich sein.
Die Klägerin erteilte dem Jugendhilfeprojekt R eine weitere Heimkostenzusage bis zum 31.08.2010 (Schreiben vom 09.03.2010). Sie übersandte dem Beklagten das Gutachten Prof. I (Schreiben vom 22.03.2010). Aufgrund der geistigen Behinderung sei eine stationäre Unterbringung des Hilfeempfängers erforderlich; daher sei nach §§ 97 Abs. 3, 98 SGB XII und § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII der Beklagte zuständig. Der Beklagte wurde erneut um Übernahme des Falles in seine Zuständigkeit gebeten; ein Erstattungsanspruch seit dem 17.12.2008 wurde erneut geltend gemacht.
Mit Schreiben vom 26.08.2010 lehnte der Beklagte den Erstattungsanspruch ab. Der Hilfeempfänger werde in einer Pflegefamilie betreut. Dabei handele es sich nicht um eine Einrichtung im Sinne des § 13 Abs. 1 SGB XII, sondern um ambulante Leistungen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 107 SGB XII; Fragen der sachlichen Zuständigkeit würden davon nicht berührt. Eine sachliche Zuständigkeit für ambulante Leistungen der Eingliederungshilfe bestehe nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AV-SGB XII NRW nur für behinderte Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Für ambulante Leistungen der Eingliederungshilfe (mit Ausnahme der Leistungen für ambulant betreutes Wohnen für Volljährige) sei auch nach Einführung des § 54 Abs. 3 SGB XII weiterhin der örtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig.
Die Klägerin wies den Beklagten darauf hin, der Hilfeempfänger sei nicht in einer Pflegefamilie untergebracht, sondern in einem Standortprojekt der Jugendhilfeeinrichtung R, die über eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII verfüge (Schreiben vom 30.08.2010). Der Beklagte verblieb bei seiner Auffassung; der Hinweis auf § 45 SGB VIII verfange nicht, da die Betriebserlaubnis für alle Einrichtungen im Sinne des SGB VIII, in denen Kinder und Jugendliche betreut würden oder Unterkunft erhielten, beantragt werden müsse (Schreiben vom 22.09.2010).
Zum 05.12.2010 wurde wegen Schwierigkeiten zwischen Herrn J und dem Hilfeempfänger ein Wechsel der Betreuungsstelle vorgenommen; der Hilfeempfänger befand sich seither in der Projektstelle L des Jugendhilfeprojekts R in U/Sachsen (Frau L ist von Beruf staatlich anerkannte Erzieherin, Herr L Diplomagraringenieur; wegen der Einzelheiten der Beschreibung dieser als "Betreuungsstelle X" bezeichneten Projektstelle durch R wird auf Bl. 152 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen). Seit 06.12.2010 besuchte er dort die Brücke-Schule für geistig Behinderte. Mit Erreichen des 18. Lebensjahres am 11.04.2011 wurde eine Betreuerin für die Aufgabenkreise Gesundheits- und Vermögenssorge, Postangelegenheiten, Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden, Wohnungs- sowie heim- und pflegerechtliche Angelegenheiten bestellt (Bestellungsurkunde des Amtsgerichts Grimma vom 12.04.2011).
Die Klägerin bewilligte dem Hilfeempfänger Hilfe für junge Volljährige gem. §§ 41, 35a SGB VIII und §§ 39, 40 SGB VIII für den Zeitraum vom 11.04.2011 bis 31.10.2011 (Bescheid vom 23.05.2011). Zwar sei der Beklagte zuständig, zur Vermeidung von Betreuungslücken zahle sie die Maßnahmenkosten jedoch vorläufig weiter. Folgebescheide ergingen am 28.11.2011, am 11.04.2012, am 21.09.2012 und am 10.12.2012 (darin wurden zum Teil zusätzlich die hälftigen Kosten für einen Integrationshelfer vom 01.11.2011 bis 31.03.2012 übernommen); im letztgenannten Bescheid wurden auch die Kosten für die zwischenzeitlich erfolgte Aufnahme des Hilfeempfängers in die AWO-Werkstätten Eilenburg ab 02.01.2013 zugesagt. Keiner dieser Folgebescheide erwähnte eine Vorläufigkeit der Leistungsgewährung.
Am 09.05.2011 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben und einen Erstattungsanspruch i.H.v. 94.255,40 EUR für den Zeitraum 01.04.2010 bis 28.02.2011 geltend gemacht. Das Sozialgericht Münster hat den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Detmold verwiesen (Beschluss vom 25.05.2011).
Die Klägerin hat vorgetragen, der Hilfeempfänger habe als geistig behinderter Mensch Anspruch auf Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 SGB XII. Die sachliche Zuständigkeit hierfür liege nach § 97 SGB XII, § 2 Abs. 1 Nr. 1a AV-SGB XII NW beim Beklagten. Denn bei der Unterbringung in dem Jugendhilfeprojekt handele es sich um eine stationäre Unterbringung in einer Einrichtung, nicht aber in einer Pflegefamilie. Eine Unterbringung in einer normalen Pflegefamilie sei angesichts der Auffälligkeiten des Hilfeemepfängers nicht möglich und verantwortbar. Der Beklagte sei seinerzeit sogar in die Platzsuche mit einbezogen gewesen, habe aber selbst kein Angebot machen können. Spätestens seit Feststellung der geistigen Behinderung sei der Beklagte zur Leistung verpflichtet. Keineswegs gehöre eine Betriebserlaubnis zu den notwendigen Merkmalen einer stationären Einrichtung; sie setze vielmehr das Vorhandensein einer Einrichtung voraus. In der Familie J sei neben dem Hilfeempfänger auch ein anderer Jugendlicher betreut worden, so dass es sich auch nicht um einen Einzelfall gehandelt habe. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten sei durch den Wechsel der Unterbringungstellen nicht entfallen; entscheidend sei allein der gewöhnliche Aufenthalt bei erstmaliger Aufnahme in eine Einrichtung. Seinerzeit habe der Hilfeempfänger aber bei seiner Mutter gelebt, die im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten lebe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr die in Sachen Q M im Zeitraum vom 01.04.2010 bis zum 28.02.2011 entstandenen Aufwendungen in Höhe von 94.255,40 EUR nebst vier Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.05.2011 zu erstatten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er sei sachlich nicht zuständig. Denn der Hilfeempfänger sei nicht im Rahmen einer stationären oder teilstationären Maßnahme untergebracht. Familie J verfüge bereits nicht über eine Betriebserlaubnis; dies sei jedoch Voraussetzung für eine stationäre Betreuung. Unerheblich sei insoweit, ob das Projekt R eine Betriebserlaubnis besitze; denn die von dort eingesetzten Betreuungsstellen benötigten ebenfalls eine Erlaubnis. Es habe offenbar auch keine Absicht bestanden, die Familie für die Betreuung anderer Jugendlicher einzusetzen; sie sei ausschließlich in diesem Einzelfall tätig geworden. Damit liege die Voraussetzung einer auf Dauer angelegten Betreuungstätigkeit mit wechselndem Personenkreis nicht vor, und es handele sich um eine ambulante Maßnahme. Die Familie L verfüge zwar über eine Betriebserlaubnis nach § 43 SGB VIII, so dass eine sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers möglich erscheine; es fehle aber die örtliche Zuständigkeit des Beklagten; denn der Hilfeempfänger habe zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Familie J in W gehabt.
Die Klägerin hat einen Erstattungsanspruch vorsorglich auch bei dem Kommunalen Sozialverband Sachsen und beim Landschaftsverband Rheinland geltend gemacht (Schreiben vom 12.10.2011 bzw. vom 13.10.2011).
Der Kreis Lippe hat dem Hilfeempfänger Leistungen nach dem BAföG bewilligt (monatlich 465 EUR für September 2011 bis Juli 2012; Bescheid vom 27.04.2012).
Mit Urteil vom 09.10.2012 (dem Beklagten am 15.11.2012 zugestellt) hat das Sozialgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Dem Hilfeempfänger sei wegen seiner geistigen Behinderung stationäre, sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe zu gewähren, die der Jugendhilfe vorgehe. Dies folge aus der Zuständigkeitsabgrenzung in § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII. Danach gingen Leistungen nach dem SGB VIII zwar im Grundsatz solchen nach dem SGB XII vor. Die Norm bestimme jedoch eine Rückausnahme; Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht seien, gingen wiederum solchen nach dem SGB VIII vor. Der vorrangige Anspruch nach dem SGB XII auf stationäre Heimunterbringung ergebe sich aus § 53 Abs. 1 SGB XII. Der Hilfeempfänger sei geistig wesentlich behindert i.S.v. § 2 Eingliederungshilfe-VO. Sein IQ von 48 bis 58 liege im Bereich der geistigen Behinderung; eine solche bestehe nach medizinischen Maßstäben bei einem IQ von 70 oder weniger. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Sozial- und Jugendhilfe für geistig behinderte Kinder oder Jugendliche sei nach § 10 Abs. 4 SGB VIII allein das Vorliegen einer geistigen Behinderung. Bei einem Menschen mit überlagerter geistiger und seelischer Behinderung die Zuständigkeit danach zu bestimmen, ob das Verhalten und die daraus notwendige Heimunterbringung auf der geistigen oder der seelischen Behinderung beruhe, wäre nur mit erheblichem Aufwand möglich und für eine formale Zuständigkeitsabgrenzung allgemein nicht zeitnah durchführbar. Der Wortlaut des § 10 Abs. 4 SGB VIII verlange allein das Vorliegen einer geistigen Behinderung, nicht hingegen eine komplizierte Abgrenzungsmethode. Nur bei allein seelisch behinderten Jugendlichen bestehe eine Zuständigkeit der Jugendhilfe; bei Vorliegen (auch) einer geistigen Behinderung richte sich die Zuständigkeit nach dem SGB XII. Entgegen der Auffassung des Beklagten gehe es im vorliegenden Fall um eine Hilfeleistung in einer stationären Einrichtung. Die Situation sei mit dem Aufwachsen in einer Pflegefamilie nicht vergleichbar. Der Hilfeempfänger befinde sich vielmehr in einer Eins-zu-eins-Betreuungssituation, weil die Schwere seiner geistigen Behinderung dies erfordere. Die Einrichtung R könne jederzeit eingreifen und den Hilfeempfänger an einer anderen Stelle unterbringen; dies wäre bei Pflegeeltern nicht möglich. Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregelung in § 2 AV-SGB XII NW sei es auch gerade, die besonders schwierigen und aufwändigen Fälle bei den Landschaftsverbänden zu bündeln und dort entsprechende Infrastruktur zu konzentrieren, um so die örtlichen Kommunen zu entlasten. Der Anspruch auf Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit folge aus einem allgemeinen Grundsatz des Prozessverfahrensrechts (§ 202 SGG i.V.m. § 291 BGB).
Hiergegen hat der Beklagte am 11.12.2012 Berufung eingelegt. Er bestreite nicht, dass der Hilfeempfänger geistig behindert sei. Die Ausführungen des Sozialgerichts stünden der Annahme, seine Betreuung in der Familie sei eine ambulante Maßnahme, jedoch nicht entgegen. Aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 S. 1 SGB XII ("außerhalb") folge zwingend die räumliche Gebundenheit einer Einrichtung. Ambulante Leistungen seien demnach solche, die außerhalb eines räumlichen Gebildes erbracht würden; demgegenüber könnten die durch eine Einrichtung erbrachten Leistungen nur in der Einrichtung erbracht werden. Vorliegend gehe es um ambulante Leistungen, da der Hilfeempfänger nicht in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht sei, sondern in einer Familie wohne. Dies sei zwar von einem Einrichtungsträger veranlasst und beaufsichtigt worden. Der Begriff des Einrichtungsträgers decke sich aber nicht mit dem Begriff der Einrichtung i.S.d. § 13 SGB XII. Die Unterbringung in einer Pflegefamilie stelle keine stationäre Unterbringung in einer Einrichtung dar, da der Begriff der Einrichtung eine Mindestgröße erfordere; sie müsse auf einen größeren wechselnden Personenkreis zugeschnitten sein und setze eine besondere Organisationsform mit personellen und tatsächlichen Mitteln voraus. Eine andere Beurteilung folge auch nicht daraus, dass es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.01.2013 – B 8 SO 14/12 R) am Charakter einer stationären Maßnahme nichts ändere, wenn der Hilfeempfänger in gewissen Abständen aus organisatorischen Gründen gezwungen sei, sich für kurze Zeiten außerhalb des Heims aufzuhalten. Denn im vorliegenden Fall gehe es um eine dauerhafte Unterbringung außerhalb der Einrichtung R; auch finde schon aufgrund der räumlichen Entfernung keine permanente Überwachung durch den Einrichtungsträger statt. Der Klägerin stehe jedenfalls kein Zinsanspruch zu; sowohl § 108 Abs. 2 SGB X als auch die analoge Anwendung von § 291 BGB oder ein Anspruch aus Art. 20 Abs. 3 GG schieden als Rechtsgrundlagen aus.
Mit Schriftsatz vom 05.11.2014 (Eingang bei Gericht am 07.11.2014) hat die Klägerin die Klage erweitert und die Erstattung eines weiteren Betrages von 360.002,94 EUR für die Unterbringung des Hilfeempfängers im Zeitraum 01.03.2011 bis 30.09.2014 nebst Zinsen begehrt. In der mündlichen Verhandlung hat sie insoweit ausdrücklich zum Zwecke der Klageerweiterung im Berufungsverfahren Anschlussberufung eingelegt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.10.2012 zu ändern und die Klage einschließlich der im Berufungsverfahren erfolgten Erweiterung abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.10.2012 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die in Sachen Q M im Zeitraum vom 01.04.2010 bis zum 30.09.2014 entstandenen Aufwendungen in Höhe von 454.258,34 EUR nebst vier Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, der Hilfeempfänger sei in einem ausgelagerten Heimplatz der Jugendhilfeeinrichtung R untergebracht; diese Unterbringungsform mit einem Betreuungsschlüssel eins zu eins sei für ihn wegen seines Gefährdungspotentials und seiner sexuellen Auffälligkeiten auch erforderlich. Voraussetzung einer Einrichtung sei nicht, dass sie lediglich an einem einzigen Standort existiere; sie könne vielmehr verschiedene Standorte haben. Ein ausgelagerter Heimplatz, in dem lediglich ein oder zwei Jugendliche untergebracht würden, sei ebenfalls einer Einrichtung zuzurechnen. Wegen der Schwere des Falles könne die Betreuung des Hilfeempfängers nicht in einer üblichen Pflegefamilie erfolgen; vielmehr sei die fachliche und organisatorische Kompetenz einer größeren Einheit erforderlich. Dementsprechend sei es außerordentlich schwer gewesen, überhaupt eine Betreuungsmöglichkeit zu finden; der Beklagte sei nicht in der Lage gewesen, einen geeigneten Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen. Die Betreuungsstelle L verfüge über eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales und biete Leistungen nach §§ 34, 35a und 41 SGB VIII an; auch der Kommunale Sozialverband Sachsen gehe (ausweislich seines Schreibens vom 26.06.2012) von einer vollstationären Unterbringung in der Familie L aus. Die vorherige Unterbringung des Hilfeempfängers in W sei ebenfalls in einem Standortprojekt von R erfolgt; auch hierfür liege eine Betriebserlaubnis des Landschaftsverbandes Rheinland vor. Die Klägerin sieht sich durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.01.2013 – B 8 SO 14/12 R in ihrer Auffassung bestätigt und verweist insoweit ausdrücklich auf § 106 Abs. 2 SGB XII; die Vorschrift zeige, dass eine Unterbringung auch außerhalb der Einrichtung den Aufenthalt in einer stationären Einrichtung nicht ausschließe. Seit dem 14.08.2015 sei der Hilfeempfänger in der Stiftung F in M untergebracht; einen hierfür gestellten Leistungsantrag habe der Beklagte an den Landschaftsverband Rheinland weitergeleitet, der wiederum eine Kostenzusage erteilt und beim Beklagten einen Erstattungsanspruch angemeldet habe. Die Entscheidung des Sozialgerichts zu den Prozesszinsen sei nicht zu beanstanden.
Die Klägerin beziffert die von ihr im Zeitraum 01.04.2010 bis 30.09.2014 aufgewandten Heimkosten auf 472.365,34 EUR. Von diesem Betrag seien Einnahmen von insgesamt 18.107,00 EUR abzuziehen (Kindergeld 9.752,00 EUR; BAföG-Leistungen 5.115,00 EUR; Kostenbeitrag des Vaters 3.240,00 EUR). Unter Abzug des bereits vom Sozialgericht zugesprochenen Betrages (94.255,40 EUR) ergebe sich ein weiterer Betrag von 360.002,94 EUR. Auf ausdrückliche Nachfrage des Senats hat der Beklagte mitgeteilt, gegen die Gesamtkostenaufstellung der Jugendhilfeaufwendungen durch die Klägerin (für den Zeitraum 01.04.2010 bis 15.08.2015 i.H.v. 658.835,19 EUR abzüglich Einnahmen von 20.883,00 EUR) mache sie keine Einwendungen geltend (Schriftsatz vom 27.01.2016).
Im Erörterungstermin vom 10.08.2015 hat der Senat durch den Berichterstatter den Diplom-Sozialarbeiter H von der Jugendhilfeeinrichtung R als Zeugen vernommen; insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, zwischen dem Hilfeempfänger und der Familie L gebe es seit dem 01.04.2014 einen Mietvertrag; der Hilfeempfänger habe also zur Miete in einer Wohnung der Familie L gewohnt.
Entscheidungsgründe:
A) Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich Anschlussberufung zum Zwecke der Klageerweiterung im Berufungsverfahren eingelegt hat – ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Erstattung der Kosten für die Unterbringung des Hilfeempfängers in den Betreuungsstellen J und L der Jugendhilfeeinrichtung R im Zeitraum 01.04.2010 bis 30.09.2014 i.H.v. 454.258,34 EUR nebst Zinsen.
B) Beiladungen mussten nicht erfolgen.
I. Eine Pflicht zur Beteiligung des Jugendhilfeprojekts R oder des Hilfeempfängers nach § 75 Abs. 2 SGG scheidet schon deshalb aus, weil beide die ihnen zustehenden Leistungen jeweils vollständig erhalten haben.
II. Anderweitige Leistungsträger waren ebenfalls nicht zu beteiligten. Grundsätzlich ist zwar insbesondere denkbar, dass ein Erstattungsanspruch gegen einen nicht beteiligten örtlichen Träger der Sozialhilfe besteht, wenn nämlich – anders als der Senat meint (s.u.) – weder eine Zuständigkeit der Klägerin als Jugendhilfeträger noch des Beklagten als überörtlicher Sozialhilfeträger bestünde. Insoweit kämen Erstattungsansprüche der Klägerin einerseits gegen den Kreis Lippe als örtlichen Träger der Sozialhilfe nach § 1 Abs. 1 AG-SGB XII NW (der gem. § 3 Nr. 7 seiner Delegationssatzung vom 05.02.1973 Leistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte in eigener Zuständigkeit behalten hat) in Betracht, andererseits gegen den für das Gebiet der Gemeine U in Sachsen zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger.
Eine Verurteilung dieser Leistungsträger nach Beiladung gem. § 75 Abs. 5 SGG scheidet jedoch von vornherein aus, weil die Klägerin ihnen gegenüber einen Erstattungsanspruch nie – und damit auch nicht rechtzeitig i.S.v. § 111 S. 1 SGB X – geltend gemacht hat. Ein Erstattungsanspruch ist nach § 111 S. 1 SGB X ausgeschlossen, wenn er nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht wurde. Endeten die im vorliegenden Verfahren streitigen Leistungen bereits im Jahre 2014, so war jedenfalls seit Ablauf des Jahres 2015 keine rechtzeitige Anmeldung eines Erstattungsanspruchs mehr möglich. Denn die Jahresfrist des § 111 S. 1 SGB X ist eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Sie ist auch ohne entsprechende Einrede von Amts wegen zu beachten; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet aus, und selbst bei Kenntnis des potenziell Erstattungspflichtigen von der Leistungserbringung kann sich der Leistungserbringer nicht etwa auf Treu und Glauben berufen (vgl. Roller in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 111 Rn. 16 m.w.N.). Die Klägerin hat einen Erstattungsanspruch jedoch – neben der Anmeldung beim Beklagten – allein gegenüber dem Landschaftsverband Rheinland und dem Kommunalen Sozialverband Sachsen geltend gemacht, nicht aber gegenüber örtlichen Trägern. Die erfolgten Erstattungsanmeldungen können nicht etwa im Rahmen von § 75 Abs. 5 SGG mit Wirkung gegen einen örtlichen Träger zugerechnet werden. Dem steht neben einem fehlenden entsprechenden Anhalt im Gesetzeswortlaut auch der Zweck des § 111 SGB X entgegen: Der erstattungspflichtige Leistungsträger selbst soll schon kurze Zeit nach der Leistungserbringung wissen, welche Ansprüche auf ihn zukommen, damit er ggf. entsprechende Rückstellungen vornehmen kann (zum Ganzen bereits Senatsurteil vom 14.02.2011 – L 20 SO 110/08 Rn. 83).
C) Berufung und Anschlussberufung sind zulässig.
I. Die Berufung des Beklagten ist nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
II. Die Anschlussberufung der – erstinstanzlich mit ihrer Klage vollständig erfolgreichen – Klägerin ist ebenfalls zulässig.
1. Eine Anschlussberufung ist im SGG zwar nicht ausdrücklich geregelt, ihre Erhebung ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit nach § 202 SGG i.V.m. § 524 ZPO grundsätzlich möglich (vgl. nur BSG, Urteil vom 05.05.2010 – B 6 KA 6/09 R Rn. 18; m.w.N.). Setzt ihre Zulässigkeit voraus, dass der gleiche prozessuale Anspruch wie der der Hauptberufung des Berufungsklägers betroffen ist und kein neuer Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt wird (vgl. BSG, Urteil vom 19.06.1996 – 6 RKa 24/95 Rn. 16; Urteil vom 05.05.2010 – B 6 KA 6/09 R Rn. 18), so ist sie kein eigentliches eigenes Rechtsmittel, sondern lediglich ein innerhalb der gegnerischen Berufung gestellter Antrag. Ihre Zulässigkeit ist daher auch nicht an sämtliche Voraussetzungen gebunden, die für die Berufung selbst maßgebend sind. Insbesondere ist eine eigene Beschwer des Berufungsbeklagten nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 23.02.1966 – 2 RU 103/65 Rn. 38).
2. Die Klägerin kann vielmehr zulässigerweise auch im Anschluss an ihr erstinstanzliches vollständiges Obsiegen ihre Anschlussberufung allein zum Zwecke der Klageerweiterung im Berufungsverfahren führen. Der Senat folgt insoweit der (aus dem Jahr 1966 stammenden) Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.). Diese stützt sich – unter Bezugnahme auf die seinerzeit in Rechtsprechung und Schrifttum fast einhellige Meinung – darauf, dass das Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit seinen Fokus stärker als die Grundsätze des Zivilprozessrechts auf die Durchsetzung der materiellen Wahrheit lege, auf ein Ziel also, dem die durch die Anschließung an die gegnerische Berufung eröffnete Möglichkeit diene, den Prozessstoff in vollem Umfange nachzuprüfen. Diese auf dem Aspekt der Prozessökonomie fußende Auffassung hält der Senat auch weiterhin für zutreffend.
Gegen diese Auffassung geäußerte Zweifel (namentlich – allerdings ohne jede Begründung – bei Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 143 Rn. 5d) teilt der Senat nicht. Der vorliegende Fall macht gerade deutlich, dass bei bloßer zeitlicher Ausdehnung desselben Streitstoffes und identischer Rechtsfrage im Interesse einer Prozessökonomie ein Parallelprozess vermieden werden kann. Die Frage der Zulässigkeit der Klageerweiterung im Berufungsverfahren verortet sich vielmehr allein bei § 99 SGG und richtet sich nach dessen Maßgaben. Deutlich wird dies auch durch daran, dass bei einem nur minimalen Unterliegen der Klägerin in erster Instanz die Anschlussberufung ohne Weiteres zulässig gewesen und die Klageerweiterung im Berufungsverfahren allein an § 99 SGG zu messen gewesen wäre; insoweit zwischen beiden Fällen einen Unterschied zu machen, erschiene nicht gerechtfertigt.
Denkbare Einwände verfangen nicht. Der Umstand, dass hinsichtlich des im Berufungsverfahren erweiterten Teils der Klage den Beteiligten eine Gerichtsinstanz verloren geht, ist bei allein zeitlich verlängertem, im Tatsächlichen aber keine relevanten weiteren Fragen aufwerfenden und in der rechtlichen Beurteilung identischem Streitstoff zu vernachlässigen. Denn die maßgeblichen rechtlichen Fragen werden in beiden Instanzen beurteilt (stünden – anders als hier – größere tatsächliche Abweichungen zur Klärung an, wäre dies wiederum im Rahmen des § 99 SGG zu beurteilen). Der denkbare Einwand, der Berufungsbeklagte könne anstelle der Klageerweiterung im Wege der Anschlussberufung einen weiteren Prozess vor dem Sozialgericht anhängig machen, trägt aus entsprechenden Gründen nicht. Vielmehr würde es dem § 99 SGG gerade zugrundeliegenden Gesichtspunkt der Prozessökonomie widersprechen, die Klage nicht auch im Berufungsverfahren um weitgehend kongruente Ansprüche erweitern zu können. Ohnehin führt die Berufungsbeklagte ihren erstinstanzlichen Klageantrag, über den bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens im Instanzenzug noch gar nicht endgültig entschieden ist, mit ihrem Antrag auf Zurückweisung der Berufung des Beklagten inzident fort; auch deshalb erscheint eine Erweiterung der so fortgeführten Klageforderung allein durch das erstinstanzliche Obsiegen keineswegs ausgeschlossen. Schließlich steht der Klageerweiterung (erst) im Berufungsverfahren nicht entgegen, dass die Klägerin schon in erster Instanz die Klage hätte erweitern können. Zum einen wären ggf. erstattungsfähige Kosten bis zur mündlichen Verhandlung erster Instanz (09.10.2012) zeitlich erst nur zu einem Teil der im Berufungsverfahren hinzugekommenen Klageforderung (für bis zum 30.09.2014 entstandene Kosten) angefallen gewesen; zum anderen verortet sich im Falle einer (zulässig) erweiterten Klage die Frage der Rechtzeitigkeit der Geltendmachung der Forderung an anderer Stelle, etwa bei der Verjährungsregelung des § 113 SGB XII.
3. Die Anschlussberufung ist auch im Übrigen zulässig. Ist sie insbesondere nicht an eine bestimmte Frist gebunden, solange die Hauptberufung eingelegt und das Verfahren noch nicht beendet ist (Leitherer a.a.O., § 143 Rn. 5 f.), so begegnet ihre (jedenfalls ausdrückliche) Einlegung erst in der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2016 keinen Bedenken, auch wenn die Klageerweiterung selbst schon mit Schriftsatz vom 05.11.2014 (Eingang bei Gericht am 07.11.2014) erfolgt ist.
D) Die Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Denn die (erweiterte) Klage ist zwar insgesamt zulässig, jedoch nur zum Teil begründet.
I.1. Die Klage ist im Erstattungsstreit zwischen einander im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts als allgemeine Leistungsklage i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG statthaft. Auch sonst ist die Klage fraglos zulässig. Insbesondere war eine Klagefrist nicht einzuhalten, da es sich nicht um eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage handelt (vgl. § 87 SGG). Das Rechtsschutzbedürfnis ist offensichtlich; denn der Beklagte hat den geltend gemachten Erstattungsanspruch schon vor Klageerhebung mit Schreiben vom 26.08.2010 abgelehnt.
2. Auch die Erweiterung der erstinstanzlich zulässigen Leistungsklage am 07.11.2014 (Schriftsatz vom 05.11.2014) begegnet keinen Bedenken. Dabei kann der Senat offen lassen, ob es sich um eine bloße Erweiterung des Klageantrages in der Hauptsache ohne Änderung des Klagegrundes handelt, welche nicht einmal den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klageänderung unterliegen würde (vgl. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG). Denn selbst wenn es sich um eine Klageänderung handeln sollte, wäre diese jedenfalls nach § 99 Abs. 1 SGG zulässig, weil sie sachdienlich wäre und der Beklagte sich im Übrigen ohnehin darauf eingelassen hätte.
II. Die auf Erstattung von 454.258,34 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von vier Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gerichtete (erweiterte) Klage ist nur zur Hauptforderung (Erstattung) begründet (dazu unter 1.); Zinsen kann die Klägerin hingegen nicht verlangen (dazu unter 2.).
Dabei wirkt es sich im Anschluss an die zulässige Erweiterung der Klage auf Erstattung erbrachter Leistungen für den gesamten Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.09.2014 von vornherein nicht mehr aus, dass das Sozialgericht bei seiner Verurteilung der Beklagten die im Zeitraum 01.04.2010 bis 28.02.2011 aufgebrachten Kosten berücksichtigt hat, ohne davon Absetzungen wegen Einnahmen (aus Kindergeld und dem Kostenbeitrag des Vaters) zu machen. Denn mit der erweiterten Klage hat die Klägerin sämtliche Einnahmen aus dem nunmehr betroffenen Gesamtzeitraum vom 01.04.2010 bis zum 28.02.2011 bei der Berechnung ihrer Erstattungsforderung – im Vergleich zur erstinstanzlichen Geltendmachung gleichsam saldierend – forderungsmindernd berücksichtigt und nunmehr bezogen auf den gesamten betroffenen Erbringungszeitraum den Erstattungsanspruch korrekt berechnet. Insofern hat auch der Beklagte ausdrücklich klargestellt, dass gegen die Höhe der Beträge keine Einwände bestehen.
1. Die Klägerin kann vom Beklagten die Erstattung ihrer Leistungen an den Hilfeempfänger im Zeitraum 01.04.2010 bis 30.09.2014 nach § 104 Abs. 1 SGB X verlangen. Danach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, grundsätzlich der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte (Satz 1). Ein Leistungsträger ist nachrangig verpflichtet, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre (Satz 2).
a) Die Voraussetzungen dieses Erstattungsanspruchs sind erfüllt. Denn es bestehen nebeneinander Leistungspflichten zweier Leistungsträger – dazu aa) und bb) -, die miteinander konkurrieren, wobei die Leistungspflicht der Klägerin der Leistungspflicht des Beklagten nachgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11; dazu cc). Sowohl die Klägerin als auch (vorrangig) der Beklagte waren dem Hilfeempfänger im hier betroffenen Zeitraum 01.04.2010 bis 30.09.2014 zur Leistung verpflichtet.
aa) Die Leistungspflicht der Klägerin als zuständiger örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 69 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 2 AG-KJHG NW und § 1 der Verordnung über die Bestimmung Großer kreisangehöriger Städte und Mittlerer kreisangehöriger Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, zuletzt i.d.F. vom 17.11.2011, GV. NRW. S. 598) folgt aus § 35a SGB VIII.
Danach haben Kinder oder Jugendliche einen Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Liegen diese Voraussetzungen vor, so kann lediglich eine solche Hilfe beansprucht werden, die fachlich vertretbar ist, weil sie dem konkreten Hilfebedarf entspricht. Die Feststellung, ob eine Abweichung vom alterstypischen seelischen Gesundheitszustand vorliegt, erfolgt nach Maßgabe von § 35a Abs. 1a S. 2 SGB VIII auf der Grundlage der von der WHO erstellten Internationalen Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10 Kapitel V (F). Bestimmte Krankheitsbilder indizieren dabei eine Teilhabebeeinträchtigung, so dass von einem Leistungsanspruch gem. § 35a SGB VIII auszugehen ist; hierzu zählen u.a. emotionale Störungen des Kindesalters (Kennziffer F93; vgl. v. Koppenfels-Spies in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 35a Rn. 25, 28; vgl. auch Wiesner in ders., SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 35a Rn. 13).
Die seelische Gesundheit des Hilfeempfängers wich nach diesen Maßstäben von dem für sein Lebensalter typischen Zustand erheblich ab. Dies zeigen – neben den ärztlichen Befunden älteren Datums, in denen bereits eine allgemeine Entwicklungsretardierung festgestellt wurde (Befund Dr. S 1996, Untersuchung Kinderärztin M 1999) – in zeitlicher Nähe zum hier betroffenen Zeitraum die Befunde des LVR-Klinikums F vom 22.07.2009 und das Gutachten Prof. I vom 11.03.2010; dort ist jeweils u.a. eine emotionale Störung mit autistisch anmutenden Zügen und sexueller Enthemmung (ICD-10 F93.8) beschrieben. Dieser Zustand dauerte aus damaliger Sicht zudem (ersichtlich) über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten an; im Gutachten Prof. I wird dazu ausgeführt, dem Hilfeempfänger werde eine eigenständige Lebensführung wegen der Beeinträchtigungen nicht möglich sein. Dies belegt zugleich, dass die Abweichung der seelischen Gesundheit vom alterstypischen Zustand zu einer Beeinträchtigung seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft führte. Eine solche Teilhabe meint Partizipation bzw. Integration in sozialer, familiärer, schulischer oder beruflicher Hinsicht; sie ist gekennzeichnet durch die aktive, selbstbestimmte und altersgemäße Ausübung sozialer Funktionen und Rollen in den das Kind bzw. den Jugendlichen betreffenden Lebensbereichen wie Familie, Verwandtschafts- und Freundeskreis, Schule und außerschulischen Betätigungsfeldern sowie in Ausbildungsbereichen. Eine Beeinträchtigung besteht, wenn die Teilhabe aufgrund der seelischen Störung in einem der Lebensbereiche tatsächlich eingeschränkt ist (v. Koppenfels-Spies, a.a.O., § 35a Rn. 37). Beim Hilfeempfänger war/ist die Partizipation bzw. Integration durch die diagnostizierten Gesundheitsstörungen dauerhaft beeinträchtigt; er ist nach den Ausführungen des Gutachters Prof. I in seinen alltagspraktischen Fähigkeiten und seiner Anpassungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
Der somit bestehende Anspruch auf Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII konnte sowohl die Unterbringung in einer Pflegefamilie als auch diejenige in einer Einrichtung umfassen. Denn § 35a Abs. 2 SGB VIII nennt zum einen die verschiedenen Formen, in denen die Eingliederungshilfe gewährt wird; so kann Eingliederungshilfe gem. Abs. 2 Nr. 4 in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie in sonstigen Wohnformen (z.B. als Heimerziehung gem. § 34 SGB VIII oder in sozialpädagogisch betreuten Wohngemeinschaften) erfolgen. Ergänzend dazu richten sich nach § 35a Abs. 3 SGB VIII zum anderen Aufgaben und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen nach § 53 Abs. 3 und 4 S. 1 sowie §§ 54, 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch Behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden (zum Ganzen: Wiesner, a.a.O., § 35a Rn. 99 ff.). Leistungen können dabei von Pflegefamilien (§ 54 Abs. 3 SGB XII) bis hin zu einer vollstationären Unterbringung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 – 5 C 19.08 Rn. 14) reichen. Dass für den Hilfeempfänger vor dem Hintergrund seiner massiven Auffälligkeiten eine engmaschige Betreuung wie in den Familien J und L bedarfsgerecht war, ist unmittelbar ersichtlich. Zugleich existierten dazu keine Alternativen; andere Einrichtungen waren – gerade mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Betreuungsbedarfs – zu einer Aufnahme des Hilfeempfängers nicht bereit.
Ob daneben auch ein (eigener) Anspruch des Hilfeempfängers (nicht: seiner Mutter) auf Leistungen nach § 27 SGB VIII auf Hilfe zur Erziehung vorgelegen haben könnte, kann der Senat wegen des jedenfalls nach § 35a SGB VIII bestehenden Anspruchs offen lassen.
bb) Die gleichzeitige Leistungspflicht (des Beklagten; s.u.) für sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe an den Hilfeempfänger folgt aus § 53 SGB XII. Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Anspruch umfasst die in § 54 SGB XII i.V.m. den dort in Bezug genommenen Vorschriften des SGB IX beschriebenen Leistungen. Hierzu zählen etwa vollstationäre Unterbringungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 – 5 C 19/08 Rn. 14), nach § 54 Abs. 3 SGB XII aber auch die Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie für Kinder und Jugendliche. Ein Unterfallen von Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie unter die Eingliederungshilfe liegt insbesondere nahe, wenn schwere körperliche und geistige Behinderungen eines Kindes dessen Unterbringung in einer sonderpädagogischen Pflegestelle erforderlich machen; in diesen Fällen sind wegen der Schwere der körperlichen und/oder geistigen Behinderungen neben den ohnehin aufgrund der Unterbringung außerhalb der eigenen Familie erforderlichen erzieherischen und pädagogischen Leistungen gerade auch in erheblichem Umfang therapeutische Leistungen zu erbringen, die in der Gesamtschau eine Qualifikation der Hilfe als Teilhabeleistungen und damit als Leistungen, die auch der Eingliederungshilfe unterfallen, rechtfertigen (BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 5 C 30/12 Rn. 36).
Der Hilfeempfänger war fraglos im beschriebenen Sinne behindert und wesentlich in seiner gesellschaftlichen Teilhabefähigkeit eingeschränkt. Im Gutachten Prof. I wurde – in Übereinstimmung mit den Befunden der LVR-Klinik F – das Vorliegen einer geistigen Behinderung bei einem IQ von 48 bis 50 diagnostiziert; damit kongruent gelangte das Gutachten der Sonderpädagogen S und X vom 09.12.2009 zu einem IQ von 57. Nach dem Diagnoseschlüssel ICD 10 F70 (leichte Intelligenzminderung) besteht bei einem IQ im Bereich von 50 bis 69 eine leichte geistige Behinderung. Diese Beeinträchtigung wirkte sich erheblich auf die Teilhabemöglichkeit des Hilfeempfängers aus; denn nach dem Gutachten Prof. I war er in seinen alltagspraktischen Fähigkeiten erheblich eingeschränkt und bedurfte engmaschiger Betreuung und ständiger Aufsicht. Durchgehend stellte er für andere Kinder wie für sich selbst (letzteres wegen Orientierungslosigkeit und Selbstverletzungen) eine Gefahr dar. Eingliederungshilfe in Form der Unterbringung in den Familien J und L konnte zugleich erwarten lassen, dass die Behinderungsfolgen gemildert und dem Hilfeempfänger so die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht werde; sie war deshalb eine geeignete und notwendige Maßnahme. Diese Aussicht auf Linderung der Behinderungsbeschwerden führte zugleich zu einem gebundenen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 3 SGB XII (und nicht nur zu einem Ermessensanspruch nach § 53 Abs. 1 S. 2 SGB XII).
cc) Im Konkurrenzverhältnis dieser beiden Ansprüche nach dem SGB VIII bzw. dem SGB XII war die Leistungspflicht der Klägerin als Jugendhilfeträger im Verhältnis zur sozialhilferechtlichen Hilfepflicht (des Beklagten; s.u.) nachrangig.
Das Rangverhältnis zwischen Jugend- und Sozialhilfe bestimmt sich nach § 10 Abs. 4 SGB VIII. Nach Satz 1 der Vorschrift gehen grundsätzlich die Leistungen nach dem SGB VIII denjenigen nach dem SGB XII vor. Satz 2 bestimmt jedoch eine Rückausnahme (dazu ausführlich Urteil des Senats vom 14.02.2011 – L 20 SO 110/08 Rn. 59 ff.); der sich danach ergebende Vorrang des Anspruchs auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gegenüber demjenigen nach dem SGB VIII setzt voraus, dass eine wesentliche körperliche oder geistige Behinderung vorliegt und die Leistungen der Jugendhilfe und der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11; BSG, Urteil vom 24.03.2009 – B 8 SO 29/07 R; vgl. auch Senatsurteil vom 28.01.2013 – L 20 SO 170/11 Rn. 59).
Diese Voraussetzungen für einen Vorrang der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe nach § 10a Abs. 4 S. 2 SGB VIII sind im vorliegenden Fall erfüllt. Das Vorliegen einer geistigen Behinderung des Hilfeempfängers ergibt sich aus dem Gutachten Prof. I und dem Gutachten zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 09.12.2009, in denen jeweils ein IQ von unter 70 festgestellt worden ist (s.o.); dementsprechend haben auch die Beteiligten im Erörterungstermin vom 10.08.2015 erklärt, sie gingen jedenfalls für die Zeit ab April 2010 von einer geistigen Behinderung des Hilfeempfängers aus. Aufgrund dieser geistigen Behinderung bestanden im Zeitraum 01.04.2010 bis 30.09.2014 Ansprüche sowohl nach dem SGB VIII als auch nach dem SGB XII, die kongruent im Sinne gleichartiger, einander entsprechender bzw. deckungsgleicher Leistungen der Leistungspflichten (vgl. BVerwG a.a.O.) waren. Denn die Unterbringung des Hilfeempfängers bei den Familien J und L war vom Leistungsumfang sowohl des SGB VIII als auch des SGB XII umfasst (s.o.).
Dann aber genügt für den Vorrang der Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII bereits diese Überschneidung der Leistungsbereiche; nicht erforderlich ist, dass (weitergehend) der Schwerpunkt des Hilfebedarfs bzw. -zwecks im Bereich einer der den Eingliederungsbedarf auslösenden Behinderungen liegt, oder dass eine der Behinderungen für die konkrete Maßnahme ursächlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 7/13 R Rn. 26). In Fällen einer solchen zweifachen, aufeinander rückwirkenden seelischen und geistigen Behinderung löst § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII das Konkurrenzverhältnis zwischen Jugend- und Sozialhilfe von vornherein zu Lasten des Sozialhilfeträgers auf; eine fiktive Prüfung, ob bei einem Hinwegdenken der seelischen Behinderung die zugunsten des Hilfeempfängers durchgeführte Maßnahme gleichwohl auch ausschließlich aufgrund der geistigen Behinderung erforderlich gewesen wäre, findet nicht statt. Ohnehin dürften bei einem Zusammentreffen einer geistigen und einer seelischen Behinderung beide Behinderungen regelmäßig dergestalt verknüpft sein, dass die geistige Behinderung die seelische Behinderung mit beeinflusst und einzelne Verursachungsbeiträge nicht auseinander gehalten werden können (vgl. Senat, Urteile vom 18.06.2012 – L 20 SO 12/09 Rn. 75 ff. und vom 28.01.2013 – L 20 SO 170/11 Rn. 61).
b) War nach allem sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe gegenüber Leistungen der Jugendhilfe vorrangig, so richtet sich der deshalb nach § 104 Abs. 1, 3 SGB X bestehende Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten. Denn dieser war im betroffenen Zeitraum der sachlich und örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe.
aa) Die sachliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bestimmt sich nach § 97 Abs. 1 und 2 SGB XII. Für die Sozialhilfe ist danach grundsätzlich der örtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist (Abs. 1). Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird dabei nach Landesrecht bestimmt (Abs. 2 S. 1); insoweit ist nach § 2 Abs. 1a AG-SGB XII NW i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1a AV-SGB XII NW der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII für Personen, die in § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannt sind, Menschen u.a. mit einer geistigen Behinderung und Menschen mit einer seelischen Behinderung oder Störung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn es wegen der Behinderung oder des Leidens dieser Personen in Verbindung mit den Besonderheiten des Einzelfalls erforderlich ist, die Hilfe in einer teilstationären oder stationären Einrichtung zu gewähren; dies gilt nicht, wenn die Hilfegewährung in der Einrichtung überwiegend aus anderen Gründen erforderlich ist. Als überörtliche Träger der Sozialhilfe führen nach § 1 Abs. 1 AG-SGB XII NW die Landschaftsverbände die Aufgaben der Sozialhilfe durch.
(1) Der Hilfeempfänger ist ein Mensch mit geistiger Behinderung (bzw. von § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII erfasste Person), der wegen dieser Behinderung der Hilfe in Form einer Unterbringung in den Familien J und (ab Dezember 2010) L bedurfte (s.o.). Er konnte aufgrund seiner massiven Beeinträchtigungen ersichtlich nicht bei seiner Mutter oder gar allein leben. Überdies bestanden keine Unterbringungsalternativen; denn zahlreiche andere Einrichtungen waren wegen seiner besonderen Auffälligkeiten nicht bereit, ihn aufzunehmen.
(2) Die Hilfeleistung in den Familien J und L erfolgte auch als Hilfe in stationären Einrichtungen.
Im Zusammenhang mit der Legaldefinition des § 13 Abs. 2 SGB XII erfordert nach der Rechtsprechung des Bundessozial- und des Bundesverwaltungsgerichts eine "Einrichtung" einen in einer besonderen Organisationsform zusammengefassten Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dient (vgl. BSG, Urteile vom 23.08.2013 – B 8 SO 14/12 R Rn. 14 und vom 13.02.2014 – B 8 SO 11/12 R Rn. 19; siehe auch schon BVerwG, Urteile vom 24.02.1994 – 5 C 42/91, 5 C 13/91 und 5 C 17/91). Dabei ist von einem grundsätzlich offenen Begriffsverständnis auszugehen; der Einrichtungsbegriff ist nicht an überkommene Begriffsvorstellungen gebunden und knüpft etwa nicht (mehr) an einen Anstalts- oder Heimbegriff an. Vielmehr setzt § 13 Abs. 2 SGB XII bei Bedarfen an. Die Vorschrift macht das Bestehen einer Einrichtung weniger von einzelnen Maßnahmearten als vielmehr vom individuellen Hilfebedarf abhängig; damit öffnet sich das Gesetz grundsätzlich für neuartige Betreuungsformen und -institutionen (Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, 37. EL 2014, § 13 Rn. 56). Bei einer Betreuung des Hilfeempfängers in einer Außenstelle muss diese mit der Stammeinrichtung rechtlich und organisatorisch so verbunden sein, dass die Verwirklichung des Gesamtbetreuungskonzepts sichergestellt wird, und dass der Einrichtungsträger von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfeempfängers nach Maßgabe des angewandten Konzeptes die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt; die Außenstelle muss als Teil des Einrichtungsganzen angesehen werden können (BVerwG, Urteil vom 24.02.1994 – 5 C 24/92 Rn. 18; Luthe, a.a.O., Rn. 16 und 55; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 13 Rn. 28).
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass nach diesen Kriterien herkömmliche Pflegefamilien nach dem SGB VIII keine Einrichtungen sind. Denn sie sind nicht an ein Einrichtungsganzes angebunden. Indes handelt es sich bei den Familien J und L nach Ansicht des Senats nicht um solche Pflegefamilien. Die dortige Unterbringung des Hilfeempfängers war vielmehr eingebunden in die Gesamtstruktur des Jugendhilfeprojekts R und unterschied sich von Anfang an von solchen Pflegefamilien, da die dem Hilfeempfänger durch sie zuteil gewordenen Leistungen deutlich über diejenigen Leistungen hinausgingen, die in üblichen Pflegefamilien erbracht werden.
Das Jugendhilfeprojekt R versorgt nach den glaubhaften Angaben des im Erörterungstermin vom 10.08.2015 gehörten Zeugen H etwa 160 Jugendliche im In- und Ausland (u.a.) in Familien mit einem Kleinstbetreuungsschlüssel (Betreuung bis maximal eins zu drei) als sog. Individual-pädagogischen Betreuungsstellen. Das Projekt ist in Form einer gemeinnützigen GmbH organisiert und unterhält eine Geschäftsstelle sowie 13 bis 14 fachlich geschulte sog. Koordinatoren, die sich von eigenen Büros aus in der ganzen Bundesrepublik verantwortlich um die ihnen zugewiesenen Betreuungsstellen kümmern. Die Koordinatoren sind der Geschäftsstelle gegenüber monatlich berichtspflichtig und unterliegen durch diese einem Controlling; darüber hinaus arbeiten sie eigenständig. Ihnen obliegt die verantwortliche Betreuung jedes Hilfefalles. Dabei wird zunächst geprüft, ob die jeweilige Familie als Betreuungsstelle im Einzelfall als geeignet und passend in Betracht kommt. Der Koordinator kümmert sich sodann zur Umsetzung eines erstellten Gesamtkonzepts der Unterbringung federführend um die Beschulung, ärztliche Behandlungen, Therapien und den Kontakt zu den Eltern. Darüber hinaus hält er Kontakt zum Jugendamt und ist selbst jederzeit als Kontaktperson ansprechbar. Die als Betreuungsstellen fungierenden Familien stehen R demgegenüber grundsätzlich immer wieder, d.h. dauerhaft zur Unterbringung von Jugendlichen zur Verfügung und werden auch dauerhaft im Grundkonzept und der Auflistung der Betreuungsstellen von R aufgeführt. Die Familien sind in jedem einzelnen übernommenen Fall vertraglich an R gebunden und gegenüber R verantwortlich und verpflichtet; sie haben dabei das in Zusammenarbeit mit dem Koordinator erstellte Gesamtkonzept umzusetzen.
Bei dieser Organisationsstruktur waren auch die Familien J und L in das verantwortliche Gesamtbetreuungskonzept des Jugendhilfeprojekts R eingebunden. Sie waren dem Projekt vertraglich verpflichtet und insoweit organisatorisch eingebunden. Darüber hinaus fand eine verantwortliche Koordinierung und Überwachung des Hilfefalles durch den zuständigen Koordinator (bei der Familie L durch den Zeugen H) statt, wodurch die Umsetzung des Gesamtbetreuungskonzepts sichergestellt wurde. Keineswegs schließt die gewählte Form der dezentralen Unterbringung in Betreuungsstellen aus, dass es sich um eine stationäre Unterbringung handelte. Denn hierfür bedarf es nicht notwendig einer zentralen Unterkunft (etwa Heim oder Anstalt); vielmehr können betreute Personen auch in einer dezentralen Unterkunft stationär untergebracht sein (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2014 – B 8 SO 11/12 R Rn. 19). Eine dezentrale Unterkunft zählt dann zu den Räumlichkeiten der Einrichtung, wenn die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen anzusehen ist. Dies war bei den Familien J und L angesichts ihrer durch die Arbeit der Koordinatoren gewährleisteten dauerhaften Eingebundenheit in das Jugendhilfeprojekt R gerade der Fall. Durch die tatsächliche Vorhaltung von Wohnraum in diesen so eingebundenen Betreuungsstellen kommt die räumliche Bindung der jeweiligen Betreuungsstelle an die Einrichtung als wesentliches Merkmal einer Zuordnung zur Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers zum Ausdruck. Die erbrachte Hilfe war – trotz des langen Maßnahmezeitraums – auch auf einen wechselnden Personenkreis ausgelegt. Denn die Familien standen für R immer wieder zur Verfügung. So hat der Zeuge H konkret eine Neubesetzung der Betreuungsstelle Familie L nach "Gönnen" einer Pause von vier bis sechs Wochen im Anschluss an den Auszug des (dort knapp vier Jahre betreuten) Hilfeempfängers bereits wieder in Aussicht gestellt. Bei der Familie J war ein weiterer Jugendlicher untergebracht; die Familie übernahm im Übrigen nach § 1 des mit R geschlossenen Honorarvertrages "die Betreuung von Kindern und Jugendlichen" (für R als Träger) "in Form von Reiseprojekten". Innerhalb der Familien wurden dem Hilfeempfänger personelle Mittel in Form von Fachpersonal zur Verfügung gestellt. Nach den Angaben des Zeugen H ist in den als Betreuungsstellen agierenden Familien immer mindestens ein Erzieher bzw. Sozialpädagoge vorhanden; so war Herr J Heilerziehungspfleger und Frau L staatlich anerkannte Erzieherin. Sächliche Mittel wurden bereitgestellt, indem alles zur Lebensführung erforderliche gestellt wurde und nicht etwa bloß eine reine Wohnmöglichkeit. Die Familien J und L haben so insgesamt und unter verantwortlicher Aufsicht des Jugendhilfeprojekts R die Gesamtverantwortung für die Lebensführung des Hilfeempfängers in Form einer Eins-zu-eins-Betreuung übernommen und das individual-pädagogische Konzept von R umgesetzt. Daran ändert es nichts, dass R nicht uneingeschränkt und nach eigenem Ermessen feste Plätze in Betreuungsstellen zuteilen kann, sondern letztlich – trotz des ständigen und auch gleichbleibenden Angebots – auf die angebundenen Familien angewiesen ist. Denn auch bei einem herkömmlichen "Heim" wäre der Träger auf freie Plätze und auf das ausreichende Vorhandensein von Heimmitarbeitern angewiesen; es liegt in der Natur der Sache, dass der jeweilige vom Leistungsträger mit der Hilfeleistung beauftragte Leistungserbringer in jedem Einzelfall die erforderlichen Kapazitäten auch tatsächlich stellen können muss, gleichviel, ob es sich um individualpädagogisch betreuende Außenstellen wie die Familien J und L handelt oder um in ein Heimganzes eingebundene persönliche und sächliche Mittel. Entscheidend ist daher allein, dass die tätig werdenden Familien zum dauerhaften Angebot von R gehören und dessen für sie verbindliches Gesamtbetreuungskonzept unter verantwortlicher Aufsicht von R umsetzen. Unerheblich ist zudem, dass es sich (auch) um Einzelbetreuungen im Verhältnis eins zu eins handelt; der Begriff der stationären Einrichtung gibt insoweit (jedenfalls für eine von mehreren Außenstellen) keine Mindestgröße vor. Schließlich ist auch das Vorhandensein einer von der Heimaufsicht erteilten Betriebserlaubnis für das Vorliegen einer Einrichtung nicht entscheidend (Luthe, a.a.O., § 13 Rn. 62); ohnehin verfügten jedoch sowohl R selbst, darüber hinaus auch die (in der Erlaubnis so bezeichnete) "Lebensgemeinschaft L" über eine Betriebserlaubnis.
Dass es sich bei den Betreuungstellen J und L um eine Einrichtung handelt, wird mittelbar auch durch § 54 Abs. 3 SGB XII (i.d.F. ab 05.08.2009) bestätigt. Danach kann eine Leistung der Eingliederungshilfe auch in Form der Betreuung in einer Pflegefamilie erbracht werden, soweit dadurch der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung vermieden oder beendet werden kann. Der Regelung liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, eine Pflegefamilie sei ein "Weniger" gegenüber einer stationären Unterbringung. Die Unterbringung des Hilfeempfängers in den Familien J und L erfolgte jedoch sogar als ein "Mehr" im Vergleich zu einer stationären Unterbringung etwa in einem klassischen Heim. Erst recht gingen die dort dem Hilfeempfänger im Wege einer ununterbrochenen Eins-zu-ein-Betreuung erbrachten Leistungen weit über das hinaus, was in einer herkömmlichen Pflegefamilie an Betreuungsleistungen erbracht wird (vgl. demgegenüber zur Unterbringung in einer Pflegefamilie BSG, Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 7/13 R Rn. 30). Die beschriebenen massiven Auffälligkeiten des Hilfeempfängers mit der Notwendigkeit einer besonders intensiven Betreuung und ständigen Beobachtung (i.S. einer Gesamtverantwortungsübernahme) machen dies unmittelbar deutlich. Dementsprechend konnte keine anderweitige Einrichtung gefunden werden, die zur Aufnahme des Hilfeempfängers bereit gewesen wäre (deutlich wird das etwa in einem Schreiben der Stiftung F an den Beklagten vom 16.11.2010. Die Stiftung lehnte seinerzeit eine Aufnahme des Hilfeempfängers ausdrücklich wegen dessen sexualisierten Verhaltens sowie Eigen- und Fremdgefährdung ab. Wegen der Einzelheiten wird auf dieses Schreiben – Bl. 69 der Verwaltungsakte des Beklagten – Bezug genommen). Die Unterbringung in derartigen individualpädagogischen Betreuungsstellen durch R ist deshalb gegenüber einer herkömmlichen Pflegefamilie ein aliud (vgl. zu Besonderheiten bei der Unterbringung in einer Familie auch das Senatsurteil vom 14.02.2011 – L 20 SO 110/08 Rn. 63 ff.). War die Betreuung des Hilfeempfängers insgesamt deutlich aufwändiger als bei einem in einem herkömmlichen Heim untergebrachten Jugendlichen, so zeigt überdies die landesrechtliche Zuständigkeitsverteilung in Nordrhein-Westfalen (s.o.), dass der überörtliche Träger – und nicht etwa der örtliche Träger – gerade für derart aufwändige und in der Regel auch kostenintensive Sozialhilfefälle einstehen soll.
bb) Für die erbrachte stationäre Eingliederungshilfe war der Beklagte im Übrigen nicht nur sachlich, sondern auch örtlich zuständig.
Nach § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist für die Sozialhilfe grundsätzlich der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Für stationäre Leistungen ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. War der Leistungsberechtigte bei Einsetzen der Sozialhilfe aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend (§ 98 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB XII).
Kommt es bei durchgehendem Aufenthalt in stationären Einrichtungen danach auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers im Zeitpunkt des Eintritts in die erste Einrichtung an, lag dieser jedenfalls im Kreis Lippe und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten (vgl. § 1 Abs. 1 der Hauptsatzung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom 12.01.1995). Dabei kann der Senat offen lassen, ob sich der Hilfeempfänger bereits ab dem 15.06.2005 (Aufnahme in das Kinderheim Bad T) in eine stationären Einrichtung begeben hat, oder ob dies erst bei Aufnahme in die Einrichtung der N-Stiftung in H zum 26.10.2005 der Fall war. Denn der damals elfjährige Hilfeempfänger lebte vor Aufnahme in Bad T seit Februar 2005 im Haushalt seiner sorgeberechtigten Mutter in M. Liegen sowohl M als auch Bad T im Kreis Lippe, war der gewöhnliche Aufenthalt des Hilfeempfängers sowohl vor der Aufnahme in das Kinderheim als auch vor dem Wechsel nach H im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Seither war er bis zum Beginn des geltend gemachten Erstattungsanspruchs (April 2010) und darüber hinaus bis August 2015 durchgehend in einer Betreuungsstelle von R stationär untergebracht.
c) Der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten ist nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen. Danach ist der Erstattungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat (§ 111 S. 1 und 2 SGB X).
In der hier bestehenden Konstellation ist Satz 2 der Vorschrift nicht anwendbar. Denn bei Erstattungsansprüchen von Sozialleistungsträgern untereinander kann eine den Fristenlauf hinausschiebende Kenntnisnahme von der "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" nicht vorliegen, wenn der Erstattungsverpflichtete eine materiell-rechtliche Entscheidung über Leistungen, wie sie der Erstattungsberechtigte bereits erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf. Das ist in aller Regel der Fall, wenn – wie hier – der Hilfeempfänger die Leistung bereits erhalten hat. Der Bedarf ist insoweit bereits gedeckt, und der vorrangig zuständige Leistungsträger – hier der Beklagte – hat keine Befugnis mehr, gegenüber dem Berechtigten (dem Hilfeempfänger) nochmals eine materiell-rechtliche Entscheidung über den Anspruch auf Gewährung gerade dieser Leistungen zu treffen und die Leistung zu bewilligen (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 1 KR 20/13 R Rn. 21 m.w.N.; Roller in von Wulffen, a.a.O., § 111 Rn. 8 m.w.N.).
Die dann nach § 111 S. 1 SGB X einschlägige Zwölf-Monats-Frist hat die Klägerin gewahrt. Die Frist beginnt grundsätzlich am Folgetag des Tages, für den der erstattungsberechtigte Träger die Sozialleistung letztmals erbracht hat und ihm die entsprechenden Kosten entstanden sind (vgl. Mutschler in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 111 Rn. 26). Die Klägerin hat den Erstattungsanspruch beim Beklagten schon mit Schreiben vom 17.12.2009 (Eingang dort am 23.12.2009) angemeldet; die Geltendmachung erfolgte also schon vor dem hier betroffenen Erstattungszeitraum. Da § 111 S. 1 SGB X für laufend gewährte Leistungen der Sozialhilfe nicht verlangt, dass der Erstattungsanspruch laufend – etwa monatlich – neu geltend zu machen ist, die Vorschrift vielmehr eine einheitliche Anmeldung auch für die Erstattung aller zukünftigen Leistungen zulässt (vgl. Mutschler, a.a.O., § 111 Rn. 17.1), war von der Anmeldung vom 23.12.2009 auch die Zeit danach erfasst. Der Erstattungsanspruch ist auch zu keiner Zeit – auch nicht konkludent – zurückgenommen bzw. für erledigt erklärt worden.
d) Der Erstattungsanspruch ist auch durchsetzbar. Insbesondere ist er nicht nach § 113 SGB X verjährt. Die Verjährungsfrist beginnt – unbeschadet dessen, dass die Verjährungseinrede vom Beklagten ohnehin nicht erhoben worden ist – mit dem 01. Januar des Kalenderjahres, das dem Kalenderjahr folgt, in dem der Erstattungsberechtigte von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Trägers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Nach der insoweit maßgeblichen Ablehnung des Erstattungsanspruchs durch den Beklagten mit Schreiben vom 26.08.2010 ist bereits mit Klageerhebung am 09.05.2011 eine Hemmung der Verjährung bezüglich des erstinstanzlich geltend gemachten Erstattungsanspruchs eingetreten (§ 113 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Auch bezüglich des erst mit der Klageerweiterung im Berufungsverfahren gelten gemachten weiteren Erstattungsanspruchs kann von vornherein keine Verjährung eingetreten sein. Denn durch die Einbeziehung des Erstattungsanspruchs für Aufwendungen ab 01.03.2011 in das Klageverfahren am 07.11.2014 (Eingang des Schriftsatzes bei Gericht) ist noch vor Ablauf von vier Jahren eine Hemmung der Verjährung eingetreten. Unerheblich ist dabei, dass die Klägerin die für die Klageerweiterung notwendige Anschlussberufung (jedenfalls ausdrücklich) erst in der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2016 eingelegt hat; denn dies könnte allenfalls Auswirkungen auf den Zeitpunkt des Einsetzens der Zulässigkeit der erweiterten Klage haben (was der Senat dahinstehen lassen kann), nicht aber auf die Hemmung der Verjährung durch erweiterte Klageerhebung seit dem 07.11.2014.
e) Das Nichtbestehen einer Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung (vgl. § 75 Abs. 3 SGB XII) zwischen R und dem Beklagten (oder einem anderen Sozialhilfeträger) kann dem Erstattungsanspruch der Klägerin ebenfalls nicht entgegenstehen. Es entspricht vielmehr der typischen Situation des § 104 SGB X, dass ein nur nachrangig zuständiger Träger die unmittelbar notwendigen Leistungen zugunsten eines Hilfeempfängers erbringt und erst im Nachhinein eine Erstattung durch den vorrangig zuständigen Träger erreichen kann. Ohnehin sieht § 78b SGB VIII (der gemäß § 78a Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII insbesondere auch für nach Maßgabe des § 35a SGB VIII gewährte Eingliederungshilfe gilt) ebenfalls den Abschluss entsprechender Vereinbarungen vor. Für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X reicht es deshalb aus, dass die materiellen Voraussetzungen für die Leistungserbringung erfüllt waren; ob letztere auch erbringungsrechtlich hätte erfolgen müssen, ist nicht entscheidend, weil regelmäßig nur so die beabsichtigte Herstellung des materiell-rechtlichen Nachranges gewährleistet ist (Senatsurteil vom 28.01.2013 – L 20 SO 170/11 Rn. 70).
f) Der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X besteht schließlich auch in voller Höhe (454.258.34 EUR). Die Klägerin hat die aufgewendeten Jugendhilfekosten Monat für Monat nachvollziehbar dargelegt und notwendige Absetzungen vorgenommen, ohne dass dem Senat eine Fehlerhaftigkeit dieser Berechnung ersichtlich wäre. Der Beklagte hat hiergegen keine Einwände vorgebracht, sondern die Höhe der Kosten ausdrücklich für unstreitig erklärt.
2. Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch besteht nicht. Insoweit ist die Klage unbegründet und die Berufung des Beklagten begründet.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind auf Erstattungsansprüche von Sozialleistungsträgern untereinander Prozesszinsen nicht zu entrichten. Es fehlt dafür eine ausdrückliche sozialrechtliche Anspruchsgrundlage. Mangels planwidriger Regelungslücke sind auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 291 BGB nicht erfüllt. Dies gilt auch im Bereich der Sozialhilfe; sozialhilferechtliche Sonderregelungen gibt es weder auf bundesrechtlicher noch auf landesrechtlicher Ebene (vgl. BSG, Urteile vom 28.10.2008 – B 8 SO 23/07 R Rn. 16 und vom 02.02.2010 – B 8 SO 22/08 R Rn. 9; siehe auch bereits Urteile vom 16.12.1964 – 12 RJ 526/64 Rn. 15, sowie vom 18.12.1979 – 2 RU 3/79 Rn. 15; vgl. auch Roller in von Wulffen, a.a.O., § 108 Rn. 12; Kater in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 87. EL 9/2015, §108 Rn. 5; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 108 SGB X Rn. 47). Soweit das Bundessozialgericht insbesondere bei Prozesszinsen anders entschieden hat, betrifft dies nicht Erstattungsstreitigkeiten von Sozialhilfeträgern untereinander; den insoweit entschiedenen Fällen lagen vielmehr vertragliche Beziehungen der Träger untereinander zugrunde. Außerhalb vertraglicher Beziehungen bleibt es jedoch dabei, dass die Regelungen des BGB über Prozesszinsen auf öffentlich-rechtliche Forderungen aus dem Bereich des Sozialrechts nicht entsprechend anwendbar sind (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 13.07.2010 – B 8 SO 10/10 R Rn. 12).
b) Der Klägerin stehen Zinsen auch nicht aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten zu. § 108 Abs. 2 SGB X, wonach ein Erstattungsanspruch der Träger der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe von anderen Leistungsträgern unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auf Antrag mit vier vom Hundert zu verzinsen ist, scheidet als Anspruchsgrundlage im Verhältnis gleichgeordneter Träger aus. Denn Zinsschuldner können nur "andere Leistungsträger" als die in § 108 Abs. 2 SGB X genannten Leistungsträger sein (vgl. BSG, Urteile vom 28.10.2008 – B 8 SO 23/07 R Rn. 17 und vom 02.02.2010 – B 8 SO 22/08 R Rn. 8; vgl. auch Roller, a.a.O., § 108 Rn. 7; Kater, a.a.O., § 108 Rn. 5; Burkiczak, a.a.O., § 108 Rn. 30; vgl. auch BT-Drucksache 13/3904 S. 48).
§ 44 Abs. 1 SGB I sieht eine Verzinsung lediglich bei Sozialleistungen vor und kann auf das Verhältnis der Sozialleistungsträger untereinander und auf Erstattungsansprüche nicht entsprechend angewandt werden (vgl. BSG, Urteil vom 28.10.2008 – B 8 SO 23/07 R Rn. 17 sowie bereits Urteil vom 18.12.1979 – 2 RU 3/79 Rn. 12; Kater, a.a.O., § 108 Rn. 4; Roller, a.a.O., § 108 Rn. 5).
Ein entsprechender Zinsanspruch lässt sich schließlich auch nicht aus übergeordneten Gesichtspunkten des Verfassungsrechts, insbesondere nicht aus Art 20 Abs. 3 GG, herleiten. Dass die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist, führt nicht zu einem Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung. Dies gilt umso mehr im Verhältnis zweier Träger der vollziehenden Gewalt untereinander (BSG, Urteil vom 02.02.2010 – B 8 SO 22/08 R Rn. 10).
E) Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Dabei konnte das erstinstanzlich geschehene, zweitinstanzlich aber "saldierte" Unterbleiben der Absetzung von Einnahmen der Klägerin für den Hilfeempfänger (Kindergeld sowie Kostenbeiträge des Vaters) wegen Geringfügigkeit im Vergleich zur Gesamtforderung unberücksichtigt bleiben.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG; danach war der Streitwert für das Berufungsverfahren entsprechend dem Wert der im Antrag der Klägerin bezifferten Geldleistung endgültig auf 454.258,34 EUR festzusetzen. Nebenforderungen (Zinsen) waren nach § 43 Abs. 1 GKG nicht zu berücksichtigen.
F) Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 07.03.2018
Zuletzt verändert am: 07.03.2018