Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 16.10.2017 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Versorgung wegen einer HPV-Impfung gegen das humane Papillomavirus in Anspruch.
Die am 00.00.1998 geborene Klägerin wurde am 15.08.2012, 22.11.2012 und 09.04.2013 durch ihre Frauenärztin mit dem Impfstoff Gardasil geimpft. Die EU-weite Zulassung dieses Impfstoffes erfolgte nach Durchführung des zentralen Zulassungsverfahrens im September 2006 durch die Europäische Kommission. In den Fachinformationen aus März 2014 und Mai 2016 wird als Nebenwirkung des Impfstoffs – bezogen auf den Bereich des Gastrointestinaltrakts – Übelkeit angegeben. Die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut hat bestätigt, dass als Allgemeinreaktion auf die Impfung mit dem Wirkstoff Gardasil Kopf- und Gelenkschmerzen sowie gastrointestinale Symptome registriert worden seien (Bulletin 25, Ziff. 17). Ferner hat die STIKO darauf aufmerksam gemacht, dass die genannten Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur seien.
Am 28.04.2013 teilte die Mutter der Klägerin der behandelnden Frauenärztin telefonisch mit, dass bei der Klägerin nach der dritten Gardasil-Impfung Panikattacken und blutiger Durchfall aufgetreten seien. In der Folgezeit wurde die Klägerin mehrmals stationär und ambulant wegen einer Pancolitis ulcerosa behandelt.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) erstattete unter dem 27.08.2015 ein sog. Behandlungsfehlergutachten nach §§ 66 Satz 2, 275 Abs. 3 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). In diesem Gutachten führte der MDK u.a. aus: Ein Behandlungsfehler sei nicht zu erkennen. Die Impfung sei vielmehr medizinisch indiziert gewesen. Kontraindikationen hätten nicht vorgelegen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der aufgetretenen Colitis ulcerosa sei nicht gegeben, wobei eine statistisch signifikante Häufung von Pancolitis ulcerosa Erkrankungen nach HPV-Impfungen nicht bekannt sei. Ob die behandelnde Frauenärztin Aufklärungspflichten verletzt habe, müsse juristisch geklärt werden.
Im Dezember 2015 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach den §§ 60 bis 64 IfSG i.V m. dem BVG. Als durch die Schutzimpfung hervorgerufene Gesundheitsstörung machte sie die bei ihr vorhandene Pancolitis ulcerosa geltend und legte in diesem Zusammenhang das vom MDK erstattete Behandlungsfehlergutachten vor.
Auf Veranlassung des Beklagten befragte die Leitende Landesmedizinaldirektorin Dr. C die Klägerin und ihre Eltern. Sie gaben dort zahlreiche Autoimmunerkrankungen in der Familie an. Vor der Impfung habe die Klägerin nicht unter Beschwerden im Bereich des Abdomens gelitten. Nach Beiziehung von Unterlagen über die Behandlung der Klägerin holte der Beklagte eine Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts ein. Dieses teilte unter dem 21.06.2016 mit, dass die Diagnose einer Colitis ulcerosa nicht vereinbar mit einem kausalen Zusammenhang zur Impfung sei. Nach dortiger Auffassung sei von einer Erstmanifestation der entzündlichen Darmerkrankung auszugehen, die sich unabhängig von der Impfung entwickelt habe. In einer weiteren Stellungnahme vom 01.07.2016 verneinte Dr. C einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und der Darmerkrankung. Auch die Voraussetzungen für eine "Kann-Versorgung" seien nicht erfüllt.
Der Beklagte lehnte daraufhin den Antrag ab und führte aus: Ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und der Pancolitis ulcerosa bestehe nicht. Weder in den Fachinformationen noch im Bulletin 25 des Robert-Koch-Instituts seien als Nebenwirkungen entzündliche Veränderungen im Magen-Darm-Bereich genannt (Bescheid vom 14.07.2016).
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Impfung und der Colitis ulcerosa sei nicht ausreichend geklärt. Das Paul-Ehrlich-Institut könne und dürfe Kausalfragen nicht beurteilen. Die sehr zeitnah nach der Impfung aufgetretene Colitis ulcerosa sei zumindest durch die Impfung befördert worden. Nach Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme der Frau Dr. C wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 07.12.2016).
Mit ihrer am 04.01.2017 vor dem SG Münster erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen: Vor der Impfung sei sie vollkommen gesund gewesen. Die Colitis ulcerosa sei unmittelbar nach der dritten Impfung ausgebrochen. Dieser Umstand hätte zumindest auch im Rahmen des § 61 Satz 2 IfSG ("Kann-Versorgung") geprüft werden müssen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 14.07.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 07.12.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Beschädigtenversorgung nach §§ 60, 61 IfSG i. V. m. dem BVG zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides gestützt und erwidert: Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung genüge zwar die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Das Auftreten der Pancolitis ulcerosa könne jedoch nicht mit der gesetzlich geforderten Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die durchgeführte HPV-Schutzimpfung zurückgeführt werden.
Die Klägerin hat die behandelnde Frauenärztin vor dem Landgericht N auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen. In dem unter dem Az. xxx geführten Rechtsstreit hat Prof. Dr. O (Chefarzt der Frauenklinik des Krankenhauses I in L) auf Anordnung der Kammer ein Gutachten erstattet. In dem Gutachten vom 21.10.2016, welches das SG Münster den Beteiligten mit Schreiben vom 19.05.2017 übermittelt hat, hat der Sachverständige im Wesentlichen ausgeführt: Es existiere keine Untersuchung, die den Rückschluss erlaube, dass eine Colitis ulcerosa durch eine HPV-Impfung ausgelöst werde. Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes und speziell die Erkrankung Colitis ulcerosa gehörten keineswegs zu den typischen Risiken einer Behandlung mit dem Impfstoff Gardasil. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ferner darauf hingewiesen, dass selbst in erklärt impfkritischen Internetveröffentlichungen an keiner Stelle über den Zusammenhang zwischen einer HPV-Impfung und der Entwicklung einer Colitis ulcerosa berichtet werde. Darüber hinaus existiere kein plausibler Hinweis darauf, dass die bei der Klägerin aufgetretene Colitis ulcerosa durch die HPV-Impfung ausgelöst worden sei.
Durch Urteil vom 16.10.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die bei der Klägerin aufgetretene Pancolitis ulcerosa könne nicht auf die Impfungen mit dem Impfstoff Gardasil zurückgeführt werden. Es sei nämlich nicht als wahrscheinlich anzusehen, dass bei der Klägerin ein Impfschaden aufgetreten sei, der auf die Impfungen zurückgeführt werden könne. Da eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert werde, reiche ein bloßer zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und dem Auftreten der Impfkomplikation bzw. dem Auftreten des Impfschadens nicht aus. Daher könne allein das Auftreten der Pancolitis ulcerosa in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der dritten Impfung einen Anspruch auf Versorgungsleistungen nicht begründen. Gegen die Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit sprächen vielmehr die folgenden Umstände: In den Fachinformationen zu dem Impfstoff werde als Nebenwirkung – bezogen auf den Gastrointestinaltrakt – ausschließlich Übelkeit angegeben. Auch im Bulletin 25, Ziffer 17 der STIKO werde darauf hingewiesen, dass gastrointestinale Symptome kurzfristiger Natur seien und rasch und folgenlos abklängen. Diese Angaben bestätige Prof. Dr. O in seinem Gutachten vom 21.10.2016. Der Sachverständige habe ausdrücklich festgestellt, dass Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts und speziell auch die Erkrankung der Colitis ulcerosa keineswegs zu den typischen Risiken einer Behandlung mit dem HPV-Impfstoff Gardasil gehörten. Nach den Feststellungen des Prof. Dr. O zählten die bei der Klägerin aufgetretenen Symptome nicht zu den typischen Nebenwirkungen einer HPV-Impfung. Auch in der Internetveröffentlichung "Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V." werde nicht über das Auftreten einer Colitis ulcerosa im Rahmen einer HPV-Impfung berichtet. Dies bedeute, dass nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, dass die bei der Klägerin aufgetretene Colitis ulcerosa auf die verabreichten Impfungen zurückzuführen sei. Auch die Voraussetzungen der sog. "Kann-Versorgung" seien nicht erfüllt. Obwohl der Beklagte in den mit der Klage angefochtenen Bescheiden über die Frage der Kann-Versorgung nicht entschieden habe, habe die Kammer über das Bestehen dieses Anspruchs zu befinden gehabt. Eine Leistung nach den Grundsätzen der Kann-Versorgung stelle nämlich nach der Rechtsprechung des BSG (Verweis auf Urteil vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94) grundsätzlich keinen eigenen Streitgegenstand dar. Die Frage der Kausalitätsvoraussetzungen stelle sich für die "Kann-Versorgung" ebenso wie für einen Rechtsanspruch. Zwischen beiden bestünden bezüglich der Kausalität lediglich graduelle Unterschiede. Die bloße Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs reiche auch im Rahmen der "Kann-Versorgung" nicht aus. Es müsse vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung existieren, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs vertrete. Die Verwaltung sei nämlich nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese stets die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs – die so gut wie nie widerlegt werden könne – ausreichen zu lassen. Zur Gewährung der "Kann-Versorgung" müsse nicht nur ein zeitlicher Zusammenhang bestehen, sondern nach wenigstens einer nachvollziehbaren wissenschaftlichen Lehrmeinung müssten Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang zwischen besonderen Belastungen und der festgestellten Erkrankung sprächen. Es dürfe nicht nur die theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, sondern vielmehr eine "gute Möglichkeit", die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet habe, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden könne (Verweis auf Senat, Urteil vom 15.01.2016, Az.: L 13 VJ 27/13 m.w.N. zur Rspr. des BSG). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sei ein Anspruch auf "Kann-Versorgung" zu verneinen. In seinem Gutachten vom 21.10.2016 habe Prof. Dr. O darauf hingewiesen, dass es keine Untersuchungen gebe, die den Rückschluss belegten, dass eine Colitis ulcerosa auf eine HPV-Impfung zurückzuführen sei. Ein durch statistische Erhebungen untermauerter Zusammenhang zwischen einer HPV-Impfung und der bei der Klägerin aufgetretenen Erkrankung könne bereits deshalb nicht angenommen werden, weil noch kein Fall erfasst sei, in dem nach einer HPV-Impfung eine Colitis ulcerosa aufgetreten sei. Prof. Dr. O habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihm entsprechende Berichte nicht bekannt seien. Auch die Klägerin habe nicht geltend gemacht, dass eine entsprechende wissenschaftliche Lehrmeinung bestehe. Angesichts dieses eindeutigen Ergebnisses sei die Beiladung der zuständigen obersten Landesbehörde nicht erforderlich gewesen.
Gegen das ihr am 19.10.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.11.2017, einem Montag, Berufung eingelegt.
Sie hält an ihrer erstinstanzlich vertretenen Auffassung fest und trägt vor: Vor Zulassung des Impfstoff seien keine Langzeitstudien durchgeführt worden. Eine Verursachung der bei ihr vorhandenen Colitis ulcerosa sei insbesondere auch vor dem Hintergrund der verwendeten Adjuvantien wie z.B. Aluminium hinreichend wahrscheinlich. Das ergebe sich vor allem aus der Packungsbeilage (Seite 8), wo der pharmazeutische Unternehmer einen Zusammenhang zwischen Adjuvantien und Erkrankungen mitteile.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 16.10.2017 zu ändern und ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 14.07.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2016 Leistungen der Beschädigtenversorgung, insbesondere Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und entgegnet unter Vorlage einer gutachtlichen Stellungnahme vom 24.05.2018: Nebenwirkungen von Aluminium-Hydroxyd würden in der medizinischen Wissenschaft immer wieder diskutiert. Allerdings existierten keine wissenschaftlichen Daten, die einen wissenschaftlichen Zusammenhang nahelegen könnten. Eher sei das Gegenteil der Fall.
Der Senat hat die Akten des LG N in dem Rechtsstreit xxx beigezogen und den Beteiligten Ablichtungen der Sitzungsniederschrift vom 14.12.2017 (mit Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. O) sowie eines weiteren Gutachtens des Arztes für Innere Medizin und Gastroenterologie Prof. Dr. F vom 09.01.2019 übermittelt, auf deren Inhalt verwiesen wird.
Der Senat hat die Beteiligten ferner mit Schreiben vom 26.04.2019 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen. Mit Schreiben vom 04.06.2019 hat der Senat Fristverlängerung bis zum 15.07.2019 gewährt und den Beteiligten einen Ausdruck der "Sicherheitsbewertung von Aluminium in Impfstoffen" des Paul-Ehrlich-Instituts vom 24.09.2015 übermittelt.
Weiterer Einzelheiten wegen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte sowie der beigezogenen Akte LG N – xxx Bezug genommen.
II.
Der Senat hat die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückgewiesen, nachdem die Berufsrichter sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 26.04.2019 gehört worden.
1. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend abgewiesen, weil die Klägerin gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus Anlass eines Impfschadens hat und durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert wird. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG analog) und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
2. Auch im Berufungsverfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die für den von der Klägerin erhobenen Anspruch – insbesondere für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und der bei ihr vorhandenen Colitis ulcerosa i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG (dazu a]) oder für die Voraussetzungen einer Kann-Versorgung nach § 61 IfSG (dazu b]) – sprechen könnten.
a) Die Voraussetzungen des § 61 Satz 1 IfSG sind nicht erfüllt. Das ergibt sich aus den vom LG N im Rahmen des dortigen Arzthaftungsprozesses erstatteten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. O1 und Prof. Dr. F, die der Senat nicht nur gemäß § 118 Abs.1 Satz 1 SGG i.V.m. § 415 ff. ZPO als Urkundenbeweis, sondern nach § 118 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 411a ZPO auch im Wege des Sachverständigenbeweises verwertet hat (vgl. z.B. BGH, Beschluss v. 27.04.2016 – XII ZB 611/15, NJW-RR 2016, 1149; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 117 Rn. 6 m.w.N.). Darauf hat der Senat die Beteiligten zuletzt mit Schreiben vom 28.05.2019 hingewiesen.
aa) Prof Dr. O1 hat nicht nur in seinem für das LG N erstatteten Gutachten vom 21.10.2016 dargelegt, dass keine Studie existiere, die einen Ursachenzusammenhang zwischen einer HPV-Impfung und dem Auftreten einer Colitis ulcerosa nahelege, sondern daran auch im Rahmen seiner mündlichen Erläuterung des Gutachtens (§ 411 Abs. 3 Satz 1 ZPO) vor dem LG N am 14.12.2017 festgehalten: Er – der Sachverständige Prof. Dr. O1 – habe zur Vorbereitung (des Termins) noch einmal vertieft geforscht und an keiner Stelle gefunden, dass eine Colitis ulcerosa durch eine HPV-Impfung ausgelöst werden könne oder dass beschrieben worden sei, dass eine Colitis ulcerosa dadurch ausgelöst worden sei. Zu der Frage, ob eine Colitis ulcerosa durch eine HPV-Impfung ausgelöst werden könne, finde sich kein Zitat in der Literatur.
bb) In seinem nach ambulanter Untersuchung der Klägerin erstatteten Gutachten vom 09.01.2019 hat Prof. Dr. F zunächst ausgeführt, dass über die Auslöser der Colitis ulcerosa nur wenig bekannt sei. Diskutiert würden genetische Dispositionen, Umwelteinflüsse, psychische Belastungen (nur geringe Hinweise), Luftverschmutzung, Ernährung und Arzneimittel. Eine wissenschaftliche Gewissheit bestehe für sämtliche erörterte Faktoren jedoch nicht. Zum Thema Gardasil und unerwünschte Wirkungen existiere eine Vielzahl von Publikationen, von denen im Rahmen dieses Gutachtens nur einige aktuelle Arbeiten exemplarisch aufgeführt werden könnten, die sich insbesondere aufgrund der großen Kohorte und der wissenschaftlichen Herangehensweise für die Zusammenhangsfrage eigneten.
(1) Ein Cochrane-Review aus Mai 2018 beschäftige sich ausführlich mit der aktuell weltweit verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz bezüglich Impfstoffe, ihrer Wirkung und auch der Nebenwirkungen der HPV-Impfung. Bei etwa 0,5 % der Probanden hätten sich (auto-)immun-vermittelte Zustände gezeigt, das relative Risiko zu nicht-geimpften Kontrollgruppe habe insgesamt 0,98 betragen, sei also nicht erhöht. Allerdings seien in dieser Studie nur Autoimmunerkrankungen untersucht worden; chronisch-entzündliche Darmerkrankungen seien nicht aufgeführt.
(2) Eine französische Beobachtungsstudie (im Folgenden: Miranda-Studie) habe das Auftreten von 14 immunologischen Erkrankungen bei mehr als 2,2 Million Mädchen untersucht, von denen 37 % HPV-geimpft worden seien (davon 93 % mit dem Impfstoff Gardasil). Im Ergebnis habe sich ein statistisch erhöhtes Risiko für das Auftreten von chronischen-entzündlichen Darmerkrankungen ergeben. Dieses sei jedoch als "schwach" zu qualifizieren. Dabei habe sich das Risiko in den ersten drei Monaten am höchsten dargestellt. Die Autoren bewerteten diese statistische Aussage aber nicht als Untermauerung der These eines Kausalzusammenhangs zwischen Impfung und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Sie seien eher der Ansicht, dass die Ergebnisse die Tatsache widerspiegelten, dass die Diagnosestellung einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung zeitaufwändiger sein könne. Sie vermuteten ein verzerrtes Bild als Folge bereits vor der Impfung bestehender Erkrankungen, die aber in einem zeitlichen Zusammenhang zu der Impfung diagnostiziert worden seien. Zusätzlich verwiesen die Autoren darauf, dass Mädchen häufiger geimpft würden, wenn sie häufigeren Kontakt zum Gesundheitssystem hätten. In der Studie ergebe sich im Übrigen ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Guillian-Barré-Syndroms nach Impfung. Ein wesentlicher Kritikpunkt der Miranda-Studie sei, dass nur Patienten mit schweren Autoimmunerkrankungen erfasst worden seien, die entweder einer stationären Behandlung oder einer langfristigen Medikation bedurft hätten.
(3) In einer Beobachtungsstudie aus Dänemark und Schweden aus den Jahren 2006 bis 2010 (Publikation in 2013) seien beinahe 1 Million Mädchen zwischen 10 und 17 Jahren aus zwei Registern aus Dänemark und Schweden beobachtet worden, von denen 29,8 % mindestens eine Dosis des quadrivalenten Impfstoffs appliziert bekommen hätten. In dieser Studie habe sich weder für Morbus Crohn noch für Colitis ulcerosa ein erhöhtes Risiko nach Impfung ergeben. Eine Colitis ulcerosa finde sich tendenziell eher seltener bei Geimpften im Vergleich zu Nichtgeimpften.
(4) Eine weitere Kohortenstudie aus Finnland aus den Jahren 2013 bis 2016 habe das Auftreten von Autoimmunerkrankungen nach bivalenter HPV-Impfung untersucht und keine erhöhte Inzidenz für das Auftreten einer Colitis ulcerosa aufgezeigt.
(5) Zusammenfassend ist Prof. Dr. F zu der Auffassung gelangt, dass die Datenlage ein uneinheitliches Bild im Hinblick auf das Risiko für die Induktion einer Colitis ulcerosa durch HPV-Impfstoffe ergebe. Aufgrund der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse sei die Colitis ulcerosa pathogenetisch eher als eine Erkrankung der gestörten Mukosa-/ Barrierefunktion anzusehen und somit nicht als autoimmunologische Erkrankung. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und Ausbildung einer Colitis ulcerosa sei damit wissenschaftlich eher als unwahrscheinlich anzunehmen, dennoch nicht vollständig auszuschließen.
Letztlich bestätigt auch Prof. Dr. F die von dem Sachverständigen Prof. Dr. O1 geäußerte Einschätzung, dass nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse kein durchgreifender Hinweis für einen Zusammenhang zwischen einer Impfung mit dem Wirkstoff Gardasil und dem Auftreten einer Colitis ulcerosa existiert, wobei ferner zu berücksichtigen ist, dass gemäß § 61 Satz 1 IfSG für die Anerkennung eines Gesundheitsschadens i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs genügt. Eine solche Wahrscheinlichkeit lässt sich selbst unter Zugrundelegung der von dem Sachverständigen Prof. Dr. F zitierten Miranda-Studie nicht annehmen. Bei rein statistischer Betrachtung hat sich im Rahmen dieser Studie zwar ein um maximal 18 % erhöhtes Risiko für die Induktion einer Colitis ulcerosa im Vergleich zu der nicht-geimpften Vergleichsgruppe ergeben. Die Autoren der Studie haben diese statistischen Aussagen jedoch nicht als Beleg für die These eines Kausalzusammenhangs zwischen Impfung und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen herangezogen, sondern sind vielmehr zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Ergebnisse der Tatsache geschuldet seien, dass die Stellung der Diagnose einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zeitaufwändig sein könne. Abgesehen davon haben sämtliche andere vom Sachverständigen Prof. Dr. F referierten Studien keinerlei Anhaltspunkte für einen ursächlichen Zusammenhang ergeben.
(6) Soweit die bei der Klägerin bestehende Colitis ulcerosa in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der dritten und letzten Impfung (09.04.2013) diagnostiziert wurde, führt auch dies für sich genommen nicht zur Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs. Hierfür spricht zum einen, dass aus einem zeitlichen Zusammenhang nicht ohne Weiteres auf einen ursächlichen Zusammenhang geschlossen werden kann. Zum anderen hat der Sachverständige Prof. Dr. F aufgrund der zeitlichen Koinzidenz einen kausalen Zusammenhang zwar nicht ausgeschlossen, andererseits jedoch zu bedenken gegeben, dass auch eine zufällige zeitliche Koinzidenz in Betracht komme.
cc) Soweit die Klägerin mit der Berufung geltend macht, eine Verursachung der bei ihr vorhandenen Colitis ulcerosa sei insbesondere auch vor dem Hintergrund der verwendeten Adjuvantien wie z.B. Aluminium hinreichend wahrscheinlich, greift dieser Ansatz nicht durch. Wie sich aus der den Beteiligten übermittelten und unter dem 04.06.2019 zum Gegenstand des Verfahrens gemachten "Sicherheitsbewertung von Aluminium in Impfstoffen" des Paul-Ehrlich-Instituts aus 03/2015 ergibt, konnten nach Auswertung verschiedener Studien und Berechnungen keine dem allgemeinen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechende Hinweise für eine aluminiumbedingte Toxizität von Impfungen gefunden werden. Hierzu führt das Paul-Ehrlich-Institut in der vorbezeichneten Sicherheitsbewertung als Fazit aus, dass sich aus klinischen Studien und der Spontanerfassung von Nebenwirkungen in Deutschland kein Signal für eine aluminiumbedingte Toxizität nach Impfungen ergebe. Kumulative Vergleichsberechnungen hätten gezeigt, dass die systemische Exposition durch die in Deutschland empfohlenen aluminiumhaltigen Impfungen in den ersten beiden Lebensjahren im Bereich der tolerierbaren Aufnahme durch die Nahrung liege. Der Beitrag von Impfungen zur geschätzten lebenslangen Nettoakkumulation von Aluminium im Organismus sei im Vergleich zur kontinuierlichen Aufnahme von Aluminium aus anderen Quellen gering und vor dem Hintergrund des Nutzens von Impfungen als vertretbar einzustufen. Es seien keine wissenschaftlichen Analysen bekannt, die eine Gefährdung von Kindern oder Erwachsenen durch Impfungen mit aluminiumhaltigen Adjuvantien zeigten.
b) Aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F lassen sich ebenfalls nicht die Voraussetzungen für die Gewährung einer sog. "Kann-Versorgung" im Sinne des § 61 Satz 2 IfSG ableiten. "Ungewissheit" im Sinne des § 61 Satz 2 IfSG bedeutet, dass es keine einheitliche, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei von der Beurteilung auf dem Boden des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft auszugehen ist (vgl. z.B. BayLSG, Urteil v. 06.12.2018 – L 20 VJ 3/17, juris Rn. 131 m.w.N. zur Rspr. des BSG). Die Existenz einer wissenschaftlichen Lehrmeinung, die einen Zusammenhang zwischen der Gabe des Impfstoffs Gardasil und dem Auftreten einer Colitis ulcerosa herstellt (vgl. bereits Hinweis der damaligen Vorsitzenden vom 29.03.2018), lässt sich jedoch auch unter Zugrundelegung der von Prof. Dr. F dargestellten Miranda-Studie nicht feststellen. Wie bereits oben dargelegt, haben die Autoren dieser Studie die dort genannten statistischen Auffälligkeiten nicht im Sinne eines – auch nur ansatzweise gegebenen – Kausalzusammenhangs interpretiert. Ebenso wenig ist nach den Ausführungen unter 2. b) cc) eine Kann-Versorgung unter dem Gesichtspunkt einer aluminiuminduzierten Erkrankung zu gewähren.
c) Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen bestand angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, sie halte ein weiteres immunologisches Gutachten für unerlässlich und als Sachverständigen Prof. Dr. X vorgeschlagen hat (Schriftsätze v. 02.05.2018 und 03.07.2019), handelt es sich hierbei lediglich um einen Beweisermittlungsantrag bzw. eine Beweisanregung (vgl. z.B. BSG, Beschluss v. 28.09.2015 – B 9 SB 41/15 B Rn. 6; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160a Rn. 18a m.w.N. aus der Rspr.). Das ergibt sich daraus, dass weder ein konkretes Beweisthema benannt noch das nach Einschätzung der Klägerin aus der Beweisaufnahme resultierende Beweisergebnis mitgeteilt wird. Der Senat musste sich nicht gedrängt sehen, der Beweisanregung nachzugehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
4. Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Erstellt am: 13.08.2019
Zuletzt verändert am: 13.08.2019