Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.05.2011 wird zurückgewiesen. Kosten der Kläger sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an den Kläger zu 1) für die Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010.
Der am 00.00.1983 geborene Kläger zu 1) ist insulinpflichtiger Diabetiker. Er ist mit der am 00.00.1982 geborenen Klägerin zu 2) verheiratet. Sie haben drei gemeinsame Kinder, den am 00.00.2003 geborenen Kläger zu 3), den am 00.00.2005 geborenen Kläger zu 4) und die am 00.00.2009 geborene Klägerin zu 5). Die Klägerin zu 2) bezog für die drei Kinder in der Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010 Kindergeld in Höhe von insgesamt 558,00 EUR (184,00 EUR + 184,00 EUR + 190,00 EUR). Die Bruttowarmmiete betrug in der Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010 697,98 EUR (Grundmiete 524,16 EUR + Betriebskostenvorauszahlung 115,02 EUR + 58,80 EUR Heizkostenvorauszahlung). Das Warmwasser wurde zentral über die Heizung erzeugt.
Seit dem 01.03.2008 beziehen die Kläger durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, zuletzt bewilligt bis zum 31.03.2010.
Durch Bescheid vom 24.03.2010 versagte der Beklagte die Gewährung von Leistungen ab dem 01.04.2010 unter Berufung auf § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Am 01.04.2010 ging ein nicht unterschriebenes Schreiben beim Beklagten ein, in dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.03.2010 erhoben wurde. Dieses Widerspruchsverfahren wurde mit dem Geschäftszeichen XXX erfasst. Mit Schreiben vom 13.05.2010, eingegangen per Telefax beim Beklagten am 13.05.2010, bestellte sich der Prozessbevollmächtigte als Bevollmächtigter für den Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) in diesem Widerspruchsverfahren. Er wiederholte im Auftrag der beiden Kläger die Widerspruchseinlegung und beantragte die sofortige Leistungsgewährung zur Abwendung einer akut bestehenden Notsituation der Bedarfsgemeinschaft. Er vertrat die Auffassung, dass der Bedarf des Klägers zu 1) sich auf 508,40 EUR belaufe, da bei ihm ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II zu berücksichtigen sei. Durch Widerspruchsbescheid vom 18.08.2010 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.03.2010 als unbegründet zurück und stellte fest, dass die gegebenenfalls entstandenen notwendigen Aufwendungen nicht erstattet werden.
Nach Vorlage von Unterlagen bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 11.05.2010 der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus den Klägern zu 1) bis 5), Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2010 in Höhe von 1.443,05 EUR mtl., für August 2010 in Höhe von 1.543,05 EUR sowie für die Zeit vom 01.09. bis 30.09.2010 in Höhe von 1.443,05 EUR. Er gewährte dem Kläger zu 1) Leistungen nach dem SGB II im Bewilligungszeitraum in Höhe von 457,80 EUR mtl., die sich aus einer Regelleistung von 323,00 EUR und anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung von 134,80 EUR zusammensetzten.
Am 18.05.2010 beantragten die Kläger, den Beklagten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu zahlen. Sie begehrten insbesondere die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II für eine kostenaufwändige Ernährung des Klägers zu 1). Sie stützten ihr Begehren auf ein Attest des praktischen Arztes L vom 07.07.2010, wonach beim Kläger zu 1) ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus besteht. Die intensivierte Insulintherapie erfordere mehrmals täglich Zuckermessungen und Insulingaben mit Auswirkungen auf die Arbeitszeit und Belastbarkeit. Eine entsprechende diabetesadaptierte Kost sei bis auf Weiteres wie bisher erforderlich. Durch Beschluss vom 28.06.2010 lehnte das Sozialgericht Köln, S 15 AS 2010/10 ER, den Antrag ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 20 AS 1217/10 B ER, blieb erfolglos (Beschluss vom 21.09.2010). Die gegen den Beschluss erhobene Anhörungsrüge, L 20 AS 1800/10 B ER RG, wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen als unbegründet zurück.
Der Beklagte fasste den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 07.06.2010 im Verfahren S 15 AS 210/10 ER, in dem dieser ausdrücklich einen Mehrbedarf des Klägers zu 1) für eine kostenaufwändige Ernährung wegen einer Diabeteserkrankung geltend machte, als Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.05.2010 auf.
Am 19.07.2010 nahm der Kläger zu 1) einen Meldetermin nicht wahr. Durch Bescheid vom 10.08.2010 senkte der Beklagte das Arbeitslosengeld II des Klägers zu 1) für die Zeit vom 01.09. bis 30.11.2010 monatlich um 10 vom Hundert der maßgebenden Regeleistung, nämlich um 32,30 EUR mtl., unter Berufung auf § 31 Abs. 2 und Abs. 6 SGB II ab. Der Kläger zu 1) sei ohne wichtigen Grund trotz Belehrung über die Rechtsfolgen zum Meldetermin nicht erschienen. Durch Änderungsbescheid vom 10.08.2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2010 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1.473,05 EUR mtl., für August 2010 in Höhe von 1.573,05 EUR sowie für September 2010 in Höhe von 1.440,75 EUR. Dem Kläger zu 1) gewährte er Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04. bis 31.08.2010 in Höhe von 457,80 EUR mtl. (Regelleistung 323,00 EUR + Kosten für Unterkunft und Heizung von 134,80 EUR) und für September 2009 in Höhe von 425,50 EUR (Regelleistung 290,70 EUR + Kosten für Unterkunft und Heizung von 134,80 EUR). Durch Widerspruchsbescheid vom 24.01.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 03.09.2010 haben die Kläger Klage gegen den Bescheid vom 24.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2010 erhoben. Mit Schreiben vom 01.12.2010 haben die Kläger schriftsätzlich beantragt, den geltend gemachten monatlichen Mehrbedarf gem. § 21 Abs. 5 SGB II in Höhe von mindestens 51,13 EUR an die Kläger zu zahlen und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Sie haben vorgetragen, dass der Kläger zu 1) aufgrund seiner Diabeteserkrankung eine Diabetesdiät einzuhalten habe. Er habe deshalb einen Anspruch auf Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II. Dies ergebe sich aus den Gutachten, die den Empfehlungen des Deutschen Vereins von 1997 zugrundegelegen hätten. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins von 2008 seien gegenüber den Empfehlungen des Deutschen Vereins von 1997 unwissenschaftlich und deshalb nicht überzeugend. Die Unwissenschaftlichkeit dieser Empfehlungen beruhe auf einer Reihe von unwahren Aussagen, die zur Grundlage der Empfehlungen gemacht worden seien. Die in den Empfehlungen von 2008 enthaltene Aussage, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die Existenz unterschiedlicher Kostformen generell als überholt ablehne und dies insbesondere für Diabetiker gelten solle, sei falsch. Die Zitierung des Aufsatzes von Toeller et al. als wissenschaftlicher Beleg dafür, dass bei Diabetes mellitus in der Wissenschaft angeblich kein von der Vollkost abweichender spezieller Ernährungsbedarf mehr gesehen werde, in der Empfehlung sei falsch. Die Aussage in der Empfehlung über einen Widerspruch der wissenschaftlichen Grundlagen des Rationalisierungsschemas von 2004 zu derjenigen des Rationalisierungsschemas von 1994 sei falsch. Die Unwissenschaftlichkeit beruhe des Weiteren auf einer Inkonsequenz bei der Beachtung der selbst gesetzten Vorgaben bzw. der gewonnenen Erkenntnisse. Die festgestellte Notwendigkeit der Integration der wirksamen Komponenten der Diätkostform in die Vollkost werde nicht umgesetzt. Diese Manipulation erfolge erkennbar mit dem Ziel der "Schönrechnung" mittels Wegfalls des Mehrbedarfs für die Einbindung der wirksamen Komponenten. Ebenso sei die Verwendung der DGE-Studie, deren angewandte Methoden unwissenschaftlich seien, unwissenschaftlich. Diese Studie missachte das selbst ermittelte Ergebnis, dass sich die notwendigen Ausgaben für eine vollwertige Ernährung auf durchschnittlich 87,00 EUR pro Person und Woche bestimmten, was monatlich 377,00 EUR entspreche, und ersetze es durch eine gegenläufige Unterstellung. Diese Unterstellung habe ohne wissenschaftlichen Nachweis zum Inhalt, dass 4,52 EUR für Nahrungsmittel und Getränke (einschließlich Tabakwaren) den Mindestaufwand für eine Vollkost deckten.
Bei dem Anspruch auf Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II handele es sich zwar um einen Individualanspruch des Klägers zu 1), diesen könne aber die Bedarfsgemeinschaft als Gläubigergemeinschaft insgesamt geltend machen.
Die Kläger haben beantragt,
1. den Widerspruchsbescheid der ARGE Bonn vom 18.08.2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Kläger zu erstatten und
2. den Bescheid der ARGE Bonn und des Beklagten vom 11.05.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10.08.2010, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger zu 1) Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung für die Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010 in Höhe von mindestens 51,13 EUR monatlich zu bewilligen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch Urteil vom 20.05.2011 hat das Sozialgericht Köln die Klage abgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 27.06.2011 zugestellte Urteil haben die Kläger am 18.07.2011 Berufung eingelegt.
Sie wiederholen im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren sei notwendig. Die Kostengrundentscheidung des Sozialgerichts sei fehlerhaft. Das Sozialgericht habe nicht beachtet, dass der Bescheid vom 11.05.2010 Teil des bereits bestehenden Widerspruchsverfahrens gewesen sei und es sich insoweit um einen Teil-Abhilfebescheid zu dem Versagungsbescheid handele.
Die Ausführungen des im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen seien nicht wissenschaftlich. Das Gutachten genüge nicht den Grundsätzen der Nachvollziehbarkeit und Transparenz. Diese Grundsätze erforderten, dass die diagnostischen Schlussfolgerungen für alle Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar dargestellt werden müssten, namentlich durch Benennung und Beschreibung der Anknüpfungs- und Befundtatsachen sowie der daraus gezogenen Schlüsse. Dem genüge das vorliegende Gutachten nicht ansatzweise. Der Sachverständige habe nicht deutlich gemacht, wie er beabsichtige, die übertragenen Fragen wissenschaftlich fundiert zu beantworten. Die allgemeinen Ausführungen auf Seiten 12 bis 15 des Gutachtens zum Körpergewicht von Diabetikern ließen keinen wissenschaftlichen Bezug zu den zu beantwortenden Beweisfragen oder den vorhergehenden Befundtatsachen erkennen. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins von 2008 setzten voraus, dass die Patienten ausführliche Kenntnisse über die Zusammensetzung und Wirkung der unterschiedlichen Nahrungsmittel auf das Glukoseverhalten hätten. Dieses Postulat der Empfehlungen von 2008 konstatiere auch die Deutsche Diabetesgesellschaft. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Empfehlungen des Deutschen Vereins von 1997 zu denen von 2008 in Bezug auf den ernährungsbedingten Mehrbedarf von Diabetikern bestehe nun darin, dass die Empfehlungen von 1997 dem Umstand Rechnung trügen, dass die Betroffenen diese Zusammenhänge regelmäßig nicht verstünden und dass diesem Defizit durch die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Diabetikerprodukte Rechnung zu tragen sei. Die Tatsache, dass bei durchschnittlichen Patienten unter Anwendung einer rationalen Denkweise solche ausführlichen lebensmittelchemischen Kenntnisse nicht erwarten werden könnten, sei einer der Gründe, warum diätische Lebensmittel für Diabetiker als wissenschaftlich anerkannte Nahrungskomponenten für Diabetiker zu berücksichtigen seien. Die Verwendung von Diabetikerprodukten erleichtere die Diätführung von Diabetikern nachhaltig dadurch, dass die Notwendigkeit der genannten "ausführlichen Spezialkenntnisse" entfalle. Dies habe der Sachverständige bei seinen Feststellungen nicht beachtet.
Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
1. das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.05.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den geltend gemachten monatlichen Mehrbedarf gem. § 21 Abs. 5 SGB II in Höhe von mindestens 51,13 EUR an die Kläger zu zahlen und
2. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren notwendig war und
3. dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Vertreterin des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung am 14.05.2012, den Bescheid vom 11.05.2010 und den Bescheid vom 10.08.2010, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2011, dahingehend geändert, dass dem Kläger zu 1) für die Zeit vom 01.04. bis 31.08.2010 monatlich Leistungen in Höhe von 458,00 EUR und für September 2009 in Höhe von 426,00 EUR bewilligt werden.
Der Senat hat einen Befundbericht des praktischen Arztes L vom 29.12.2011 eingeholt. Er hat den Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Verkehrsmedizin, medizinische Begutachtung und psychosomatische Grundversorgung Dr. P mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens vom 15.02.2012 und der ergänzenden Stellungnahme vom 06.03.2012 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und Verwaltungsakten und der beigezogenen Akten des Sozialgerichts Köln S 15 AS 2010/10 ER Bezug genommen, deren Inhalt wesentlicher Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit der Kläger und ihres Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden (§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Der Bevollmächtigte ist mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Das persönliche Erscheinen des Klägers zu 1), der hinreichend Gelegenheit hatte, sich schriftsätzlich zu äußern, war auch nicht zum Zweck einer weiteren Sachverhaltsaufklärung angeordnet worden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig (vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 99/10 R = juris Rn 11). Nach § 76 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten.
Gegenstand des Berufungsverfahren sind die Bescheide vom 11.05.2010 und 10.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 24.01.2011 und des Änderungsbescheides vom 14.05.2012, soweit in ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt an den Kläger zu 1) für die Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010 bewilligt worden ist. Durch den Bescheid vom 11.05.2010, ersetzt durch den Bescheid vom 10.08.2010 nach § 86 SGG, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 24.01.2011 hat der Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010 bewilligt und damit konkludent für den Bewilligungszeitraum die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II an den Kläger zu 1) abgelehnt. Durch den in der mündlichen Verhandlung am 14.04.2012 erlassenen Änderungsbescheid, der nach § 96 SGG Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden ist, hat der Beklagte dem Kläger zu 1) Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04. bis 31.08.2010 in Höhe von mtl. 458,00 EUR und für September 2009 in Höhe von 426,00 EUR bewilligt.
Ausweislich des Klageantrags und des schriftsätzlich gestellten Berufungsantrags haben die Kläger ihr Begehren auf die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs des Klägers zu 1) nach § 21 Abs. 5 SGB II in Höhe von mindesten 51,13 EUR beschränkt. Dieses Begehren ist dahingehend auszulegen, dass die Kläger die Gewährung von höheren Leistungen an den Kläger zu 1) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II begehren. Denn die Höhe der Individualansprüche der Kläger zu 2) bis zu 5) nach dem SGB II als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft werden durch eine Erhöhung des Individualanspruchs des Klägers zu 1) um einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II nicht tangiert, da im streitbefangenen Zeitraum kein Einkommen nach der horizontalen Berechnungsmethode i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB II auf die Bedarfe der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt worden ist. Damit ist Streitgegenstand des Verfahrens ausschließlich der Individualanspruch des Klägers zu 1) auf höhere Leistungen nach dem SGB II. Diese Beschränkung des Streitgegenstandes ist zulässig, da es sich bei dem Leistungsanspruchs des Klägers zu 1) in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 SGB II um einen Individualanspruch (vgl. hierzu BSG Urteil vom 18.06.2008 – B 14 AS 55/07 R = Rn 28 m.w.N.) und damit um einen abtrennbaren Streitgegenstand handelt. Eine Beschränkung der Streitgegenstandes auf die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II ist nicht möglich, da es bei der Gewährung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II nicht um einen abtrennbaren Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II geht (vgl. BSG Urteil vom 22.11.2011 – B 4 AS 138/10 = juris Rn 12).
Soweit die Kläger erstinstanzlich im Wege der objektiven Klagehäufung neben dem Antrag auf Verurteilung des Beklagen zur Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II an den Kläger zu 1) den Antrag gestellt haben, den Beklagten zur Übernahme der Kosten des isolierten Widerspruchsverfahrens gegen den Versagensbescheid vom 18.02.2010 nach § 63 SGB X zu verpflichten, verfolgen die anwaltlich vertretenen Kläger dieses Begehren im Berufungsverfahren nicht weiter. Der Berufungsschrift ist nicht zu entnehmen, dass sich die Kläger gegen die ablehnende Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 18.08.2010 wenden.
Das Sozialgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen.
Die Klagen der Kläger zu 2) bis zu 5) sind unzulässig (1.). Die Klage des Klägers zu 1) ist unbegründet (2.).
1. Die Klagen der Kläger zu 2) bis zu 5), gerichtet auf die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II an den Kläger zu 1), sind unzulässig.
Die Kläger zu 2) bis zu 5) bilden zwar mit dem Kläger zu 1) eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3a, 4 SGB II. Jedoch sind sie als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Hinblick auf die Ansprüche anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht prozessführungsbefugt. Es besteht keine gesetzliche Prozessstandschaft. Auch in der Bedarfsgemeinschaft bleiben die Ansprüche der einzelnen Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft deren Individualansprüche (vgl. BSG Urteil vom 18.06.2008 – B 14 As 55/07 R = Rn 28 m.w.N.). Anspruchsinhaber ist die einzelne Person und nicht die Bedarfsgemeinschaft als Rechtssubjekt. Das einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft kann nicht mit einer eigenen Klage die Ansprüche aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bzw. Ansprüche eines anderen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft verfolgen (vgl. BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R = juris Rn 13).
2. Die Klage des Klägers zu 1) ist unbegründet.
Der Kläger zu 1) ist nicht beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Dem Kläger zu 1) steht gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II als bewilligt für die Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010 zu.
Der Kläger zu 1) hat im Bewilligungszeitraum die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3 SGB II insofern dem Grunde nach erfüllt, als er in diesem Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und das 67. Lebensjahr (§ 7a SGB II) noch nicht vollendet sowie seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik gehabt hat und erwerbsfähig i.S.v. § 8 SGB II gewesen ist. Mit der Klägerin zu 2) hat der Kläger zu 1) im Bewilligungszeitraum eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II gebildet. Er ist hilfebedürftig i.S.v. § 7 Abs.1 Satz 1 Nr. 4, 9 SGB II gewesen, da er und die Klägerin zu 2) im Bewilligungszeitraum weder zurechenbares Einkommen erzielt noch über Vermögen verfügt haben. Das bezogene Kindergeld ist als Einkommen der Kläger zu 3) bis zu 5) nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II zu berücksichtigen gewesen, da es zur Deckung des Lebensunterhalts bei dem jeweiligen Kind benötigt worden ist.
a.
Für die Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010 hat der Beklagte dem Kläger zu 1) die in § 20 Abs. 3 SGB II vorgesehene Regelleistung für volljährige Partner in voller Höhe gewährt. Die Höhe der für den Kläger zu 1) anzusetzende Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts ergibt sich aus den Bestimmungen des § 20 Abs. 3 SGB II, wonach die Regelleistung für volljährige Partner ab dem 01.07.2009 323,00 EUR mtl. beträgt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung, u.a. die des § 20 Abs. 3 SGB II, mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Daraus folgt aber nicht, dass einem Hilfebedürftigen ein höherer Anspruch auf Leistungen für einen zurückliegenden Zeitraum – wie im vorliegenden Fall – zusteht. Vielmehr gilt die Vorschrift des § 20 Abs. 3 SGB II in der jeweils anzuwendenden Fassung bis zum 31.12.2010 fort. Der Gesetzgeber ist nur verpflichtet worden, die Regelleistung für die Zukunft neu festzusetzen (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 = nach juris Rn 210 ff; Beschluss vom 18.02.2010 – 1 BvR 1523/08 -, Beschluss vom 24.03.2010 – 1 BvR 395/09 -; BSG Urteil vom 17.10.2010 – B 14 As 17/10 R = nach juris Rn 16).
b.
Der Beklagte hat dem Kläger zu 1) die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung nach Abzug der Warmwasserpauschale von insgesamt 23,93 EUR (697,98 – 23,93 EUR = 674,05 EUR: 5 = 134,81 EUR) entsprechend der Aufteilung nach dem Kopfteilprinzip, nämlich 134,80 EUR, gewährt.
c.
Die Gewährung von zusätzlichen monetären Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts neben der Regelleistung i.S.v. § 20 Abs. 1 SGB II, soweit sie nicht von den Vorschriften der §§ 21, 23 Abs. 3 SGB II i.d.F bis zum 31.12.2010 (a. F) oder durch die ab dem 09.02.2010 geltende Härtefallregelung (vgl. BVerfG Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 – und Beschluss vom 24.03.2010 – 1 BvR 395/09 = nach juris Rn 8) erfasst werden, ist nach §§ 3 Abs. 3 Satz 2, 23 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. ausgeschlossen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Gewährung von zusätzlichen monetäre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts neben dem Regelsatz nach § 20 SGB II, den Mehrbedarfen nach § 21 SGB II, den nach § 23 Abs. 3 SGB II a. F. gewährten einmaligen Leistungen sowie den Leistungen nach der Härtefallregelung nicht denkbar (Urteile vom 10.05.2011 – B 4 AS 11/10 R = juris Rn 30; vom 19.09.2010 – B 14 AS 47/09 R = juris 11; vom 28.10.2009 – B 14 AS 44/08 R = juris Rn 17f und vom 18.06.2008 – B 14 AS 22/07 R = juris Rn 24). Nach dem Regelungskonzept des SGB II sind die in § 20 Abs. 1 SGB II genannten Bedarfe mittels der Regelleistung nach § 20 SGB II, der Mehrbedarfe nach § 21 SGB II und der einmaligen Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB II a. F. abschließend und pauschalierend gedeckt.
Die monatlichen Leistungen sind nicht um einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II zu erhöhen. Nach dieser Norm erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist.
Zur Überzeugung des Senats besteht beim Kläger zu 1) im Bewilligungszeitraum kein erhöhter Bedarf aus medizinischen Gründen. Es liegen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, die eine von der Vollkost abweichende, besondere Ernährung erfordern. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. P besteht beim Kläger ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus und ein Körperübergewicht. Diese bedürfen keiner besonderen Ernährungsform. Die in dem Rationalisierungsschema der Deutschen Gesellschaft für Ernährung aus 2004, dem sog. Rationalisierungsschema, definierte (normale) Vollkosten für die allgemeine Bevölkerung ist für die Deckung des Ernährungsbedarfs des Klägers zu 1) ausreichend. Bei der im Rationalisierungsschema definierten Vollkost handelt es sich nicht um eine Krankenkost, auf die Vorschrift des § 21 Abs. 5 SGB II abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (BSG Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R = juris Rn 25).
Der Senat sieht keinen Anlass an der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen Dr. P zu zweifeln. Das Gutachten ist in sich widerspruchsfrei, nachvollziehbar und schlüssig begründet. Es beruht auf einer kritischen Auswertung des Akteninhalts sowie einer eingehenden Untersuchung und Befragung des Klägers am 13.02.2012. Die Feststellungen des Sachverständigen stehen auch nicht im Widerspruch zu den im Verfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen. Ebenso wie der Sachverständige Dr. P beschreibt der Hausarzt L beim Kläger zu 1) einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus und ein Körperübergewicht. Der behandelnde Arzt L hat in dem Attest vom 07.07.2010 zwar ausgeführt, "eine diabetesadaptierte Kost sei "bis auf weiteres, wie bisher" erforderlich. Es ergeben sich aber weder aus diesem Attest noch aus dem vom Senat angeforderten Befundbericht Anhaltspunkte, dass die im Attest beschriebene Kost von der im Rationalisierungsschema definierten Vollkost abweicht. Dr. P hat nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass – aufgrund eines Paradigmenwechsel in der Ernährungswissenschaft, der auf einen erheblichen Fortschritt im Verständnis der biochemischen Abläufe des Diabetes mellitus, vor allem der Bedeutung der Adipositas für den Zuckerstoffwechsel – die Gewichtsreduktion bzw. Gewichtsnormalisierung eine zentrale Rolle in der Diabetes-Einstellung spielt. Die Gewichtsnormalisierung in Verbindung mit einer an die BE-Aufnahme gekoppelte Insulingabe steht im Vordergrund der Therapie. Die Therapie des Körperübergewichts ist aus ernährungsmedizinscher Sicht am sichersten und langfristig am erfolgreichsten, wenn eine mäßig kalorienreduzierte Ernährungsform gewählt wird, wobei eine Reduzierung der Gesamtfett-Zufuhr und eine weitgehende Reduktion von zuckerhaltigen Produkten mit weitgehendem Verzicht auf Alkohol im Vordergrund steht. Diesen Anforderungen entspricht die im Rationalisierungsschema definierte Vollkost. Eine spezielle Kost, welche Mehrkosten gegenüber der normalen Vollkost hervorruft, ist für den Diabetes mellitus Typ I mit intensivierter Insulintherapie nicht erforderlich, Aus ernährungstherapeutischer Sicht ist bei einer intensivierten Insulintherapie vielmehr entscheidend, kurzwirksame Kohlenhydrate, wie etwa Süßspeisen, süße Getränke oder vergleichbare Getränke, möglichst zu meiden. Andere Nahrungsmittel, welche langwirksame Kohlehydrate enthalten, aber auch Nahrungsmittel mit anderen Makronährstoffen (Fette, Eiweiße) unterliegen bei einer intensivierten Insulintherapie keiner Einschränkung. Die Fähigkeit, den BE-Gehalt von Nahrungsmitteln abzuschätzen, für die Bemessung der Insulindosis von Bedeutung ist, gehört zum Standardrepertoire von Diabetikerschulungen für insulinpflichtige Diabetiker.
Die Ausführungen des Sachverständigen stimmen überein mit den vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen aus Oktober 2008 (im Folgenden: Mehrbedarfsempfehlungen 2008), die als Orientierungshilfe für Beurteilung des Vorliegens eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II heranzuziehen sind (BSG Urteil vom 10.05.2011 B 4 AS 100/10 R = juris Rn 16f und vom 22.11.2011 – B 4 AS 138/10 R = juris Rn 23). Aus den Feststellungen des Sachverständigen ergeben sich im konkreten Fall keine Abweichungen von den Mehrbedarfsempfehlungen 2008. Der Kläger zu 1) betreibt eine intensivierte Insulintherapie. Nach den Feststellungen von Dr. P ist seine Fähigkeit, den BE-Gehalt von Lebensmitteln abzuschätzen, die Voraussetzung für die Durchführung einer intensivierten Insulintherapie ist, nicht aus medizinischen Gründen beeinträchtigt und beherrscht der Kläger zu 1) auch diese Fähigkeit.
Der Kläger zu 1) kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu den Lebensmittekosten bei einer vollwertigen Ernährung von April 2008, auf die die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 Bezug nehmen, sei unwissenschaftlich und eine Vollkost könne nicht aus der Regelleistung finanziert werden. Denn § 21 Abs. 5 SGB II stellt keinen Auffangtatbestand dar (BSG Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R = juris Rn 26). Die Vollkost ist aus der Regelleistung zu bestreiten.
d.
Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 1 – 4 SGB II, nach der durch die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1 /09 – geschaffenen Härtefallregelung oder nach der am 03.06.2010 in Kraft getretenen Regelung des § 21 Abs.6 SGB II sowie eines Sonderbedarfs nach § 23 Abs. 3 SGB II i.d.F. a.F. haben im Bewilligungszeitraum auch nicht vorgelegen. Es sind nach Aktenlage keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 1 – 4 und Abs. 6 SGB II bzw. eines Härtefalls oder eines Sonderbedarfs nach § 23 Abs. 3 SGB II a.F. ersichtlich. Das Vorliegen solcher Bedarfe ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers zu 1). Ebenso hat beim Kläger zu 1) im streitigen Zeitraum keine atypische Bedarfslage bestanden (vgl. zu den Ansprüchen bei atypischen Bedarfslagen: BSG Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 13/10 R). Weder nach Aktenlage noch aus dem Vortrag des Klägers zu 1) ergeben sich Hinweise auf eine solche Bedarfslage.
e.
Der Beklagte hat zutreffend in dem Bescheid vom 10.08.2010 das Arbeitslosengeld II des Klägers zu 1) für die Zeit vom 01.09. bis 30.09.2010 um 32,30 EUR mtl. wegen eines Meldeversäumnisses am 19.07.2010 i.S.v. § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.d.F. bis zum 31.03.2011 (a. F.) abgesenkt. Der Kläger zu 1) hat den Meldetermin am 19.07.2010 nicht wahrgenommen. Ein wichtiger Grund für die Nichtwahrnehmung dieses Meldetermins ist nach Aktenlage nicht ersichtlich und hat der Kläger zu 1) bislang auch im Gerichtsverfahren nicht vorgetragen. Der Kläger zu 1) ist in der Meldeaufforderung über die Folgen eines Meldeversäumnisses ordnungsgemäß belehrt worden. Mithin ist der Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F. erfüllt gewesen, so dass der Beklagte berechtigt gewesen ist, das Arbeitslosengeld II um 10 vom Hundert, also um 32,30EUR mtl., für die Dauer von drei Monaten, beginnend ab dem 01.09.2010, abzusenken.
Damit beläuft sich der Anspruch des Klägers zu1) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.04. bis 31.08.2010 auf insgesamt 457,50 EUR (323,00 EUR + 134,80 EUR), gerundet nach § 41 Abs. 2 SGB II i.d.F. bis zum 31.03.2011 458,00 EUR (vgl. zur Anwendbarkeit des § 41 Abs. 2 SGB II auf den Individualanspruch eines Mitgliedes einer Bedarfsgemeinschaft: BSG, Urteil vom 19.03.2008 – B 11b AS 7/06 R = juris Rn 13), und für September 2010 auf 425,50 EUR (290,70 EUR + 134,80 EUR), gerundet 426,00 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Bei der Ausübung des sachgemäßen Ermessens sind alle Umstände des Einzelfalls sowie Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen. Maßgebend ist in erster Linie der Verfahrensausgang (BSG – Beschlüsse vom 01.04.2010 – B 13 R 233/09 B – und vom 16.05.2007 – B 7b AS 40/06 R). In der Regel ist es billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt. Im Hinblick auf den Ausgang des Verfahrens hat der Beklagte – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeurteilt hat – die Kosten der Kläger weder im Gerichtsverfahren noch im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 11.05.2010 zu übernehmen.
Die Auffassung der Kläger, sie hätten im Widerspruchsverfahren teilweise obsiegt, weil durch den Bewilligungsbescheid vom 11.05.2010 der Versagensbescheid vom 24.03.2010 nach § 86 SGG ersetzt und damit ihrem Widerspruch gegen den Versagensbescheid von 24.03.2010 stattgegeben worden sei, ist nicht zutreffend. Gegenstand des Widerspruchsverfahren, über dessen Kosten im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 193 SGG mitzuentscheiden ist (zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Widerspruchsverfahrens, dem sich ein Gerichtsverfahren angeschlossen hat: vgl. BSG Beschluss vom 24.08.1976 12/1 RA 105/75 = SozR 1500 § 193 Nr. 2; Urteil vom 20.4.1983 – 5a RKn 1/82 = BSGE 55, 92, Urteil v. 20.10.2010 – B 13 R 15/10 R -) ist nicht der Versagensbescheid vom 24.03.2010, sondern ausschließlich die Bescheide vom 11.05.2010 und vom 10.08.2010 gewesen.
Bei dem Bewilligungsbescheid vom 11.05.2010 handelt es sich nicht um einen Bescheid, der den Versagensbescheid vom 24.03.2010 nach § 86 SGG abgeändert hat, und damit nicht um einen Abhilfebescheid i.S.v. § 85 Abs. 1 SGG (a. A. LSG NRW Beschluss vom 21.09.2010 – L 20 AS 1217/10 B ER,- ohne nähere Begründung; vgl. auch LSG NRW Beschluss vom 06.08.2008 – L 19 B 94/08 AS – zur Anwendung des Vorschrift des § 96 SGG bei einem Bescheid nach § 67 SGB I). Die Einbeziehung eines Verwaltungsaktes in ein Widerspruchsverfahren erfolgt nach § 86 SGG, wenn der neue Verwaltungsakt den mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsakt ändert. Ob eine Änderung vorliegt, richtet sich nach dem Regelungsgehalt des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides und dem des neuen Bescheides. Der neue Verwaltungsakt muss zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses ergangen sein und sich in seinen Wirkungen mit dem angefochtenen Verwaltungsakt überschneiden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 86 Rn 3 m.w.N.).
Regelungsgegenstand des auf § 66 SGB I gestützten Versagensbescheides vom 24.03.2010 ist nicht der materielle Leistungsanspruch der Kläger nach dem SGB II gewesen, sondern der Umfang der Rechte und Pflichten der Kläger im Verwaltungsverfahren und die auf eine Verletzung dieser Pflichten gestützte Versagung der Leistung (vgl. hierzu LSG NRW Urteil vom 23.03.2011 – L 12 SO 592/10 – m.w.N.). Demgegenüber regeln die Bewilligungsbescheide vom 11.05.2010 und vom 10.08.2010 den materiellen Leistungsanspruch der Kläger in der Zeit vom 01.04. bis 30.09.2010. Damit haben die Bescheide 24.03.2010 und vom 11.05.2010 nicht zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses gedient. Auch baut der Regelungsinhalt des Bewilligungsbescheides vom 11.05.2010 nicht auf der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Versagensbescheides vom 24.03.2010 auf, sondern beruht auf der Nachholung der von den Klägern geforderten Mitwirkungshandlungen. Die beiden Bescheide vom 24.03.2010 und vom 11.05.2010 stehen lediglich in einem Sachzusammenhang. Mithin handelt es sich bei den Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 24.03.2010 und vom 11.05.2010 um zwei selbständige, voneinander unabhängige Widerspruchsverfahren.
Da der Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 11.05.2010 nicht zu tragen hat, kann dahinstehen, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts in diesem Widerspruchsverfahren notwendig gewesen ist.
Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Erstellt am: 10.08.2012
Zuletzt verändert am: 10.08.2012