Die Klagen werden abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit beidseitigen Mammareduktionsplastiken.
Die im August 1962 geborene Klägerin beantragte unter dem 02. April 2013 befundgestützt die Kostenübernahme für beidseitige Mammareduktionsplastiken. Nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. vom 26. April 2013 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Verfügung vom 17. Mai 2013 ab. Den hiergegen mit Schreiben vom 06. September 2013 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte nach Einholung eines weiteren sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. vom 14. August 2013, das aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin gefertigt worden war, mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2013 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, nach den schlüssigen sozialmedizinischen Feststellungen liege eine behandlungsbedürftige Erkrankung an den Brüsten nicht vor. Hinsichtlich der geklagten Beschwerden sei eine fachärztliche Behandlung durch einen Gynäkologen und einen Orthopäden medizinisch ausreichend.
Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2013 – bei dem Sozialgericht Neuruppin am 18. Dezember 2013 eingegangen – hat die Klägerin bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Versorgung mit beidseitigen Mammareduktionsplastiken weiter verfolgt. Sie bringt im Wesentlichen vor, sie leide aufgrund ihrer großen Brüste an Rücken- und Schulterbeschwerden. Sie sehe sich auf Dauer deshalb nicht mehr in der Lage ihre Tätigkeit als Altenpflegerin ordnungsgemäß auszuüben. Die bislang bereits erfolgten physiotherapeutischen Behandlungen hätten nicht zur Linderung der Beschwerden geführt; Gleiches gelte für die von ihr absolvierten sportlichen Aktivitäten. Die Verkleinerung ihrer Brüste würde ihre Lebensqualität erheblich verbessern.
Die Klägerin beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),
die Beklagte unter Aufhebung der mit dem Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2013 verlautbarten ablehnenden Verfügung zu verurteilen, sie mit beidseitigen Mammareduktionsplastiken zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages verweist sie auf ihre Erwägungen im auch angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 20. November 2013. Ergänzend meint sie, die angestrebte Mammareduktionsplastik mit etwa 500 Gramm Resektionsgewicht pro Seite sei nicht geeignet, die orthopädischen Beschwerden bei den multiplen orthopädischen Erkrankungen der Klägerin positiv zu beeinflussen. Auch bestehe bei der Klägerin eine behandlungsbedürftige Adipositas, weshalb nicht nachvollziehbar sei, dass eine Mammareduktionsplastik in dem begehrten Umfang eine größere statische Entlastung bringen könne als ein Abbau des Übergewichts.
Nach dem zum 01. Juli 2020 erfolgten Wechsel in der Kammerzuständigkeit hat das Gericht die Beteiligten mit Verfügung vom 06. Juli 2020 und mit Verfügung vom 31. Juli 2020 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen, über die die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) – entgegen der Auffassung der Klägerin – durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten gemäß § 105 Abs 1 S 2 SGG zuvor mit gerichtlicher Verfügung vom 06. Juli 2020 und mit gerichtlicher Verfügung vom 31. Juli 2020 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem vorherigen umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23), haben keinen Erfolg.
1. Das – auf Aufhebung der mit dem Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2023 verlautbarten ablehnenden Verfügung und auf Verurteilung der Beklagten zur Versorgung der Klägerin mit beidseitigen Mammareduktionsplastiken gerichtete – Begehren ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft (vgl § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG sowie § 54 Abs 4 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
2. Die zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet.
a) Die Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG ist unbegründet, weil die angegriffene Verfügung rechtmäßig ist und die Klägerin durch sie nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert ist (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG).
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin beanspruchte Sachleistung ist § 11 Abs 1 Nr 4 SGB V iVm § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V). Nach § 39 Abs 1 SGB V wird die Krankenhausbehandlung vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§ 115a SGB V) sowie ambulant (§ 115b SGB V) erbracht.
aa) Die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung setzt dabei zunächst das Vorliegen einer Krankheit voraus. Hierbei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird, also ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand besteht, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht, oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 9/04 R, RdNr 13).
Daneben werden im Grundsatz auch mittelbar wirkende Therapien vom Leistungsanspruch erfasst, sofern sie ausreichend, wirksam und zweckmäßig sind und den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Wird allerdings im Rahmen einer mittelbar ansetzenden Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf es hierfür einer besonderen Rechtfertigung (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. November 2017 – L 1 KR 644/15, RdNr 29 mwzN).
bb) Dass im Bereich der Mammae der Klägerin ein regelwidriger Körperzustand im Sinne der vorbezeichneten Grundsätze gegeben ist, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Insoweit haben die bereits im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen überzeugend darauf hingewiesen, dass Anhaltspunkte dafür, dass die Brüste der Klägerin krankhaft vergrößert seien, fehlen und dass eine übermäßig vergrößerte Brust für sich genommen keinen krankhaften Befund darstellen. Jedenfalls aber ist für die Kammer insoweit entscheidend, dass Funktionsmängel der Mammae – etwa wegen fehlenden Drüsengewebes – nicht beschrieben worden sind.
cc) Darüber hinaus ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Erscheinungsbild der Klägerin aufgrund einer entstellenden Wirkung behandlungsbedürftig iSv § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist (vgl hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 35/15 R, RdNr 10 mwN), da die im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen unter Auswertung der Fotodokumentation einerseits und nach der durchgeführten ambulanten Untersuchung der Klägerin andererseits nicht beschrieben haben, dass die Brüste nicht durch alltägliche Konfektion ausreichend und unauffällig kaschiert werden können.
dd) Auch therapieresistente Hautveränderungen, die nur mit den Mitteln einer Mammareduktionsplastik geheilt oder gelindert werden könnten, liegen unter Berücksichtigung der Ausführungen der im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen nicht vor.
ee) Soweit bei der Klägerin chronische Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet vorliegen, ist zur Überzeugung der Kammer die von der Klägerin begehrte Versorgung mit Mammareduktionsplastiken nicht notwendig, um diese Erkrankungen zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder sie zu lindern. Von entscheidender Bedeutung ist hier allein, dass die beabsichtigte Operation nur mittelbar der Bekämpfung der auf orthopädischem Gebiet vorliegenden Erkrankungen dienen soll. Wie bereits dargestellt, können auch solche Maßnahmen notwendig und zweckmäßig im Sinne des § 12 Abs 1 SGB V sein, wenn sie gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen. Da es sich jedoch um einen Eingriff an einem funktionell intakten Organ handeln würde, bedarf es hierfür einer besonderen Rechtfertigung. Dabei sind Art und Schwere der Erkrankung, das Risiko und der Nutzen der Therapie gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen des Abwägungsvorgangs kann von Bedeutung sein, ob es sich bei der Operation um die ultima ratio handelt (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. November 2017 – L 1 KR 644/15, RdNr 34 mwN). Allerdings müssen auch derartige mittelbare Eingriffe – wie oben bereits dargestellt – dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zur Behandlung der beklagten Beschwerden entsprechen, weil sie ansonsten nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden darf. Im Gegensatz zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung besteht hinsichtlich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Rahmen der stationären Krankenhausbehandlung grundsätzlich eine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Das bedeutet aber lediglich, dass im stationären Bereich auf ein vorab durchzuführendes, zentralisiertes und generelles Prüfungsverfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss verzichtet wird. Gleichwohl müssen die anlässlich stationärer Krankenhausbehandlung angewandten Methoden dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, also dem Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 S 3 SGB V entsprechen (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. November 2017 – L 1 KR 644/15, RdNr 42 mwzN).
Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Insoweit geht die Kammer – auch weiterhin (vgl etwa Gerichtsbescheid vom 16. Juli 2020 – S 20 KR 41/20; Gerichtsbescheid vom 02. September 2019 – S 20 KR 73/17, Gerichtsbescheid vom 03. Juli 2019 – S 20 KR 158/18; Gerichtsbescheid vom 15. Mai 2019 – S 20 KR 197/11 sowie Gerichtsbescheid vom 16. April 2019 – S 20 KR 225/17) – davon aus, dass die Versorgung mit Mammareduktionsplastiken mit Blick auf die Heilung, die Verhütung einer Verschlimmerung oder die Linderung (vgl erneut § 11 Abs 1 Nr 4 SGB V iVm § 27 Abs 1 S 1 SGB V) von Wirbelsäulen- und Schulterbeschwerden nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und vor diesem Hintergrund auch im stationären Rahmen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden darf; eine valide und evidenzbasierte Studienlage, aus der sich ableiten ließe, dass dien Versorgung mit Mammareduktionsplastiken dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zur Behandlung von Wirbelsäulenbeschwerden entspricht, liegt nach wie vor nicht vor (vgl nur Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 09. Februar 2017 – L 1 KR 134/14, RdNr 22ff mwN sowie Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. November 2017 – L 1 KR 644/15, RdNr 43 mwN), worauf auch die im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen zutreffend hingewiesen haben. Abgesehen von dem auch für Kammer nachvollziehbaren Einwand der Beklagten, dass die Notwendigkeit des begehrten medizinischen Eingriffes auch deshalb nicht gegeben sei, weil die Klägerin unter massivem Übergewicht leide und deshalb die begehrte Resektion von lediglich 500 Gramm je Brust keinen nennenswerten Einfluss auf die beklagten Beschwerden der Klägerin haben könne, bleibt die gerichtsbekannte Tatsache zu betonen, dass die von der Klägerin beschriebenen Rückenbeschwerden auch häufig bei Männern und bei Frauen mit kleineren und kleinsten Brüsten beklagt werden und deshalb eine große Brust nicht von vornherein ursächlich für Beschwerden der Wirbelsäule sind und schließlich dass auch Frauen, die größere Brüste als die Klägerin haben, über keinerlei Rückenbeschwerden klagen. In dieses Bild fügt sich im Übrigen der im ersten sozialmedizinischen Gutachten enthaltene Hinweis ein, dass in der medizinischen Fachliteratur allein für Schulter-Nacken-Armschmerzen nicht weniger als 29 mögliche Ursachen aus unterschiedlichen medizinischen Fachgebieten aufgeführt würden und das Vorhandensein von großen Brüsten dabei nicht aufgeführt werde.
b) Wenn danach die Anfechtungsklage unbegründet ist, gilt Gleiches auch für die mit ihr kombinierte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG. Die Leistungsklage ist unbegründet, weil deren Erfolg aufgrund des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses eine zulässige und begründete Anfechtungsklage voraussetzt und weil die Klägerin – wie aufgezeigt – keinen Anspruch auf Versorgung mit Mammareduktionsplastiken hat.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten insgesamt einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Klägerin mit ihrem Begehren im Klageverfahren vollumfänglich unterlag.
4. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).
Rechtsmittelbelehrung
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Richter am Sozialgericht
Erstellt am: 13.08.2020
Zuletzt verändert am: 23.12.2024