Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der in Israel wohnhafte Kläger begehrt Entschädigung wegen Staatshaftung nach §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Er macht eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens S 20 R 1060/10 Sozialgericht (SG) Düsseldorf, nachfolgend L 4 R 436/14 Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen geltend.
In jenem Rechtsstreit erhob der Kläger am 27.04.2010 Klage, mit der er die Verzinsung einer ihm von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) gewährten Rentennachzahlung i.H.v. 81.255,71 EUR zu 4 % für die Zeit vom 01.10.1992 bis 30.04.2009 begehrte. Seine Klage begründete er nach Erinnerung durch das SG am 21.07.2010. Die Replik der beklagten DRV folgte am 28.07.2010, die Duplik des Klägers am 13.08.2010. Nach Gegenäußerung der Beklagten am 20.08.2010, es solle nun eine gerichtliche Entscheidung ergehen, bat das SG die Beklagte unter dem 23.09.2010 um eine Probeberechnung der Zinsen zwecks Prüfung des Streitwerts i.S.d. § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die am 13.10.2010 mit der Mitteilung erfolgte, dass sich ein vierstelliger Endbetrag ergebe. Diverse nachfolgende Anfragen des Klägers, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, beantwortete das SG sinngemäß dahingehend, dass zunächst ältere Rechtsstreitigkeiten zur Entscheidung anstünden. Am 24.05.2012 forderte das SG von der Deutschen Botschaft in Israel eine Lebensbescheinigung an. Am 01.06.2012 teilte der Kläger mit, dass von einer Überlänge des Verfahrens i.S.d. § 198 GVG auszugehen sei, aber derzeit keine Verzögerungsrüge erhoben, sondern um Stellungnahme gebeten werde. Das SG wies unter dem 11.06.2012 daraufhin, dass derzeit noch 76 Verfahren älter seien, und bat um Zustimmung der Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Am 19.06.2012 erhielt das SG von der Deutschen Botschaft die erbetene Lebensbescheinigung. Der Kläger stimmte einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung am 20.06.2012, die Beklagte am 21.06.2012 zu. Am 22.06.2012 verfügte das SG den Rechtsstreit zur Sitzung ohne mündliche Verhandlung. Am 14.11.2012 erhob der Kläger unter Hinweis auf § 198 GVG "Verspätungsrüge", weil noch immer kein Ende des Verfahrens abgesehen werden könne.
Am 16.08.2013 machte der Kläger beim LSG Nordrhein-Westfalen eine auf Zahlung einer Entschädigung i.S.d. §§ 198 ff. GVG gerichtete Klage anhängig. Die Akten des SG (S 20 R 1060/10) wurden vom LSG angefordert und vom SG für die Zeit vom 17.09.2013 bis 16.10.2013 übersandt. Am 04.12.2013 bat das SG die Beklagte um Übersendung einer Kopie des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2009, die es am 10.12.2013 erhielt. Mit Urteil vom 03.04.2014 wies das SG die Klage ab. Gegen das am 12.05.2014 zugestellte Urteil legte der Kläger am 28.05.2014 Berufung ein, die er nach Erinnerung durch das LSG am 27.08.2014 begründete. Die Beklagte erwiderte am 18.09.2014. Am 22.10.2014 bestimmte das LSG zur mündlichen Verhandlung am 12.12.2014. Der Termin wurde aus "gerichtsorganisatorischen Gründen" auf den 16.01.2015 verlegt und die Berufung mit am 02.02.2015 zugestelltem Urteil zurückgewiesen.
Zur Begründung seiner Entschädigungsklage trägt der Kläger vor: Die Schwierigkeit des Ausgangsverfahrens sei ebenso wie dessen Bedeutung für ihn im mittleren Bereich anzusiedeln. Die vom SG angeführte Überlastung sei für die Frage der unangemessenen Verzögerung unerheblich. Nach dem Hinweis der beklagten DRV in ihrem Schriftsatz vom 19.08.2010, es solle nun eine gerichtliche Entscheidung ergehen, könne unterstellt werden, dass das Ausgangsverfahren ab Herbst, jedenfalls ab Jahresende 2010 hätte entschieden werden können. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundesssozialgerichts (BSG) zu einer 12-monatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit sei das Ausgangsverfahren jedenfalls ab Juli 2011 unangemessen verzögert gewesen. Mitte Juli 2010 hätte das SG die Entscheidung vorbereiten können. Die Entscheidung sei jedoch erst am 03.04.2012 ergangen, so dass die Verzögerung den Zeitraum von Juli 2011 bis März 2014 erfasse. Der zu berücksichtigende Nachteil stelle sich zum einen als Vermögensanteil für sein Genugtuungsinteresse und zum anderen als finanzieller Nachteil für die Möglichkeit dar, über den ihm zustehenden Zinsbetrag in vierstelliger Höhe verfügen zu können. Bei einem Nichtvermögensnachteil betrage die Entschädigung 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung. Im Rahmen der Billigkeitsprüfung sei allerdings die Höhe der begehrten Zinsen zu berücksichtigen. Diese läge vermutlich unter dem Entschädigungsbetrag nach §§ 198 ff. GVG, was unbillig erscheine. Im Ergebnis werde eine Entschädigung, die mindestens 300,00 EUR je Jahr betrage, ins Ermessen des Gerichts gestellt, mithin ein Entschädigungsbetrag von insgesamt 800,00 EUR begehrt. Er habe unverzüglich Verzögerungsrüge erhoben und insbesondere nicht schuldhaft gezögert, sondern zunächst versucht, den erstinstanzlichen Richter ohne formelles Rügeverfahren zu einer baldigen Entscheidung zu bewegen, zumal dieser das auch mit Schreiben vom 30.03.3012 angekündigt habe. Am 30.05.2012 habe er auf die Möglichkeit einer Verzögerungsrüge hingewiesen, sei dann aber aufgrund der gerichtlichen Anfrage nach einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung davon ausgegangen, dass nunmehr umgehend eine Entscheidung getroffen werde.
Der Kläger beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, ihm wegen einer Verzögerung des Rechtsstreits Sozialgericht Düsseldorf – S 20 R 1060/10 – eine Entschädigung in Höhe von 800,00 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, die Anspruchsvoraussetzungen seien nicht erfüllt. Der Kläger habe am 14.11.2012 Verzögerungsrüge erhoben. Bis zu diesem Zeitpunkt sei keine Entschädigung zu gewähren, weil die Verzögerungsrüge nicht rechtzeitig i.S.d. Art. 23 Satz 2 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) erhoben worden sei. Der Ausgangsrechtsstreit sei am 03.12.2011, dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes bereits anhängig gewesen. Die Verzögerungsrüge habe der Kläger aber erst ca. ein Jahr später und damit nicht unverzüglich erhoben. Nach der Rechtsprechung sei der Entschädigungsanspruch damit bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt präkludiert. Nicht verkannt werde, dass das Verfahren seit der Verfügung "zur Sitzung" am 29.06.2012 (Anm. des Senats: tatsächlich bereits am 22.06.2012) überwiegend nicht gefördert worden sei. Angesichts einer zwölfmonatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit verbleibe aber nur ein entschädigungsrechtlich relevanter Zeitraum in allenfalls marginalem Umfang. Zu berücksichtigen sei, dass die Akten des SG vom 05.09.2013 (Anm. des Senats: Der Abvermerk stammt vom 17.09.2013 ebenso wie das an den Senat gerichtete Übersendungsschreiben des SG) bis zum 16.10.2013 an das LSG Nordrhein-Westfalen übersandt worden seien und in der Zeit vom 04. bis 11.12.2013 der Rentenbescheid angefordert und übersendet worden sei. Schließlich dürfte das mit einer deutlich unterdurchschnittlichen Dauer von nur neun Monaten geführte Berufungsverfahren die Verzögerung im Klageverfahren zum Teil wieder kompensiert haben. Die Gesamtverfahrensdauer stelle für den jetzt 86jährigen rechtsschutzsuchenden Kläger zwar eine Belastung dar; die Sicherstellung der wirtschaftlichen Existenz sei von dem Ausgangsrechtsstreit indes nicht abhängig gewesen.
Hinsichtlich des Sach- und Streistandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Streitakte S 20 R 1060/10 Bezug genommen. Diese war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
Für eine Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind § 198 Abs. 1 GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 03.12.2011 geltenden Fassung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl. I 2302), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I 2554), maßgebend.
Im Einzelnen:
1. Nach Art. 23 Satz 1 ÜGG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die – wie vorliegend – bei Inkrafttreten am 03.12.2011 bereits anhängig waren.
2. Für die Entscheidung über die Klage ist das LSG Nordrhein-Westfalen zuständig.
Nach § 200 Satz 1 GVG haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen das Land ist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche Verfahren ergänzt § 202 Satz 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198 – 201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der Zivilprozessordnung (ZPO) das SGG tritt.
Daraus folgt die Zuständigkeit des LSG Nordrhein-Westfalen; das streitgegenständliche Verfahren wurde im Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen geführt.
3. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft (BSG, Urteile vom 05.05.2015 – B 10 ÜG 5/14 R – und 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – ; Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 28.09.2015 – 13 D 116/14 – und 28.09.2015 – 13 D 117/14 – ;LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.12.2014 – L 10 SF 11/14 EK -; OVG Niedersachsen, Urteil vom 04.09.2014 – 21 F 1/13 -; LSG Bayern, Urteil vom 23.05.2014 – L 8 SF 49/13 EK -; OLG Braunschweig, Urteil vom 11.04.2014 – 6 SchH 1/13 -).
4. Die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG – frühestens sechs Monate nach Verzögerungsrüge – ist gewahrt. Die Verzögerungsrüge stammt vom 14.11.2012; Entschädigungsklage hat der Kläger am 16.08.2013 erhoben.
II.
Die Klage ist nicht begründet. Das Ausgangsverfahren hat im Ergebnis nicht unangemessen lang gedauert (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG).
1. Haftungsauslösend ist eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 200 Satz 1 SGG).
2. Haftungsgrund ist die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sowie Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12 -; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -) infolge Versagens des Landes Nordrhein-Westfalen in seiner Funktion als Justizgewährungsgarant und Haftungsschuldner (zum "Versagen" der verantwortlichen Garanten s. BVerfG, Beschlüsse vom 19.09.2007 – 2 BvR 1847/07 – und 29.11.2005 – 2 BVR 1737/05 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.09.2015 – 13 D 117/14 – ; Senat, Urteile vom 24.11.2015 – L 11 SF 215/15 EK R – und 15.04.2015 – L 11 SF 546/14 EK KR -; LSG Hessen, Urteil vom 06.02.2013 – L 6 SF 6/12 EK U -; Hinne, ZRP 2015, 201, 202). Auf die Frage, ob der zuständige Richter pflichtwidrig, rechtswidrig oder schuldhaft gehandelt hat, kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht an (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 19). Gleichermaßen unerheblich ist, ob sonstige Justizgewährungsgaranten wie Angehörige der Exekutive (Justizverwaltung, Landesregierung) oder der Landtag Nordrhein-Westfalen als zuständiges Legislativorgan es pflichtwidrig oder schuldhaft unterlassen haben, dem SG personelle Kapazitäten in einem Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK gerecht werdenden Umfang zuzuweisen. Rechtlich unerheblich ist demnach auch, inwieweit das für die gerichtsinterne Geschäftsverteilung zuständige Präsidium und die jeweilige Gerichtsleitung es pflichtwidrig versäumt haben, einen – wie hier – hoch belasteten oder überlasteten Spruchkörper zu entlasten. Haftungsauslösend ist das Unterlassen ("Versagen") als solches.
3. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG).
a) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG). Diese Voraussetzung ist nur für die Zeit ab 14.11.2012 erfüllt.
aa) Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG). Andernfalls werden diese Umstände von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Abs. 2 Satz 5 GVG).
Die Verzögerungsrüge hat eine Doppelnatur. Sie ist materielle Anspruchsvoraussetzung (Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BSG, Beschluss vom 27.06.2013 – B 10 ÜG 9/13 B -; LSG Thüringen, Urteil vom 26.11.2013 – L 3 SF 1135/12 EK -; LSG Bayern, Urteil vom 20.06.2013 – L 8 SF 134/12 EK -), kombiniert mit Elementen einer Prozesshandlung (BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; OVG Niedersachsen, Urteil vom 04.09.2014 – 21 F 1/13 -; vom Stein/Brand, NZS 2014, 113, 116; Horn, rv 2015, 148, 149). Ohne wirksame Verzögerungsrüge entsteht der Entschädigungsanspruch nicht (Senat, Beschluss vom 17.12.2014 – L 11 SF 832/14 EK AS PKH -).
bb) Eine diesen Anforderungen genügende Verzögerungsrüge hat der Kläger am 14.11.2012 erhoben. § 198 Abs. 3 Sätze 1 und 3 GVG regeln die gesetzlichen Anforderungen an den Inhalt der Verzögerungsrüge. Diese Anforderungen sind niedrig gefasst und orientieren sich daran, dass die Rüge keinen eigenständigen Rechtsbehelf, sondern nur eine Obliegenheit als Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch darstellt. Es ist keine ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung erforderlich; sie muss mit ihrem Inhalt zum Ausdruck bringen, dass der Betroffene mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist (Ott, in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 1. Auflage, 2013, § 198 GVG Rdn. 208 f.; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Indes kann auch nicht jegliche Bezugnahme auf die Verfahrensdauer oder jede Sachstandanfrage als Rüge i.S.d. § 193 Abs. 3 GVG angesehen werden (Senat, Urteil vom 09.07.2014 – L 11 SF 333/13 EK P -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.02.2015 – L 38 SF 66/14 EK AS -; LSG Bayern, Urteil vom 23.05.2014 – L 8 SF 49/13 EK -; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.11.2013 – L 11 SF 25/12 EK U -).
Dem genügt das Vorbringen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 12.11.2012. Dass er – wohl eher versehentlich – den Begriff "Verspätungsrüge" statt "Verzögerungsrüge" verwandt hat, ist unerheblich; er hat durch die Bezugnahme auf § 198 GVG und seine Hinweise, dass noch immer kein Ende des Verfahrens abgesehen werden könne, mehr als hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass das Verfahren seines Erachtens ohne Grund verzögert werde und er dies nicht länger hinnehmen wolle.
Es bestand im November 2012 auch begründeter Anlass für die von dem Kläger zum Ausdruck gebrachte Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Der Rechtsstreit war spätestens im Oktober 2010 – Stellungnahme der Beklagten zu der Höhe des Streitwertes – mit Ausnahme der eher unbedeutenden Zeit der Anforderung der Lebensbescheinigung für den Kläger – in Stillstand geraten.
cc) Zu berücksichtigen ist eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens aber nur für die Zeit ab 14.11.2012, dem Zeitpunkt des Eingangs der Verzögerungsrüge des Klägers vom 12.11.2012.
Nach Art. 23 ÜGG gilt für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 schon verzögert waren, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. Nur in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum. Wird eine Verzögerungsrüge i.S.d. § 23 ÜGG nicht unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben, entfällt die Zuerkennung einer Geldentschädigung für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜGG und besteht darüber hinaus ein Anspruch nach § 198 GVG auch für den Zeitraum nicht, der vom Inkrafttreten bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge verstrichen ist (BFH, Urteil vom 20.08.2014 – X K 9/13 -; BGH, Urteile vom 17.07.2014 – III ZR 228/13 – und 10.04.2014 – III ZR 335/13 -; BSG, Urteil vom 05.05.2015 – B 10 ÜG 8/14 R -).
Der Kläger hat mit seiner Rüge vom 14.11.2012 zumindest sinngemäß geltend gemacht, dass das Verfahren am 03.12.2011 schon verzögert war. Sein Vorbringen hat nicht ausnahmslos aktuellen Bezug, sondern nimmt konkret auf den Zeitpunkt der Klagebegründung vom 15.07.2010 Bezug, einen Zeitpunkt, den er auch später in etwa als maßgebend für die Berechnung der Zeit der Verzögerung ansieht.
dd) Diese Rüge war nicht "unverzüglich" i.S.d. Art. 23 ÜGG. Der unbestimmte Rechtsbegriff "unverzüglich" bedeutet nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) "ohne schuldhaftes Zögern" (Arnold, in Erman, BGB, 14. Auflage, 2014, § 121 Rdn. 3). Hierbei handelt es sich um eine Legaldefinition, die für das gesamte Privatrecht wie auch für das öffentliche Recht gilt (Arnold, in Erman, a.a.O., § 121 Rdn. 3). Die Gesetzesbegründung zum ÜGG legt es nahe, diese Bestimmung auch im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen (vgl. BT-Drucks 17/3802 S. 31). Damit gehört zum Begriff der Unverzüglichkeit ein nach den Umständen des Falles beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt. Demnach ist "unverzüglich" nicht gleichbedeutend mit "sofort". Vielmehr ist dem Verfahrensbeteiligten eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren muss (BSG, Beschluss vom 27.06.2013 – B 10 ÜG 9/13 B – m.w.N.). Bei der Bemessung der angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes zu beachten, durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird. Hinzu kommt, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 ÜGG). Davon ausgehend ist der Begriff "unverzüglich" in Art. 23 Satz 2 ÜGG weit zu verstehen; eine zu kurze, wirksamen Rechtsschutz in Frage stellende Frist wäre mit den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes nur schwer vereinbar. Der Senat hält deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -), des BGH (Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -) und des BSG (Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -) eine Drei-Monats-Frist für erforderlich, um den Anforderungen des Art. 13 EMRK zu entsprechen, aber auch für ausreichend, damit Betroffene in allen Fällen prüfen können, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist. Diese Frist hat der Kläger mit seiner am 14.11.2012 eingegangenen Verzögerungsrüge nicht eingehalten.
ee) Das Vorbringen des Klägers im Hinblick auf seine wiederholten Erinnerungen und seine damit verbundenen Erwartungen führt nicht weiter. Diese Erinnerungen stellen wie der Kläger auch selber mit seinem Vorbringen im Schriftsatz vom 30.05.2012 zum Ausdruck gebracht hat, keine Verzögerungsrügen dar. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, unverschuldet die Rügefrist des Art. 23 Satz 2 ÜGG nicht eingehalten zu haben. Bei der Frist des Art. 23 Satz 2 ÜGG handelt es sich um eine materiell-rechtlich wirkende Ausschlussfrist. Wegen der Fristversäumnis ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG bereits dem Grunde nach ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 05.05.2015 – B 10 ÜG 8/14 R -).
b) Die Dauer des Ausgangsverfahrens ist bei der gebotenen Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Nichteinhaltung der Fristen des Art. 23 Satz 2 ÜGG nicht als unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu bewerten. Das sozialgerichtliche Verfahren war zwar um drei Monate überlang; dies wird aber durch die kurze Dauer des anschließenden Berufungsverfahrens kompensiert.
aa) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Feste Zeitvorgaben sind mit § 198 GVG nicht vereinbar. Die Vorschrift verbietet es nachgerade, die Angemessenheit der Verfahrensdauer mit Hilfe von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit gerichtlicher Verfahren zu ermitteln, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme, Erfahrungswerten oder auf statistisch basierten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (Senat, Urteile vom 15.04.2015 – L 11 SF 546/14 EK KR -, 22.04.2015 – L 11 SF 667/14 EK R -, 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -; so auch BGH, Urteile vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 – und 05.12.2013 – II ZR 73/13 -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BVerwG, Urteile vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D – und 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2013 – L 37 SF 82/12 EK R -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2013 – 23 SchH 2/13 EntV -; LSG Thüringen, Urteile vom 18.06.2013 – L 3 SF 1149/12 EK -, 18.06.2013 – L 3 SF 1759/12 EK -, 18.06.2013 – L 3 SF 1147/12 EK -). Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, nach dem sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer "nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" richtet, folgt überdies aus der Gesetzesbegründung, der zufolge eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 18; abweichend BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -, wonach statistischen Daten eine Indizwirkung zukommen soll; abgrenzend hierzu BSG, Beschluss vom 16.12.2013 – B 10 ÜG 13/13 B -). Auch die als Auslegungshilfe mit Orientierungsfunktion heranzuziehende Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (hierzu BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 -) lässt nicht ansatzweise den Schluss zu, der Gerichtshof habe feste Vorgaben entwickelt. Das Gegenteil ist der Fall. Jeder Sachverhalt wird auf der Grundlage der immer wiederkehrenden Eingangsformel
"Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung folgender Kriterien zu beurteilen ist: Komplexität der Rechtssache, Verhalten des Beschwerdeführers sowie der zuständigen Behörden und Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer (siehe u.v.a. Frydlender./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 30979/96, Rdnr. 43, ECHR 2000-VII)."
einer individuellen Betrachtung unterzogen (z.B. EGMR, Urteil vom 04.09.2014 – 68919/10 – (Peter/Deutschland); Urteil vom 13.10.2011 – 37264/06 – (Mianowicz/Deutschland); Urteil vom 22.09.2011 – 28348/09 – (Otto/Deutschland); Urteil vom 21.07.2011 – 21965/09 – (Bellut/Deutschland); Urteil vom 07.06.2011 – 277/05 – (S.T.S./Niederlande)). Es gibt weder eine feste zeitliche Grenze noch hat der EGMR eine allgemeine Höchstdauer für Verfahren einer bestimmten Art definiert (vgl. Mayer-Ladewig, EMRK, 3. Auflage, 2011, Art 6. Rdn. 199; Meyer, in Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Auflage, 2015, Art. 6 Rdn. 76). So hat der EGMR eine Verfahrensdauer von zwölf Jahren und sieben Monaten durch mehrere Instanzen einschließlich des Kosten- und Vollstreckungsverfahrens unter Berücksichtigung der Komplexität der Sach- und Rechtslage und des Verhaltens des Beschwerdeführers als angemessen bewertet (EGMR, Urteil vom 04.02.2010 – 13791/06 – (Gromzig/Deutschland)). In Umsetzung der Rechtsprechung des EGMR benennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG deshalb nur beispielhaft ("insbesondere") solche Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (BT-Drucks. 17/3802, S. 18), nämlich die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
bb) Das beklagte Land Nordrhein-Westfalen als verantwortlicher Justizgewährungsträger und Haftungssubjekt ist zwar verpflichtet, die Justiz so zu organisieren und mit Personal und sächlichen Mitteln auszustatten, dass die Gerichte in der Lage sind, Rechtsschutz in einer den Vorgaben von Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entsprechender Weise inhaltlich richtig und zeitnah zu gewähren. Versäumt das Land, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen, haftet es nach den Maßgaben des § 198 Abs. 1 GVG für die dem jeweiligen Beteiligten entstandenen materiellen und/oder immateriellen Nachteile. Andererseits ist das Land nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 B 10 ÜG 2/14 R ; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Hingegen vermag eine hohe Belastung des zuständigen Gerichts eine lange Verfahrensdauer nicht zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.08.2010 – 1 BvR 331/10 -). Um einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen, haben Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber vielmehr die dafür erforderlichen – personellen wie sächlichen – Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73 -; Verfassungsgericht des Landes (LVerfG) Brandenburg, Urteil vom 17.12.2009 – VfGBbg 30/09 – und Beschluss vom 13.04.2012 – VfGBbg 54/11 – zu Art. 52 Abs. 4 der Landesverfassung). Dies lässt sich mit dem LVerfG Brandenburg (Beschluss vom 20.03.2003 – 108/02 -) wie folgt konkretisieren:
"Und Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber haben zu akzeptieren, dass die Personalausstattung der Gerichte die Einlösung des Grundrechts auf ein zügiges Verfahren vor Gericht ermöglichen muss und dass es sich dabei um einen staatlichen Auftrag handelt, der manchen anderen staatlichen Aufgaben eben deshalb vorgeht, weil ein Grundrecht in Frage steht; Grundrechte ‚binden‘ auch die Regierung und die Gesetzgebung (s. Art. 5 Abs. 1 LV im Einklang mit Art. 1 Abs. 2 Grundgesetz) und stehen damit nicht oder nur bedingt unter dem ‚Vorbehalt des Möglichen‘."
Für das Land Nordrhein-Westfalen als verantwortlicher Justizgewährungsgarant dafür, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des Landes in einer den verfassungs- und konventionsrechtlichen Vorgaben ausgestattet sind, gilt nichts anderes. Dem ist das beklagte Land nicht vollends gerecht geworden. Das erstinstanzliche Verfahren war infolge hoher Belastung des SG verzögert, gleichwohl ergibt sich kein Entschädigungsanspruch.
cc) Die Verfahrensdauer ist unangemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ("Gesamtabwägung") ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Verfahrensdauer muss insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt. Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BGH, Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -). Allerdings verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die gerichtliche Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschluss vom 20.09.2007 – 1 BvR 775/07 -; BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -)
dd) In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ergeben sich bei einer Verfahrensdauer, gerechnet ab Einleitung und endend mit Zustellung des Urteils (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG), von ca. 49 vor dem SG bzw. neun Monaten vor dem LSG ab 14.11.2012 (Verzögerungsrüge) im gesamten nachfolgenden Verfahren als sog. "inaktive Zeiten" nur die Zeit vom 15.11.2012 bis zum 02.04.2014 (Tag vor der mündlichen Verhandlung), die noch um die Zeiten der Aktenversendung vom 17.09.2013 (s. dazu Abvermerk und Übersendungsschreiben des SG) bis zum 16.10.2013 sowie die Zeit für die Anforderung und Übersendung des Rentenbescheides (vom 04. bis 11.12.2013) zu mindern ist, mithin gerundet eine Zeit von 15 Monaten.
ee) Die hieraus folgende grundsätzlich berücksichtigungsfähige Zeit von 15 Monaten Inaktivität ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Feststellung, dass die Verfahrensdauer entsprechend unangemessen lang war. Eine ggf. durch inaktive Zeiten bedingte statistische "Überlänge" hat keinen Bezug zur rechtserheblichen Fragestellung, ob das Ausgangsverfahren unangemessen gedauert hat (Senat, Urteile vom 15.04.2015 – L 11 SF 546/14 EK KR – und 22.04.2015 – L 11 SF 667/14 EK R -).
Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -; Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Gerichte sind überdies wegen des Verfassungsgrundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) berechtigt, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -). Inhaltliche Richtigkeit geht wegen Art. 20 Abs. 3 GG vor Schnelligkeit. Die gerichtliche Entscheidung ergeht idealerweise richtig und schnell. Immer aber muss sie richtig sein. Nimmt ein Richter infolge hoher Belastung oder Überlastung billigend in Kauf, zwar schnell, möglicherweise aber unrichtig zu entscheiden, verstößt er gegen die Vorgaben des Art. 20 Abs. 3 GG und ist infolge der durch Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK postulierten Anforderungen an die Qualität richterlicher Tätigkeit ggf. nicht mehr (gesetzlicher) Richter i.S.d. Art. 92 Satz 1 GG bzw. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG. Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind diesem daher gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.01.2015 – 4 EK 3/14 -), um dem Richtigkeitsgebot als dem wesentlichen Element des Justizgewährungsanspruchs Rechnung tragen zu können.
Unerheblich ist in diesem Kontext, ob das SG das Verfahren aus Sicht ex-post (hierzu BT-Drucks.17/3802, S. 18) optimal gefördert hat. Es ist nicht die Aufgabe des Entschädigungsgerichts, jede richterliche Verfahrenshandlung darauf zu überprüfen, ob und inwieweit sie sich ex-post als verfahrensfördernd oder -hemmend darstellt. Anspruchsauslösend sind vom Haftungssubjekt zu vertretenes Systemversagen und/oder strukturelle Defizite (zutreffend LSG Hessen, Urteil vom 06.02.2013 – L 6 SF 6/12 EK U -; hierzu auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.07.2014 – L 12 SF 47/13 EK U WA – zu strukturellen Defiziten der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern), nicht aber etwaige richterliche Pflichtwidrigkeiten (hierzu BT-Drucks. 17/3802, S. 19). Schon im Ansatz verfehlt sind daher Überlegungen danach, richterliche Verfahrensgestaltung auf "Vertretbarkeit" mit der Folge zu prüfen ist, dass eine nicht vertretbare Maßnahme entschädigungsrelevant ist. Abgesehen davon, dass sich insoweit eine Kollisionslage mit Art. 97 Abs. 1 GG und § 26 Deutsches Richtergesetz (DRiG) ergeben kann (hierzu mit Blick auf die Untätigkeitsbeschwerde Bäcker, EuGRZ 2011, 222, 224 und Kroppenberg, ZZP 119 (2006), 177, 196 f.; zum weiten richterlichen Gestaltungsspielraum siehe auch BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -), verkennen die eine schlichte Vertretbarkeitsprüfung präferierenden Entscheidungen (z.B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.12.2013 – 11 EK 4/13 (PKH) -; OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 – 4 EntV 3/13 -, nachgehend BGH, Urteil vom 10.02.2014 – III ZR 335/13 -) Sinn- und Zweck der §§ 198 ff. GVG. Im Gegensatz zum Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB knüpft der Entschädigungsanspruch des § 198 GVG nicht an Handlungs- sondern an Erfolgs"unrecht" an. Damit verbietet sich jede Prüfung richterlicher Verfahrensgestaltung dahin, ob sie (noch) vertretbar ist. Im Übrigen werden die vom BGH entwickelten Vertretbarkeitsmaßstäbe verkannt. Mitnichten prüft der BGH richterliche Verfahrenshandlungen auf "schlichte" Vertretbarkeit. Die vom BGH verwendete Formel lautet vielmehr:
"Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ( …). Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senatsurteile vom 4. November 2010 – III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 14; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f und vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13, juris Rn. 30)."
Diese qualifizierte Vertretbarkeitskontrolle ("nicht mehr verständlich") ist ein offenkundiges aliud zur gelegentlich vorausgesetzten, Sinn und Zweck des Entschädigungssystems der §§ 198 ff. GVG allerdings verkennenden schlichten Vertretbarkeitsprüfung (hierzu auch Senat, Urteile vom 15.04.2015 – L 11 SF 546/14 EK KR -, 22.04.2015 – L 11 SF 667/14 EK R -, 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -).
Auch Art. 97 Abs. 1 GG verlangt einen äußerst zurückhaltende Prüfung der Verfahrensgestaltung des Ausgangsgerichts. Losgelöst von der Frage, ob und inwieweit Entscheidungen des Entschädigungsgerichts die richterliche Unabhängigkeit des für das Ausgangsverfahren zuständigen Richters beeinträchtigen können, sind die Gewährleistungen des Art. 97 Abs. 1 GG und des Art. 19 Abs. 4 GG, letztere als Anspruch auf eine richtige Entscheidung in angemessener Zeit, in praktischer Konkordanz zu gewichten. Eine in richterlicher Unabhängigkeit getroffene und von Art. 97 Abs. 1 GG gedeckte zeitzehrende Maßnahme kann hiernach keinen Entschädigungsanspruch auslösen. Das wäre nicht nur ein Widerspruch in sich, wäre vielmehr nicht mehr von Art. 19 Abs. 4 GG gedeckt. Der Justizgewährungsanspruch greift nicht absolut und allumfassend. Er wird in seiner inhaltlichen Reichweite durch andere Verfassungssätze begrenzt. Hierzu rechnet die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit (zum Spannungsverhältnis von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 97 Abs. 1 GG s. BGH, Urteil vom 05.12.2013 – III ZR 73/13 -; vgl. auch BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 – BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -). Die §§ 198 GVG streben eine praktische Konkordanz zwischen effektivem Rechtsschutz, richterlicher Unabhängigkeit und Schutz der Justiz vor unnötigen Belastungen an (hierzu Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2010, 205; Roller, DRiZ-Beilage Juni 2012, 1, 2; zur Gemengelage der unterschiedlichen Interessen ausführlich die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 17/3802, S. 16 unter Gliederungspunkt 5.). Erst wenn das Gericht den Schutzbereich der richterlichen Unabhängigkeit verlässt, kann dies entschädigungsrelevant werden. Im Kernbereich der Rechtsprechung sind der Dienstaufsicht nach den Maßgaben der §§ 25, 25 Deutsches Richtergesetz (DRiG) lediglich offensichtliche, jedem Zweifel entrückte Fehlgriffe oder offensichtlich unvertretbare Entscheidungen zugänglich (BGH, Urteile vom 04.06.2009 – RiZ (R) 5/08 -, vom 14.04.1997 – RiZ (R) 1/96 -, vom 12.10.1995 – RiZ (R) 2/95 -). Das etwa ist dann der Fall, wenn der Richter eine abwegige, schlechterdings nicht mehr vertretbare und weder von der Rechtsprechung noch in der veröffentlichen Fachliteratur vertretene Rechtsauffassung seiner Entscheidung zugrunde legt (zum "offenkundigen Fehlgriff" s. BGH, Urteil vom 12.10.1995 – RiZ (R) 2/95 -; hierzu auch Dienstgericht Bremen, Beschluss vom 17.06.2005 – DG 1/04, DG 1/04 -; vertiefend zu Evidenzverstößen Hillgruber, in Maunz-Dürig, GG, 74. Lieferung, Mai 2015. Art. 97 Rdn. 83 ff.). Entschädigungsrelevant ist eine zeitzehrende Verfahrensgestaltung daher nur nur, wenn das Handeln oder Unterlassen des Gerichts nicht mehr von Art. 97 Abs. 1 GG gedeckt ist, es also offenkundig fehlsam oder offenkundig unvertretbar agiert.
Soweit das BSG im Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – über eine reine Vertretbarkeitsprüfung weit hinausgeht und die Beweisaufnahme des Ausgangsgerichts moniert (zutreffend krit. hierzu Stotz, jurisPR-SozR 10/2015 Anm. 1), erachtet der Senat dies aus vorgenannten Gründen als rechtlich nicht tragbar. Der Senat tritt stattdessen dem BGH bei, der im Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 – ausgeführt hat (vgl. auch LSG Bayern, Urteil vom 23.05.2014 – L 8 SF 22/12 EK -): "Zutreffend hat das OLG es abgelehnt, im Entschädigungsprozess die Erforderlichkeit der angeordneten Beweisaufnahme zu überprüfen." Hiernach verbleibt es dabei, dass nur ein "offenkundig fehlsames" oder "nicht mehr verständliches Verhalten" des Ausgangsgerichts entschädigungsrelevant sein kann.
Ein solches Verhalten hat der Kläger nicht aufgezeigt (zur Substantiierung des Klagevorbringens siehe auch OLG Köln, Urteil vom 21.03.2013 – 7 SchH 5/12 -); es liegt auch – offenkundig – nicht vor. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als vordringlich anzusehen, auch wenn ein solches "Vorziehen" einzelner Verfahren zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums nicht mehr verständlich ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor. Das BSG hat dies für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit dahin gehend konkretisiert, dass dem Ausgangsgericht bei Verfahren mit etwa durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten eingeräumt werden könne, so dass insoweit inaktive Zeiten unschädlich seien und nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer beitragen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden könnten (BSG, Urteile vom 05.05.2015 – B 10 ÜG 8/14 R -, 12.02.2015 – B 10 ÜG 7/14 R -, 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -, 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -).
Auch wenn die methodische Herleitung des vom BSG konstruierten Orientierungsrahmens nicht überzeugt (ansatzweise krit. hierzu Loytved, jM 2015, 167, 169 und Stotz, jurisPR-SozR 10/2015 Anm. 1; deutliche Kritik äußert Steinbeiß-Winkelmann, SGb 2015, 405, 406 ff.), folgt der Senat dem im Ergebnis aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit insoweit, als dies in eine abschließende Gesamtabwägung einzubringen ist.
ff) Hiernach ist bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen:
(1) Der Streitstoff des Ausgangsverfahrens war nicht umfangreich; das Vorbringen der Beteiligten beschränkte sich auf wenige Seiten.
(2) Das Ausgangsverfahren wies mittelgradige Schwierigkeiten auf; es bestand im Wesentlichen lediglich eine Rechtsfrage.
(3) Es stand kein eilbedürftiger, z.B. auf Existenzsicherung gerichteter Anspruch in Streit.
(4) Der Streitgegenstand war, wenn auch ein vierstelliger EUR-Betrag in Rede stand, in finanzieller Sicht von eingeschränkter Bedeutung.
Davon ausgehend besteht kein Anhaltspunkt dafür, von der Zeitspanne von zwölf Monaten abzuweichen. Der unter (1) aufgeführte Gesichtspunkt deutet zwar darauf hin, dass auch eine geringfügig unter zwölf Monaten liegende Vorbereitungs- und Bedenkzeit hinreichend sein könnte. Das kann jedoch dahinstehen, weil aufgrund der weiteren Kriterien zu (2) bis (4), insbesondere jener zu (3), eine Reduzierung der pauschalierten Vorbereitungs- und Bedenkzeit nicht angemessen wäre.
gg) Die sich danach errechnende sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des erstinstanzlichen Verfahrens im Umfang von drei Monaten ist im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung mit Blick auf das zügige Berufungsverfahren auf Null zu reduzieren, denn das LSG hat den Rechtsstreit innerhalb des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums sehr zeitnah erledigt.
Materiell-rechtlicher Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist angesichts der Legaldefinition in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG das gesamte Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, beginnend mit dessen Einleitung und endend mit dessen rechtskräftigem Abschluss.
Gegenstand des jeweiligen Ausgangsverfahrens ist ein vom Kläger geltend gemachter prozessualer Anspruch. Über diesen wird im Fall der Einlegung von Rechtsmitteln nicht nur in einer Instanz geurteilt. Da § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG das ggf. entschädigungsrelevante Gerichtsverfahren in zeitlicher Hinsicht von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss bestimmt, kann eine Entscheidung darüber, ob das Haftungssubjekt (Bund und/oder Land) gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen (Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG), typischerweise erst dann getroffen werden, wenn das Ausgangsverfahren abgeschlossen ist. Insofern ist es möglich, dass die verzögerte Bearbeitung in der einen Instanz durch eine besonders zügige Bearbeitung in einer anderen Instanz ganz oder teilweise kompensiert wird (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; BGH, Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -; BVerwG, Urteile vom 27.02.2014 – 5 C 1/13 D – und 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; LSG Hamburg, Urteil vom 30.10.2014 – L 1 SF 16/13 ESV -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 03.07.2014 – L 37 SF 34/14 EK AL – und 04.09.2013 – L 37 SF 66/12 EK VG -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 – L 10 SF 5/12 ÜG -).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Über die am 28.05.2014 eingelegte und erst am 27.08.2014 begründete Berufung hat das LSG bereits am 16.01.2015 entschieden, obwohl ihm die Akten der Beklagten mit deren Berufungserwiderung erst am 18.09.2014 zugegangen sind. Zwischen der dann auch am 09.10.2014 festgestellten Entscheidungsreife und der Entscheidung sind lediglich ca. vier Monate vergangen. Auch wenn der Streitstoff des Ausgangsverfahrens nicht umfangreich war und das Verfahren "nur" mittelgradige Schwierigkeiten aufwies, ist auch dem LSG für seine Entscheidung mit Rücksicht auf den gerichtlichen Spielraum bei der Verfahrensgestaltung eine mehrere Monate umfassende Vorbereitungs- und Bedenkzeit einzuräumen. Selbst wenn diese nicht die regelmäßig akzeptierte Zeitspanne von zwölf Monaten umfasst haben sollte, weil das LSG angesichts der Verfahrensdauer in erster Instanz trotz ansonsten nicht bestehender Eilbedürftigkeit gehalten war, das Verfahren bevorzugt zu fördern, reduzierte sich die für angemessen erachtete Vorbereitungs- und Bedenkzeit jedenfalls nicht auf weniger als acht Monate. Nach alledem wäre die Verfahrensdauer vor dem LSG noch angemessen gewesen, wenn es die im Mai 2014 eingegangene Sache im Mai/Juni 2015 abgeschlossen hätte. Das LSG hat aber über die Berufung mit Urteil vom 16.01.2015 entschieden und das Berufungsverfahren somit ca. vier Monate vor Ablauf des hier anzunehmenden Gestaltungszeitraums zum Abschluss gebracht. Dieser Zeitraum ist die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens mindernd bzw. beseitigend anzurechnen.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung; danach hat der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 08.03.2016
Zuletzt verändert am: 08.03.2016