Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 5.9.2012 wird zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten. Die Beschwerde zum Bundessozialgericht wird zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Rechtswegzuständigkeit.
Der Kläger ist als Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein Westfalen von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Er war vom 1.4. – 30.9.2011 bei der Beklagten als rechtlicher und kaufmännischer Leiter angestellt und erhielt für seine Tätigkeit ein Bruttomonatsgehalt von EUR 3.800. Von diesem Entgelt führte die Beklagte Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag ab und entrichtete Beiträge zur Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Den danach verbleibenden (Netto-)Betrag zahlte sie dem Kläger aus.
Mit seiner am 9.7.2012 zum Sozialgericht (SG) erhobenen Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von EUR 2.276,58 zzgl. Zinsen als Arbeitgeberanteil "gemäß § 172 Abs 1 SGB VI".
Die Beklagte hat das Arbeitsgericht für zuständig und die Klage für unbegründet gehalten.
Das SG hat sich – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Detmold verwiesen. Es handele sich um eine Streitigkeit nach § 2 Abs 1 Nr 3a Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), weil es um die Auslegung eines Arbeitsvertrages gehe. Der streitige Anspruch habe seine Grundlage nicht im öffentlich-rechtlichen Sonderrecht (Beschluss vom 5.9.2012).
Mit seiner Beschwerde vom 11.9.2012 begehrt der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Er meint, der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei eröffnet.
Die Beklagte hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
II.
Die statthafte (§§ 17a Abs 4 S 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das SG den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht Detmold (§§ 46 Abs 2 S 1 ArbGG iVm §§ 12, 13, 17 Abs 1 ZPO) verwiesen. Es handelt sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung, §§ 40 Abs 1 S 1 2. Halbsatz Verwaltungsgerichtsordnung iVm 51 Abs 1 Nr 1 SGG, sondern um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis, § 2 Nr 3 Buchstabe a ArbGG.
Die für die Entscheidung wesentliche Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlicher Streitigkeit (hier mit der Folge der besonderen Rechtswegzuweisung zu den Sozialgerichten) und bürgerlicher Streitigkeit (hier mit der Folge der besonderen Rechtswegzuweisung zu den Arbeitsgerichten) erfolgt nach der wahren Natur des anzuwendenden Rechts und dem sich daraus ergebenden Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten (Parteien) des Rechtsstreits. Maßgeblich ist der vom Kläger unterbreitete Streitgegenstand.
Danach geht es um die Zahlung eines (hälftigen) Arbeitgeberbeitrags zur berufsständischen Altersversorgung des Klägers beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein Westfalen nach § 172 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der vom 1.1.2008 bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung (Gesetz vom 20.4.2007, BGBl I 554ff im Folgenden: aF). Der Kläger leitet aus der Pflicht der Beklagten, diesen Beitrag zu tragen, einen Anspruch auf Zahlung unmittelbar an sich her.
Unter Zugrundelegung dieses Streitgegenstandes handelt es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche, sondern um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit. § 172 Abs 2 SGB VI aF, der als Anspruchsgrundlage einzig in Betracht kommt, ist materiell eine Norm des (bürgerlichen) Arbeitsrechts, die systemfremd im SGB VI enthalten ist. Das zeigen Entstehungsgeschichte, Systematik und Sinn und Zweck der Regelung.
Die Entstehungsgeschichte des § 172 Abs 2 SGB VI aF (eingefügt durch Art 1 Nr 28 Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) rückwirkend zum 1.1.1992, Art 42 RÜG) macht deutlich, dass es sich materiell um eine Norm des bürgerlichen (Arbeits-)Rechts handelt. Denn die darin geregelte Arbeitgeberverpflichtung war zuvor (d.h. vor dem 1.1.1992) in Tarifverträgen oder Einzelarbeitsverträgen geregelt (vgl dazu im Einzelnen Boecker in: Schulin (Hrsg) Handbuch der Sozialversicherung. Band 3. Rentenversicherungsrecht, § 14 Rdnr 26 mwN), unterfiel also dem materiellen Arbeitsrecht. Eine gesetzliche Regelung wurde (nur) für erforderlich gehalten, weil im Beitrittsgebiet entsprechende tarifliche Regelungen fehlten (BTDrucks 12/405, S 119).
§ 172 Abs 2 SGB VI aF ist nach der Gesetzessystematik eine Norm, die zu § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI korrespondierend eine mit der Versicherungsfreiheit einhergehende Verpflichtung des Arbeitgebers im Verhältnis zum Beschäftigten begründet. Diese Korrespondenz und die Tatsache, dass es um die Tragung von Beiträgen geht, vermitteln eine gewisse äußerliche Berechtigung, die Verpflichtung im sozialrechtlichen Normgefüge des SGB VI anzusiedeln. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift handelt es sich aber nicht um eine sozialversicherungsrechtliche Vorschrift. Sie befindet sich zwar im Vierten Kapitel des SGB VI "Finanzierung", regelt aber tatsächlich nicht die Finanzierung der Gesetzlichen Rentenversicherung, sondern ausschließlich Folgen der Versicherungsfreiheit im Verhältnis von Beschäftigtem und Arbeitgeber. Deshalb handelt es sich materiell um eine Vorschrift, die Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis begründet (so auch: Finke in Hauck/Haines. SGB VI. Kommentar. Stand Oktober 2012, § 172 Rdnr 17; Neidert in: GK-SGB VI, § 172 Rdnr 20; KassKomm – Wehrhahn zum Sozialversicherungsrecht. SGB VI. Stand 2012, § 172 Rdnr 10; aA unter Bezugnahme auf in anderem Zusammenhang ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung: Segebrecht in: jurisPK-SGB VI. 1. Auflage Stand 3.4.2012, § 172 Rdnrn 60ff). Mit dieser Einordnung geht konform, dass es sich ersichtlich weder um die Anwendung öffentlichen Rechts im allgemeinen oder besonderen Gewaltverhältnis (Subordinationsverhältnis) noch um öffentliches Sonderrecht handelt. Denn am Rechtsverhältnis ist ein für Sozialleistungen (insbesondere der Gesetzlichen Rentenversicherung) zuständiger Leistungsträger nicht (auch nicht indirekt) beteiligt, §§ 12 S 1, 23 Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Es handelt sich deshalb auch nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nach § 40 Abs 1 S 1 VwGO, die an die allgemeinen Verwaltungsgerichte zu verweisen ist. Dabei kann dahinstehen, ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn nicht der Kläger, sondern das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein Westfalen als Körperschaft des öffentlichen Rechts nach § 172 Abs 2 SGB VI aF anspruchsberechtigt wäre (so: OVG Rheinland-Pfalz, Urt v 15.1.2008, Aktenzeichen (Az) 6 A 10975/07 juris-Rdnr 34, im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch einen nichtveröffentlichten Vergleich erledigt). Denn vorliegend macht der Kläger einen Anspruch aus eigenem Recht auf Zahlung an sich geltend. Ob dieser Anspruch besteht, ist ausschließlich aus dem zwischen den Beteiligten (Parteien) bestehenden Arbeitsverhältnis heraus (und damit vor den Arbeitsgerichten) zu klären.
Die Richtigkeit dieser Bewertung des Streitgegenstands wird durch die seit dem 1.1.2012 anstelle von § 172 Abs 2 SGB VI aF geltenden Vorschrift des § 172 a SGB VI bestätigt (eingeführt durch Art 4 Nr 10 des Vierten Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze v 22.12.2011, BGBl I, S 3057ff). Danach zahlen Arbeitgeber für von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI befreite Beschäftigte einen Zuschuss. Diese Neuregelung soll klarstellen, dass [ ] der Arbeitgeber dem Mitglied den Arbeitgeberbeitrag als Zuschuss schuldet (BTDrucks 17/6764).
Etwas anderes ergibt sich nicht aus der (früheren) Rechtsprechung zu § 257 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bzw zu der zuvor maßgeblichen Regelung des § 405 der Reichsversicherungsordnung (BAG, Beschl v 1.6.1999, Az 5 AZB 34/98, AP Nr 1 zu § 257 SGB V und Beschl v 19.8.2008, Az 5 AZB 75/08, in: NZA 2008, 1313f jeweils mwN, insb unter Hinweis auf BSGE, 37, 292ff = Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes v 4.6.1974; offen gelassen in BAGE 121, 36ff und BAG AP Nr 2 zu § 172 SGB VI). Ungeachtet der Kritik an dieser Rechtsprechung zu § 257 SGB V (vgl BAG AP Nr 1 zu § 257 SGB V juris-Rdnr 9) hat § 172 Abs 2 SGB VI aF einen anderen Regelungsgegenstand. Kann in den Konstellationen nach § 257 SGB V die sozialversicherungsrechtliche Vorfrage nach einem Beschäftigungsverhältnis (iS v § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)) streitig sein, ist diese in Fällen des § 172 Abs 2 SGB VI aF regelmäßig geklärt. Das verdeutlicht der vorliegende Fall, in dem die Beklagte nicht ihre Verpflichtung aus § 172 SGB VI bestreitet, sondern dieser die rechtsvernichtenden Einwendungen der Erfüllung und der Verwirkung (alternativ) entgegenhält.
Über die Kosten ist im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung in der Hauptsache zu entscheiden, § 17 b Abs 2 S 1 GVG.
Der Senat hat die (weitere, Rechts-)Beschwerde an das Bundessozialgericht zugelassen, weil er der entscheidenden Rechtsfrage (Rechtsweg in Streitigkeiten nach § 172 Abs 2 SGB VI aF bzw. jetzt nach § 172 a SGB VI) grundsätzliche Bedeutung beimisst und das Bundessozialgericht – soweit ersichtlich – dazu noch nicht Stellung genommen hat.
Erstellt am: 05.02.2013
Zuletzt verändert am: 05.02.2013