I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Ausschluss von Unionsbürgern, die über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 verfügen, vom Bezug von Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 10 und Art. 7 VO (EU) 492/2011 vereinbar?
a) Stellt eine Sozialhilfeleistung im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG eine soziale Vergünstigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 492/2011 dar?
b) Findet die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG auf das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 10 und Art. 7 VO (EU) 492/2011 Anwendung?
2. Ist der Ausschluss von Unionsbürgern vom Bezug von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3, Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 4 VO (EG) 883/2004 vereinbar, wenn diese über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 verfügen und in einem Sozialversicherungssystem oder Familienleistungssystem im Sinne des Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 eingebunden sind?
Gründe:
A.
Der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) an den Kläger und seine beiden Töchter für die Zeit vom 08.06.2017 bis zum 31.12.2017.
Der 1985 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und war mit der polnischen Staatsangehörigen Frau D. verheiratet. Das Ehepaar hat gemeinsame Kinder, die 2005 geborene Tochter X und die 2010 geborene Tochter N. Seit 2012/2013 lebte der Kläger von seiner Ehefrau getrennt. Die Ehe wurde im Januar 2019 geschieden. Ende 2012/Anfang 2013 zog die Familie von den Niederlanden nach Deutschland um. Der Kläger und seine beiden Töchter waren ab dem 10.01.2013 bis zum 31.07.2014 in E /Deutschland gemeldet. Frau D. war in der Zeit vom 10.01.2013 bis zum 08.04.2016 in E /Deutschland gemeldet. Nach dem Umzug nach Deutschland arbeitete Frau D. bei einem niederländischen Arbeitgeber in den Niederlanden. Laut Auskunft der zuständigen Krankenversicherung wurde das Arbeitsverhältnis zum 22.02.2016 beendet. Im Jahr 2016 verzog Frau D. nach Polen. Die Abmeldung erfolgte zum 08.04.2016.
Ab dem 22.10.2014 waren der Kläger und die beiden Töchter in K /Deutschland gemeldet. Zum 11.12.2014 wechselte die Tochter N in den Haushalt ihrer Mutter. Seit dem 27.02.2015 sind der Kläger und seine Tochter X durchgehend mit gemeinsamer Anschrift in K /Deutschland gemeldet, seit dem 14.09.2015 auch die Tochter N. Die Bruttowarmmiete der gemeinsam genutzten Wohnung betrug 525,00 Euro monatlich. Die Warmwassererzeugung erfolgte dezentral.
Die Tochter X besuchte ab dem 01.08.2016 die 4. Jahrgangsstufe einer Grundschule, seit dem 01.08.2017 die 5. Jahrgangsstufe einer Gesamtschule als weiterführende Schule. Die Tochter N besuchte ab dem 01.08.2016 durchgehend eine Grundschule.
Der Kläger bezieht durchgehend Kindergeld für die Tochter N ab Januar 2016 und für die Tochter X ab März 2016. Das Kindergeld für beide Kinder in Höhe von je 192,00 Euro monatlich wurde innerhalb des streitigen Zeitraums wegen einer Aufrechnung im Juni 2017 nur in Höhe von 192,00 Euro sowie im Juli 2017 nur i.H.v. 208,00 Euro, in den übrigen Monaten bis einschließlich Dezember in Höhe von jeweils 384,00 Euro an den Kläger ausgezahlt. Die Stadt K bewilligte dem Kläger Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UhVorschG) für die Tochter X für die Zeit ab dem 01.10.2015 bis zum 28.10.2017 (Vollendung des 12. Lebensjahres) sowie für die Tochter N durchgehend für die Zeit ab dem 01.10.2015. Die Unterhaltsleistungen beliefen sich im Jahr 2017 für jedes Kind auf 201,00 Euro monatlich.
In den Jahren 2009 bis 2011 war der Kläger in den Niederlanden abhängig beschäftigt. In der Zeit vom 01.01.2013 bis zum 05.03.2015 übte der Kläger weder eine abhängige noch eine selbständige Tätigkeit aus. In der Zeit vom 06.03.2015 bis zum 01.09.2015 war er steuer- und sozialversicherungspflichtig als Schlosserhelfer bei einem Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wurde die Anwendung des gesamten zwischen dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen und den Mitgliedsgewerkschaften des DGB vereinbarten Tarifwerks für die Zeitarbeit in der jeweils letzten Fassung, das aus Mantel-, Entgeltrahmen-, Entgelt- und Beschäftigungssicherungstarifverträgen und den Tarifverträgen über Branchenzuschlägen für Arbeitnehmerüberlassung besteht, vereinbart. Der Kläger erzielte im März 2015 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 918,00 Euro, im April 2015 in Höhe von 1.157,00 Euro, im Mai 2015 in Höhe von 1.261,83 Euro, im Juni 2015 in Höhe von 1.489,40 Euro, im Juli 2015 in Höhe von 1.324,40 Euro und im August 2015 in Höhe von 778,36 Euro. Das Arbeitsverhältnis wurde durch eine Aufhebungsvereinbarung zum 01.09.2015 beendet. Zuvor hatte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21.08.2015 fristlos zum 22.08.2015 gekündigt.
Ab dem 18.01.2016 war der Kläger als Produktionsmitarbeiter steuer- und sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt. Er erzielte im Januar 2016 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 616,00 Euro, im Februar 2016 in Höhe von 1.293,00 Euro, im März 2016 in Höhe von 1.416,79 Euro, im April 2016 in Höhe von 1.293,60 Euro, im Mai 2016 in Höhe von 1.355,20 Euro, im Juni 2016 in Höhe von 1.386,00 Euro, im Juli 2016 in Höhe von 1323,00 Euro, im August 2016 in Höhe von 1.386,00 Euro und im September 2016 in Höhe von 1.323,00 Euro. Die Arbeitgeberin kündigte mit Schreiben vom 22.09.2016 das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2016. In der Zeit vom 04.10.2016 bis zum 07.12.2016 war der Kläger arbeitsunfähig. Er erhielt wegen Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 04.10.2016 bis zum 29.10.2016 von seiner Arbeitgeberin Lohnfortzahlung und bezog anschließend in der Zeit vom 30.10.2016 bis zum 07.12.2016 Krankengeld.
Mit Bescheid vom 31.03.2017 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger Arbeitslosengeld nach § 136 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) für die Zeit vom 23.02.2017 bis zum 24.08.2017. Mit Bescheid vom 19.04.2017 hob die Bundesagentur für Arbeit die Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen Erlöschens der Arbeitslosmeldung mit Wirkung zum 13.04.2017 auf. Mit Bescheid vom 13.06.2017 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger Arbeitslosengeld nach § 136 SGB III für die Zeit vom 12.06.2017 bis zum 23.10.2107 in Höhe von 13,51 Euro kalendertäglich. Zum 02.01.2018 nahm der Kläger eine abhängige Beschäftigung in Vollzeit auf.
In der Zeit vom 01.09.2016 bis zum 07.06.2017 bezogen der Kläger und seine beiden Töchter Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Im Juni 2017 beantragte der Kläger für sich und seine beiden Töchter die Weiterbewilligung von Grundsicherungsleistungen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13.06.2017 unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Der Kläger halte sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland auf.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2017 mit der Begründung zurück, der Kläger erfülle zwar die Voraussetzungen der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II. Er sei aber nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Er halte sich als polnischer Staatsangehöriger lediglich zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland auf. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei europarechtskonform. Es liege kein Verstoß gegen europäisches Primär- oder Sekundärrecht vor.
Am 31.07.2017 haben der Kläger und seine beiden Töchter Klage erhoben und begehrt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 13.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 zu verurteilen, ihnen Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 08.06.2017 bis zum 31.12.2017 zu bewilligen. Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der fortwirkende Arbeitnehmerstatus des Klägers habe nach § 2 Abs. 3 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) mit Ablauf des 07.06.2017 geendet, anschließend greife der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II.
Mit Urteil vom 08.05.2018 hat das Sozialgericht Düsseldorf den Beklagten verpflichtet, dem Kläger und seinen beiden Töchtern Leistungen nach den Vorschriften des SGB II vom 08.06.2017 bis 31.12.2017 zu bewilligen. Den Leistungsansprüchen des Klägers und seiner Kinder stehe der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) und b) SGB II in der Fassung vom 22.12.2016, in Kraft seit dem 29.12.2016, nicht entgegen. Zwar könne sich der Kläger nicht über den 07.06.2017 hinaus auf ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht nach Beschäftigungsaufgabe nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 oder S. 2 FreizügG/EU berufen. Dieses habe zum 07.06.2017 geendet. Der Kläger habe jedoch ein aus den Aufenthaltsrechten seiner Töchter abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Diese könnten sich auf das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 berufen. Der Kläger sei vor und während des Schulbesuchs der Töchter als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Bei den Töchtern liege auch ein regelmäßiger Schulbesuch vor. Der Kläger habe als Vater somit ein über seine beiden Töchter abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Der Kläger und seine Töchter seien auch nicht aufgrund von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Danach seien zwar ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einen Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ableiteten, und ihre Familienangehörigen. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II sei jedoch nicht europarechtskonform. Eine europarechtskonforme Auslegung scheide aus. Art. 10 VO (EU) 492/2011 begründe ein von den in Kapitel III der RL 2004/38/EG normierten Aufenthaltsrechten unabhängiges und originäres eigenständiges Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken. Eine zulässige Einschränkung ergebe sich dafür auch nicht aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt. i.V.m. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) RL 2004/38/EG. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG und der Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG setze ein Aufenthaltsrecht allein aus dieser Richtlinie voraus.
Gegen das ihm am 11.06.2018 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 04.07.2018 Berufung eingelegt und die Auffassung vertreten, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II sei europarechtskonform.
Hinsichtlich der beiden Töchter haben die Beteiligten einen Unterwerfungsvergleich unter den Ausgang des Verfahrens betreffend die Ansprüche des Klägers geschlossen.
B.
Der Senat setzt das Verfahren entsprechend § 114 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die im Tenor genannten Fragen nach Art. 267 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Vorabentscheidung vor.
I. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften
1. Nationales Recht
Die maßgeblichen Vorschriften des nationalen Rechts lauten wie folgt:
§ 7 SGB II in der Fassung vom 22.12.2016 (BGBl. I S. 3155)
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1 … ,
2. Ausländerinnen und Ausländer,
a) die kein Aufenthaltsrecht haben,
b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen,
3 …
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. 4Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. 5Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. 6Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. 7Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.
(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben …
(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
…
4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
§ 2 FreizügG/EU in der Fassung vom 02.12.2014 (BGBl. I S. 1922)
(1) Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
(2) Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind:
1. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen,
1a. Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden,
2. Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige),
3. Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des Artikels 57 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union erbringen wollen (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind,
4. Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen,
5. nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4, 6. Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4, 7. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben.
(3) Das Recht nach Absatz 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei
1. vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall,
2. unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit,
3. Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.
Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Absatz 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt.
§ 3 FreizügG/EU in der Fassung vom 02.12.2014 (BGBl. I S. 1922)
(1) Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürger haben das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. 2Für Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 5 genannten Unionsbürger gilt dies nach Maßgabe des § 4.
(2) Familienangehörige sind
1. der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind,
2. die Verwandten in gerader aufsteigender und in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, denen diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren.
…
(4) Die Kinder eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers und der Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich ausübt, behalten auch nach dem Tod oder Wegzug des Unionsbürgers, von dem sie ihr Aufenthaltsrecht ableiten, bis zum Abschluss einer Ausbildung ihr Aufenthaltsrecht, wenn sich die Kinder im Bundesgebiet aufhalten und eine Ausbildungseinrichtung besuchen.
2. Unionsrecht
Die im Streitfall maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts sind Art. 7 und 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.05.2011, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.04.2016, S. 1; VO (EU) 492/2011), Art. 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 200 vom 07.06.2004, S. 1; VO (EG) 883/2004) sowie Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 vom 30.04.2004, S. 77; RL 2004/38/EG).
II. Beurteilung nach nationalem Recht
Bei isolierter Betrachtung nach nationalem Recht ist die Berufung des Beklagten begründet. Denn der Kläger ist vom Bezug von Grundsicherungsleistungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II ausgeschlossen. Nach § 19 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II (Satz 1). Nichterwerbsfähige minderjährige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 SGB II) leben, erhalten Sozialgeld (Satz 2).
Im streitigen Zeitraum vom 08.06.2017 bis zum 31.12.2017 lagen beim Kläger die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II vor. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (Nr. 1), war erwerbsfähig i.S.v. § 8 SGB II (Nr. 2) und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4). Er war hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 SGB II. Sein anrechenbares Einkommen – Arbeitslosengeld – in Höhe von 405,30 Euro monatlich deckte nur teilweise seinen Hilfebedarf und den seiner beiden Töchter. Die beiden minderjährigen Kinder bildeten mit dem Kläger eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II. Denn der monatliche Hilfebedarf der beiden Töchter in Höhe von jeweils 469,49 Euro (291,00 Euro Regelbedarf + 3,49 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II + 175,00 Euro Bedarf nach § 22 SGB II) war durch ihr Einkommen in Höhe von insgesamt 393,00 Euro monatlich – Kindergeld und Unterhaltsleistungen nach dem UhVorschG – nur teilweise gedeckt. Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft belief sich auf 1.679,63 Euro (409,00 Euro Regelbedarf + 291,00 Euro Regelbedarf + 291,00 Euro Regelbedarf + 147,24 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II + 9,41 Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II + 3,49 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II + 3,49 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II + 525,00 Euro Bedarf nach § 22 SGB II).
Da die minderjährigen Töchter die Altersgrenze des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II noch nicht erreicht hatten, ergibt sich bei ihnen eine abgeleitete Anspruchsberechtigung auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in Gestalt des Sozialgeldes (§ 7 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 Nr. 4, § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II).
Jedoch ist ein Leistungsanspruch des Klägers und seiner beiden Töchter nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) und c) SGB II ausgeschlossen. Diese Vorschrift findet Anwendung. Sie können sich im streitigen Zeitraum nicht auf einen Aufenthalt von fünf Jahren in Deutschland berufen (§ 7 Abs. 1 S. 4 SGB II), da sie Ende 2012/Anfang 2013 in Deutschland eingereist waren und melderechtlich erst im Januar 2013 erfasst wurden. Sie sind nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) und c) SGB II von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten nur über ein Aufenthaltsrecht des Klägers zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU und davon abgeleitet über ein Aufenthaltsrecht der beiden Töchter als Familienangehörige nach § 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, aufgrund dessen sie nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen waren. Ein anderes Aufenthaltsrecht aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU oder nach den Bestimmungen der RL 2004/38/EG bestand für sie nicht. Sie verfügten jedoch über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011, das den Ausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II auslöst.
In der streitigen Zeit vom 08.06.2017 bis zum 31.12.2017 übte der Kläger keine (abhängige oder selbständige) Tätigkeit aus (§ 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FreizügG/EU, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) RL 2004/38/EG). Er hielt sich auch nicht zu dem Zwecke in Deutschland auf, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU). Er verfügte nicht über ausreichende Existenzmittel, um seinen Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken (§ 2 Abs. 2 Nr. 5, § 4 FreizügG/EU, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) RL 2004/38/EG). Die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht lagen für den erstmals Ende 2012/Anfang 2013 in Deutschland eingereisten Kläger ebenfalls nicht vor (§ 2 Abs. 2 Nr. 7, § 4a FreizügG/EU, Art. 16 RL 2004/38/EG).
Der Kläger kann sich ab dem 08.06.2017 nicht auf ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 FreizügG/EU berufen. Er war bis zum 31.10.2016 Arbeitnehmer i.S.v. Art. 45 AEUV. Sein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer wirkte aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU nur bis zum 07.12.2016 fort. Auf die Fortwirkung des Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmer wegen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU kann sich der Kläger nicht berufen. Vielmehr gilt für ihn lediglich die Regelung des § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU, wonach die durch eine Erwerbstätigkeit erworbene Arbeitnehmereigenschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU bei unfreiwilliger und durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung nur während der Dauer von sechs Monaten fortwirkt und nur solange ein Aufenthaltsrecht vermittelt. Der Kläger war zwar insgesamt ca. 15,5 Monate in Deutschland als Arbeitnehmer i.S.v. Art. 45 AEUV beschäftigt; jedoch waren seine beiden Tätigkeiten als Arbeitnehmer durch eine Zeit der Arbeitslosigkeit von mehr als 4,5 Monaten (02.09.2015 bis zum 17.01.2016) unterbrochen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 13.07.2017 – B 4 AS 17/16 R, DE:BSG:2017:130717UB4AS1716R0; a.A. Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.05.2015 – 12 B 312/15) setzt § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU unter Beachtung der Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) und Abs. 3 Buchst. b) RL 2004/38/EG zwar keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr voraus. Auch durch Arbeitslosigkeit unterbrochene Tätigkeiten können zumindest bei einer einmaligen kurzfristigen Unterbrechung dem gesetzlichen Erfordernis "einer Tätigkeit von mehr als einem Jahr" genügen. Bei der Unterbrechung vom 02.09.2015 bis zum 17.01.2016 handelt es sich jedoch nicht um eine kurzfristige, sondern um eine über mehrere Monate andauernde Unterbrechung. Die Sechs-Monats-Frist des § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU war zum 07.06.2017 abgelaufen, der Kläger in der Folgezeit daher nicht mehr freizügigkeitsberechtigt.
Der Kläger und seine beiden Töchter waren auch nicht als Familienangehörige ihrer Ehefrau bzw. Mutter als einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 FreizügG/EU, Art. 7 Abs. 1 Buchst. d) RL 2004/38/EG) einbezogen. Im streitigen Zeitraum hielt sich Frau D. nicht mehr in Deutschland auf (§ 3 Abs. 1 FreizügG/EU i.V.m. § 2 FreizügG/EU).
Der Kläger und seine beiden Töchter können sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht der Ehefrau bzw. Mutter aus § 3 Abs. 4 FreizügG/EU berufen, der das sich aus Art. 12 Abs. 3 RL 2004/38/EG ergebende Freizügigkeitsrecht von Familienangehörigen eines Unionsbürgers kodifiziert (BT-Drs. 16/5065 S. 210). Zwar verzog die Ehefrau des Klägers erst im Jahr 2016 aus Deutschland nach Polen. Sie hielt sich aber in den Jahren 2012 bis 2016 nicht freizügigkeitsberechtigt in Deutschland auf. In diesen Jahren verfügte sie über kein Aufenthaltsrecht aus dem FreizügG/EU bzw. der RL 2004/38/EG. Die Voraussetzungen der Aufenthaltsrechte aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU lagen nicht vor. Frau D. übte in Deutschland keine (abhängige oder selbständige) Tätigkeit aus (§ 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FreizügG/EU, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) RL 2004/38/EG) und hielt sich auch nicht zu dem Zwecke auf, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU). Sie verfügte nicht über ausreichende Existenzmittel, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder selbst zu decken (§ 2 Abs. 2 Nr. 5, § 4 FreizügG/EU, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) RL 2004/38/EG), da sie keinen Unterhalt für die beiden Töchter leistete. Die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht – fünfjähriger Aufenthalt in Deutschland – lagen ebenfalls nicht vor (§ 2 Abs. 2 Nr. 7, § 4a FreizügG/EU, Art. 16 RL 2004/38/EG).
Die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts des Klägers und seiner beiden Töchter aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes sind auch nicht gegeben.
Die beiden Töchter verfügten aber über ein autonomes, d.h. von ihren Eltern unabhängiges Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 30.06.2016 – C-115/15, EU:C:2016:487, vom 13.06.2013 – C-45/12 Hadj Ahmed, EU:C:2013:390, vom 08.05.2013 – C-529/11 Alarape und Tijani, EU:C:2013:290, vom 14.06.2012 – C-542/09, EU:C:2012:346, vom 06.09.2012 – C-147/11 und C-148/11 Czop und Punakova EU:C:2012:538 und vom 23.02.2010 – C-310/08 Ibrahim und – C-480/08 Teixeira, EU:C:2010:80). Denn sie waren in der Zeit vom 08.06.2017 bis zum 31.12.2017 minderjährige Kinder eines ehemaligen (Wander-)Arbeitnehmers. Die von ihrem Vater, dem Kläger, ausgeübten abhängigen Erwerbstätigkeiten in der Zeit vom 06.03.2015 bis zum 01.09.2015 und vom 18.01.2016 bis zum 31.10.2016 entsprachen den Anforderungen an eine Tätigkeit als Arbeitnehmer i.S.v. Art. 45 AEUV. Diese Tätigkeiten waren nicht völlig untergeordnet und unwesentlich (vgl. zum Arbeitnehmerbegriff: EuGH, Urteil vom 19.07.2017 – C-143/16, EU:C:2017:566 m.w.N.). In der Zeit vom 08.06.2017 bis zum 31.12.2017 besuchten die beiden Töchter entsprechend ihrer Schulpflicht nach § 35 Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen regelmäßig Schulen in K und nahmen damit am allgemeinen Unterricht i.S.v. Art. 10 VO (EU) 492/2011 teil. Sie waren in das Schulsystem in Deutschland eingegliedert. Nach Auffassung des Senats ist das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 bei einem Besuch der Grundschule bzw. einer weiterführenden Schule während der gesetzlichen Schulpflicht nicht ausgeschlossen und ist bei solchen Fallgestaltungen auch nicht auf den Zeitraum begrenzt, in dem ein Schulwechsel unzumutbar ist (vgl. Landessozialgericht (LSG) Hessen, Beschluss vom 12.10.2018 – L 9 AS 462/18 B ER, DE:LSGHE:2018:1012.L9AS462.18B.ER.00; OVG Sachsen, Urteil vom 25.10.2018 – 3 A 736/16, DE:OVGSN:2018:1025.3A736.16.00; a.A. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 3 FreizügG/EU Rn. 87 f. unter Bezugnahme auf die Begründung des von der Kommission am 23.05.2001 vorgelegten Richtlinien-Vorschlags KOM (2001) 257 endg., S. 16).
Von diesem Aufenthaltsrecht der beiden Töchter leitete sich ein Aufenthaltsrecht des Klägers aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ab, da dieser die tatsächliche Sorge für die beiden Kinder wahrnahm (vgl. zum Aufenthaltsrecht eines Elternteils aus Art. 10 VO (EU) 492/2011: EuGH, Urteile vom 30.06.2016 – C-115/15, EU:C:2016:487, vom 13.06.2013 – C-45/12 Hadj Ahmed, EU:C:2013:390, vom 08.05.2013 – C-529/11 Alarape und Tijani, EU:C:2013:290, vom 14.06.2012 – C-542/09, EU:C:2012:346, vom 06.09.2012 – C-147/11 und C-148/11 Czop und Punakova EU:C:2012:538 und vom 23.02.2010 – C-310/08 Ibrahim und – C-480/08 Teixeira, EU:C:2010:80).
Damit ist entscheidungserheblich, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II gegen unionsrechtliche Vorschriften verstößt.
III. Beurteilung nach Unionsrecht
In der nationalen Rechtsprechung ist umstritten, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 10 und Art. 7 VO (EU) 492/2011 sowie i.V.m. Art. 4 VO (EG) 883/2004 verstößt und damit wegen des Anwendungsvorrangs europäischer Vorschriften keine Wirkung entfaltet (bejahend: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 12.07.2017 – L 12 AS 596/17 B ER, vom 01.08.2017 – L 6 AS 860/17 B ER, DE:LSGNRW:2017:0801.L6AS860.17B.ER.00, vom 21.08.2017 – L 19 AS 1577/17 B ER, DE:LSGNRW:2017:0821.L19AS1577.17B.ER.00, vom 26.09.2017 – L 6 AS 380/17 B ER, DE:LSGNRW:2017:0926.L6AS380.17B.ER.00, vom 10.11.2017 – L 6 AS 1256/17 B ER, DE:LSGNRW:2017:1110.L6AS1256.17B.ER.00, vom 21.12.2017 – L 7 AS 2044/17 B ER, DE:LSGNRW:2017:1221.L7AS2044.17B.ER.00, vom 08.06.2018 – L 7 AS 420/18 B ER, DE:LSGNRW:2018:0608.L7AS420.18B.ER.00 und vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER, DE:LSGNRW:2018:0830.L7AS1268.18B.ER.00; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.02.2017 – L 6 AS 11/17 B ER, DE:LSGSH:2017:0217.L6AS11.17BER.0A; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.09.2017 – L 2 AS 567/17 B ER, DE:LSGST:2017:0906.L2AS567.17BER.00; Sozialgericht (SG) Chemnitz, Urteil vom 21.08.2018 – S 22 AS 99/18; verneinend: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.03.2017 – L 2 AS 127/17 B ER, DE:LSGST:2017:0307.L2AS127.17BER.0A; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.09.2017 – L 21 AS 1459/17 B ER, DE:LSGNRW:2017:0914.L21AS1459.17B.ER.00; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.10.2017 – L 31 AS 2007/17 B ER, DE:LSGBEBB:2017:1023.L31AS2007.17B.ER.00; LSG Thüringen, Beschluss vom 01.11.2017 – L 4 AS 1225/17 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2017 – L 3 AS 280/16; SG Köln, Urteil vom 06.09.2018 – L 19 AS 1610/18).
1. Frage
a) § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II normiert den Ausschluss von Unionsbürgern mit einem Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 von dem Bezug von Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG. Bei den Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (§§ 19 ff. SGB II) handelt sich um Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG (EuGH, Urteile vom 25.02.2016 – C-299/14 Garcia-Nieto, EU:C:2016:114, vom 15.09.2015 – C-67/14 Alimanovic, EU:C:2015:597 und vom 11.11.2014 – C-333/13 Dano, ECLI:EU:C:2014:2358) und um besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3, Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 (EuGH, Urteile vom 25.02.2016 – C-299/14 Garcia-Nieto, EU:C:2016:114, vom 15.09.2015 – C-67/14 Alimanovic, EU:C:2015:597 und vom 11.11.2014 – C-333/13 Dano, EU:C:2014:2358). Sie dienen der Bestreitung der Lebenshaltungskosten von Kindern und ihren Eltern.
Nach Auffassung des Senats stellen Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG und besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3, Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004, die der Sicherstellung des Lebensunterhalts eines Kindes und seines die tatsächliche Sorge ausübenden Elternteils während einer Schul- oder Berufsausbildung dienen, soziale Vergünstigungen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 492/2011 dar, auch wenn die Sozialhilfeleistung nicht den Besuch einer Ausbildungsstätte durch das Kind voraussetzt. Ein besonderer Ausbildungsbezug der Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG ist nicht erforderlich (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.09.2017 – L 21 AS 1459/17 B ER, DE:LSGNRW:2017:0914.L21AS1459.17B.ER.00).
b) Wenn es sich bei Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG, die der Sicherstellung des Lebensunterhalts des Kindes und seines die tatsächliche Sorge ausübenden Elternteils ohne besonderen Ausbildungsbezug dienen, um soziale Vergünstigungen nach Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 492/2011 handelt, verletzt die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II nach Auffassung des Senats das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 10 i.V.m. Art. 7 VO (EU) 492/2011, so dass die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II nicht anwendbar ist.
Nach der Rechtsprechung des EuGH haben Art. 7 Abs. 2 und Art. 12 VO (EWG) 1612/68, die inhaltsgleichen Vorgängervorschriften von Art. 7 Abs. 2 und Art. 10 VO (EU) 492/2011, zwar unterschiedliche persönliche Anwendungsbereiche. Beide Bestimmungen stellen aber auf dieselbe Weise eine allgemeine Regel auf, wonach jeder Mitgliedstaat im Bereich des Unterrichts verpflichtet ist, die Gleichbehandlung der Kinder der in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, mit seinen eigenen Staatsangehörigen sicherzustellen (EuGH, Urteil vom 14.06.2012 – C-542/09, EU:C:2012:346 m.w.N.). Eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit beim Bezug von sozialen Vergünstigungen ist danach nicht zulässig. Dies gilt sowohl für die Zulassungsbedingungen als auch für alle Vergünstigungen, die mit dem Ziel gewährt werden, die Teilnahme an der Ausbildung zu erleichtern. Der EuGH hat bislang in seiner Rechtsprechung nicht zwischen Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten unterschieden (vgl. zu Studienbeihilfen EuGH, Urteil vom 14.12.2016 – C-238/15, EU:C:2016:949 m.w.N.). Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz gilt auch für den sorgeberechtigten Elternteil, der sein Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltsrecht seines Kindes aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ableitet. Das Aufenthaltsrecht besteht unabhängig von ausreichenden Mitteln des Elternteils zur Deckung seines Lebensunterhalts, ausreichendem Krankenversicherungsschutz oder sonstigen aufenthaltseinschränkenden Bestimmungen (EuGH, Urteile vom 23.02.2010 – C-310/08 Ibrahim und C-480/08 Teixeira, EU:C:2010:80).
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II knüpft an die Staatsangehörigkeit des Klägers – Ausländerinnen oder Ausländer – an. Damit handelt es sich um eine mittelbare Diskriminierung. In der nationalen Rechtsprechung ist umstritten, ob die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG (vgl. dazu EuGH, Urteile vom 25.02.2016 – C-299/14 – Garcia-Nieto, EU:C:2016:114, vom 15.09.2015 – C-67/14 Alimanovic, EU:C:2015:597 und vom 11.11.2014 – C-333/13 Dano, EU:C:2014:2358) auf Unionsbürger, die ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 haben, direkt oder analog anwendbar ist und einen Ausschluss dieses Personenkreises von Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG rechtfertigt.
Der Gesetzgeber hat die Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II damit begründet, die Regelung sei erforderlich, um ein "Leerlaufen" der Regelungen der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) zu verhindern (BR-Drs. 587/16 S. 8). Er hat sich anscheinend auf den 10. Erwägungsgrund der RL 2004/38/EG berufen, wonach Ziel der Richtlinie die Verhinderung der unangemessenen Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaates ist, sie also dem Ziel der Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherheit diene (vgl. EuGH, Urteile vom 25.02.2016 – C-299/14 – Garcia-Nieto, EU:C:2016:114, vom 15.09.2015 – C-67/14 Alimanovic, EU:C:2015:597 und vom 11.11.2014 – C-333/13 Dano, EU:C:2014:2358). Hierbei ist der Gesetzgeber anscheinend davon ausgegangen, dass die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG zumindest analog anwendbar ist, wenn es sich bei den Anspruchsberechtigten mit einem Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 um Personen handelt, die sich als nicht erwerbstätige Unionsbürger ohne ausreichende Existenzmittel und umfassenden Krankenversicherungsschutz auf kein Aufenthaltsrecht aus der RL 2004/38/EG bzw. nur auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche berufen können.
Auch in der nationalen Rechtsprechung wird vertreten, Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG sei nicht auf den Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG beschränkt. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG stelle eine Ausnahme von dem in Art. 18 AEUV normierten Gleichbehandlungsgrundsatz dar, der in Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG lediglich einen besonderen Ausdruck finde (vgl. EuGH, Urteil vom 21.02.2013 – C-46/12, EU:C:2013:97). Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG normiere daher eine Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot des Art. 18 AEUV für die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen im Aufnahmestaat, auch wenn der Unionsbürger über ein autonomes Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 verfüge. Der Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 25.02.2016 – C-299/14 Garcia-Nieto, EU:C:2016:114, vom 15.09.2015 – C-67/14 Alimanovic, EU:C:2015:597 und vom 11.11.2014 – C-333/13 Dano, EU:C:2014:2358) sei mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Gerichtshof die Geltung des Diskriminierungsverbotes an ein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG knüpfe und andere Aufenthaltsrechte für eine Gleichbehandlung des Unionsbürgers mit Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates bei Sozialhilfeleistungen als nicht maßgebend ansehe. Aus der Entscheidung des EuGH vom 15.09.2015 – C-67/14 Alimanovic, EU:C:2015:597 könne nicht der Schluss gezogen werden, der Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG sei auf Sachverhalte beschränkt, die allein der RL 2004/38/EG unterfielen. In dieser Entscheidung sei der EuGH der vom Generalanwalt beim EuGH in seinen Schlussanträgen geforderten Berücksichtigung der familiären Verhältnisse, nämlich eines Aufenthaltsrechts aus Art. 10 VO (EU) 492/2011, nicht gefolgt. Der Gerichtshof sei nicht gehindert, einem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung von Unionsrecht zu geben, die diesem bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein könnten, unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen habe (vgl. EuGH, Urteil vom 12.07.2018 – C-89/17, EU:2018:570). Im Urteil vom 15.09.2015 habe der EuGH die Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses von Sozialhilfeleistungen für Unionsbürger, die nach der RL 2004/38/EG allein über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche aus Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) RL 2004/38/EG verfügten, bestätigt, ohne einen Hinweis zu geben, dass bei einem Aufenthaltsrecht der damaligen Kläger nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung bei der Gewährung bestimmter Sozialhilfeleistungen über Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG ausgeschlossen sei. Er habe sich nicht mit einem sich aus dem Schulbesuch der Kinder der Klägerin in Deutschland ergebenden Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 auseinandergesetzt.
Demgegenüber wird in der nationalen Rechtsprechung ebenfalls unter Berufung auf die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 Alimanovic, EU:C:2015:597 die Auffassung vertreten, die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG könne zwar den Ausschluss von Sozialhilfeleistungen für Personen rechtfertigen, deren Aufenthaltsrecht sich nach der RL 2004/38/EG bestimme. Der Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG könne aber nicht auf Personen erstreckt werden, die über ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach der VO (EU) 492/2011 verfügten. Der Gesetzgeber könne aus Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG keine Ermächtigung ableiten, Unionsbürger, die über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 verfügen, von sozialen Vergünstigungen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 492/2011 auszuschließen, auch wenn es sich um Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG handele. Die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG beziehe sich nach ihrem Wortlaut "Abweichend von Absatz 1" und ihrem Sachzusammenhang auf den in Abs. 1 umrissenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser beanspruche Geltung für Unionsbürger, denen Aufenthaltsrechte "aufgrund dieser Richtlinie" zustünden, "vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen". Der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 24 Abs. 1 S. 1 RL 2004/38/EG sowie dessen Erstreckung auf den Personenkreis nach Art. 24 Abs. 1 S. 2 RL 2004/38/EG setzten danach ein Aufenthaltsrecht aus dieser Richtlinie selbst voraus. Auf Unionsbürger, die über ein von den in der RL 2004/38/EG normierten Aufenthaltsrechten unabhängiges, originäres und eigenständiges Aufenthaltsrecht, wie z.B. das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011, verfügten, sei Art. 24 Abs. 1 S. 1 RL 2004/38 EG nicht anwendbar.
Der Senat folgt dieser zuletzt dargestellten Auffassung. Das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 unterfällt nicht den Bestimmungen der RL 2004/38/EG. Die einmal erworbenen Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte der Kinder bzw. der (sorgeberechtigten bzw. die tatsächliche Sorge ausübenden) Elternteile bestehen nach der Rechtsprechung des EuGH unabhängig von den in der RL 2004/38/EG festgelegten Voraussetzungen ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes (§ 4 FreizügG/EU) fort und sind autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln. Der EuGH hat der Entstehungsgeschichte und den Inhalten der RL 2004/38/EG entnommen, dass der Anwendungsbereich des Art. 12 VO (EWG) 1612/68, der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift zu Art. 10 VO (EU) 492/2011, durch die RL 2004/38/EG gerade nicht eingeschränkt werden sollte (EuGH, Urteile vom 23.02.2010 – C-310/08 Ibrahim und C-480/08 Teixeira, EU:C:2010:80).
Auch eine entsprechende Anwendung der Schrankenregelung in Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG betreffend Studienbeihilfen auf den sich aus Art. 7 Abs. 2 und Art. 10 VO (EU) 492/2011 ergebenden Gleichbehandlungsgrundsatz hat der EuGH abgelehnt (Urteil vom 14.12.2016 – C-238/15, EU:C:2016:949). Nach Auffassung des Senats gilt dies auch für die von der Regelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG erfassten Sozialhilfeleistungen, wenn diese eine "soziale Vergünstigung" i.S.d. Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 492/2011 darstellen, auch wenn diese Sozialhilfeleistungen nicht ausdrücklich ausbildungsbezogen sind. Der Verordnungsgeber hat sich bei Erlass der VO (EU) 492/2011 im Jahr 2011 nicht veranlasst gesehen, den sich aus Art. 7 Abs. 2 und Art. 10 VO (EU) 492/2011 ergebenden Gleichbehandlungsgrundsatz im Vergleich zu der Vorgängerregelung einzuschränken. Er hat damit nicht auf die Entscheidung des EuGH im Jahr zuvor reagiert, wonach ein sorgeberechtigter Elternteil zusammen mit dem in Ausbildung befindlichen Kind ein von diesem abgeleitetes Aufenthaltsrecht hat, auch wenn ein auf den Bestimmungen der RL 2004/38/EG beruhendes eigenes Aufenthaltsrecht des Elternteils nicht besteht (Urteile vom 23.02.2010 – C-310/08 Ibrahim und C-480/08 Teixeira, EU:C:2010:80).
2. Frage
Jeder Unionsbürger kann sich in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit aus Art. 18 AEUV berufen. Zu diesen Situationen gehören diejenigen, die die Ausübung der durch Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a) AEUV und Art. 21 AEUV verliehenen Freiheit betreffen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten. Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit wird für den Bereich der Gewährung von Sozialleistungen in Art. 4 VO (EG) 883/2004 konkretisiert. Danach haben Personen, für die diese Verordnung gilt, sofern in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Art. 4 VO (EG) 883/2004 verbietet jegliche Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit und fordert die Gleichbehandlung von Unionsbürgern mit ausländischer Staatsangehörigkeit mit inländischen Staatsangehörigen.
Die VO (EG) 883/2004 findet auf den Kläger persönlich und sachlich Anwendung. Bei ihm handelt es sich um einen Unionsbürger (Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004), der als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates (Polen) seinen Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat (Deutschland) hat. Er war im streitigen Zeitraum – wegen seiner Kindergeldberechtigung – in ein Familienleistungssystem im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. j VO (EG) 883/2004 (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 14.06.2016 – C-308/14, EU:C:2016:436; BFH, Urteil vom 15.03.2017 – III R 32/15, DE:BFH:2017:U.150317.IIIR32.15.0) und – wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld bis zum 23.10.2017 – in dem Sozialversicherungssystem bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. h VO (EG) 883/2004 eingebunden.
Die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II sind besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3, Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004, auf die der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO (EG) 883/2004 Anwendung findet (EuGH, Urteil vom 20.05.2014 – C-333/13 Dano, EU:C:2014:2358).
Die Verordnung selbst sieht eine Beschränkung des in Art. 4 VO (EG) 883/2004 geregelten Gleichheitsgebotes wegen Staatsangehörigkeit nicht vor. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II knüpft aber an die Staatsangehörigkeit des Klägers – Ausländerinnen oder Ausländer – an. Damit handelt es sich um eine mittelbare Diskriminierung. Die Gewährung von Sozialleistungen an wirtschaftlich inaktive Unionsbürger kann zwar von der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes abhängig gemacht werden (EuGH, Urteil vom 14.06.2016 – C-308/14, EU:C:2016:436). Dies hindert jedoch einen Anspruch des Klägers nicht. Er hält sich materiell rechtmäßig – nämlich aufgrund seines abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 – in Deutschland auf.
In der nationalen Rechtsprechung ist umstritten, ob das Diskriminierungsverbot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 durch Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG eingeschränkt wird, wenn der anspruchsberechtigte Unionsbürger über ein von der RL 2004/38/EG unabhängiges Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 verfügt. Auf die Ausführungen zur Frage 1. b) wird Bezug genommen.
Erstellt am: 26.02.2019
Zuletzt verändert am: 26.02.2019