Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 28.03.2012 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller in der Zeit vom 27.01.2012 bis 31.07.2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe der jeweiligen Regelbedarfe nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 1/2. Dem Antragsteller wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ab Antragstellung Prozesskostenhilfe gewährt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist im tenorierten Umfang begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
Der Antragsteller hat nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung vorläufig einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) und zwar in Höhe des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen. Diesbezüglich hat der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nrn. 1- 4 SGB II sind glaubhaft gemacht. Denn der Antragsteller hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Er ist auch erwerbsfähig gemäß § 7 Abs.1 Nr. 2 SGB II und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Dabei verkennt der Senat nicht, dass Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers bestehen. Der Antragsgegner konnte jedoch die Anträge des Antragstellers nicht mit Bescheiden vom 01.06.2011 und vom 29.09.2011 wegen Nichterscheinens zu dem Untersuchungstermin im Oktober 2010 und der Notwendigkeit der Prüfung der Voraussetzungen des Anspruchs nach den Folgeanträgen von März und September 2011 verbunden mit dem Hinweis an den Antragsteller, zur Veranlassung eines Untersuchungstermins vorzusprechen, ablehnen. Vielmehr ist das im Gesetz vorgesehene Verfahren nach § 32 SGB II durchzuführen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20.02.2009 – L 5 B 376/08 AS ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 02.08.2011 – L 3 AS 130/11 B ER; SG Ulm, Beschluss vom 15.08.2008 – S 10 AS 2799/08 AS ER) und bei Nichterscheinen das Arbeitslosengeld II um 10 % zu mindern bzw. bei Erscheinen, aber Weigerung der ärztlichen Untersuchung zu prüfen und entscheiden, ob auch dann eine Sanktion nach § 32 SGB II verhängt wird oder nach §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) vorzugehen ist (vgl. hierzu LSG Bayern, Beschluss vom 03.01.2011 – L 7 AS 921/10 B ER; Berlit in LPK-SGB II, 4. Auflage 2012, § 31 Rn. 80; Sonnhoff, jurisPK, § 32 Rn. 20). Der Antragsgegner kann weder Grundsicherung bis zu dem Zeitpunkt, bis der Antragsteller vorspricht, um einen Untersuchungstermin zu vereinbaren, ablehnen noch kann das Sozialgericht (SG) unter Hinweis darauf, dass der Antragsteller seine Erwerbsfähigkeit durch Entziehen einer Untersuchung nicht glaubhaft gemacht hat, versagen.
Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Die Bedürftigkeit des Antragstellers ist nach der hier gebotenen summarischen Prüfung glaubhaft gemacht. Der Senat verkennt dabei nicht, dass noch Zweifel an der Bedürftigkeit des Antragstellers bestehen, da die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht abschließend geklärt sind. Denn der Antragsteller hat nur ausgeführt, dass er von dem Regelbedarf seiner Ehefrau nach Einkommensanrechnung (288,00 EUR bzw. 297,00 EUR ab April 2012) lebt, aber nicht dargelegt, wie im Einzelnen der Lebensunterhalt seit der Einstellung seiner Leistungen zum August 2010 bestreitet. Zur Überzeugung des Senats müssen die noch nicht ausgeräumten Zweifel hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers der Klärung in einem Klageverfahren vorbehalten bleiben. Unter Berücksichtigung des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II und der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei nicht möglicher abschließender Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Folgenabwägung ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt. Der Senat geht davon aus, dass insbesondere im Hinblick auf die vom Antragsteller am 05.06.2012 vorgelegten Unterlagen die Hilfebedürftigkeit und damit den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist. Eine Eilbedürftigkeit liegt unter Berücksichtigung der finanziellen Situation der Antragsteller vor.
Die Voraussetzungen, unter denen der Senat eine Begrenzung des Regelbedarfs im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf 70 % vornimmt, liegen nicht vor (LSG NRW, Beschluss vom 26.04.2012 – L 7 AS 630/12 B ER; Beschluss vom 31.05.2012 -L 7 AS 337/12 B ER; Beschluss vom 08.07.2009 – L 7 B 188/09 AS ER).
Soweit der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Kosten für Unterkunft und Heizung begehrt, fehlt es an einer Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit). Nach den vom Antragsteller eingereichten Kontoauszügen wird die Miete überwiesen.
Der Senat hat sich hinsichtlich des Leistungszeitraumes an § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II sowie dem Umstand, dass der Juli 2012 zur Aufklärung des Sachverhalts genutzt werden sollte, orientiert.
Da die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hatte, war dem Antragsteller für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 19.06.2012
Zuletzt verändert am: 19.06.2012