Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27. Oktober 1997 geändert. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt, im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm einen Rollstuhl als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Verfügung zu stellen. Für die Neuanschaffung des von dem Arzt für Innere Medizin in W. Dr. M. im Juni 1997 verordneten Standardrollstuhl entstehen Kosten i.H.v. ca. 1.150 bis 1.200 DM.
Der am …1916 geborene Kläger befindet sich nach einem apoplektischen Insult im April 1997 seit dem 27.05.1997 zur vollsta tionären Pflege im Altenheim S. in W. Er leidet an einer erheblichen Immobilität mit kompletter Hemiparese rechts bei apoplektischem Insult mit Sprach- und Schluckstörungen, einer Harn- und Stuhlinkontinenz (Dauerkatheterversorgung) und einem schweren mentalen Defizit. Der Antragsteller bezieht Leistungen der vollstationären Pflege entsprechend der Pflegestufe III nach dem Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) in einem Gesamtwert von 2.800 DM monatlich und daneben ein Pflegewohngeld i.H.v. z.Zt. 725,13 DM monatlich. Er und seine weiter in der gemeinsamen Wohnung lebende Ehefrau beziehen Renteneinkommen i.H.v. insgesamt 2.971,99 DM. Daneben besteht nach Angaben des Sohnes des Antragstellers z.Zt. ein Prämiensparguthaben mit einem Vermögen i.H.v. 3.491,47 DM (Nr. X, Sparkasse L.), welches am 01.08.1991 angelegt wurde und über das ab 01.08.1998 verfügt werden kann. Auf einem weiteren Sparkonto (Nr. Y) befindet sich noch ein Guthaben von 5.763,52 DM, auf dem Girokonto ein Betrag von 700 DM. Das Altenheim S. stellt dem Antragsteller für die dort erbrachten Leistungen monatliche Kosten von durchschnittlich 6.100 DM in Rechnung.
Die Antragsgegnerin lehnte die Bereitstellung des unter Vorlage der Verordnung beantragten Standardrollstuhls mit Bescheid vom 17.07.1997 ab und empfahl dem Antragsteller, das gewünschte Hilfsmittel bei der Trägerschaft der Einrichtung zu beantragen. Zu den unerläßlichen Bedingungen der erforderlichen Pflegequalität gehöre auch der Einsatz und die Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln durch die jeweilige Pflegeeinrichtung. Der hiergegen von dem Antragsteller am 30.07.1997 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.1997 als unbegründet zurückgewiesen. Unter Bezugnahme auf den Inhalt eines Gutachtens zur Feststellung der Pflegestufe nach dem SGB XI vom 11.06.1997 und eine Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) in H. vom 11.07.1997 führte die Antragsgegnerin aus, der mit der Bereitstellung des Hilfsmittels verfolgte Zweck könne nicht mehr erreicht werden. Dem Antragsteller sei eine vom Pflegepersonal unabhängige aktive Teilnahme am gesellschaftlichem Leben nicht möglich, weil eine Fähigkeit zur eigenständigen Fortbewegung nicht mehr vorhanden sei.
Der Antragsteller hat mit einem bereits am 18.09.1997 bei dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen eingegangenen Schreiben begehrt, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung einen Standardrollstuhl zur Verfügung zu stellen. Ärztlich verordnete Hilfsmittel u.ä. seien nicht über den Pflegesatz abgegolten.
Mit Beschluss vom 27.10.1997 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragsteller einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit dem verordneten Rollstuhl zu versorgen. Die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet, die Ablehnung zu rechtfertigen. Die Versorgung mit einem Rollstuhl setze nicht voraus, daß dieser von dem Versicherten ohne fremde Hilfe genutzt werden könne (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 16).
Gegen den ihr am 03.11.1997 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 11.11.1997 Beschwerde eingelegt. Das SG habe nicht geprüft, ob und inwieweit dem Antragsteller eine vorläufige Selbstversorgung möglich und zumutbar sei und die Pflegeeinrichtung im Rahmen ihrer vertraglichen Verpflichtungen die Möglichkeit gehabt habe, den Antragsteller vorläufig zu versorgen.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des SG Gelsenkirchen vom 27.10.1997 aufzuheben und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Der Antragsteller weist darauf hin, mit einem Rollstuhl werde seine aktive Teilnahme am Leben in der Pflegeeinrichtung ermöglicht. Die Regelungen über die Gewährung von Hilfsmitteln nach § 33 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) hätten sich auch nach der Einführung des Pflege- Versicherungsgesetzes nicht geändert. Er könne nicht auf den vorläufigen Einsatz seines Vermögens verwiesen werden, da es sich um Schonvermögen im Sinne von § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) handele. Der sich auf dem Prämiensparbuch befindende Betrag sei nicht zu berücksichtigen. Es sei nur ein Betrag von 800 DM verwertbar. Mit diesem könne kein Rollstuhl erworben werden.
Das Altenheim S. hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, ein Rollstuhl könne von der Einrichtung nicht zur Verfügung gestellt werden. Durch die Bereitstellung eines Rollstuhles könne eine Verbesserung der Lebenssituation des Antragstellers insofern erreicht werden, als örtliche Veränderungen möglich seien und eine intensivere Teilnahme an Beschäftigungs- und Unterhaltungsangeboten erfolgen könne.
Der Senat hat weiter von der Kreisverwaltung U. den von dem Antragsteller angefochtenen Bescheid vom 20.11.1997 über die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Sozialhilfe für nicht gedeckte Heimpflegekosten (ca. 1.500 DM monatlich) und die diesem zugrunde liegenden Erklärungen des Sohnes des Antragstellers beigezogen. Bei der Ablehnungsentscheidung ging der Kreis U. davon aus, daß der Antragsteller über vorrangig einzusetzendes Vermögen von ins gesamt 36.872,82 DM verfüge. Hierbei wurde u.a. berücksichtigt, daß der Antragsteller von seinem Sparkonto Nr. Y a.a.0. unter dem 28.04.1997 und 27.05.1997 Beträge von 3.000 DM bzw. 28.000 DM abgehoben und diese seinen Enkeln S. und M. zum Zwecke der Wohnungseinrichtung sowie der Studienunterstützung zugewandt hatte. Weiter wurde als verwertbares Vermögen ein Betrag von 3.000 DM angesehen, den der Antragsteller unter dem 28.04.1997 an seinen Sohn als Kostenersatz für entstandene Reisekosten weitergegeben hatte.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.
Nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) ist in den im Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht geregelten Fällen vorläufiger Rechtsschutz in Vornahmesachen jedenfalls dann zu gewähren, wenn ansonsten schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nach teile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 46,167,179). In entsprechender Anwendung des § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) muß der Antragsteller einen Anordnungsgrund, d.h. die Unzumutbarkeit des Zuwartens auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren geltend und glaubhaft machen. Hier ist insbesondere von Bedeutung, ob es dem Antragsteller möglich und zumutbar ist, vorläufig durch den Einsatz eigener Mittel Abhilfe zu schaffen. Ob es tatsächlich unzumutbare Nachteile mit sich bringt, auf das Hauptsache-Verfahren verwiesen zu werden, kann im übrigen ohne eine zumindest summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Klage in der Hauptsache nicht festgestellt werden (Anordnungsanspruch). Die Erforderlichkeit einer Verknüpfung von wirtschaftlich-persönlichen Aspekten und materiell-rechtlichen Gesichtspunkten ergibt sich daraus, daß im Verfahren über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig nicht nur ein Anordnungsgrund, sondern auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen ist (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 936 der Zivilprozeßordnung – ZPO-). In welchem Umfang die Erfolgsaussichten einer Klage im Hauptsacheverfahren mit zu berücksichtigen sind, kann nicht generell und einheitlich beantwortet werden; entscheidend sind vielmehr die Verhältnisse des Einzelfalles, wobei insbesondere das streitbefangene Rechtsverhältnis und die Intensität der jeweils drohenden Nachteile zu beachten sind (LSG NRW, Beschluss vom 30.08.1990 – L 9 S 42/90).
Zwar ergibt die im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotene summarische Prüfung, daß der Antragsteller im Rahmen seines Anspruchs auf Krankenbehandlung nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 SGB V einen Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel haben kann. Jedenfalls ist die von der Beklagten angeführte Fähigkeit, den Rollstuhl selbständig und ohne Hilfe anderer Personen benutzen zu können, kein Abgrenzungskriterium für die positive oder negative Entscheidung über ein Hilfsmittel (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 20; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 7).
Auch soweit die Antragsgegnerin ausführt, bei einem Rollstuhl handele es sich um ein Hilfsmittel, das ein Pflegeheim im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung vorzuhalten habe, und auf die Voraussetzungen für die Zulassung von Pflegeeinrichtungen verweist, berührt dies weder den Anspruch des Antragstellers auf Versorgung mit dem beantragten krankenversicherungsrechtlichen Hilfsmittel noch die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bereitstellung eines Hilfsmittels nach § 17 des Sozialgesetzbuchs – Allgemeiner Teil – (SGB I). Regelungen über Zulassungsvoraussetzungen von Leistungserbringern sind nicht geeignet, individuelle Rechtsansprüche der Versicherten im Sinne des § 38 des Sozialgesetzbuchs – Allgemeiner Teil – (SGB I) zu beschränken (vgl. Beschluss des Senats vom 29.12.1997 -L 2 SKn 16/97).
Trotz der bei summarischer Prüfung gegebenen Erfolgsmöglichkeit im Hautsacheverfahrens kommt eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Überlassung eines Rollstuhles im Wege der einstweiligen Anordnung indes nicht in Betracht, weil der Antragsteller nicht dargelegt und glaubhaft gemacht hat, daß ihm ohne einstweiligen Rechtsschutz schwere und unzumutbare Nachteile drohen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Die weitere Sachaufklärung im Beschwerdeverfahren hat ergeben, daß es dem Antragsteller ohne Einschränkung seiner Lebensumstände zumutbar ist, die Kosten von ca. 1.200 DM für einen Rollstuhl aus seinem Vermögen vorzustrecken und die Antragsgegnerin im Falle des Obsiegens in der Hauptsache im Wege des § 13 SGB V (Kostenerstattung bei zu Unrecht erfolgter Leistungsablehnung) in Anspruch zu nehmen. Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, er verfüge nur (noch) über ein Schonvermögen im Sinne von § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG. Vor dem Hintergrund der mit der Heimeinweisung im zeitlichen Zusammenhang stehenden umfangreichen Bargeldschenkungen von ca. 34.000 DM an seine Enkel und an seinen Sohn kann ihm zugemutet werden, das jedenfalls noch vorhandene Barvermögen i.H.v. ca. 6.500 DM einzusetzen. Dabei folgt der Senat im wesentlichen den Ausführungen in dem Bescheid des Kreises U. vom 20.11.1997. Ergänzend hat der Senat berücksichtigt, daß durch die vorläufige Verwendung des tatsächlich vorhandenen Geldes – auch soweit dieses dem Schonvermögen zuzurechnen sein sollte – keine gravierenden Auswirkungen eintreten (Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 22.01.1992 – 6 S 2681/91 – ). Im Falle des Antragstellers und seiner Ehefrau liegt das Schonvermögen nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG bei 5.700 DM. Es ist nur ein geringer Betrag von ca. 400 DM aus diesem Schonvermögen aufzuwenden, wobei bereits zum 01.08.1998 das Vermögen aus dem Prämiensparbuch i.H.v. 3.491,47 DM zusätzlich zur Verfügung steht. Der Mangel an dem von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 46, 167, 179) geforderten Anordnungsgrund ist so gravierend, daß die Erfolgsaussichten demgegenüber in den Hintergrund treten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist endgültig, § 177 SGG.
Erstellt am: 10.08.2003
Zuletzt verändert am: 10.08.2003