Rücknahme der NZB
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 16.11.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Die Beklagte bewilligte dem am 00.00.1949 geborenen Kläger zunächst Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid vom 21.12.2004) und ab dem 1.12.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer in Höhe von zunächst (brutto) EUR 857,76 (Bescheid vom 26.1.2007). Bei der Berechnung der Renten legte sie wegen der Inanspruchnahme einer Rente vor Erreichen der Regelaltersgrenze einen um 36 x 0,3 % = 10,8 % verminderten Zugangsfaktor zugrunde, sodass bei der zuletzt gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung von 36,8012 Entgeltpunkten (EP) für den Zeitraum vom 1.8.1972 bis 31.3.2004 nur 32,8266 persönliche Entgeltpunkte (pEP) berücksichtigt wurden. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung bezog der Kläger durchgehend bis zum 31.1.2012.
Ab dem 1.2.2012 (also ab dem Monat nach Vollendung des 63. Lebensjahres) gewährte die Beklagte dem Kläger anstelle der Rente wegen voller Erwerbsminderung antragsgemäß Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von zunächst brutto EUR 901,93 Die Anspruchsvoraussetzungen für diese Rente seien ab dem 12.1.2009 erfüllt. Zur Ermittlung der pEP führte sie aus, EP, die bereits Grundlage einer früheren Rente gewesen seien, behielten den Zugangsfaktor der früheren Rente. Dies treffe für den Kläger insoweit zu, als bei der Rente wegen voller Erwerbsminderung pEP in Höhe von 32,8266 zugrunde gelegt worden seien. Dazu seien 0,0067 neue EP zu addieren, die der früheren Rente noch nicht zugrunde gelegen haben und deshalb mit einem Zugangsfaktor von 1,0 (d. h. vollständig) als pEP berücksichtigt werden. Insgesamt ergeben sich damit 32,8333 pEP (Bescheid vom 9.12.2011). Mit seinem Widerspruch beanstandete der Kläger den gekürzten Zugangsfaktor. Er nehme die Altersrente für schwerbehinderte Menschen erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres – also nicht vorzeitig – in Anspruch. Insoweit regele § 77 Abs 3 Satz 2 Ziffer 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), dass der Zugangsfaktor für EP, die Versicherte bei einer Rente wegen Alters nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen haben, um 0,003 je Kalendermonat erhöht werde. Dies treffe bei ihm für volle drei Jahre zu, so dass für alle EP (wieder) ein Zugangsfaktor von 1,0 zugrunde zu legen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen der angefochtene Bescheid fehlerhaft sein solle (Widerspruchsbescheid vom 23.2.2012).
Mit seiner Klage vom 23.3.2012 hat der Kläger "Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Rentenabschlag (verminderter Zugangsfaktor)" begehrt. Er hätte die Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres beantragen können, habe dies jedoch erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres getan.
Die Beklagte hat ihre Entscheidung weiter für rechtmäßig gehalten.
Nachdem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten, hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen: Fehler in der Rentenberechnung seien nicht zu erkennen. Die Sonderregelung des § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB VI sei nicht einschlägig, weil der Kläger bis zum Beginn der streitigen Altersrente eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezogen habe (Urteil vom 16.11.2012, den Bevollmächtigten des Klägers am 26.11.2012 zugestellt).
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 18.12.2012, mit der er den Anspruch auf ungekürzte Altersrente für schwerbehinderte Menschen (d.h. mit dem Zugangsfaktor 1,0) weiterverfolgt. Nach Hinweis des Senats, dass § 77 Abs 3 Satz 3 SGB VI nicht einschlägig sei, erwiderte der Kläger, dass im Hinblick darauf, dass zu der vorliegenden Rechtsproblematik mehrere gleichartige Rechtsmittelverfahren geführt würden, "auch das hiesige Verfahren" fortgeführt werde.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie hat zur Probe errechnet, dass der Wert des Rechts auf Rente für schwerbehinderte Menschen bei Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Februar 2012 EUR 1.011,11 betrüge.
Die Beteiligten haben sich auch im Berufungsverfahren mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf die Gerichtsakten, auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die beigezogenen Vorprozessakten des SG Aachen (Az S 4 R 123/05 = LSG NRW L 3 R 100/06 und S 4 R 92/07 = LSG NRW L 18 R 58/12) Bezug.
Entscheidungsgründe:
I. Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise ausdrücklich auch in zweiter Instanz einverstanden erklärt haben, § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es widerspricht nicht Artikel 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskommission (MRK), dass in beiden Tatsacheninstanzen keine mündliche Verhandlung stattfindet. Art 6 Abs 1 MRK schreibt für ein gerichtliches Verfahren grundsätzlich mindestens eine (öffentliche) mündliche Verhandlung vor. Dies soll eine besondere Gewähr für die Wahrung des (unmittelbaren) rechtlichen Gehörs durch Gelegenheit zum mündlichen Vortrag bieten (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG Beschlüsse vom 9.10.2014, Az B 13 R 157/14 B und vom 30.7.2009, Az B 13 R 187/09 B). Mit Art 6 Abs 1 in Einklang stehen indes nationale Rechtsvorschriften, die ein Abweichen von diesem Grundsatz erlauben, wenn alle Beteiligten eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich halten und deshalb ausdrücklich auf diese verzichten (vgl obiter dictum in: BSG, Beschluss vom 21.6.1994, AZ: 9 BV 38/94). Das entspricht dem allgemein geltenden Rechtsgrundsatz "volenti non fit iniuria" (Dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht).
II. Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 9.12.2011 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2012, § 95 SGG) nicht beschwert, weil dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Vielmehr hat die Beklagte den Wert des Rechts auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen darin zutreffend bestimmt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist der Bescheid vom 9.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2012 allein insoweit, als die Beklagte darin durch Verwaltungsakt den Wert des Rechts auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen feststellt (Verfügungssatz zur "Höhe der Rente").
Die Beklagte hat den Wert des Rechts auf Rente zutreffend und damit in richtiger Höhe ermittelt. Sie hat die im Gesetz vorgesehenen Berechnungsschritte zutreffend vollzogen, §§ 63ff SGB VI. Sie hat insbesondere zu Recht für diejenigen 36,8012 EP, die bereits dem Bescheid vom 26.1.2007 zugrunde lagen, zur Berechnung der pEP wie in diesem früheren Bescheid einen Zugangsfaktor von (nur) 0,892 zugrunde gelegt, § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI. Dieser Zugangsfaktor ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht (wieder) zu erhöhen. Das beruht darauf, dass es sich bei der Rente für schwerbehinderte Menschen um eine Folgerente und nicht um eine Erstrente handelt, und eine Rückausnahme nicht vorliegt. Eine Rückausnahme ergibt sich insbesondere weder aus § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB VI noch aus § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 2 SGB VI, weil die Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht erfüllt sind.
Nach § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB VI wird der Zugangsfaktor für EP, die Versicherte bei einer Rente wegen Alters nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen haben, um 0,003 je Kalendermonat erhöht. Nach § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 2 iVm § 264 d SGB VI wird der Zugangsfaktor für EP, die Versicherte bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit einem Zugangsfaktor kleiner als 1,0 nach Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 60. Lebensjahres bis zum Ende des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen haben, um 0,003 erhöht. Beide Vorschriften sind vorliegend schon nach ihrem Wortlaut nicht einschlägig (im Folgenden a.). Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte (im Folgenden b.), die rechtssystematische Stellung im SGB VI (im Folgenden c.) und den Sinn und Zweck bestätigt (im Folgenden d.). Auch eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht (im Folgenden e.)
a. Die vom Kläger für anwendbar gehaltene (Ausnahme -)Vorschrift des § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB VI trifft bereits nach ihrem Wortlaut nicht auf eine Fallkonstellation zu, in der nach einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erstmals eine Altersrente in Anspruch genommen wird. Die Formulierung "bei einer Rente wegen Alters nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen" besagt nämlich nach ihrem eindeutigen semantischen Gehalt, dass zuvor EP bei einer Rente wegen Alters in Anspruch genommen worden sein müssen. Erst unter dieser Voraussetzung kann sich in der Folge ergeben, dass solche EP nicht mehr in Anspruch genommen werden. Auch § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 2 iVm § 264 d SGB VI trifft nach seinem Wortlaut nicht auf den Kläger zu, da er die Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem Zugangsfaktor kleiner als 1,0 im gesamten Dreijahreszeitraum in Anspruch genommen hat.
b. Dem entspricht die Entstehungsgeschichte der (ursprünglichen) Vorschriften zum Zugangsfaktor und der späteren Vorschriften, die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einbeziehen und regeln, dass auch eine Rente wegen Erwerbsminderung eine Erstrente im Sinne von § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI sein kann, an die sich – als Folgerente – eine Altersrente anschließt.
Der Zugangsfaktor, der den Wert des Rechts auf Rente zum Zeitpunkt des Rentenbeginns und damit zur (durchschnittlichen) Rentenbezugsdauer in Relation setzt, ist durch Art 1 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261; 1990 I S 1337), geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 1989 (BGBl I S 2406), eingeführt und zum 1.1.1992 (RRG 1992) in Kraft getreten. Zentrale Vorschrift ist § 77 SGB VI. § 77 Abs 3 SGB VI enthielt bereits in seiner ursprünglichen Fassung (fortan: aF) die Regelung, dass für diejenigen EP, die bereits Grundlage von pEP einer früheren Rente wegen Alters waren, der frühere Zugangsfaktor maßgeblich bleibe; er werde jedoch für EP, für die der Versicherte eine Rente nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen habe, um 0,003 [ ] erhöht, § 77 Abs 3 Satz 2 Nr 1 SGB VI aF. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit waren zunächst nicht in die Regelungen zum Zugangsfaktor einbezogen. Der Bundesrat hatte die Bundesregierung aber in seiner Stellungnahme zum RRG 1992 bereits aufgefordert, eine Änderung des Rechts der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vorzubereiten, die verhindert, dass die vorgesehene Heraufsetzung der Altersgrenzen unterlaufen wird (BRDrucks 120/89, S 8). Diese Regelung wurde zum 1.1.2001 durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (EM-ReformG) vom 20.12.2000 (BGBl I S 1827) eingeführt. Durch dieses Gesetz wird § 77 SGB VI dahingehend ergänzt, dass auch Renten wegen Erwerbsminderung nach einem Zugangsfaktor berechnet werden; gleichzeitig erhielt § 77 Abs 3 SGB VI seine (im Wesentlichen) noch heute maßgebliche Fassung. Dabei wurden § 77 Abs 3 Satz 2 Nr 1 SGB VI aF ohne Änderung in § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB VI übernommen und § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 2 SGB VI neu eingefügt. Zur Begründung der Neuregelung hieß es, die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden an diejenige der vorzeitig in Anspruch genommenen Renten wegen Alters angeglichen. Mit dieser Regelung werde Ausweichreaktionen von den Altersrenten, die nur bei Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen werden können, in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegengewirkt (BTDrucks 14/4230, S 26).
c. Die Systematik der Vorschriften zum Zugangsfaktor, die Stellung des § 77 Abs 3 Satz 3 SGB VI in diesem Normgefüge und das Zusammenspiel der in dieser Vorschrift genannten Alternativen bestätigen, dass vorliegend beide Alternativen Nr 1 und Nr 2 des § 77 Abs 3 Satz 3 SGB VI nicht einschlägig sind.
Der Zugangsfaktor (als ein Faktor für die Berechnung des monatlichen Zahlbetrages der Rente) richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn [ ] und bestimmt, in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als pEP zu berücksichtigen sind, § 77 Abs 1 SGB VI. Er beträgt 1,0 bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersrente oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit [ ] für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, ist er 0,003 niedriger als 1,0, § 77 Abs 2 Nr 1 und 3 SGB VI. Bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gilt die Zeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres (oder bei vor 2024 beginnenden Renten eine geringere Grenze, § 264 d SGB VI) nicht als Zeit der vorzeitigen Inanspruchnahme, §§ 77 Abs 2 Sätze 2 und 3, 264 d SGB VI. § 77 Abs 2 SGB VI regelt damit – je nach Rentenart unterschiedlich – wie der Zugangsfaktor zu bestimmen ist, wenn erstmalig eine Altersrente, eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, eine Erziehungsrente oder einer Hinterbliebenenrente beansprucht wird (Bestimmung des Zugangsfaktors bei einer Erstrente). § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI bestimmt demgegenüber den Zugangsfaktor für diejenigen EP, die bereits Grundlage von pEP einer früheren Rente waren (Bestimmung des maßgeblichen Zugangsfaktors bei einer Folgerente). Daraus ergibt sich, dass die vollständige originäre Bestimmung eines persönlichen Zugangsfaktors (durch Umwandlung der EP in pEP) nur bei jeder Erstrente erfolgt (Grund- bzw Regelfall), während er bei jeder Folgerente grundsätzlich aus der Erstrente übernommen wird (Sonder- bzw Ausnahmefall). Sofern die (vollständige) Übernahme der pEP aus der Erstrente jedoch (ausnahmsweise) nicht sachgerecht ist, ist der Zugangsfaktor entsprechend anzupassen (Mischfälle aus übernommener und originärer Berechnung des Zugangsfaktors bzw Rückausnahme). Letzteres regelt § 77 Abs 3 Satz 2 SGB VI explizit für die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, weil bei dieser Rente wegen des Rentenartfaktors 0,5 (§ 67 Nr 2 SGB VI) nur die Hälfte der pEP für die Rentenberechnung herangezogen und deshalb "verbraucht" (Eichenhofer in: Eichenhofer/Wenner. Kommentar zum SGB VI. 2014. § 77 Rdnr 11) worden sind. Die systematische Stellung des folgenden Satzes 3 erhellt, dass die dortigen Regelungen ebenfalls eine Rückausnahme für Fallgestaltungen enthalten, in denen die (uneingeschränkte) Anwendung der Ausnahmeregelung für Folgerenten nicht sachgerecht ist, weil der Zeitraum, auf den sich die Kürzung erstreckt, nicht oder nicht vollständig ausgeschöpft wurde.
Da § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 2 SGB VI überdies eine (zum 1.1.2001 eingeführte, s.o.) Sonderregelung für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit enthält, spricht systematisch alles dafür, dass es sich dabei um eine abschließende (Sonder-)Regelung für den vorliegenden Fall (des nahtlosen Anschlusses einer Altersrente an eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit) handelt und daneben nicht auf § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB VI zurückgegriffen werden kann.
d. Dass der Kläger sich vorliegend weder auf § 77 Abs 3 Satz 3 Nrn 1 noch auf § 77 Abs 3 Satz 3 Nrn 2 SGB VI berufen kann, entspricht auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften.
Der Zugangsfaktor ist eingeführt worden, um Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer zu vermeiden, § 63 Abs 5 SGB VI. Die Umsetzung ist so geregelt, dass auf den Rentenbeginn abgestellt wird. Beginnt die Rente mit Erreichen einer (allgemeinen oder persönlichen) Regelaltersgrenze, besteht Anspruch auf die volle Rente. Wird die Rente vor Erreichen dieser Grenze (vorzeitig) in Anspruch genommen, fällt sie geringer aus, wird sie erst danach in Anspruch genommen, ist sie höher, § 77 Abs 2 SGB VI. In diesen gesetzlichen Mechanismus sind auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einbezogen, §§ 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3, 264 d SGB VI, bei denen allerdings die vorzeitige Inanspruchnahme auf maximal 3 Jahre begrenzt ist, § 77 Abs 2 Sätze 2 und 3 SGB VI. Die Einbeziehung der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verhindert ein Ausweichen auf diese Renten in Fällen, in denen gleichzeitig die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente mit geringerem Zugangsfaktor in Betracht kommt (Stahl in Hauck-Haines. SGB VI. Kommentar.§ 77 Rdnr 7). Die Ausnahmevorschriften in § 77 Abs 3 Satz 3 Nrn 1 und 2 regeln die Rückvergütung von im vorangehenden Rentenbezugszeitraum gekürzten, aber nicht verbrauchten EP. Dementsprechend regeln §§ 77 Abs 3 Satz 3 Nr 2, 264 d SGB VI (nur) für solche Fälle ein Rückausnahme, in denen die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht (vollständig) in den gleichen (Dreijahres-)Zeitraum fällt, für den auch eine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente möglich ist. Eine solche Fallkonstellation ist vorliegend gerade nicht gegeben. Der Kläger hat vielmehr die Rente wegen voller Erwerbsminderung über den gesamten Dreijahreszeitraum nahtlos bis zum Beginn seiner Altersrente bezogen, also über den gesamten Zeitraum, für den nach seinem eigenen Vortrag auch die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen möglich gewesen wäre. Sein "Ausweichen" auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung kann nach der entsprechend dem Willen des Gesetzgebers (s.o.) verwirklichten Gesetzeskonzeption gerade nicht dazu führen, dass ihm nun die volle Altersrente für schwerbehinderte Menschen gewährt wird. Eine solche Rückausnahme läge mit der vom Kläger begehrten Rechtsfolge (Zugangsfaktor wieder 1,0) nur dann vor, wenn der Kläger im gesamten Zeitraum von Februar 2009 bis Januar 2012 weder die Rente wegen voller Erwerbsminderung noch die (vorgezogene) Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch genommen hätte. Nur dann wäre die Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach der Rückausnahme des §§ 77 Abs 3 Satz 3 Nr 2 iVm 264 d SGB VI wieder mit einem Zugangsfaktor von 1,0 zu berechnen gewesen. Die Rückausnahme des § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB VI ist – entgegen der Auffassung des Klägers – auf den vorliegenden Fall nach ihrem Sinn und Zweck von vorneherein nicht anwendbar. Sie betrifft weiter (wie vor dem 1.1.2001) nur Fallgestaltungen, in denen die bei einer früheren Rente wegen Alters zugrunde gelegten pEP wegen des Wechsels von Teil- in Vollrente, von einer niedrigeren in eine höhere Teilrente oder bei Bezug einer erneuten Altersrente nach Wegfall einer früheren wegen Hinzuverdienstes nicht (vollständig) in Anspruch genommen wurden und deshalb bei einer Folgerente (iS der Rückausnahme) wieder erhöhend zu berücksichtigen sind (KomGRV. Stand März 2014. Bd 3. § 77 Zif 4.4.1; Silber in LPK-SGB VI § 77 Rdnr 9; Försterling in GK-SGB VI/139. Stand November 2008. § 77 Rdnr 101).
e. Eine analoge Anwendung von § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 oder Nr 2 SGB VI kommt nach dem zuvor Gesagten ersichtlich nicht in Betracht, weil keine Gesetzeslücke, sondern ein stimmiges Konzept vorliegt. Überdies stünden einer solchen analogen Anwendung auch grundsätzliche rechtsmethodische Bedenken entgegen, weil es sich um Ausnahmevorschriften handelt. Ausnahmevorschriften sind in der Regel einer analogen Anwendung nicht zugänglich, weil sie eng auszulegen sind und nicht beliebig (praeter legem) erweitert werden dürfen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183 S 1, 193 Abs 1 S 1 SGG.
IV. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, da die Voraussetzungen des § 160 Abs 1 oder 2 SGG nicht vorliegen. Die Sache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, weil sich die aufgeworfene Rechtsfrage unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt. Ernst zu nehmende abweichende Auffassungen sind weder behauptet noch ersichtlich.
Erstellt am: 05.05.2015
Zuletzt verändert am: 05.05.2015