Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08. Januar 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die 1938 geborene Klägerin ist die Witwe des 1929 geborenen und am 22.09.1996 an den Folgen eines metastasierenden Lungenkarzinoms verstorbenen Versicherten I N. Die Krebserkrankung war im Frühjahr 1995 festgestellt worden. Nachdem der Kläger am 23.05.1995 in der S-klinik in F operiert worden war, erstattete Dr. H, Chefarzt der Abteilung Thoraxchirurgie und thorakale Endoskopie der Ruhrlandklinik, im Juli 1995 eine Berufskrankheiten-Anzeige. Mit Bescheid vom 07.05.1996 erkannte die Beklagte das Karzinom als Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) an und bewilligte dem Versicherten rückwirkend ab 13.06.1995 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. Die Rente betrug zuletzt 2.210,34 DM monatlich.
Ende August 1996 wurde bei dem Versicherten während einer stationären Behandlung im St. W-Krankenhaus N ein Tumorrezidiv mit Nebennierenmetastasen festgestellt. Angesichts des ausgeprägten Rezidivbefundes verzichteten die Ärzte auf weitere invasive Maßnahmen und führten lediglich eine symptomatische Therapie insbesondere zur Schmerzbekämpfung durch. Der Versicherte wurde am 11.09.1996 in bettlägerigem Allgemeinzustand entlassen. Am 12.09.1996 heirateten die Klägerin und der Versicherte. Die Eheschließung fand im unmittelbaren Anschluß an die Aufgebotsverhandlung in der Wohnung der späteren Eheleute statt. Wegen der Schwere der Erkrankung hatte der Standesbeamte dem Antrag auf Befreiung vom Aufgebot stattgegeben. Sowohl für die Klägerin als auch für den Versicherten war es die zweite Ehe. Die Klägerin war seit 1981 geschieden; die erste Ehefrau des Versicherten war im Jahre 1981 verstorben.
Im September 1996 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenleistungen. Zu den Gründen der Eheschließung gab sie folgende Stellungnahme ab: Sie sei mit dem Versicherten seit September 1983 befreundet gewesen und habe mit ihm seit August 1984 in eheähnlicher Gemeinschaft zusammengelebt. Sie hätten bereits seit Jahren die formelle Eheschließung "ins Auge gefaßt". Hierbei sei es dann aber verblieben. Nach der Operation hätten sie konkret beabsichtigt, die Ehe miteinander einzugehen. Allerdings habe der Versicherte warten wollen, bis es ihm gesundheitlich wieder besser gegangen sei. Es sei beabsichtigt gewesen, zusammen mit den vorgesehenen Trauzeugen eine Reise in die USA zu unternehmen und die formelle Trauung in Las Vegas zu vollziehen. Der angegriffene Gesundheitszustand des Versicherten habe dies dann aber nicht mehr zugelassen. Sie sei seit langem vollständig in die Familie des Versicherten, dessen Enkel "Oma" zu ihr sagten, integriert.
Mit Bescheid vom 17.12.1996 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Witwenrente unter Berufung auf § 594 Reichsversicherungsordnung (RVO) ab. Zwar sei der Versicherte an den Folgen der anerkannten Berufskrankheit verstorben. Die Ehe sei jedoch erst am 12.09.1996 geschlossen worden, und nach Abwägung aller Umstände spreche mehr für eine Versorgungsehe als dagegen. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie machte geltend, durch die Regelung des § 594 RVO solle verhindert werden, dass Versicherte kurz vor ihrem Tode noch eine Ehe schlössen, um einen anderen in den Genuss der Hinterbliebenenbezüge zu bringen, ohne dass mit der Eheschließung emotionale Bindungen einhergingen. Der Versicherte und sie hätten aber seit Jahren wie ein Ehepaar miteinander gelebt und seien füreinander dagewesen. Insbesondere nach der Erkrankung des Versicherten habe sie sich intensiv um seine Pflege und seine Versorgung gekümmert. Sie sei auch Patin eines seiner Enkelkinder. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.1997 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 12.06.1997 Klage erhoben. Sie hat vorgetragen: Die Eheschließung habe dem innigen Wunsch beider Ehegatten entsprochen. Etwa seit 1993 und damit lange vor dem Bekanntwerten der Erkrankung des Versicherten hätten konkrete und ernsthafte Heiratsabsichten bestanden. Die Eheschließung habe aber mit einer besonderen Reise verbunden werden sollen. Im Jahre 1994 sei die Heirat zurückgestellt worden, weil der Versicherte stark an Gewicht verloren habe und ärztlicherseits der Grund zunächst nicht erkannt worden sei. Nach dem Bekanntwerden der Erkrankung und der Operation sei die Heirat zurückgestellt worden, weil der Versicherte bis zuletzt an eine vollständige Genesung geglaubt und an seiner Absicht festgehalten habe, die Eheschließung mit einer Reise in die USA zu verbinden. Die Ärzte hätten dem Versicherten nach der Operation Hoffnung gemacht, dass der Krankheitsherd vollständig entfernt worden sei und er nach einer längeren Rekonvaleszenzzeit von ein bis zwei Jahren wieder normal leben könne. Wegen der Angaben der Klägerin bei ihrer Anhörung durch das Sozialgericht wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17.12.1997 (Bl. 17 bis 20 der Gerichtsakten) verwiesen.
Mit Urteil vom 08.01.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das am 01.02.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.02.1999 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Dem Versicherten sei es ein Herzensbedürfnis gewesen, die Ehe mit ihr zu schließen.
Ihre seit 1984 währende Lebensführung habe alle Merkmale eines ehelichen Zusammenlebens mit Ausnahme der formellen Trauung gehabt. Seit langer Zeit habe eine konkrete Eheschließungsabsicht bestanden. Die Söhne des Verstorbenen aus erster Ehe hätten die Eheschließung, die auch und gerade erbrechtliche Konsequenzen gehabt habe, begrüßt. Aber selbst wenn man als zumindest vordringlichen Heiratsgrund eine Versorgungsabsicht annehmen wolle, sei sie aus Gründen der Gleichbehandlung als rentenberechtigt anzusehen. Mit der Hinterbliebenenrente solle die Mitarbeit des Überlebenden im Familienbereich des Verstorbenen anerkannt werden. Die Lebensverhältnisse der späteren Ehegatten hätten seit vielen Jahren sämtliche Merkmale einer ehelichen Gemeinschaft erfüllt. Sie habe zudem im Betrieb des Versicherten mitgearbeitet. Es könne nicht zu ihren Lasten gehen, dass es aus Gründen, die nicht in ihrem Einflussbereich gelegen hätten, letztlich zum rein formalen Akt der Eheschließung nicht gekommen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.01.1999 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17.12.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.05.1997 zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen nach dem Tode des Versicherten I N nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Das Berufungsgericht hat durch die Berichterstatterin die Eheleute I und C S als Zeugen vernommen. Wegen der Angaben der Zeugen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.03.2000 (Bl. 91 bis 96 der Gerichtsakten) verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin keine Hinterbliebenenleistungen (§§ 590 ff. RVO, die hier noch Anwendung finden, vgl. § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VII – ) zustehen.
Nach § 594 RVO hat die Witwe keinen Anspruch, wenn die Ehe erst nach dem Beginn der dem Arbeitsunfall gleichstehenden Berufskrankheit geschlossen und der Tod innerhalb des ersten Jahres der Ehe eingetreten ist. Denn damit wird vermutet, "dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen" (§ 594 zweiter Halbsatz RVO). Die Voraussetzungen dieser Vermutung sind im vorliegenden Fall erfüllt. Dem Versicherten wurde mit Bescheid vom 07.05.1996 rückwirkend ab 13.06.1995 Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV gewährt. Die Eheschließung mit der Klägerin erfolgte am 12.09.1996. Am 22.09.1996 verstarb der Versicherte an den Folgen der anerkannten Berufskrankheit, so dass die Ehe nach dem Eintritt des Versicherungsfalls geschlossen und der Tod des Versicherten innerhalb des ersten Ehejahres eingetreten ist.
Die Vermutung, dass es sich hier um eine Versorgungsehe gehandelt hat, kann auch nicht als widerlegt angesehen werden. Die Vermutung ist widerlegt, wenn nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Besondere Umstände im Sinne von § 594 RVO sind alle Umstände des Einzelfalls, die nicht schon von der Vermutung selbst erfaßt sind und die geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Entscheidend ist nur, ob sie ausreichen, um die Vermutung zu widerlegen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen. Es muß eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Motive erfolgen, wobei die Vermutung nur dann als widerlegt angesehen werden kann, wenn die Versorgungsbsicht insgesamt betrachtet nicht überwiegt (BSGE 35, 272). Das läßt sich hier nicht feststellen.
Die Tatsache, dass die Klägerin bereits seit 1984 mit dem Versicherten in eheähnlicher Gemeinschaft zusammen gelebt hatte und in dessen Familie integriert war, entkräftet die Annahme einer Versorgungsehe nicht. Vielmehr unterstreicht das längjährige eheähnliche Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten die Rechtsvermutung des § 594 RVO, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der zehn Tage vor dem Ableben des Versicherten geschlossenen Ehe gewesen sei, der Klägerin als späteren Witwe eine Versorgung zu verschaffen (vgl. LSG Niedersachsen, Urteil vom 26.05.1997 – L 6 U 336/96 – , abgedruckt in HVBG-Info 24/97 m.w.N.). Auch die konkreten Umstände der Eheschließung sprechen für eine Versorgungsehe. Die Heirat erfolgte unmittelbar, nachdem bei dem Versicherten während einer stationären Behandlung ein Tumorrezidiv mit Nebennierenmetastasen, für das es bis auf symptomatische Maßnahmen zur Schmerzbekämpfung keine Behandlungsmöglichkeit mehr gab, festgestellt worden war. Einen Tag nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wurde das Aufgebot bestellt und in der Wohnung der späteren Eheleute die Ehe geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt waren sich beide Ehegatten – wie die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Sozialgericht erklärt hat – darüber im Klaren, dass der Versicherte bald sterben würde.
Ein von der Versorgungsabsicht verschiedenes Motiv vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu erkennen. Die Vorgeschichte läßt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht den Schluss zu, dass die Versorgungsabsicht insgesamt betrachtet nicht überwiegt und sich die Eheschließung als die konsequente Verwirklichung eine schon vor Bekanntwerden der Erkrankung gefassten Heiratsentschlusses darstellt (vgl. Bayr. VGH, Urteil vom 1.12.1998 – 3 B 95.3050 – , abgedruckt in HVBG-Info 1999, 3043). Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist vielmehr davon auszugehen, dass hinreichend konkrete Heiratspläne erst nach dem Bekanntwerden der Krebserkrankung gefasst worden sind.
Zwar hat der Versicherte bereits im April 1993 gegenüber dem Zeugen S – wie dieser bei seiner Vernehmung bestätigt hat – seine Heiratsabsicht bekundet. Dass zu diesem Zeitpunkt ein sehr dringlicher Heiratswunsch bestanden hat, kann jedoch nicht angenommen werden. Den eigenen Angaben der Klägerin zufolge war bereits seit 1987 eine Hochzeit "ins Auge gefasst", aber aus verschiedenen Gründen (berufliche Beanspruchung, Erkrankung des Versicherten) immer wieder zurückgestellt worden. Da indes nicht anzunehmen ist, dass seit 1987 durchgehend Hinderungsgründe vorgelegen haben, wäre bei einem ernsthaften und dringlichen Heiratswunsch dessen Verwirklichung lange vor dem Bekanntwerden der Krebserkrankung zu erwarten gewesen.
Ein insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht konkreter Heiratsentschluss ist erst für die Zeit nach Bekanntwerden der Krebserkrankung belegt. Wie sich aus den Zeugenaussagen der Eheleute S ergibt, ist die Absprache, im Jahre 1996 eine Reise in die USA zu unternehmen und in Las Vegas zu heiraten, nach der Operation des Versicherten anlässlich eines Besuches der Eheleute S getroffen worden. Auch die Klägerin selbst hat in ihrer ersten Stellungnahme zu den Gründen der Eheschließung angegeben, dass der Versicherte und sie nach der Operation konkret beabsichtigt hätten, die Ehe miteinander einzugehen. Soweit sie vorträgt, die Prognose der Krebserkrankung sei nach der Operation günstig beurteilt worden und der Versicherte habe an die Überwindung der Krankheit geglaubt, ändert dies nichts daran, dass konkrete Heiratspläne erst nach Kenntnis einer Erkrankung mit einem grundsätzlich lebensbedrohenden Charakter gefasst worden sind. Die Vorgeschichte ist daher nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen.
Soweit die Klägerin meint, dass ihr auch bei Annahme einer überwiegenden Versorgungsabsicht aus Gründen der Gleichbehandlung eine Witwenrente zustehe, kann dem nicht gefolgt werden. Das Gesetz knüpft an das vermutete Motiv, dass es der alleinige oder der überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen, die Rechtsfolge, dass der Anspruch auf die Hinterbliebenenrente nicht besteht. Es ist ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, einem Missbrauch der Ehe vorzubeugen und manipulierte Folgen nicht eintreten zu lassen (BSGE 35, 272). Damit verstößt er entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz. Die Ausnahmeregelung des § 594 RVO erfaßt völlig gleichmäßig alle Witwen von Verletzten, wenn die Ehe erst nach dem Arbeitsunfall bzw. nach dem Beginn der Berufskrankheit geschlossen und der Tod innerhalb des ersten Ehejahres eingetreten ist, es sei denn, dass die gesetzliche Vermutung vom Vorliegen einer Versorgungsehe widerlegt werden kann (LSG NRW, Urteil vom 16.1.1973 – L 15 BU 12/72 -, abgedruckt in Breith. 1973, 710).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt.
Erstellt am: 05.11.2007
Zuletzt verändert am: 05.11.2007