Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, und zwar im Hinblick auf die Bewertung von Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug.
Mit Bescheid vom 18.12.2000 gewährte die Beklagte der am 20.01.1942 geborenen Klägerin für die Zeit ab 01.03.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Dabei wurden die von der Klägerin zurückgelegten beitragsfreien Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen sie keine Leistungen des Arbeitsamtes bezogen hatte – insgesamt 90 Monate – nur mit 17,50 % des für die Klägerin ermittelten Gesamtleistungswertes von 0,0464 Punkten berücksichtigt.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 03.01.2001 Widerspruch ein, mit dem sie sich gegen diese Kürzung wandte: Es sei nicht einzusehen, weshalb der Gesetzgeber ausgerechnet bei solchen Zeiten Kürzungen vornehme, für die die Versicherten nicht einmal Leistungen des Arbeitsamtes erhalten hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2001 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Sie führte aus, dass sich die Kürzung aus der für die Beklagte als Organ der Exekutive verbindlichen Vorschrift des § 263 Abs. 1 a SGB VI in Verbindung mit Anlage 18 zum SGB VI ergebe.
Nachdem die Klägerin nachgewiesen hatte, dass sie über die bereits berücksichtigten rentenrechtlichen Zeiten hinaus auch noch vom 01.04.1986 bis 16.11.1987 arbeitslos gemeldet war, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 29.03.2001 die Rente der Klägerin wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.03.2000 neu fest, wobei sie auch die beitragsfreie Zeit von April 1986 bis Oktober 1987 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug berücksichtigte und den Gesamtleistungswert auch insoweit nur mit 17,5 % in Ansatz brachte.
Bereits zuvor am 26.03.2001 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Dieses Verfahren (Az.: S 22 RA 48/01) ist auf Anregung der Beteiligten mit Rücksicht auf ein seinerzeit bereits beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen anhängig gewesenes Prallelverfahren (Az.: L 14 RA 50/01) zunächst zum Ruhen gebracht und nach dessen Abschluss durch Klagerücknahme wieder aufgenommen worden.
Die Klägerin trägt vor, dass die geringe Bewertung der in Rede stehenden Zeiten in ihrem Fall zu einer Kürzung des Rententeilbetrages von 40 % führe. Eine solche Schlechterstellung müsse sie nicht hinnehmen. Ohne den Unterhaltsanspruch gegen ihren Mann hätte sie für diese Zeiten Arbeitslosengeld beanspruchen können. Hätte das Arbeitslosengeld z.B. auch nur 10,- Euro betragen, wären diese Zeiten mit 80 % Gesamtleistungswertes bewertet worden. Die von der Beklagten angewandte Kürzungsregelung stelle auch insoweit einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar, als sie sich regelmäßig zu Lasten von Frauen auswirke. Eine solche Regelung lasse sich auch mit europäischem Recht nicht in Einklang bringen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 18.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2001 sowie des Bescheides vom 29.03.2001 zu verurteilen, die Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin ohne Anwendung der sich aus dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz ergebenden begrenzten Gesamtleistungsbewertung für Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug zu berechnen, hilfsweise das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Artikel 100 Abs. 1 des Grundgesetzes einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, und bezieht sich insoweit auf die Ausführungen in ihrem Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin ist durch den angefochten Bescheid vom 18.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2001 und dem Bescheid vom 29.03.2001 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert; denn diese Bescheide sind rechtmäßig.
Die Beklagte hat bei der Rentenberechnung zu Recht die in Streit stehenden Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug – insgesamt 109 Kalendermonate – nur mit 17,5 % des Gesamtleistungswertes berücksichtigt. Denn gemäß der zum 01.01.1997 in Kraft getretenen und damit nach § 300 Abs. 1 SGB VI auch vorliegend anwendbaren Vorschrift des § 263 Abs. 2 a Satz 4 des Sozialgesetzbuches, Sechstes Buch (SGB VI) werden Kalendermonate, die nur deshalb Anrechnungszeiten sind, weil Arbeitslosigkeit nach dem 30.06.1978 vorgelegen hat, für die nicht Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe gezahlt worden ist, bei Beginn der Rente vor dem Jahr 2001 mit einem begrenzten Gesamtleistungswert bewertet, der sich in Abhängigkeit vom Beginn der Rente unter Anwendung des sich aus Anlage 18 zum SGB VI ergebenden Vomhundertsatzes ergibt. Hiernach ist der Gesamtleistungswert für eine Rente, die wie im Fall der Klägerin im März 2000 beginnt, auf 17,5 % begrenzt.
Dass die angefochtenen Rentenbescheide mit dieser gesetzlichen Regelung, wie sie seinerzeit durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25.09.1996 (BGBL I S. 1461) eingeführt worden ist, übereinstimmt, wird auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin verstoßen die in ihrem Fall einschlägigen Vorschriften des WFG auch nicht gegen höherrangiges Recht, so dass insbesondere auch keine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht in Betracht kommt.
In Sonderheit liegt kein unzulässiger Eingriff in das durch Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) geschützte Eigentum vor. Zwar ist die Klägerin gegenüber der vor Inkrafttreten des WFG bestehenden Rechtslage insofern benachteiligt, als nunmehr die Anrechnungszeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug nicht mehr mit 80 % des Gesamtleistungswertes, sondern bei einem Rentenzugang nach März 1997 bis Dezember 2000 nur noch in immer geringerem Umfang und ab Januar 2001 gar nicht mehr bewertet werden. Es ist auch anerkannt, dass eine Rentenanwartschaft dem Schutz des Artikel 14 GG unterliegt – vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil v. 28.02.1980, – 1 BvL 17/77 u.a. -, BVerfGE, Band 53, Seite 257 (289); Urteil v. 16.07.1985, – 1 BvL 5/80 u.a. -, BVerfGE 69, S. 272 (298) -.
Bei Eingriffen in bestehende Rentenanwartschaften ist jedoch zu berücksichtigen, dass in ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist, weil das Rentenversicherungsverhältnis nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Rechtfertigende Gründe für Eingriffe liegen bei Regelungen vor, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems im Interesse aller Versicherten zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen – vgl. BVerfG, Beschluss v. 01.07.1981 – 1 BvR 874/77 u.a., BVerfGE Bd. 58, S. 81 (119) -.
Dabei tritt der verfassungsrechtlich wesentliche personale Bezug des Versicherten zu dem Anwartschaftsrecht und mit ihm ein tragender Grund des Eigentumschutzes um so stärker hervor, je höher der zugrundeliegende Anteil eigener Leistungen ist. Für Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug werden jedoch weder Beiträge erbracht noch wirken sie sich in anderer Weise günstig auf die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Rentenversicherungssystems aus und unterscheiden sich damit z.B. wesentlich von Zeiten beruflicher und schulischer Ausbildung, die wegen der hierdurch erreichten Qualifizierung des Versicherten regelmäßig höhere Einkünfte und entsprechende Beitragsleistungen im weiteren Verlauf seines Versicherungslebens erwarten lassen. Der sich hieraus ergebenden geringen Schutzwürdigkeit der Klägerin steht das mit dem WFG im öffentlichen Interesse verfolgte Ziel gegenüber, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten und den veränderten Bedingungen anzupassen. Die wirtschaftliche Entwicklung hätte ohne zurückfahren der Leistungen aus der Rentenversicherung eine erhebliche Beitragssatzerhöhung erforderlich gemacht (vgl. Bundestagsdrucksache 13/4610, Seite 18). In diesem Rahmen stellt es eine im gesetzgeberischen Gestaltungsermessen zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums nach Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, wenn der Gesetzgeber Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug nicht mehr in die Bewertung der rentenrechtlichen Zeiten einfließen lässt, zumal er eine Übergangsregelung zwischengeschaltet hat, die auch der Klägerin noch zugute kommt.
Des weiteren verstößt die Regelung auch nicht gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (GG). Zwar teilt die erkennende Kammer die Einschätzung der Klägerin, dass sowohl das Risiko der Arbeitslosigkeit als auch die Wahrscheinlichkeit, in einem solchen Fall wegen Unterhaltsleistungen des Ehepartners keine Leistungen des Arbeitsamtes zu beziehen, sich bei Frauen häufiger realisieren als bei Männern. Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Regelung über die eingeschränkte bzw. ab Januar 2001 gänzlich entfallene Bewertung der Zeiten von Arbeitslosigkeit ist jedoch nicht das Geschlecht des/der Versicherten, sondern das Fehlen von Leistungen des Arbeitsamtes. Dies ist ein sachgerechtes Kriterium, weil nur für diejenigen Arbeitslosen, die auch Leistungen des Arbeitsamtes erhalten, Beiträge in die Rentenkasse fließen. Das Unterscheidungskriterium ist somit das der Beitragsbezogenheit. Bei dieser Sachlage scheidet auch ein Verstoß gegen das in Artikel 4 der EWG-Richtlinie 79/7 niedergelegte Verbot einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes aus. Denn bei einem beitragsfinanzierten System wie dem der gesetzlichen Rentenversicherung ist es objektiv gerechtfertigt, die Leistungen an die Höhe und Dauer des Beitrags zu binden. Angesichts der angespannten Gesamtlage der gesetzlichen Rentenversicherung und des Interesses an der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des gesetzlichen Rentensystems ist es verhältnismäßig, die nicht durch Beiträge gedeckten Leistungen zurückzuführen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Die Zulassung der Sprungrevision beruht auf § 161 SGG.
Erstellt am: 19.08.2006
Zuletzt verändert am: 19.08.2006