Die Klage wird abgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger 1/8 seiner erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Der Kläger war in der Zeit vom 27.08.1999 bis 26.09.2003 als Handesvertreter für die Firma BXH GmbH (BXH) tätig.
Der BXH befasst sich i. S. der §§ 84 ff des Handelsgesetzbuches (HGB) mit der Vermittlung von Bauspar- sowie Versicherungs- und ähnlichen Verträgen und setzt insoweit seinerseits Handelsvertreter ein. Ausweislich seines Handelsvertretervertrages mit dem BXH vermittelte der Kläger auf der Grundlage der ihm vom BXH zur Verfügung gestellten Unterlagen Verträge über Produkte, die vom BXH oder dessen Partnergesellschaften vertrieben werden. Ein Provisionsanspruch stand ihm nur gegenüber dem BXH zu.
Mit Bescheid vom 14.05.2001 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers nach § 2 Nr. 9 SGB VI ab Aufnahme der Tätigkeit für den BXH fest und forderte den Kläger auf, die auf der Grundlage des Regelbeitrags berechneten Beiträge für die Zeit von August 1999 bis Mai 2001 in Höhe von insgesamt XXX DM zu überweisen.
Den hiergegen am 08.06.2001 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2001 zurück.
Nachdem die Beklagte mit Bescheiden vom 27.11.2001 und 04.01.2002 die rückständigen Beiträge nebst Säumniszuschlägen festgestellt hatte, hat der Kläger am Montag, dem 21.01.2002, die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Seitens der Beklagten sei ihm in mehreren Telefonaten mitgeteilt worden, dass Handelsvertreter für den BXH grundsätzlich von der Versicherungspflicht freigestellt seien, da es sich nicht um Scheinselbständige handele. Seine Tätigkeit sei auch nicht nur auf einen Auftraggeber beschränkt gewesen. Denn die im BXH zusammengeschlossenen Handelsvertreter seien für diverse Versicherungsgesellschaften tätig und erhielten von ihnen Provision; diese Gesellschaften seien die Auftraggeber. Seine Tätigkeit sei zweigliedrig gewesen: In der ersten Phase habe er die Erstellung einer privaten Wirtschaftsbilanz zwischen dem Kunden und dem BXH vermittelt; dafür habe der Kunde dem BXH eine Schutzgebühr von XXX,- DM gezahlt. In der zweiten Phase habe er, der Kläger, auf der Grundlage der erstellten Wirtschaftsbilanz im Auftrag des jeweiligen Kunden Angebote verschiedener Versicherungsgesellschaften eingeholt und dann den Vertragsabschluss zwischen dem Kunden und einer der Versicherungsgesellschaften vermittelt. Dafür habe er dann von dieser Versicherung seine Provision erhalten. Die Abrechnung der Provisionen sei über den BXH erfolgt, der insoweit eine Dienstleistung für den Kläger erbracht habe. Für seine Tätigkeit als Handelsvertreter habe er wöchentlich ungefähr 50 Stunden aufgewandt. Er habe daraus jedoch kaum Gewinne erwirtschaftet. Nebenher sei er seit 1984 freiberuflich als Übersetzer und Dolmetscher für unterschiedliche Auftraggeber tätig geworden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 14.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2001 hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass Vermögensberater und Versicherungsvertreter, die einen Vertretervertrag mit einem Finanzdienstleister abgeschlossen haben, immer dann im Sinne des § 2 Nr. 9 SGB VI als Selbständige mit nur einem Auftraggeber anzusehen seien, wenn sie keine weiteren Vertreterverträge z. B. mit den einzelnen Versicherungsunternehmen oder Banken geschlossen hätten.
Während des gerichtlichen Verfahrens hat der Kläger Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2003 vorgelegt. Die Beklagte hat daraufhin ihre Bescheide vom 27.11.2001 und 04.01.2002 aufgehoben und dem Kläger für den Fall seiner Versicherungspflicht eine einkommensgerechte Berechnung zugesagt.
Außerdem hat sie – im Hinblick auf die ab 01.04.2003 geltende Fassung des § 8 SGB IV – den angefochtenen Bescheid für die Zeit nach dem 31.03.2003 aufgehoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und Vertragsunterlagen des Klägers Bezug genommen; diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Sie ist aber nicht begründet: Der Kläger ist nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert; denn die angefochtene Feststellung der Versicherungspflicht ist rechtmäßig.
Die Versicherungspflicht des Klägers ergibt sich aus § 2 Satz 1 Nr. 9 des Sechsten Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI). Maßgeblich für den noch in Streit stehenden Zeitraum vom 27.08.1999 bis 31.03.2003 sind die Fassungen dieser Vorschrift durch Gesetz vom 20.12.1999 (gültig ab 01.01.1999 bis 31.12.2001), vom 19.02.2002 (gültig ab 01.01.2002 bis 31.12.2002) sowie vom 24.07.2003 (gültig ab 01.01.2003 bis 31.12.2003). Danach sind selbständig tätige Personen versicherungspflichtig, wenn sie a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichten Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 630,- DM (bzw. 325,- EUR bzw. 400,- EUR) im Monat übersteigt, und b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind.
Der Kläger betrieb die Vermittlung von Versicherungs-, Bauspar- und ähnlichen Verträgen, die ihm gemäß Nr. 2 seines Vertrages mit dem BXH oblag, als Handelsvertreter im Sinne des § 84 des Handelsgesetzbuches (HGB) und damit als Selbständiger. Dies ist durch den Statusfeststellungsbescheid vom 23.05.2002 auch bestandskräftig festgestellt worden.
In dieser selbständigen Tätigkeit war der Kläger, der selbst keine Arbeitnehmer beschäftigte, versicherungspflichtig, weil er im Wesentlichen und auf Dauer nur für einen Auftraggeber, nämlich den BXH, tätig war.
Entgegen der Ansicht des Klägers können weder die (im Handelsvertretervertrag mit dem BXH so bezeichneten) "Partnergesellschaften" des BXH, nämlich die Versicherungsgesellschaften, deren Finanzprodukte der Kläger vermittelte, noch die Privatkunden ("Mandanten"), mit denen die Versicherungsverträge geschlossen wurden, im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI als Auftraggeber des Klägers angesehen werden. Denn insoweit bestanden keine vertraglichen Beziehungen zu dem Kläger, und zwar insbesondere keine solchen, aus denen er ihnen gegenüber einen Vergütungsanspruch hätte herleiten können.
Die Sichtweise des Klägers, dass der BXH lediglich eine Servicezentrale gewesen sei, über die er seine Ansprüche gegen die Partnergesellschaften habe abrechnen können, trifft nicht zu. Unter Nr. 4 des Handesvertretervertrages mit dem BXH heißt es ausdrücklich, dass dem Kläger aus seiner Vermittlungstätigkeit "Vergütungsansprüche nur gegenüber dem BXH, nicht aber unmittelbar gegenüber den Partnergesellschaften des BXH", zustehen. Dementsprechend bestimmte sich die "Provision oder Superprovision (des Klägers) entsprechend seiner Stufe im Vergütungs- und Karriereplan" des BXH (vgl. Nr. 5.1 des Handesvertretervertrages) und entstand der Provisionsanspruch des Klägers erst, sobald der Mandant die Prämie gezahlt hatte und "der BXH seinerseits die ihm zustehende Provision von der Partnergesellschaft voll erhalten" hatte (vgl. Nr. 5.2 des Handesvertretervertrags). Auch der Kläger selbst hat inzwischen eingeräumt, dass zwischen ihm und den Partnergesellschaften des BXH kein Vertragsverhältnis bestanden habe. Vertragliche Beziehungen unterhalten die Partnergesellschaften vielmehr nur mit dem BXH, der als ihr Handelsvertreter fungiert (vgl. Nr. 1.1 des Handelsvertretervertrags) und dabei seinerseits eigene Handelsvertreter wie den Kläger beauftragt.
Der Kläger war auch nicht Vertragspartner des jeweiligen Mandanten. Denn dieser schloss den – über den Kläger als Vertreter des BXH vermittelten – Versicherungsvertrag mit dem Versicherungsunternehmen. Die im Vorfeld erstellte "private Wirtschaftsbilanz" vermittelte der Kläger ausweislich seiner vorgelegten Unterlagen zu konkreten Fallbeispielen als Service des BXH; die dafür anfallende Schutzgebühr von seinerzeit XXX,- DM zahlte der Mandant dementsprechend nicht dem Handelsvertreter, sondern dem BXH. Die im Zusammenhang mit der Erstellung und Auswertung der privaten Wirtschaftsbilanz erforderliche sachgemäße Aufklärung und Beratung der Mandanten schuldete der Kläger nicht etwa aufgrund eines zwischen ihm und dem jeweiligen Mandanten geschlossenen Vertrages. Die entsprechende Verpflichtung ergab sich vielmehr allein aus seinem Handelsvertretervertrag mit dem BXH (vgl. Nr. 7.1 dieses Vertrages).
Dass er im Rahmen seiner Tätigkeit als Handelsvertreter im Wesentlichen nur für den BXH tätig war, scheint der Kläger im Übrigen ausweislich seiner Eintragungen im Formular "Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status" vom 10.10.2000/10.12.2001 zumindest zunächst auch selbst angenommen zu haben.
Soweit er sich darauf beruft, dass er durch telefonische Auskünfte der Beklagten in seiner nunmehr vertretenen Rechtsauffassung bestätigt worden sei, lässt sich hieraus schon deshalb nichts herleiten, weil der Kläger solche Auskünfte nicht nachweisen kann. Im Übrigen ist nach seinem Vortrag aber auch ein Missverständnis des Klägers hinsichtlich des Begriffs der Scheinselbständigkeit in Betracht zu ziehen: Tatsächlich sind Handelsvertreter ja keine Scheinselbständigen, so dass – abgesehen von dem Sonderfall einer Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI für "arbeitnehmerähnliche Selbständige" – grundsätzlich keine Versicherungspflicht besteht.
Eine Versicherungspflicht des Klägers lässt sich auch nicht mit Blick auf seine während des in Rede stehenden Zeitraums außerdem ausgeübte Tätigkeit als freiberuflicher Übersetzer und Dolmetscher verneinen.
Von Seiten der Versicherungsträger wird die Auffassung vertreten, dass parallel ausgeübte Tätigkeiten bei der Prüfung, ob jemand im Wesentlichen nur einen Auftraggeber hat, nicht als Einheit zu betrachten sind, sondern getrennt bewertet werden müssen – vgl. die von der Beklagten herausgegebene Broschüre "Arbeitnehmerähnliche Selbständige", BfA – Aktuell Sonderinformation Fragen und Antworten zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 6 -.
Eine solche Auslegung scheint nach der Zielsetzung des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI aber zumindest nicht zwingend. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift auf die zunehmende Flucht aus dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis reagieren und insbesondere die Fälle abfangen, in denen bisher als Arbeitnehmer Beschäftigte in die Selbständigkeit eines im Wesentlichen für einen Auftraggeber Tätigen überwechseln. Wer aber verschiedene selbständige Tätigkeiten ausübt und in der Zusammenschau dieser Tätigkeiten im Wesentlichen nicht nur einen, sondern mehrere Auftraggeber hat, befindet sich nicht in einer vergleichbaren wirtschaftlichen Abhängigkeit – vgl. Bieback, Die Sozialgerichtsbarkeit 2000, S. 189 (194); Buchner, Der Betrieb 1999, S 1502 (1503f.); Hanau/Eltzschig, Neue Zeitschrift für Sozialrecht, 2002, S. 281 (285) -.
Dies mag jedoch vorliegend dahinstehen. Denn auch wenn man seine Tätigkeit als Übersetzer und Dolmetscher einbezieht, ändert sich nichts daran, dass der Kläger im Wesentlichen nur für den BXH tätig war.
Bei dem Tatbestandsmerkmal der Wesentlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, mit dem sichergestellt werden soll, dass eine in nur völlig unbedeutendem Umfang für einen oder mehrere andere Auftraggeber ausgeübte Tätigkeit die Versicherungspflicht nicht ausschließt – vgl. Seewald in Kasseler Kommentar, Stand: März 2004, § 7 SGB IV Rdnr. 212 -.
Maßgebliche Beurteilungskriterien sind insbesondere die erzielten Einkünfte, aber auch z. B. die Tätigkeitszeit – vgl. Hohmeister, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 1999, S. 213 (214)-.
Stellt man bei der Prüfung der Einkünfte nicht auf die Umsätze bzw. Bruttoeinkünfte, sondern auf die nach Abzug aller Kosten – aber vor Steuern – verbleibenden Nettoeinkünfte ab, – so Brand, Der Betrieb, 1999, S. 1162 (1166) -, ergibt sich vorliegend zwar, dass der Kläger in den Jahren 1999, 2002 und 2003 nur als Dolmetscher und Übersetzer positive Einkünfte bezogen, aus seiner Vertretertätigkeit aber keinerlei Gewinn erzielt hat und dass der von ihm als Handelsvertreter in dem Jahr 2000 erzielte Gewinn weniger als 5/6 seiner gesamten Jahreseinkünfte ausmachte. Bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise verbietet es sich angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles aber, allein auf einen Vergleich der Nettoeinkünfte abzustellen.
Daneben muss nämlich auch ins Gewicht fallen, dass die Umsätze aus der Vertretertätigkeit stets (und in den meisten Jahren sogar erheblich) mehr als 5/6 der Jahresbruttoeinkünfte ausmachten – zu diesem Abgrenzungskriterium, das so auch von den Spitzenverbänden der Sozialversicherung angewandt wird, vgl. Hanau/Eltzschig, a. a. O.- und dass der Kläger als Vertreter im Durchschnitt 50 Stunden je Woche arbeitete und damit hierfür wesentlich mehr Zeit aufwandte als für seine Tätigkeit als Dolmetscher und Übersetzer. Entscheidend kommt hinzu, dass er mit dieser Tätigkeit als Dolmetscher und Übersetzer in dem fraglichen Zeitraum niemals die Grenzen einer geringfügigen selbständigen Tätigkeit im Sinne des § 8 des Vierten Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) überschritten hat. Wer aber- wie der Kläger – für einen Auftraggeber (hier: den BXH) mehr als nur geringfügig, für seine anderen Auftraggeber insgesamt aber nur in einem geringfügigen Umfang arbeitet, ist im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI im Wesentlichen nur für diesen einen Auftraggeber tätig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte (erst in der mündlichen Verhandlung) ihren Bescheid mit Rücksicht auf die Änderung des § 8 SGB IV für die Zeit nach dem 31.03.2003 aufgehoben hat.
Erstellt am: 24.05.2005
Zuletzt verändert am: 24.05.2005