Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 17.01.2014 wird als unzulässig verworfen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen "aG").
Bei dem am 00.00.1936 geborenen Kläger sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen "G", "B" und "RF" festgestellt. Er bezieht Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und steht unter Betreuung (Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 04.04.2001). Zur Betreuerin ist die Klägervertreterin, Frau F, bestellt worden, die mit dem Kläger zusammenlebt. Der Aufgabenkreis der Betreuung umfasst die Vermögenssorge. Für entsprechende Willenserklärungen ist ein Einwilligungsvorbehalt vorgesehen.
Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 28.12.2012 erfolglos die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" (ablehnender Bescheid der Beklagten vom 10.04.2013, Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 12.07.2013).
Am 18.07.2013 hat der Kläger, vertreten durch seine Betreuerin, Klage beim Sozialgericht Aachen erhoben. Das Sozialgericht hat die Klage nach Einholung eines Befundberichtes der Orthopädin Dr. E mit Urteil vom 17.01.2014 abgewiesen, da die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" laut dem eingeholten Befundbericht nicht vorlägen.
Das Urteil, das an den Kläger adressiert gewesen ist, ist laut Postzustellungsurkunde am 15.02.2014 unter der Adresse des Klägers durch Übergabe an die Betreuerin zugestellt worden.
Der Kläger hat, vertreten durch die Betreuerin, mit Schriftsatz vom 14.03.2014 Berufung eingelegt. Der Berufungsschriftsatz ist zum einen per Einschreiben an das Sozialgericht Aachen versandt worden. Das Einschreiben trägt einen Poststempel vom 17.03.2014 und ist beim Sozialgericht am 18.03.2014 eingegangen. Der Berufungsschriftsatz ist zum anderen per Einschreiben an das erkennende Gericht versandt worden. Auch dieses Einschreiben trägt einen Poststempel vom 17.03.2014 und ist beim erkennenden Gericht am 19.03.2014 eingegangen.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 25.03.2014 zu einer Verwerfung der Berufung als unzulässig im Beschlusswege wegen Versäumung der Berufungsfrist angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Senat macht nach entsprechendem Hinweis an die Beteiligten von der Möglichkeit des § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gebrauch, die Berufung im Beschlussverfahren als unzulässig zu verwerfen.
Die Berufung ist unzulässig, da die Berufungsfrist nicht eingehalten worden ist. Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen.
Das Urteil des Sozialgerichts wurde am 15.02.2014 zugestellt.
Die Zustellung richtet sich gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). Gemäß § 170 Abs. 1 ZPO ist bei nicht prozessfähigen Personen an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Die Zustellung an die nicht prozessfähige Person ist unwirksam. Eine wirksame Zustellung an den Kläger persönlich hat nicht erfolgen können. Dieser ist als prozessunfähig zu behandeln. Wird in einem Rechtsstreit eine prozessfähige Person durch einen Betreuer oder Pfleger vertreten, so steht sie für den Rechtsstreit einer nicht prozessfähigen Person gleich, § 71 Abs. 6 SGG i.V.m. § 53 ZPO. Der Kläger wurde und wird im Verfahren von seiner Betreuerin vertreten. Das Verfahren ist vom Aufgabenkreis der Betreuung, der Vermögenssorge, umfasst. Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen ist den Angelegenheiten der Vermögenssorge zuzuordnen, soweit sie mit finanziellen Vorteilen verbunden ist (so zum Merkzeichen "G": BSG, Beschluss vom 20.06.2006 – B 9a SB 13/05 B, juris Rn 9; zu den Merkzeichen "B", "H" und "RF": LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.03.2010 – L 11 SB 321/08, juris Rn 16). Das ist hier wegen der Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer bei Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" gemäß § 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz der Fall. In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich, § 1902 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Auch dass ein Betreuter trotz Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge einen solchen Prozess wegen der bloßen Vorteilhaftigkeit der Feststellung eines Merkzeichens nach § 1903 Abs. 3 Satz 1 BGB selbst führen könnte (vgl. BSG, a.a.O., Rn 10), führt nicht zur Wirksamkeit der an ihn selbst gerichteten Zustellung. Denn die eine Rechtsmittelfrist in Gang setzende Zustellung betrifft weder eine Willenserklärung noch ist sie lediglich rechtlich vorteilhaft (auch das BSG überträgt seine Überlegungen zu § 1903 BGB nicht auf Zustellungsfragen, vgl. BSG, a.a.O., Rn 17).
Der Zustellungsmangel wurde aber nach § 189 ZPO geheilt. Danach gilt ein Dokument bei Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Geheilt werden können Mängel, die in der Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften begründet sind, wozu § 170 ZPO gehört. Die Heilung tritt in diesem Fall ein, wenn das zuzustellende Schriftstück dem gesetzlichen Vertreter tatsächlich zugegangen ist (vgl. Stöber in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 189 Rn 5 f.; Wittschier in: Musielak, ZPO, 11. Aufl. 2014, § 189 Rn 3; Dörndorfer in: BeckOK-ZPO, Stand: 15.03.2014, § 189 Rn 4 f.; zur Heilung im Fall eines Bevollmächtigten vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2010 – VI ZR 48/10, juris Rn 10 ff.; Beschluss vom 20.10.2011 – V ZB 131/11, juris Rn 4 ff.). Das war hier durch die am 15.02.2014 erfolgte tatsächliche Übergabe an die Betreuerin der Fall.
Ob es gar keiner Heilung bedarf, weil eine Zustellung an den Prozessunfähigen auch dann wirksam ist, wenn eine Ersatzzustellung (wie hier nach § 178 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. ZPO) an den Vertreter erfolgt (so wohl Baumbach et al., ZPO, 72. Aufl. 2014, § 170 Rn 3; im Anschluss hieran Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 63 Rn 10, Fn 16; ablehnend Wittschier, a.a.O., § 170 Rn 2), kann dahinstehen.
Abzulehnen ist die Auffassung, wegen § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO sei eine Heilung im Fall von § 170 ZPO nicht möglich (vgl. Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl. 2014, § 170 Rn 3 und § 189 Rn 3; im Anschluss hieran Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 63 Rn 4). Denn ausweislich der Gesetzesbegründung hat § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur eine klarstellende Funktion (vgl. BT-Drs. 14/4554, S. 17). Dort heißt es zudem zu § 189 ZPO: "Wenn eine fehlerhafte Zustellung mit dem Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs an den Adressaten oder einen Empfangsberechtigten wirksam wird, muss das für jede Zustellung gelten." (BT-Drs. 14/4554, S. 25; Hervorhebung durch den Senat).
Die einmonatige Berufungsfrist lief damit gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 Abs. 3 SGG am Montag dem 17.03.2014, ab. Die vom Kläger gemäß § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG zulässigerweise auch an das Sozialgericht gerichtete Berufung ging dort aber erst am 18.03.2014, beim erkennenden Gericht sogar erst am 19.03.2014 ein.
Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren, da er nicht ohne Verschulden i.S.v. § 67 Abs. 1 SGG verhindert gewesen ist, die Berufungsfrist einzuhalten. Wiedereinsetzung wäre dann zu gewähren, wenn er die jeweiligen Einschreiben einen Tag vor Fristablauf zur Post aufgegeben hätte, da der Absender darauf vertrauen darf, dass die Post die normalen Postlaufzeiten einhält, und weil die Postunternehmen sicherstellen müssen, dass sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im ganzen Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80 vH am ersten Tag nach der Einlieferung ausliefern (vgl. Keller, a.a.O., § 67 Rn 6a). Ausweislich des Poststempels wurden die Einschreiben aber erst am Tag des Fristablaufs selbst, nämlich am Montag, dem 17.03.2014, zur Post aufgegeben. Gegenteilige Anhaltspunkte wurden vom Kläger nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 SGG zuzulassen, bestehen nicht.
Erstellt am: 28.10.2014
Zuletzt verändert am: 28.10.2014