1. Auf Erinnerung des Erinnerungsführers vom 19.12.2016 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeam¬ten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Dortmund vom 12.12.2016 dahingehend abgeändert, dass die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf insgesamt 535,50 EUR festgesetzt werden. Im Übrigen wird die Erinnerung zurück gewiesen. 2. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten. 3. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Erinnerungsführer begehrt im Rahmen der Kostenfestsetzung von der Staatskasse die Festsetzung höherer Gebühren und Auslagen hinsichtlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten, insbesondere hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
Diesem Erinnerungsverfahren liegt ein Klageverfahren vor dem erkennenden Gericht zu Grunde, mit dem der Kläger sich gegen den Erstattungsbescheid vom 21.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2014 wandte. Die in dem Verfahren beantragte Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 29.04.2016 bewilligt und der Erinnerungsführer beigeordnet. Das Verfahre endete mit Erklärung der Rücknahme im Erörterungstermin am 09.11.2016. Der Beklagte hat keine Kosten zu tragen.
Mit Schreiben vom 24.11.2016 beantragte der Erinnerungsführer im Rahmen der PKH-Liquidation die erstattungsfähigen Kosten der Klägerin wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV 300,00 EUR abzgl. Anr. Geschäftsgebühr gem. Nr. 2302 VV RVG – 42,50 EUR Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV 280,00 EUR Post- und Telekommunikationspauschale gem. Nr. 7002 VV 20,00 EUR Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV 105,93 EUR Gesamtbetrag 663,43 EUR
Die dem Erinnerungsführer aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 12.12.2016 abweichend auf insgesamt 484,93 EUR fest. Er wich insoweit vom Gebührenansatz des Erinnerungsführers ab, als er die beantragte Verfahrensgebühr nur i.H.v. 300,- EUR berücksichtigte, jedoch die Geschäftsgebühr für das Vorverfahren i.H.v. 150,- EUR hiervon abzog und sogleich gemäß der oben aufgeführten Rechnung nochmals 42,50 EUR hiervon abzog. Die Terminsgebühr wurde in der beantragten Höhe gewährt, ebenso die Post- und Telekommunikationspauschale. Die gemäß Nr. 7008 VV RVG zu berücksichtigende Mehrwertsteuer reduzierte sich entsprechend auf 77,43 EUR.
Am 19.12.2016 hat der Erinnerungsführer gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung eingelegt. Er trägt vor, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr nur i.H.v. 25,- EUR erfolgen dürfe, da ihm vom Beklagten für das Vorverfahren lediglich ein Betrag von 71,65 EUR brutto für das Vorverfahren erstattet wurden, was netto einem Anteil für die Geschäftsgebühr i.H.v. 50,- EUR entspricht. Gegenüber dem Kläger könne er keine höhere Gebühr geltend machen, da mit diesem die Abrechnung über die Beratungshilfe vereinbart worden sei, was aufgrund der vollen Kostentragung durch den Beklagten nicht durchsetzbar sei. Im Übrigen sei die Zahlung des Beklagten für das hiesige Vorverfahren, nicht das Parallelverfahren erfolgt. Dies folge aus der Kostenregelung im hier streitigen Widerspruchsbescheid vom 08.12.2014; im Parallelverfahren sei er zudem im Vorverfahren noch nicht mandatiert gewesen.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes werden auf den Inhalt der Gerichtsakte zum Verfahren S 22 AL 28/15 sowie die PKH-Nebenakte Bezug genommen.
Tatbestand
Gründe: II.
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie ist insoweit zulässig und begründet; i.Ü. ist sie unbegründet.
Die Höhe einer jeden anzusetzenden Rahmengebühr bestimmt der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftrag¬gebers sowie des Haftungsrisikos nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Entspricht die Bestimmung der Rahmengebühr durch den Rechtsanwalt nicht der Billigkeit, ist sie richterlich zu korrigieren (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.08.2010, Az. L 3 SF 6/09 E). Dabei sind die vom Gesetzgeber vorgegebenen festen Anhaltspunkte (Mindest-, Mittel- und Höchstgebühr) sowie der in Rechtsprechung und Literatur akzeptierte Toleranzrahmen von bis zu 20 % zu berücksichtigen; d. h. nur eine Bestimmung des Rechtsanwalts, die um 20 % oder mehr von der als billig erscheinenden Gebühr abweicht, ist unbillig (LSG NRW, Beschluss vom 29.11.2010, Az.: L 19 B 91/09 AS).
1) Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erachtet das Gericht vorliegend eine Festsetzung der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG (Gebührenrahmen 50,00 EUR bis 550,00 EUR) in Höhe der Mittelge¬bühr, d. h. in Höhe von 300,00 EUR – wie vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen – als angemessen. Insoweit ist die volle Mit¬telgebühr anzusetzen, wenn sich die Leistung im Vergleich zur Gesamtheit der so-zialgerichtlichen Verfahren insgesamt als durchschnittlich erweist, mithin den "Normalfall" abbildet (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az.: B 4 AS 21/09 R). Dieses ist hier der Fall.
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist vorliegend als durchschnittlich zu bewerten. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist der gesamte Arbeits- und Zeitaufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er objektiv auch aufwenden musste, zu würdigen (LSG NRW, Beschluss vom 25.5.2012, Az. L 19 AS 449/12 B). Vorliegend erstellte der Erinnerungsführer die Klageschrift vom 09.01.2015, die Klagebegründung vom 22.01.2015 sowie weitere Schreiben, in denen er ausführlich die Sach- und Rechtslage darstellte und zu den Schreiben des Beklagten und des Gerichts Stellung nahm. Verglichen mit anderen Verfahren vor den Sozialgerichten weist das vorliegende Verfahren daher einen durchschnittlichen Umfang bzgl. der anwaltlichen Tätigkeit auf.
Die Schwierigkeit der Tätigkeit des Erinnerungsführers ist ebenfalls als durchschnittlich einzustufen. Für die Ermittlung der Schwierigkeit gilt es, einen Vergleich zu Tätigkeiten in sonstigen Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu bilden. Dabei sind die qualitativen Anforderungen an die Tätigkeit im konkreten Fall zu berücksichtigen, wobei nicht auf die subjektive Einschätzung des Rechtsanwaltes, insbesondere nicht auf dessen Vorkenntnisse, abzustellen ist. Es ist vielmehr eine objektive Betrachtungsweise vorzunehmen (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az.: B 4 AS 210/9 R; LSG NRW, Beschluss vom 10.02.2011, Az. L 9 AS 1290/10 B). Bei der dem Klageverfahren zugrundeliegenden Frage, ob eine Erstattungsforderung besteht und auf welcher Rechtsgrundlage diese beruht, handelt es sich um eine im sozialgerichtlichen Verfahren durchschnittlich schwierige Rechtsfrage.
Die Bedeutung des Verfahrens für die Kläger war allenfalls durchschnittlich. Bei der Beurteilung der Bedeutung einer Angelegenheit ist auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit abzustellen (LSG NRW, Beschluss vom 12.06.2012, Az. L 19 AS 627/12 B). Dabei wird Streitigkeiten über Leistungen, die das soziokulturelle Existenzminium eines Auftraggebers sichern, in der Regel überdurchschnittliche Bedeutung beigemessen, denen erheblich unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse kompensierend gegenüberstehen (LSG NRW, Beschluss vom 12.6.2012, Az. L 19 AS 627/12 B). Gegenstand des Verfahrens S 22 AL 28/15 war die die Höhe der Erstattungsforderung nach dem SGB II, also keine Leistung des soziokulturellen Existenzminimums.
Ein besonderes Haftungsrisiko des Erinnerungsführers ist nicht erkennbar.
Bei Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG kommt dem konkreten Verfahren insgesamt eine durchschnittliche Bedeutung zu, so dass die durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle berücksichtigte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 300,00 EUR als nicht zu niedrig bemessen anzusehen ist.
Auf die Verfahrensgebühr i.H.v. 300,00 EUR ist sodann ein Betrag von 150,00 EUR nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG anzurechnen, jedoch nicht auch ein weiterer Betrag von 42,50 EUR. Insoweit wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet, wobei bei Betragsrahmengebühren der Anrechnungsbetrag höchstens 175,00 EUR beträgt. Vorliegend ist eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG für das Betreiben des Widerspruchsverfahrens i.H.v. 300,00 EUR entstanden, die nach Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG i.H.v. 150,00 EUR auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG anrechenbar ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 01.02.2017, Az. L 19 AS 1408/16 B).
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahren nur i.H.v. 71,65 EUR an den Erinnerungsführer ausgezahlt hat. Denn der Beklagte hat den Gebührenanspruch i.H.v. insg. 380,80 EUR für das Vorverfahren voll anerkannt und auch abgerechnet. Den weiteren Betrag von 309,15 EUR hat er gegenüber dem Kläger als Inhaber des Gebührenanspruchs und Gläubiger einer Erstattungsforderung des Beklagten aufgerechnet. Der Kläger wurde insoweit von seiner Erstattungspflicht gegenüber dem Beklagten in dieser Höhe befreit, ihm ist in dieser Höhe also der Gebührenanspruch "gutgeschrieben" worden und insoweit zugeflossen. Dem Erinnerungsführer ist es zur Überzeugung des Gerichts zumutbar, sich bzgl. der weiteren Forderung an seinen Mandanten zu wenden und die Zahlung der restlichen Vorverfahrensgebühr von diesem zu fordern. Soweit er mit dem Kläger intern vereinbart hat, eine Abrechnung über die Beratungshilfe vorzunehmen, dürfte sich dies jedenfalls nicht auf die Auszahlung des gutgeschriebenen Betrages über die Vorverfahrensgebühr erstrecken.
Für die Vornahme einer weiteren Anrechnung, die der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle i.H.v. 42,50 EUR vorgenommen hat, ist eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich.
2) Hinsichtlich der Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG (Gebührenrahmen 50,00 EUR bis 510,00 EUR) erachtet das Gericht einen Betrag in Höhe der Mittelge¬bühr, d. h. in Höhe von 280,00 EUR – wie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vorgenommen – als angemessen. Die volle Mit¬telgebühr ist nur anzusetzen, wenn sich die Leistung im Vergleich zur Gesamtheit der so¬zialgerichtlichen Verfahren insgesamt als durchschnittlich erweist, mithin den "Normalfall" abbildet (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az.: B 4 AS 21/09 R). Dies ist hier nicht der Fall.
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist vorliegend als unterdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Beurteilung des Umfangs ist auf den tatsächlichen Arbeits- und Zeitaufwand für die Terminteilnahme abzustellen, der wesentlich durch die Anzahl und Dauer der anberaumten Termine bestimmt wird (LSG NRW, Beschluss vom 14.06.2010, Az. L 19 AS 470/10 B). Zeiten der Vorbereitung einschließlich der Zeiten der Vorbesprechung und Anreise sind nicht im Rahmen der Festsetzung der Terminsgebühr, sondern der Verfahrensgebühr zu berücksichtigen (LSG NRW, Beschluss vom 30.03.2012, Az. L 18 KN 18/10 B). Im vorliegenden Fall ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als durchschnittlich einzustufen. Der Termin am 09.11.2016 dauerte anteilig 45 Minuten (während des 1,5stündigen Termins wurden insgesamt zwei Verfahren erörtert). In sozialgerichtlichen Verfahren ist eine durchschnittliche Verfahrensdauer von 30 bis 45 Minuten üblich und als durchschnittlich anzusehen (Hessisches LSG, Beschluss vom 20.04.2011, Az. L 2 SF 311/09 E; LSG NRW, Beschluss vom 16.12.2015, Az. L 19 AS 1475/15 B), so dass hier der Termin als durchschnittlich vom tatsächlichen Arbeits- und Zeitaufwand einzustufen ist.
Die Schwierigkeit der Tätigkeit des Erinnerungsführers ist als leicht unterdurchschnittlich einzustufen. Im Termin traten keine besonderen Schwierigkeiten auf, es gab insbesondere keine Beweisaufnahme. Hinsichtlich Schwierigkeit und Bedeutung ist zudem grundsätzlich bei Erörterungsterminen eine geringere Gebühr anzusetzen als für Termine zur mündlichen Verhandlung, da letztere mit einer das Verfahren abschließenden Entscheidung enden können und deshalb ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration erfordern (LSG NRW, Beschluss vom 30.03.2012, Az. L 18 KN 18/10 B).
Die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger war durchschnittlich, es ging um die Frage eines Erstattungsanspruchs. Ein besonderes Haftungsrisiko des Erinnerungsführers ist nicht erkennbar.
Damit ergibt sich nach Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG, dass bei der Terminsgebühr dem konkreten Verfahren dennoch insgesamt eine durchschnittliche Bedeutung zukommt, so dass die durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle berücksichtigte Terminsgebühr für das Verfahren gemäß Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 280,00 EUR als nicht zu niedrig bemessen anzusehen ist.
3) Im Ergebnis waren damit folgende Gebühren festzusetzen: 300,00 EUR Verfahrensgebühr abzgl. 150,00 EUR hälftige Geschäftsgebühr plus 280,00 EUR Terminsgebühr plus 20,00 EUR Post- und Telekommunikationspauschale zzgl. der auf diesen Gesamtbetrag entfallenden Umsatzsteuer i.H.v. 85,50 EUR. Insgesamt ergibt sich damit eine Gebührenhöhe von 535,50 EUR.
4) Gemäß § 56 Abs. 2 RVG ist das Verfahren über die Erinnerung gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
5) Da die Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr aus der Aufrechnung gegenüber dem Kläger nach hiesiger Erkenntnis noch nicht geklärt ist, war die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG zuzulassen.
Erstellt am: 03.07.2018
Zuletzt verändert am: 03.07.2018