Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 30.09.2002 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die im Dezember 1920 geborene Klägerin bezog auf Grund ihres Antrags von der Beklagten Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Form von häuslicher Pflegehilfe ab 31.10.1997 (Bescheid vom 23.12.1997). Diesem Bescheid lag ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 18.12.1997 zugrunde, das im Bereich der Grundversorgung ein Hilfebedarf von 50 Minuten und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung einen von 45 Minuten täglich ermittelt hatte.
Im Mai 2000 stellte die Klägerin einen Antrag auf Höherstufung, in dem sie u.a. darauf hinwies, dass sich ihr Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz von 60 v.H. gegenüber 1997 auf nunmehr 100 erhöht habe. Die Beklagte ließ die Klägerin erneut durch den Medizinischen Dienst untersuchen. In dessen Gutachten vom 23.10.2000 wurde nur noch ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 15 Minuten pro Tag und im Bereich der Hauswirtschaft von 51 Minuten pro Tag ermittelt. Mit Bescheid vom 26.10.2000 lehnte die Beklagte nicht den Antrag auf Höherstufung ab, sondern hob den Bewilligungsbescheid mit Wirkung vom 31.10.2000 auf, "da eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten sei".
Auf den Widerspruch der Klägerin, den sie mit der Bitte verband, ihr eine Übersicht der dem Gutachten des MDK zugrundeliegenden Kriterien zu schicken, ließ die Beklagte kommentarlos erneut eine gutachtliche Stellungnahme nach Aktenlage durch den MDK erstellen, teilte deren Ergebnis der Klägerin mit und wies sie darauf hin, mit einer täglichen Gesamtpflegedauer von ca. 15 Minuten liege sie "weit unter den Kriterien" für das Erreichen einer Pflegestufe. Da die Klägerin ihren Widerspruch persönlich bekräftigt und durch ein anwaltliches Schreiben aufrechterhielt, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2001 zurück.
Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage verfolgte die Klägerin (nur noch) das Ziel, wiederum Leistungen der Pflegestufe 1 zu erhalten. Nach Ermittlungen des Sozialgerichts sowie einem entsprechenden Gutachten des MDK vom 17.07.2002, das ein Zustand nach apoplektischem Insult im März/April 2002 beschrieb, erkannte die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen der Pflegestufe 1 ab 01.03.2002 an. Dieses Anerkenntnis nahm die Klägerin mit dem Antrag an, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Mit Beschluss vom 30.09.2002 entsprach das Sozialgericht diesem Antrag und legte zur Begründung dar, bei der umstrittenen Aufhebung wegen Änderung der Verhältnisse sei die Anhörung aktiv durch die Beklagte durch Übersendung auch des zugrundeliegenden Gutachtens oder Schilderung des genaueren Inhalts des Gutachtens mit Einzelangaben notwendig gewesen. Die Heilungsmöglichkeit nach § 41 Abs. 2 SGB X bedeute nicht, dass der Mangel automatisch entfalle. Vielmehr müsse die Beklagte entsprechend tätig werden. Dies sei auch im Klageverfahren nicht erfolgt.
Gegen den ihr am 07.10.2002 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 21.10.2002 Beschwerde eingelegt. Sie habe keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei es für eine ordnungsgemäße Anhörung ausreichend, wenn die Klägerin oder deren Prozessbevollmächtigte die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Verwaltungsakte hätten. Unerheblich sei, ob davon tatsächlich Gebrauch gemacht werde. Da die Anhörung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nachgeholt werden könne, sei die ausführliche Begründung im Widerspruchsbescheid im Übrigen ausreichend.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Gem. § 193 Abs. 1 S. 1 u. 3 SGG hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch Urteil endet. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin hat den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung erfolgt unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich sind (Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 7. Auflage München 2002, § 193 Rdnr. 13).
Legt man den Sach- und Streitstand im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zugrunde, so ist nach Auffassung des Senats davon auszugehen, dass weitaus mehr Gründe für einen Erfolg der Klage gesprochen haben als dagegen.
Der Senat lässt es ausdrücklich unbeantwortet, ob der Argumentation des Sozialgerichts zu folgen ist, eine ordnungsgemäße Anhörung setze ein Tun durch die Beklagte durch Übersendung maßgeblicher Unterlagen voraus. Dafür spricht zwar angesichts dieser Sachverhaltsgestaltung viel: Die Klägerin selbst bat schon im Widerspruchsverfahren darum, ihr eine Übersicht der dem Gutachten des MDK zugrundeliegenden Kriterien zu übersenden. Auch auf diese ausdrückliche Bitte ging die Beklagte nicht ein, was umso mehr verwundert, als die Klägerin doch eine Höherstufung beantragt hatte und sich nun – für sie völlig überraschend – sogar einem völligen Entzug der Leistungen ausgesetzt sah. Andererseits ist der Argumentation der Beklagten zuzugestehen, dass immerhin die Prozessbevollmächtigten – was eigentlich sehr nahelag – die Möglichkeit hatten, Akteneinsicht zu beantragen, dies umso mehr, als ohne eine Kenntnis der Vorgeschichte eine Wahrnehmung der Interessen der Klägerin in einem Fall des § 48 SGB X nur bedingt möglich erscheint. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an.
Eine Erfolgsaussicht der Klage sieht der Senat zumindest im Umfang des letztlichen Klageantrags (weiterhin Stufe 1 statt Höherstufung) als gegeben. Wertet man die allen Entscheidungen der Beklagten zugrunde liegenden Gutachten, so bleibt bis heute im Rahmen einer Beweiswürdigung nicht nachvollziehbar, welche Umstände nun tatsächlich eine wesentliche Änderung der Verhältnisse begründet haben. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin im Jahre 2000 bei höherem Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz gegenüber der Begutachtung im Jahre 1997 so drastisch gebessert hat, dass statt 50 nur noch 15 Minuten an Grundpflege erforderlich sein könnten, vermag der Senat dem Gutachten des MDK keineswegs zu entnehmen. Soweit darin die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin beschrieben werden, finden sich nahezu inhaltsgleiche Darstellungen. Die Schilderung in den Gutachten erweckt vielmehr den Eindruck, als wenn im MDK-Gutachten aus dem Jahre 2000 von dem dort tätig gewordenen Gutachter lediglich die Zeiteinschätzung des Ausmaßes des Hilfebedarfs abweichend vorgenommen wurde. Dies wäre aber keine wesentliche Änderung der Verhältnisse, wenn bei gleichen gesundheitlichen Gegebenheiten lediglich aufgrund eines Wechsels des Gutachters dieser die maßgeblichen Kriterien anders interpretiert und dann zu abweichenden Ergebnissen kommt. Vielmehr wäre das die Situation, dass möglicherweise von Anfang an die Situation falsch eingeschätzt wurde, was jedenfalls eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nicht begründet. Diesem offensichtlichen Widerspruch auch unter Berücksichtigung der Behinderungsbewertung nach dem Schwerbehindertengesetz nachzugehen, hat die Beklagte bis zum Ende des gerichtlichen Verfahrens schlichtweg versäumt. Dies mag seinen Grund darin haben, dass auch die Beklagte wie offenbar alle Pflegekassen unkritisch jeglichen Feststellungen des MDK folgt, was beim Senat immer mehr den Eindruck erweckt, dass in diesen Fällen nicht die Pflegekasse sondern statt dessen der eigentlich nur beratend tätig werdende MDK letztlich die Entscheidung trifft.
Es ist einer Pflegekasse hingegen nicht verwehrt, unter Würdigung der Gesamtumstände kritisch den Inhalt eines Gutachtens auf Schlüssigkeit und Logik zu überprüfen, wie das ein Gericht eben falls mangels medizinischer Sachkunde lediglich tun kann. Ebenso ist es der Pflegekasse möglich, selbst den Sachverhalt zuvor auf zuklären, indem etwa – was hier nahelag – der die Klägerin betreuende Pflegedienst, der doch Vertragspartner der Pflegekasse ist, befragt wird. Letztlich sind Zweifel angebracht, ob sich bei einer Versicherten im Alter von 80 Jahren chronische Erkrankungen derart bessern, dass sich das Ausmaß der Hilfebedürftigkeit sogleich um 70 % verringert.
Stattdessen hat die Beklagte hier der Klägerin das Risiko des Rechtsstreits aufgebürdet, der letztlich vor einem völlig anderen Hintergrund einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin aufgrund mehrerer Schlaganfälle sein Ende auch deswegen gefunden hat, weil die Klägerin ihr Klageziel offenbar beschränkte.
Letztlich wäre es – unabhängig von den vorstehenden Erwägungen – bei einem derartigen Sachverhalt und derart krassen Versäumnissen der Beklagten (§§ 1, 17 SGB I, § 21 SGB X) nach Auffassung des Senats unbillig, die Klägerin auch nur zum Teil mit den Kosten des gerichtlichen Verfahrens zusätzlich zu belasten.
Diese Entscheidung ist gem. § 177 SGG endgültig.
Erstellt am: 08.08.2003
Zuletzt verändert am: 08.08.2003