Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.05.2006 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist streitig, ob der Antragsteller Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hat.
Der am 00.00.1991 geborene Antragsteller lebt derzeit bei dem Lebensgefährten seiner Mutter, Herrn K. Die elterliche Sorge der Mutter ruht aufgrund Beschlusses des Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt vom 30.01.2006 (Az.: 18 F 304/05) und wird allein vom im C lebenden Vater des Antragstellers ausgeübt. Einem Antrag des Jugendamtes der Stadt Mönchengladbach auf Teilentzug der elterlichen Sorge wurde nicht stattgegeben. Aufgrund einer Alkoholerkrankung der Mutter, stationärer Entgiftungen und Therapien waren dem Antragsteller von Juni 2002 bis zumindest April 2005 Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch (XII) – Kinder- und Jugendhilfe (KJHG) – durch die Stadt Mönchengladbach, die Beigeladene, zuteil geworden. Der Antragsteller kann neben dem Kindergeld in Höhe von monatlich 154 EUR über Unterhaltsleistungen seines Vaters in Höhe von 118 EUR verfügen.
Für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 hatte die Antragsgegnerin dem damals mit seiner Mutter in einem Haushalt lebenden Antragsteller Leistungen bewilligt (Bescheid vom 20.12.2004). In einem Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes vor dem Sozialgericht Düsseldorf (S 23 SO 214/05 ER) erkannte die Stadt Mönchengladbach ihre grundsätzliche Leistungsverpflichtung nach dem SGB XII an. In diesem Verfahren hatte die Stadt Mönchengladbach zunächst die Auffassung vertreten, ihr Jugendamt sei zuerst angegangen worden im Sinne des § 43 SGB VIII, mit der Folge, dass zunächst die Ansprüche nach dem SGB VIII zu prüfen seien.
Der Antragsteller – nach Vollendung des 15. Lebensjahres – beantragte am 30.01.2006 bei der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II. Nachdem der Antrag offenbar nicht angenommen worden war, hat der Antragsteller am 09.03.2006 beim Sozialgericht Düsseldorf um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Ein ablehnender Bescheid liegt bisher – soweit ersichtlich – nicht vor.
Der Antragsteller hat u. a. geltend gemacht, die Voraussetzungen für Leistungen nach dem KJHG seien nicht erfüllt. Er erhalte lediglich Kindergeld und Unterhaltsleistungen seines Vaters in einer Gesamthöhe von 272,00 Euro. Er habe sich an der Miete in Höhe von 181,20 Euro zu beteiligen. In der Vergangenheit habe der Verlust der Wohnung wegen Mietrückständen abgewendet werden können. Wenn erneut Mietrückstände aufliefen, drohe die fristlose Kündigung. Der Vater des Antragstellers habe einen Antrag nach dem SGB VIII nicht gestellt, da die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach diesem Gesetz nicht vorlägen. Dies ergebe sich bereits aus der Leistungsgewährung nach dem SGB XII. Er leiste Unterhalt bei bestehender Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem weiteren Sohn und einem Nettoeinkommen von 1.159,50 EUR entsprechend seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Antragsgegnerin sei darüber hinaus gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I verpflichtet, vorläufige Leistungen zu erbringen, zumal die Wohnsituation des Antragstellers vollkommen ungesichert und es aufgrund der Mietrückstände bereits zu einer massiven Störung des Mietverhältnisses gekommen sei. Herr K beabsichtige nunmehr, eine neue Wohnung anzumieten, deren Kosten sich auf 395,45 Euro beliefen.
Der Antragsteller hat beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, der Antragsteller lebe zwar bei dem unter Betreuung stehenden Herrn K, das Sorgerecht habe aber der Vater, der ihm monatlich Unterhalt in Höhe von 118,00 Euro leiste. Vorrangig seien Leistungen nach dem SGB VIII zu prüfen. Der Antragsteller habe aber keinen Antrag nach dem SGB VIII gestellt. Die Antragsgegnerin bestreitet das Eingreifen des § 43 SGB I. Die Bewilligung vorläufiger Leistungen setze voraus, dass ein negativer Kompetenzkonflikt gegeben sei. Es bestehe jedenfalls kein Anordnungsgrund. Der Antragsteller erhalte Unterstützungsleistungen in Höhe von 272,00 Euro. Dieser Betrag unterschreite die Regelleistung nur um 4,00 Euro. Der Antragsteller selbst sei keine Verpflichtung zur Mietzahlung eingegangen.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 11.05.2006 abgelehnt. Der Antragsteller habe es unterlassen, einen Anspruch nach § 39 SGB VIII, der vorrangig in Betracht komme, geltend zu machen. Eine Leistungsverpflichtung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I bestehe nicht; ein negativer Kompetenzkonflikt, den ein solcher Anspruch voraussetze, liege nicht vor.
Gegen den ihm am 23.05.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 23.06.2006. Der Antragsteller könne nicht darauf verwiesen werden, einen Anspruch nach dem SGB VIII geltend zu machen. Die Sicherung des Lebensunterhalts sei lediglich ein Annex zur Jugendhilfeleistung. Solche werde nicht gewährt. Ein erzieherischer Bedarf sei nicht gegeben. Der Antragsteller befinde sich in fachpsychiatrischer Behandlung. Dort fänden auch regelmäßige Gespräche mit Herrn K statt. Die Entscheidung, welche Hilfen in Anspruch genommen würden, obliege allein dem Vater, zumal das Kindeswohl durch Nichtinanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB VIII nicht gefährdet sei. Zudem habe das Jugendamt der Stadt Mönchengladbach bei seinerzeitiger Vorsprache nach Umzug in die Wohnung des Herrn K dargelegt, dass ein Anspruch nach dem SGB VIII nicht gegeben sei. Daher sei in der Folgezeit kein Anspruch nach dem SGB VIII gestellt worden; vielmehr seien Leistungen nach dem SGB XII gewährt worden. Damit lägen die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 SGB I vor.
Die Antragsgegnerin sieht sich durch das darin enthaltene fachpsychologische Gutachten in ihrer Auffassung bestätigt, dass ein Bedarf für Hilfeleistung nach dem SGB VIII bestehe, da eine gemeinsame Betreuung des Antragstellers und Herrn K sozialpädagogischer bzw. psychologischer Art erforderlich sei. Auf die Bewilligung von SGB XII-Leistungen könne sich der Antragsteller nicht mit Erfolg berufen. Insoweit sei zu beachten, dass das Anerkenntnis vom 18.01.2006 datiere und der Antragsteller am 25.01.2006 das 15. Lebensjahr vollendet habe.
Der Senat hat die Stadt Mönchengladbach -Jugendamt – durch Beschluss vom 07.07.2006 gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen und die Akten des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt zum Aktenzeichen 18 F 304/05 beigezogen.
Die Beigeladene ist der Auffassung, es komme allenfalls eine Zuständigkeit der Stadt C für Leistungen nach dem SGB VIII in Betracht, da der allein sorgeberechtigte Vater dort lebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der beigezogenen Gerichtsakte des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers vom 23.06.2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 23.06.2006), ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen. Die Voraussetzungen für eine einstweilige (Regelungs-) Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG liegen nicht vor.
Es fehlt bereits an einem Anordnungsgrund. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm derzeit durch ein Abwarten einer positiven Hauptsacheentscheidung nicht ausgleichbare wesentliche Nachteile drohen. Die dem Antragsteller zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Kindergeld und Unterhaltsleistungen des Vaters) entsprechen bis auf 4 EUR den bei Hilfebedürftigkeit zu gewährenden Regelleistungen von 276 EUR. Es ist nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass dem Antragsteller Wohnungslosigkeit droht. Ausweislich der vorgelegten Mietbescheinigung vom 27.04.2006 hat Herr K zum 01.05.2006 eine neue Wohnung angemietet (H-straße 00 in N). Soweit ersichtlich liegt bisher nicht einmal ein Mietrückstand vor. In welchem Umfang derzeit ggf. Wohngeld bezogen wird, ist nicht bekannt. Bei dieser Sachlage erscheint ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung durchaus zumutbar.
Ob ein Anordnungsanspruch besteht, kann daher letztlich dahinstehen, da er jedenfalls nicht derart offensichtlich erscheint, als dass auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes verzichtet werden könnte. Leistungen nach dem SGB VIII gehen den Leistungen nach dem SGB II prinzipiell vor (§ 10 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII, § 5 Abs. 1 SGB II). Ein Anspruch gemäß §§ 32 bis 35 SGB VIII i.V.m. 39 SGB VIII kommt durchaus in Betracht. Hierfür sprechen insbesondere auch die Ausführungen im fachpsychologischen Gutachten der Diplom-Psychologin M aus K vom 22.11.2005. Darin wird nicht lediglich eine Fortsetzung der Behandlung bei der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Polmann empfohlen, sondern mehrfach die Notwendigkeit einer "großen sozialpädagogischen Unterstützung" des Antragstellers und Herrn K betont. Dem Antragsteller bzw. den Sorgeberechtigten obliegt es im Rahmen der Selbsthilfe, zur Abwendung der Hilfebedürftigkeit ggf. Anträge nach dem SGB VIII zu verfolgen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 und 3 Abs. 3 SGB II). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Jugendhilfe prinzipiell nicht antragsabhängig ist. Eine Klärung wird dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Hinsichtlich des – zumindest gerichtlich – geltend gemachten Anspruchs auf vorläufige Leistungen gemäß § 43 Abs. 1 SGB I wird darauf hingewiesen, dass eine Äußerung der Stadt Mönchengladbach, die die Entscheidung des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 30.01.2006 sowie das zu Grunde liegende Gutachten berücksichtigt, bisher nicht vorliegt. Es fehlt bisher auch an jedweder Äußerung der Stadt C, soweit deren Zuständigkeit wegen § 86 SGB VIII unterstellt wird. Die Antragsgegnerin wird ggf. aber den Antrag, soweit sie ihre Zuständigkeit weiterhin verneint, an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten haben (§ 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 12.10.2006
Zuletzt verändert am: 12.10.2006