LSG-Urteil wird geändert, Zurückverweisung an LSG
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln von 27.04.2009 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten sich nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Bemessungsgrundlage für die Berechnung von Elterngeld für Selbständige.
Die Klägerin ist Mutter des am 00.00.2007 geborenen Sohnes M. Sie ist seit dem Jahr 1993 als freiberufliche Journalisten tätig. Im Jahr 2004 gebar sie eine Tochter und nahm danach ihre selbstständige Tätigkeit wieder auf. Während des gesamten Jahres 2006 bis zur Geburt von M arbeitete sie als freiberufliche Journalistin.
Im Februar 2008 beantragte die Klägerin Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate von M. Dem Antrag beigefügt waren der Steuerbescheid für das Jahr 2006 sowie eine von einer Steuerberaterin unterzeichnete Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.12.2007. Der Steuerbescheid wies für das Jahr 2006 Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 11.950,00 EUR aus. Die Gewinnermittlung ergab für die Zeit vom 1.1.2007 bis 31.12.2007 einen steuerlichen Gewinn von 35.504 EUR.
Mit Bescheid vom 06.03.2008 bewilligte die Beklagte Elterngeld für den 1. Lebensmonat in Höhe von 46,89 EUR, für den 2. Lebensmonat in Höhe von 144,14 EUR und ab dem 3. bis 12. Lebensmonat in Höhe von monatlich 649,84 EUR. Sie legte der Berechnung die Einkünfte der Klägerin aus dem Kalenderjahr 2006 in Höhe von 11.950 EUR zugrunde, wie sie der Steuerbescheid ausgewiesen hatte. Davon zog der Beklagte 805 EUR Einkommensteuer, 72,45 EUR Kirchensteuer sowie Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 81,25 EUR, zur Krankenversicherung von 62,50 EUR sowie zur Pflegeversicherung von 7,08 EUR ab und ermittelte somit Nettoeinkünfte von 10921,72 EUR (Seite 17 Verwaltungsvorgang).
Mit ihren im März 2008 eingelegten Widerspruch trug die Klägerin vor, § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG könne keine Wirkung entfalten, wenn das Einkommen im steuerrechtlichen Veranlagungszeitraum sehr viel niedriger sei als in den zwölf Monaten vor der Geburt. Die gesetzliche Regelung führe zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Selbstständigen und Angestellten. Die gesetzliche Regelung müsse verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass zumindest ein weit höheres Einkommen im 12-Monats-Zeitraum vor der Geburt zugrundegelegt werden müsse.
Mit Bescheid vom 04.09.2008 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch unter anderem mit der Begründung zurück, dem Gesetzgeber stehe ein weiter Gestaltungsspielraum im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit zu. Eine Wahlmöglichkeit bestehe auch dann nicht, wenn die eine oder andere Fallvariante im Einzelfall günstiger sei.
Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Der Elterngeldberechnung sei der betriebliche Gewinn der Klägerin aus dem Jahr 2007 von 35.504,80 EUR zu Grunde zu legen.
Mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 27.4.2009 hat das Sozialgericht die auf Gewährung höheren Elterngeldes ist unter Zugrundelegung des in den 12 Monaten vor der Geburt des Kindes erzielten Gewinns gerichtete Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht nach § 2 Abs. 9 S.1 BEEG die Einkünfte der Klägerin aus dem Jahr 2006 zu Grunde gelegt. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Zur Vermeidung von sehr hohem Verwaltungsaufwand sei es sachgerecht, für die Ermittlung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit auf den letzten Steuerbescheid und dessen Veranlagungszeitraum zurückzugreifen. Dabei sei unter anderem zu berücksichtigten, dass Einkommen und Arbeitszeitaufwand in den beiden Einkommensarten (selbstständige beziehungsweise nichtselbstständige Arbeit) Schwankungen unterlägen – insbesondere die Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit im Hinblick auf Auftragslage, Investitionen, Auflösung von Rückstellungen etc. Die gesetzliche Regelung sei für anspruchsberechtigte Selbstständige nicht durchgehend nachteilig.
Zudem sei der Rückgriff auf den letzten Steuerbescheid mit einem regelmäßig weiter zurückliegenden Veranlagungszeitraum eher geeignet, willkürliche Erhöhungen des Einkommens bei Selbstständigen (z.B. durch gezielte Auflösung von Rückstellungen) zu vermeiden. Nicht selbstständig Beschäftigte hätten vergleichbare Gestaltungsmöglichkeiten nicht oder allenfalls durch die Erhöhung ihrer Arbeitszeit in Abhängigkeit von der Zustimmung des Arbeitgebers.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten Berufung hat die Klägerin ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2004 habe sie eine Weile gebraucht, um ihre Selbstständigkeit wieder auf dem vorher erreichten Niveau auszuüben. Im Jahr 2006 seien ihrer Einkünfte auch deshalb so niedrig gewesen, weil sie in diesem Jahr erhebliche gesundheitliche Probleme gehabt habe. Zudem habe sie Gelder für im Jahr 2006 abgewickelte Filmprojekte erst im Jahr 2007 ausgezahlt erhalten. Über den gesamten Verlauf ihrer Berufstätigkeit gesehen habe sie im Jahr 2007 wieder etwa in durchschnittlicher Höhe verdient. Um den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG Genüge zu tun, müsse der für sie günstigere Betriebsgewinn aus den 12 Monaten vor der Geburt bei der Berechnung des Elterngeldes zu Grunde gelegt werden. Andernfalls komme es zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung mit abhängig &61506;eschäftigten.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 27.4.2009 aufzuheben und den Bescheid vom 6.3.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.9.2008 insoweit aufzuheben, als höheres Elterngeld versagt worden ist und die Beklagte zu verurteilen, ihr das Elterngeld unter Berücksichtigung des im Zeitraum von Dezember 2006 bis November 2007 erzielten Einkommens zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die angefochtenen Bescheide und die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten 6.3.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids 04.09.2008 nicht beschwert, § 54 Abs. 2 SGG. Sie hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld.
Insbesondere hat die Beklagte der Berechnung zu Recht nach § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG den durchschnittlich monatlich erzielten Gewinn zu Grunde gelegt, wie er sich für den letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum, das Jahr 2006, auf der Grundlage des für diesen Zeitraum erlassenen Steuerbescheids ergibt. Dem zu berücksichtigenden Einkommen liegt die selbstständige Tätigkeit der Klägerin als Journalistin zugrunde, die sie sowohl in den 12 Monaten vor der Geburt ihres Sohnes M als auch im Jahr 2006 ausgeübt.
Die Gegenausnahme zur Fiktionsregelung des § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG im Abs. 9 S. 2 der Vorschrift greift im Fall der Klägerin nicht. Sie hätte vorausgesetzt, dass im Veranlagungszeitraum die Voraussetzungen des § 2 Abs. 7 S. 5 und 6 BEEG vorgelegen hätten, also die Klägerin Eltern- oder Mutterschaftsgeld bezogen oder eine schwangerschaftsbedingte Erkrankung ihr Erwerbseinkommen gemindert hätte. Beides war nicht der Fall.
Soweit nach der Verkündung des Senatsurteils das Bundessozialgericht entschieden hat, dass eine Veränderung des (zeitlichen) Umfangs der selbstständigen Tätigkeit um 20 % oder mehr eine Anwendung des § 2 Abs. 9 S. 1 des BEEG ausschließt (Urteil vom 3.12.2009 – B 10 EG 2/09 R -, BSG-Terminbericht Nr. 64/09, abrufbar unter www.bsg.bund.de), konnte der Senat Feststellungen in diese Richtung nicht treffen. Ohnehin erscheint zweifelhaft, inwieweit eine solche zeitliche Einschränkung des Umfangs der selbständigen Tätigkeit objektiv überprüfbar sein soll. So dürfte hier das geringere Einkommen im Veranlagungszeitraum auch darauf zurückzuführen sein, dass die Klägerin – wie sie selbst eingeräumt hat – nach der Pause nach der Geburt ihres ersten Kindes erst wieder Aufträge akquirieren musste. Zudem leistete sie – zunächst – unbezahlte Vorarbeiten für neu begonnene Projekte, die erst bei Fertigstellung zu Honoraren führten. Die Klägerin hat bestätigt, dass ihr im Jahr 2007 Honorare für im Jahr 2006 erbrachte Arbeiten zugeflossen sind. Dementsprechend sagt der geringere Gewinn im Veranlagungszeitraum nichts darüber aus, dass sie auch tatsächlich in diesem Zeitraum in geringerem Umfang als im Jahr vor der Geburt ihres Sohnes M gearbeitet hat. Soweit sie angegeben hat, sie habe gesundheitsbedingt im Veranlagungszeitraum ihre Berufstätigkeit einschränken müssen, könnte diese Reduzierung des Umfangs der Berufstätigkeit nicht zur Unanwendbarkeit des § 2 Abs. 9 Satz 1 BEEG führen, weil bei unselbständig Beschäftigten ein krankheitsbedingter Einkommensausfall im Bemessungszeitraum sich mindernd auf das Bemessungsentgelt auswirkt, da das steuerfreie Krankengeld nicht zu dem nach § 2 Abs 1 BEEG zu berücksichtigenden Einkommen zählt. Dementsprechend kann auch die krankheitsbedingte Reduzierung der Erwerbstätigkeit eines Selbständigen nicht berücksichtigt werden. Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage, anhand welcher nachprüfbarer Kriterien eine Veränderung des zeitlichen Umfangs der selbständigen Tätigkeit beurteilt werden sollte.
Soweit die Beklagte das Elterngeld der Klägerin auf der Grundlage des Gewinns für das Jahr 2006 im Übrigen unzutreffend berechnet hat, beschwert das die Klägerin nicht.
Dies gilt zum Einen für die bei der Klägerin zu berücksichtigenden Beiträge zur Künstlersozialkasse; die Beklagte hat sie ausweislich ihrer im Verwaltungsvorgang festgehaltenen Berechnung (Seite 17 Verwaltungsakte) lediglich ein Mal anstatt für alle 12 Monate des Jahres 2006 und damit zu Gunsten der Klägerin zu niedrig angesetzt.
Zum anderen hat der Senat zwar Zweifel daran, ob die Beklagte die Klägerin bei der Bestimmung der auf ihren Gewinn entfallenden Steuern zutreffend als alleinstehend behandeln durfte, obwohl sie im Jahr 2006 mit ihrem Ehemann steuerlich gemeinsam veranlagt worden ist (vergleiche Seite 16 Verwaltungsakte). Es erscheint näherliegend, im Wege einer proportionalen Betrachtung den im Steuerbescheid ausgewiesenen Gewinn der Klägerin zu den Gesamteinkünften der Eheleute ins Verhältnis zu setzen und den für das Elterngeld zu berücksichtigenden Anteil der Klägerin an der gemeinsamen Steuerlast entsprechend diesem Anteil am Gesamteinkommen zu bestimmen (so jedenfalls BT-Drucks. 16/2785, 38 re. Spalte). Eine eindeutige Antwort gibt das Bundeselterngeldgesetz allerdings auf diese Frage nicht.
Letztlich kann sie aber hier dahinstehen: Durch die von der Beklagten gewählte Berechnungsweise stellt sich die Klägerin besser als durch die vom Senat bevorzugte Berechnungsart, wie die Probeberechnung der Beklagten vom 12.11.2009 ergeben hat (Seite 85 Gerichtsakte). Somit beschweren die angegriffenen Bescheide die Klägerin auch insoweit nicht.
Die von der Klägerin in der Berufungsinstanz erneut vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der Senat nicht. Insbesondere verstößt § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG nach Ansicht des Senats nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil die darin liegende Ungleichbehandlung von selbstständig Tätigen und abhängig Beschäftigten durch hinreichend gewichtige Gründe, (vergleiche zu diesem Maßstab generell BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 10 EG 2/08 R, Juris Rz. 26 mit weiteren Nachweisen) gerechtfertigt ist, insbesondere durch das Interesse der Allgemeinheit und damit auch der Eltergeldberechtigten an sparsamer und effektiver Verwaltung.
Das Bundessozialgericht hat bei seiner Entscheidung über die Stichtagsregelung des § 27 Abs. 1 BEEG den Aspekt der Verwaltungsvereinfachung und dadurch erzielter Kostenersparnis als Gesichtspunkt anerkannt, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann (BEEG Urteil vom 23.01.2008 -B 10 EG 5/07 R, Juris Randnummer 24 ).
Nichts anderes kann für die § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG getroffene Ungleichbehandlung von Selbstständigen im Vergleich zu abhängig Beschäftigten gelten.
Bei abhängig Beschäftigten lässt sich das monatliche Einkommen unschwer mit einem Blick auf die Lohnabrechnung des Arbeitgebers feststellen, § 2 Abs. 7 S. 4 BEEG. Bei selbstständig Tätigen ist dagegen der Gewinn ihrer Tätigkeit zugrunde zu legen, wie er sich aus einer mindestens den Anforderungen des § 4 Abs. 3 EStG entsprechenden Berechnung ergibt. Auch im Fall von der selbstständig Tätigen wie der Klägerin, die als Freiberuflerin nach § 18 EStG nicht bilanzpflichtig sind, trifft eine solche Berechnung wertende Feststellungen, die nur mit ausreichender Sachkunde überprüft werden können. Dazu zählt insbesondere die von § 4 Abs. 3 S. 4 EStG angeordnete Befolgung der Vorschriften über die Absetzung für Abnutzung und Substanzverringerung. Ohnehin ist die Ermittlung von Einkommen für einen vom steuerlichen Gewinnermittlungszeitraum abweichenden Zeitraum zumeist mit zusätzlichem Aufwand und mit Unsicherheiten verbunden (BT-Drs. 16/2785, S. 38). Der von nach § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG eröffnete Rückgriff auf den vom Finanzamt auf der Grundlage fachkundiger Prüfung erlassenen Steuerbescheid für den abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vermeidet zudem Doppelprüfungen und vereinfacht damit die Verwaltungsarbeit insgesamt wesentlich. Das rechtfertigt die Ungleichbehandlung mit abhängig Beschäftigten.
Schließlich stellt der Rückgriff auf den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum die betroffenen Eltern nicht notwendig schlechter. Nach Angaben der Beklagten, die sich mit der allgemeinen Lebenserfahrung deckt, reduzieren werdende Mütter in den letzten 12 Monaten vor der Geburt ihrer selbständigen Tätigkeit oft aus gesundheitlichen Gründen oder im Vorgriff auf die Berufsunterbrechung. In solchen Fällen bedeutet der Rückgriff auf den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum für sie einen Vorteil.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Revision hat der Senat mit Rücksicht auf das beim BSG im Zeitpunkt der Senatsentscheidung noch anhängige Verfahren B 10 EG 2/09 R zugelassen.
Erstellt am: 15.04.2011
Zuletzt verändert am: 15.04.2011