Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 02.06.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Bestimmung des richtigen Bemessungszeitraums für das Elterngeld beim Nebeneinander von Einkünften aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit.
Die Klägerin ist Mutter der am 00.00.2007 geborenen Tochter M.
Die Klägerin ist ausgebildete Ärztin und stand seit 2003 als Beamtin bis zur Geburt ihrer Tochter (und erneut nach der Elternzeit) im Dienstverhältnis zuletzt bei der Bundesanstalt für Arzneimittel und Medizinprodukte. Neben dieser Beamtentätigkeit übte die Klägerin durchgehend eine Nebentätigkeit als Praxisvertretung im Umfang von 10 h monatlich aus.
Im Jahr 2006 erhielt die Klägerin als Beamtin laut vorgelegten Lohnsteuerbescheinigungen eine Besoldung von brutto 29.714 EUR (netto 20.165) EUR, aus ihrer Selbstständigkeit flossen ihr weitere 4028 EUR Gewinn vor Steuern zu. In den 12 Monaten vor der Geburt ihrer Tochter blieben der Umfang der selbstständigen Tätigkeit der Klägerin und der daraus erzielte Gewinn im Vergleich zum Jahr 2006 unverändert. Dagegen erhöhte die Klägerin ihre Arbeitszeit als Beamtin in diesem Zeitraum im Vergleich zum Kalenderjahr 2006 schrittweise um 12,4 % und erzielte dadurch eine höhere Besoldung von insgesamt brutto rund 34.488 EUR (25.279 EUR netto). Zum Januar 2007 wechselte die Klägerin zu dem in die Steuerklasse IV und ließ zwei Kinderfreibeträge auf ihrer Lohnsteuerkarte eintragen.
Im Einzelnen erzielte die Klägerin als Beamtin im streitbefangenen Zeitraum folgende Nettoeinkünfte aus ihrem Dienstverhältnis:
Monat Januar 2006 = 1.370 EUR bei 20 Wochenstunden
Monat Februar 2006 = 1.370 EUR bei 20 Wochenstunden
Monat März 2006 = 1.370 EUR bei 20 Wochenstunden
Monat April 2006 = 1.370 EUR bei 20 Wochenstunden
Monat Mai 2006 = 1.432 EUR bei 20,5 Wochenstunden
Monat Juni 2006 = 1.801 EUR bei 26,34 Wochenstunden
Monat Juli 2006 = 1.801 EUR bei 26,34 Wochenstunden
Monat August 2006 = 1.801 EUR bei 26,34 Wochenstunden
Monat September 2006 = 1.801 EUR bei 26,34 Wochenstunden
Monat Oktober 2006 = 1.890 EUR bei 28 Wochenstunden
Monat November 2006 = 1.890 EUR bei 28 Wochenstunden
Monat Dezember 2006 = 2.269 EUR bei 28 Wochenstunden
Monat Januar 2007 = 2.293 EUR bei 28 Wochenstunden
Monat Februar 2007 = 2.293 EUR bei 28 Wochenstunden
Monat März 2007 = 2.293 EUR bei 28 Wochenstunden
Monat April 2007 = 2.362 EUR bei 28 Wochenstunden
Monat Mai 2007 = 2.293 EUR bei 28 Wochenstunden
Monat Juni 2007 = 2.293 EUR bei 28 Wochenstunden
Mit Bescheid vom 24.01.2008 bewilligte die Beklagte Elterngeld für den 4. bis 12. Lebensmonat in Höhe von 1.319,10 EUR monatlich. Sie legte dabei die Einkünfte der Klägerin aus ihrer selbstständigen und nichtselbstständigen Tätigkeit im Jahr 2006 zu Grunde.
Der Widerspruch der Klägerin führte aus, bei der Berechnung der Einkünfte sei im 9. Monat ein unzutreffendes Brutto-Einkommen zugrundegelegt worden. Auch seien die Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit der Monate Januar bis Juni 2007 nicht berücksichtigt worden, obwohl Einkommensnachweise vorgelegen hätten.
Die Beklagte half dem Widerspruch teilweise ab, soweit die Klägerin die Berücksichtigung höheren Einkommens für September 2005 verlangt hatte. Unter Berücksichtigung einer. Verdienstbescheinigung für die ab 18.02.2008 aufgenommene Teilzeittätigkeit bewilligte die Beklagte mit Abhilfebescheid vom 04.04.2008 Elterngeld für den 4. bis 7. Lebensmonat Elterngeld in Höhe von 1.324,08 EUR und für den 8. bis 12. Lebensmonat Elterngeld in Höhe von 891,21 EUR.
Mit Bescheid vom 16.09.2008 wies die Bezirksregierung Münster den hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der höheren Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit im 1. Halbjahr 2007 aufrechterhaltenen Widerspruch gestützt auf § 2 Abs. 9 Satz 1 und 3 BEEG, zurück.
Mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 02.06.2009 hat das Sozialgericht die auf Gewährung höheren Elterngeld unter Berücksichtigung der Einkünfte der Klägerin aus den letzten 12 Monaten vor der Geburt gerichtete Klage abgewiesen. § 2 Abs. 9 Satz 1 und 3 BEEG enthielten eine § 2 Abs. 1 BEEG vorgehende Sonderregelung (lex specialis). Daraus ergebe sich für die Klägerin als Bemessungszeitraum das Kalenderjahr 2006.
Diese gesetzliche Regelung sei in Anbetracht des großen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers bei Sozialleistungen, die nicht mit Beiträgen, sondern wie das Elterngeld steuerfinanziert seien, nicht zu beanstanden.
Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, das ihr zustehende Elterngeld nach ihrem Einkommen aus den 12 Monaten vor der Geburt ihres Kindes zu bemessen. Die von der Beklagten angewandte Regelung des § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG befriedige nicht wie vom Gesetz beabsichtigt die Interessen der Anspruchssteller und stehe einer Gleichbehandlung entgegen. Das Sozialgericht verkenne, dass der Beklagten eine Ermessensentscheidung über die Wahl der Bemessungsgrundlage zustehe. Die in der Wahl des Jahres 2006 als Bemessungszeitraum liegende Benachteiligung der Klägerin sei mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und setze das Elterngeld der Klägerin unangemessen herab.
Die Klägerin beantragt,
den angefochtenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 2.6.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheid vom 24.1.2008 in der Gestalt des Abhilfebescheids vom 4.4.2008 und des Widerspruchsbescheids vom 16.9.2008 zu verurteilen, ihr höheres Elterngeld unter Berücksichtigung ihres Einkommens aus den 12 Monaten vor dem Monat der Geburt des Kindes M zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält ihre Entscheidung sowie das angefochtene Urteil für rechtmäßig. Die vom Bundessozialgericht für eine Verschiebung des Bemessungszeitraums verlangte Abweichung des zeitlichen Umfangs der Erwerbstätigkeit der Klägerin um mindestens 20 % liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben nach § 124 Abs. 2 SGG.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 24.1. und 4.4.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16.9.2008 sind rechtmäßig, weil die Beklagte das Elterngeld der Klägerin zutreffend berechnet hat. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, Elterngeld auf der Grundlage des Einkommens zu erhalten, das sie in den letzten 12 Monaten vor der Geburt ihrer Tochter erzielt hat. Vielmehr hat die Beklagte zutreffend nach § 2 Abs. 9 S. 3 i.V.m. S. 1 BEEG das Einkommen der Klägerin im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum, das Jahr 2006, zugrunde gelegt.
Nach der Grundregel des § 2 Abs. 1 BEEG bemisst sich das Elterngeld für Bezieher von Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit nach dem in den letzten 12 Monaten vor der Geburt des Kindes erzielten Einkommen, für dessen Betreuung Elterngeld bezogen wird. Erzielt der Elterngeldberechtigte zusätzlich zu seinem Einkommen aus nicht selbständiger Arbeit auch Einkommen aus selbstständiger Arbeit, verweist § 2 Abs. 9 S. 3 BEEG auf § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG. Nach dieser Vorschrift verschiebt sich beim Bezug von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit der Bemessungszeitraum von den letzten 12 Monaten vor der Geburt des Kindes auf den letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum, wenn die selbstständige Erwerbstätigkeit, die dem zu berücksichtigenden Einkommen zu Grunde liegt, durchgehend in beiden Zeiträumen ausgeübt worden ist. Der so geänderte Bemessungszeitraum gilt unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 9 S. 3 BEEG auch für das Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit, wenn diese ebenfalls in beiden Zeiträumen ausgeübt worden ist.
Die Verschiebung des Bemessungszeitraums nach § 2 Abs. 9 S. 3 i.V.m. S. 1 BEEG setzt dabei voraus, dass der Elterngeldberechtigte zusätzlich Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit erzielt.
Nach seiner allgemeinen Wortbedeutung betont das Wort Zusatz die Erweiterung und Vermehrung über den ursprünglichen Bestand hinaus. Es kann, muss sich aber nicht um eine mengenmäßig untergeordnete Erweiterung handeln (vgl. die Erläuterungen in Grimm, Deutsches Wörterbuch, DVD-Fassung, Bd. 32, Sp. 782,29).
Im juristischen Sprachgebrauch wird zusätzlich aber regelmäßig im erstgenannten Sinne, also als bloße Erweiterung und Vermehrung des Bestandes, verwandt. Nach der möglichen Wortbedeutung kann daher als zusätzliches Einkommen ebenso jedes weitere wie auch ein nur vom Betrag gesehen untergeordnetes Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit verstanden werden.
Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung muss es aber ausreichen, dass überhaupt selbstständige und nichtselbstständige Tätigkeiten in den relevanten Zeiträumen gleichzeitig ausgeübt werden. Ein bestimmtes Rangverhältnis ist nicht erforderlich. Denn die mit § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG beabsichtigte Verwaltungsvereinfachung (vgl. BSG, Urt. v. 03.12.2009- B 10 EG 2/09 R, Juris Rn. 37) durch den Rückgriff auf den Steuerbescheid des Finanzamtes für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum hängt nicht davon ab, in welchem Größenverhältnis die ausgeübte selbstständige Tätigkeit zu den Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit steht. Lediglich bei völlig untergeordneten, wirtschaftlich überhaupt nicht ins Gewicht fallenden Einnahmen (etwa aus einmaligen Veröffentlichungen), deren Berücksichtigung den Elterngeldbehörden auf den ersten Blick auch ohne steuerliche Veranlagung möglich ist, weil sie sich etwa auf die Höhe des Elterngeldes ersichtlich nicht auswirkt, mag im Einzelfall etwas anderes gelten.
Eine derart wirtschaftlich völlig untergeordnete Stellung hatten die Einnahmen der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit aber nicht. Zwar hat sich das Verhältnis ihrer Einkünfte aus selbständiger zu nicht selbstständiger Tätigkeit in den 12 Monaten vor der Geburt ihrer Tochter zu Gunsten Letzterer verschoben. Denn die Klägerin hat in diesem Zeitraum bei gleich bleibendem Gewinn vor Steuern aus ihrer selbstständiger Tätigkeit von 4028 EUR (entspricht beim Steuersatz der Klägerin nach dem Splittingtarif im Jahr 2006 von rund 20 %, vgl. S. 19 Rs. G etwa einem Gewinn nach Steuern von etwa 3200 EUR) ihre Bruttoeinkünfte aus abhängiger Beschäftigung von 29.714 EUR (20.165 EUR netto) auf 34.488 EUR (25.279 EUR netto) gesteigert. Trotzdem ist ihre selbstständige Tätigkeit angesichts dieser nur leichten Verschiebung der Gewichtung wirtschaftlich von Belang geblieben.
Daher hat die Beklagte zu Recht bei der Ermittlung des Elterngeldes das von der Klägerin im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum, dem Jahr 2006, erzielte Einkommen zu Grunde gelegt. Denn die Klägerin hat nach dem oben Gesagten im Sinne von § 2 Abs. 9 S. 3 BEEG zusätzlich zu ihrer ständigen Tätigkeit Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit erzielt. Sie hat zudem durchgehend bis zur Geburt ihrer Tochter eine nach Art und Umfang gleichbleibende selbstständige Nebentätigkeit als Vertretung in einer Arztpraxis ausgeübt. Daneben hat die Klägerin in abhängiger Beschäftigung ihre Haupttätigkeit beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte ausgeübt. Zwar hat sie den zeitlichen Umfang dieser nichtselbstständigen Tätigkeit in den letzten 12 Monaten vor der Geburt erhöht, jedoch nach den zutreffenden, von der Klägerin auch nicht infrage gestellten Berechnungen der Beklagten (S. 144 Gerichtsakte) nicht bis zur Grenze von 20 %, jenseits derer nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht mehr von derselben Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 9 S. 1 BEEG auszugehen ist (vgl. im Einzelnen BSG v. 03.12.2009 – B 10 EG 2/09 R, Juris Rn. 23 f.). Entgegen der Ansicht der Klägerin war die Beklagte daher nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 9 S. 1 Abs. 3 BEEG verpflichtet, auf den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum zurückzugreifen. Ermessen stand ihr insoweit nicht zu. Ob im konkreten Fall der Klägerin der Rückgriff auf den letzten Veranlagungszeitraum zu einer konkreten Verwaltungsvereinfachung geführt hat, obwohl der Steuerbescheid für das Jahr 2006 erst im sozialgerichtlichen Verfahren vorlag, ist aufgrund der typisierenden Betrachtungsweise des Gesetzgebers ohne Belang.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das gefundene Ergebnis, insbesondere unter dem Aspekt von Art. 3 Abs. 1 GG GG, hegt der Senat nicht. Die Erzielung nicht wirtschaftlich völlig bedeutungsloser Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit rechtfertigt den Rückgriff auf den Steuerbescheid des letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraums wegen der damit verbundenen Verwaltungsvereinfachung. Typischerweise wird der Rückgriff auf den weiter zurückliegenden Bemessungszeitraum zudem für Elterngeldempfänger regelmäßig günstiger sein, weil Schwangere oftmals in den letzten Monaten vor der Geburt den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit einschränken wollen oder aus gesundheitlichen Gründen müssen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Revision lässt der Senat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zu.
Erstellt am: 11.03.2011
Zuletzt verändert am: 11.03.2011