Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 16. Januar 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 1998 in der Gestalt des Anerkenntnisses der Beklagten vom 14. Februar 2006 verurteilt, dem Kläger wegen einer chronisch obstruktiven Emphysembronchitis die Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. bereits seit dem 05. November1991 zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten insgesamt zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen der von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit (BK) einer chronisch obstruktiven Emphysembronchitis eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. auch in der Zeit vor dem 01.09.1994 beanspruchen kann.
Der 1931 geborene Kläger war vom 27.04.1951 bis 30.06.1988 im Bergbau angelegt, bis zum 22.06.1972 war er unter Tage, zuletzt als Fahrsteiger tätig. Das BK-Feststellungsverfahren wurde aufgenommen im Hinblick auf den vom Kläger am 29.12.1995 bei der Beklagten gestellten Leistungsantrag.
Die Beklagte nahm anhand des Berechnungsmodells von Prof. Dr.-Ing. C (vgl. dazu BIA-Report 7/95, herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, veröffentlicht im September 1994 als Gutachten für den Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung – BMA -, der unter dem 04.04.1995 die Empfehlung abgab, die streitbefangene BK in die Liste der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung – BKV – aufzunehmen. Bekanntmachung des BMA vom 01.08.1995, BArbBl. 10/1995, S. 39) eine Prüfung der Feinstaubjahre vor und gelangte unter dem 04.03.1996 bei Unterstellung niedriger Staubkonzentration (aus differenzierter "worst-case"-Betrachtung) abgeleitet für die Zeit von April 1951 bis Juni 1972 zu insgesamt 104,1 Feinstaubjahren.
Mit Bescheid vom 16.01.1997 lehnte die Beklagte, gestützt auf die Beurteilung im Gutachten des Internisten Dr. C1 aus C vom 20.11.1996 die Gewährung einer Entschädigung ab, weil zwar neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorhanden seien, dass eine chronisch obstruktive Bronchitis und Lungenemphysem bei Bergleuten bei ausreichender Feinstaubbelastung als BK anerkannt werden könne. Jedoch fehle es an dem Nachweis einer Atemobstruktion bzw. eines Emphysems mit kardiorepiratorischen Ausfallserscheinungen.
Im Widerspruchsverfahren berücksichtigte die Beklagte u.a. Stellungnahmen, Behandlungsberichte sowie ein Gutachten von Prof. Dr. T, Berufsgenossenschaftliche Klinik C, vom 19.03.1977, der sowohl eine Bronchitis als auch ein Emphysem für den 17.09.1982 angenommen und die MdE seit dem mit 20 v.H. und seit dem 15.11.1991 mit 30 v.H. bewertete.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.1998 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück, weil der Versicherungsfall der streitbefangenen BK am 17.09.1982 und damit vor dem Stichtag des 01.01.1993 gem. § 6 Abs 1 BKV in der Fassung vom 31.10.1997 eingetreten und sowohl eine Anerkennung der BK als auch eine Entschädigung deswegen ausgeschlossen sei. Mit der am 22.01.1998 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Gewährung einer Entschädigung, insbesondere einer Verletztenrente weiter. Durch die Beschlüsse vom 31.03.1998 und 12.04.2000 (S 24 BU 7/98 und S 24 KN 279/99 U) ist das Verfahren im Einverständnis mit den Beteiligten im Hinblick auf das Revisionsverfahren (B 8 KN 5/98 U R) sowie die Verfassungsbeschwerde (1 BvR 235/00) zwischenzeitlich zum Ruhen gebracht worden.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23.06.2005 (1 BvR 235/00), wonach bei Entscheidungsreife eines Antrags auf Entschädigung nach § 551 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) und nunmehr § 9 Abs. 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) es unzulässig ist, die Entscheidung zu Lasten des Versicherten hinauszuzögern, weil er Anspruch auf Anwendung des geltenden Rechts ohne sachfremde Verzögerung habe, ist das Verfahren auf Antrag des Klägers wieder aufgenommen worden.
Die Beklagte hat zunächst die Auffassung vertreten, es handele sich vorliegend nicht um einen sogenannten Entwurfsfall, weil zur Zeit des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 12.01.1998 die Rückwirkungsregelung des § 6 Abs. 2 (jetzige Fassung, früher Abs. 1) BKV in Kraft gewesen sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie sich der vor der Terminsanberaumung vertretenen Auffassung des Gerichts angeschlossen, dass spätestens am 10.10.1997 mit dem Eingang der gutachterlichen Stellungnahme von Priv.-Doz. Dr. N aus C vom 09.10.1997 von einem entscheidungsreifen Vorgriffsfall im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG auszugehen ist. Sie hat entsprechend ihrer Bewilligungspraxis bei Entwurfs- und Vorgriffsfällen unter Anerkennung der beim Kläger bestehenden chronischen Emphysembronchitis als BK eine Leistungspflicht bezogen auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. seit dem 01.09.1994 anerkannt. Dieses (Teil-)Anerkenntnis hat der Kläger angenommen und den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.
Im Übrigen beantragt der Kläger,
die Beklagte darüber hinaus unter Abänderung des Bescheides vom 16.01.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.01.1998 in der Fassung des heute abgegebenen Anerkenntnisses zu verurteilen, die Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. wegen der chronischen Emphysembronchitis bereits seit dem 05.11.1991 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und den der BK-Akten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, nur noch zur Entscheidung des Gerichts anstehende Klage ist begründet.
Die Beklagte verweigert mit dem durch das im Termin zur mündlichen Verhandlung angenommene Teilanerkenntnis modifizierten Bescheid vom 16.01.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.01.1998 zu Unrecht die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. vor dem 01.09.1994, der Kläger wird hierdurch beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Angesichts des vom Kläger angenommenen (Teil-) Anerkenntnisses (§ 101 Abs. 2 SGG) hat das Gericht nur noch darüber zu entscheiden, ob der Kläger wegen der gem. § 551 Abs. 2 RVO zu entschädigenden BK im Sinne einer chronisch-obstruktiven Emphysembronchitis bereits vor dem 01.09.1994 Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. hat.
Die Kammer hält den vom Kläger seit dem 05.11.1991 geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. für begründet. Der von der Beklagten – auch in anderen gem. § 551 Abs. 2 RVO entschädigten Fällen der vorliegenden Art – gewählte Leistungsbeginn des 01.09.1994 ist mit dem Gesetz nicht vereinbar, es handelt sich vielmehr um einen von der Beklagten selbst festgesetzten Stichtag, obwohl im Rahmen der Entschädigung von BKen gem. § 551 Abs. 2 RVO (diese Vorschrift ist im Hinblick auf die Übergangsregelungen gem. §§ 212, 214 SGB VII wegen des vor dem Inkrafttreten des SGB VII zum 01.01.1997 liegenden Versicherungs- und Leistungsfalls weiterhin anwendbar) es keine Ansprüche in der Vergangenheit ausschließende Stichtage gibt (vgl. dazu insbesondere Bundessozialgericht – BSG – in SozR 3 – 2002, § 551 Nr. 9 und ausdrücklich bestätigend BVerfG in 1 BvR vom 23.06.2005).
Bereits im Zuge der Entscheidungspraxis der Beklagten, in Fällen der vorliegenden Art Leistungen frühestens ab 01.09.1994, dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens des für den Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim BMA erstatteten Gutachten von Prof. Dr.-Ing. C (s.o.) zur Ermittlung der Feinstaubdosis bei Bergleuten im Steinkohlenbergbau unter Tage, war die a.a.O. angegebene Entscheidung des BSG vom 14.11.1996 (2 RU 9/96) ergangen, in der u.a. Folgendes ausgeführt wurde:
"Die Vorschrift des § 551 Abs. 1 RVO, eine Erkrankung wie eine BK zu entschädigen, ist solange eine originäre Anspruchsgrundlage und ermöglicht solange eine Entschädigung auch für die Vergangenheit – erforderlichenfalls unter Beachtung der Verjährungsvorschriften -, wie der Verordnungsgeber die neuen Erkenntnisse nicht durch Aufnahme der Erkrankung in die BK-Liste umgesetzt hat. Erst mit diesem Akt des Verordnungsgebers unter Umständen verbunden mit einer Rückwirkungssicherung, sind die UV-Träger an einer Entschädigung von Altfällen außerhalb des vorgeschriebenen Rückwirkungszeitraums auch im Rahmen des § 551 Abs. 2 RVO gehindert (s. BSGE 75, 51, 55)."
Das BVerfG hat sich in der Kammerentscheidung vom 23.06.2005 (1 BvR 235/00) dieser Auffassung ohne jegliche Einschränkung angeschlossen, indem es die Festlegung von Stichtagen durch den Unfallversicherungsträger "aus eigener rechtlicher Kompetenz" als unzulässig angesehen hat und damit die entgegenstehende Entscheidung des BSG vom 30.09.1999 (B 8 KN 5/98 U R) aufgehoben. Dies hat zur Konsequenz, dass nur die allgemeinen, Leistungen in der Vergangenheit begrenzenden Vorschriften, insbesondere zur Verjährung (s. dazu BSG a.a.O.) gem. § 45 Abs. 1 des ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) zur Leistungsbegrenzung in der Vergangenheit anwendbar sind. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies im Hinblick auf die Antragstellung des Klägers am 29.12.1995 (§ 45 Abs. 3 SGB I), dass Ansprüche Verjährungsansprüche des Klägers lediglich vor dem 01.01.1991, also nicht diejenigen vom Kläger beanspruchten seit dem 05.11.1991, verjährt sind. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beklagte sich durch ihre Leistungsverweigerung vor dem 01.09.1994 im Ergebnis überhaupt auf Verjährung beruft.
Ob dem Kläger auch eine Verletztenrente vor dem 05.11.1991 zusteht, kann trotz der für einen solchen Anspruch des Klägers sprechenden Beurteilung des im Wege des Urkundsbeweises gewürdigten Gutachten von Prof. Dr. T vom 19.03.1997 dahinstehen, weil der Kläger seinen Klageantrag insoweit beschränkt hat (§ 123 SGG). Dass der Kläger die Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. für die Zeit vom 05.11.1991 bis 31.08.1994 beanspruchen kann, nimmt die Kammer der Beurteilung von Prof. Dr. Schultze-Werninghaus, auf dessen Einschätzung die Beklagte ihr (Teil-) Anerkenntnis ebenfalls gestützt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 23.02.2006
Zuletzt verändert am: 23.02.2006