Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.05.2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin den Beitragszuschlag für Kinderlose in der sozialen Pflegeversicherung nach § 55 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zahlen muss.
Die am 00.00.1947 geborene Klägerin ist durch die Beklagte freiwillig kranken- und pflegeversichert. Sie ist seit dem 01.12.1998 mit dem 1929 geborenen und durch die Beklagte kranken- und pflegeversicherten Rentenbezieher I V verheiratet. Die Ehefrau des I V aus erster Ehe ist am 00.00.1997 verstorben. Aus dieser Ehe sind die am 00.00.1958 und am 00.00.1960 geborenen Kinder V und C hervorgegangen. Gegenüber diesen Kindern hat die Klägerin keine Betreuung- und Erziehungsleistungen erbracht. Die jetzige Ehe der Klägerin mit I V ist kinderlos geblieben.
Die Beklagte erhob gegenüber der Klägerin zur sozialen Pflegeversicherung ab 01.01.2005 einen Beitragszuschlag von 0,25 % aus den beitragspflichtigen Einnahmen und erhöhte dementsprechend den laufenden monatlichen Beitrag ab 01.01.2005 auf 15,70 EUR (Bescheid vom 02.12.2004). Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit der Begründung zurückgewiesen, die Kinder des Ehegatten der Klägerin aus erster Ehe begründeten nicht die Elterneigenschaft der Klägerin. Die Befreiung von der Zahlung des Beitragszuschlages sei nur möglich, wenn die Begründung der Familienbande zu einem Zeitpunkt bewirkt worden sei, an dem für das Kind aufgrund der in § 25 Abs. 2 SGB XI genannten Altersgrenzen eine Familienversicherung hätte begründet werden können. Dies sei in Bezug auf die beiden Kinder des Ehegatten aus erster Ehe nicht möglich gewesen, da diese im Zeitpunkt der Eheschließung am 01.12.1998 bereits 38 bzw. 40 Jahre alt gewesen seien und damit die zu beachtenden Altersgrenzen überschritten hätten (Widerspruchsbescheid vom 25.01.2005).
Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht Köln (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin darauf verwiesen, dass das Alter der Kinder für die Frage, ob der Beitragszuschlag zu zahlen sei, keine Rolle spiele.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 02.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2005 dahingehend abzuändern, dass die Klägerin ab 01.01.2005 nur einen Beitragssatz von 1,70 % unterliegt.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat u.a. auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen.
Das SG hat die angefochtenen Bescheide abgeändert und ist davon ausgegangen, dass der Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung ab 01.01.2005 für die Klägerin (weiterhin) 1,70 % betrage. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass vom Beitragszuschlag auch Eltern im weiteren Sinne und somit auch Stiefeltern ausgenommen seien. Weder sei eine Haushaltsgemeinschaft vorausgesetzt noch sei eine höchstpersönliche Betreuungsund Erziehungsleistung durch einen (Stief-) Elternteil erforderlich. Das SG hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 30.05.2005).
Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und die Auffassung vertreten, das Recht auf Nichtzahlung des Beitragszuschlages für Kinderlose in der sozialen Pflegeversicherung werde nicht alleine durch die Stellung als Stiefeltern, sondern erst durch die Aufnahme des Stiefkindes in den Haushalt des Versicherten erworben. Es komme darauf an, dass neben einer Familienwohnung, materieller Unterhalt sowie materielle Zuwendung von Fürsorge unter Begründung eines familienähnlichen Bandes erfolge. Daraus leite sich ab, dass auch Stiefeltern gegenüber Stiefkindern nur im Sinne der Altersgrenzen der Regelung aus § 25 Abs. 2 SGB XI Erziehungsleistungen erbringen und damit ihre Elterneigenschaft nachweisen könnten. Unter Berücksichtigung dieser Erziehungsleistung habe der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von den beitragspflichtigen Versicherten, die keine Erziehungsleistungen erbringen, einen Ausgleich in Form des Beitragszuschusses nach § 55 Abs. 3 SGB XI einfordern können. Deshalb sei auch nach Sinn und Zweck dieser Regelung bei Heirat in vorgerücktem Alter und der Hinzugewinnung von erwachsenen Stiefkindern ohne Erbringung einer Erziehungsleistung keine Befreiung von der Zuschlagsfrist möglich. Daran, dass die Klägerin gegenüber den beiden Kindern ihres Ehegatten aus erster Ehe keine Erziehungsleistungen erbracht habe, bestünden keinerlei Zweifel.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.05.2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Sozialgerichts. Auf die Haushaltsaufnahme komme es nicht an. Sie leiste dadurch, dass sie sich ihrer Stieftochter gegenüber als Großmutter um deren Kind kümmere, einen Beitrag für das Aufziehen der übernächsten Generation.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die durch Zulassung statthafte Berufung (§§ 143,144 Abs. 2 und Abs. 3 SGG) ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin einen Beitragszuschlag zur Pflegeversicherung nicht zu zahlen hat.
Gem. § 55 Abs.1 SGB XI beträgt der Beitragssatz in der gesetzlichen Pflegeversicherung grundsätzlich 1,7 vom Hundert der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds. Nach § 55 Abs.3 Satz 1 SGB XI erhöht sich der Beitrag für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Das gilt nicht für Eltern im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB l) (§ 55 Abs. 3 Satz 2 SGB XI). Nach § 56 Abs. 3 Nr. 2 SGB l gelten als Eltern auch Stiefeltern. Dementsprechend gilt die Klägerin als Stiefmutter der leiblichen Kinder – V und C – ihres jetzigen Ehegatten.
Nach dem Wortlaut des Gesetzes besteht für die Beklagte daher keine Grundlage von der Klägerin den Beitragszuschlag für Kinderlose zu erheben.
Davon kann nach Auffassung des Senates vorliegend nicht mit dem Hinweis auf den Sinn und den Zweck der Regelung des § 55 Abs. 3 SGB XI abgewichen werden. Sinn und Zweck der Regelung erschließen sich – vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte – im Wesentlichen durch die Vorstellungen wie sie in der parlamentarischen (Vor-) Beratung zum Ausdruck gekommen sind. Der Gesetzgeber ist durch Einfügung der Reglung des § 55 Abs.2 SGB XI dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 03.04.2001,1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242 ff) gefolgt, in der gesetzlichen Pflegeversicherung eine Regelung zu treffen, die die Kindererziehungsleistung bei der Beitragsbemessung berücksichtigt. In Umsetzung dieser Entscheidung und unter Ausnutzung des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber eine Zuschlagspflicht für Kinderlose vorgesehen, um den als geboten angesehenen Beitragsabstand zwischen Kindererziehenden und Kinderlosen zu erreichen. Weder sollte damit die Kinderlosigkeit sanktioniert werden, noch sollten die Gründe für die Kinderlosigkeit eine Rolle spielen. Vielmehr stand im Vordergrund ausschließlich ein höheres Maß an Solidarität mit den Kinderziehenden, die mit der Kindererziehung einen zusätzlichen Beitrag zum Erhalt des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystem leisten, von dem auch die Kinderlosen profitieren (BT-Drucksache 15/3671 S. 5). Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber die Zuschlagspflicht, im Sinne einer generalisierenden Lösung, im Wesentlichen abhängig gemacht von objektivierbaren Kriterien, insbesondere vom Alter des Versicherten und von der Elterneigenschaft. Demgegenüber kommt es auf eine tatsächliche Betreuungs- und Erziehungsleistung offensichtlich nicht an. Anders ließe es sich nicht erklären, dass es für die dauerhafte Zuschlagsbefreiung allein ausreicht, dass das Kind lebend geboren ist. Nicht entscheidend ist, ob bzw. wann das Kind verstorben ist (vgl. BT-Drucksache 15/3671 S. 6). Demnach sind die leiblichen Eltern selbst dann von der Zuschlagspflicht befreit, wenn das Kind unmittelbar nach der Geburt verstirbt. Ebenso wenig wäre es nachvollziehbar, dass für ein Kind sowohl die leiblichen Eltern als auch Stief- und Pflegeeltern von der Zuschlagspflicht ausgenommen sind. Insoweit verzichtet das Gesetz ebenfalls auf eine Differenzierung danach, ob das Kind unmittelbar nach der Geburt – und damit ohne Betreuungs- und Erziehungsleistung der leiblichen Eltern – oder erst nach einigen Jahren zur Pflege gegeben wurde. Anknüpfungspunkt bleibt insoweit ebenfalls allein die Elterneigenschaft.
Hat der Gesetzgeber damit ausdrücklich auf eine differenzierende, die Erziehungsleistung in den Vordergrund stellende Regelung verzichtet, bleibt es der Verwaltung in Vollziehung und den Gerichten in Auslegung dieser Regelung verwehrt, einschränkend davon auszugehen, dass Stiefeltern grundsätzlich eine Erziehungsleistung gegenüber dem Stiefkind nachweisen müssen.
Die Frage, welcher Beitrag (der Stiefeltern) im Einzelnen als "Erziehungsleistung" anzusehen ist, kann daher unbeantwortet bleiben. Insofern ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung dessen, was als "Erziehungsleistung" anzusehen ist, abhängig ist von individuellen und persönlichen Wertvorstellungen. Infolgedessen bestehen höchst unterschiedliche Auffassungen darüber, in welcher Weise ein Beitrag zur Erziehung eines Kindes erbracht werden kann. Es ist daher durchaus nachvollziehbar, dass sich der Gesetzgeber diesbezüglich jeder Wertung enthalten hat und die Zuschlagspflicht allein von dem formalen Kriterium der Elternschaft und nicht von einer Betreuungs- und Erziehungsleistung abhängig gemacht hat.
Der Hinweis der Beklagten auf die Rechtsprechung des BSG ( Urteil vom 30.08.2001, B 4 RA 109/00 R, SozR 3-2600 § 48 Nr.5) zur "Haushaltsaufnahme" im Rahmen der Gewährung von Waisenrente überzeugt nicht. Der Gesetzgeber hat eben nicht, wie § 48 Abs. 3 Nr.1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), die Zuschlagsfreiheit (in der Pflegeversicherung) abhängig davon gemacht, ob Stiefkinder und Pflegekinder in den Haushalt aufgenommen worden sind. Für die Höhe des Beitrages in der Pflegeversicherung stellt das Gesetz nicht auf den Kinderbegriff des § 56 Abs. 2 SGB l sondern auf den Elternbegriff des § 56 Abs.3 SGB l ab. Dies verdeutlicht nach Auffassung des Senats ebenfalls, dass der Gesetzgeber die Zuschlagsfreiheit ausschließlich von formalen Kriterien – Elterneigenschaft und Alter des Versicherten – abhängig machen wollte.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung des SG vom 30.05.2005 verwiesen, denen sich der Senat nach eigener Prüfung voll inhaltlich anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.
Die Revision ist zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 14.12.2006
Zuletzt verändert am: 14.12.2006