Rev. d.Bekl.
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.07.2006 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist im Berufungsverfahren nur noch die Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe von 326,45 EUR und von Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 39,93 EUR für die Zeit vom 01.05. – 30.09.2004, nachdem die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für diese Zeit rechtskräftig aufgehoben worden ist. Streitig ist allein, ob es seit dem 01.01.2005 noch eine Rechtsgrundlage für eine solche Forderung gibt.
Der im Jahr 1965 geborene Kläger ist Iraker und bezog zuletzt im Jahr 2004 Arbeitslosenhilfe. Mit Bescheid vom 17.11.2004, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 26.01.2005, hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.05. – 30.09.2004 auf. Sie führte aus, der Kläger habe in der genannten Zeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden und habe somit keinen Anspruch auf Leistungen gehabt. Es wurden 2.348,55 EUR an Arbeitslosenhilfe zurückgefordert. Darüberhinaus wurden Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 326,45 EUR und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 39,93 EUR zurückgefordert.
Hiergegen hat der Kläger am 28.02.2005 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben. Er hat sich zunächst gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe gewandt und ausführlichen Sachvortrag dazu gemacht, dass er der Beklagten seine Ausreise nach Jordanien wegen der plötzlichen schweren Erkrankung seines Vaters nicht rechtzeitig habe anzeigen können.
Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 17.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2005 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung festgehalten.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.07.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, soweit die Aufhebung die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe betroffen war.
Es hat zudem bestätigt, dass die Beklagte berechtigt war, den überzahlten Betrag in Höhe von 2.348,55 EUR zurückzuverlangen. Weiterhin hat das Sozialgericht wörtlich ausgeführt:
"Nicht berechtigt ist die Beklagte allerdings, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge vom Kläger in Höhe von insgesamt 366,38 EUR zu verlangen. Bei der vom Kläger erhobenen Klage handelt es sich um eine Anfechtungsklage. Grundsätzlich maßgebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ist damit die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides, wenn ein solcher ergangen ist (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 54 RdNr. 32a). Nach § 335 SGB III in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung hat ein Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu erstatten, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist. Durch das Hartz-IV-Gesetz vom 24.12.2003 wurde in Abs. 1 Satz 1 mit Wirkung ab 01.01.2005 das Wort "Arbeitslosenhilfe" gestrichen. Bis zum 31.12.2004 konnten auch bei der Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung von Arbeitslosenhilfe Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurückgefordert werden.
Nach Abs. 5 des § 335 gilt nämlich Abs. 1 des 335 SGB III für die Pflegeversicherungsbeiträge entsprechend. In Folge der Streichung des Wortes "Arbeitslosenhilfe" besteht ab dem 01.01.2005 keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe. Zwar ist davon auszugehen, dass es sich insoweit um ein Versehen des Gesetzgebers handelt. Angesichts des klaren Wortlauts des § 335 SGB III besteht jedoch keine Rechtsgrundlage für den Erlass der belastenden Entscheidung: Forderung der Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen."
Das Sozialgericht hat die Berufung für die Beklagte nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.
Die Beklagte hat gegen den ihr am 12.07.2006 zugestellten Gerichtsbescheid am 11.08.2006 Berufung eingelegt, während der Kläger keine Berufung eingelegt hat. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Entscheidung des Sozialgerichts dem Wortlaut des Gesetzes nach vordergründig nicht zu beanstanden sei. Es sei jedoch von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen. Es liege die Vermutung nahe, dass der Gesetzgeber, der die Änderung des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs lediglich als redaktionelle Folgeänderung der Aufhebung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe aufgrund der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im SGB II angesehen habe. Fälle der vorliegenden Art, in denen die Bewilligung von vor dem 01.01.2005 geleisteter Arbeitslosenhilfe aufgehoben und die Leistung zurückgefordert werde, habe der Gesetzgeber schlicht und ergreifend nicht bedacht. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass dann, wenn für die Zeit ab 01.01.2005 keine Arbeitslosenhilfe mehr ausgezahlt werden kann, sich dann die Aufhebung von Arbeitslosenhilfebewilligungen für Zeiten vor dem 01.01.2005 auch nach dem für diese Zeiten geltenden Recht zu richten habe. Wegen der Einzelheiten der Ausführungen der Beklagten wird auf den Schriftsatz vom 24.08.2006 Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 07.07.2006 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten mit dem Aktenzeichen 000 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die kraft Zulassung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Der Senat ist nach § 144 Abs. 3 SGG an die Zulassung durch das Sozialgericht gebunden.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Senat nimmt zunächst Bezug auf die für zutreffend erachteten Ausführungen des Sozialgerichts und sieht von einer Wiederholung gem. § 153 Abs. 2 SGG ab. Der Senat hat den Ausführungen des Sozialgerichts nichts hinzuzufügen.
Das Berufungsvorbringen der Beklagten ist nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung als unrichtig erscheinen zu lassen. Nach Ansicht des Senats ist im vorliegenden Fall keine erweiternde oder analoge Anwendung der Rechtsnorm möglich. Der Beklagten ist einzuräumen, dass dadurch, dass es nach dem 01.01.2005 keine Erstattungsforderung bzgl. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei überzahlter Arbeitslosenhilfe mehr gibt, eine planwidrige Gesetzeslücke entstanden ist. Damit jedoch eine planwidrige Gesetzeslücke im Wege der Auslegung oder der Analogie planvoll geschlossen werden kann, muss es sich um eine unbeabsichtigte oder unbewusste Gesetzeslücke handeln.
Davon kann jedoch keine Rede sein. Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des § 335 Abs. 1 SGB III bewusst das Wort Arbeitslosenhilfe gestrichen und hat dies sogar ausdrücklich als Folgeänderung der Aufhebung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe aufgrund der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zweiten Buch bezeichnet. Der Gesetzgeber wollte die Arbeitslosenhilfe aus § 335 Abs. 1 SGB III streichen und hat dies bewusst und begründet getan. Bei dieser Sachlage kann keinesfalls durch Rechtsauslegung oder Analogiebildung die Rechtsnorm so gelesen werden, als habe der Gesetzgeber die Änderungen nicht vorgenommen.
Aus dem in Art. 20 Grundgesetz (GG) normierten Rechtsstaatsprinzip folgt ein allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes bei staatlichen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen des Betroffenen. Dass die frühere gesetzliche Erstattungsforderung bzgl. der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bei überzahlter Arbeitslosenhilfe einen Grundrechtseingriff mindestens in Art. 2 Abs. 2 GG darstellt, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Ein solcher Grundrechtseingriff muss als Rechtfertigung eine klare und eindeutige gesetzliche Grundlage haben. Die schließt es im vorliegenden Fall aus, die ausdrückliche Gesetzesänderung durch den Gesetzgeber so zu behandeln, als wäre sie nicht erfolgt. Der Auffassung des Sozialgerichts, die sich auf die zutreffend zitierte Kommentarstelle bei Niesel stützt, hat sich im Übrigen auch das Landessozialgericht Baden-Würtemberg mit Urteil vom 15.12.2006 – L 12 AL 3427/06 angeschlossen. Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Hierbei war zu berücksichtigen, dass nur die Beklagte Berufung eingelegt hat und mit dieser Berufung im vollen Umfang keinen Erfolg hatte.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da er der Sache mit dem Sozialgericht und mit der Beklagten grundsätzliche Bedeutung beimisst. Es handelt sich nicht um eine Entscheidung im Einzelfall, sondern es kann noch eine Vielzahl von Fällen auftreten, in denen es um die Aufhebung von Arbeitslosenhilfe für Zeiten vor dem 01.01.2005 gehen kann.
Erstellt am: 02.12.2008
Zuletzt verändert am: 02.12.2008