Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 23.02.2006 geändert. Der Antrag auf einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Streitig ist die vorläufige Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), insbesondere das Vorliegen einer "besonderen Härte" im Sinne des § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II.
Die am 00.00.1986 geborene Antragstellerin ist Angolanerin und reiste als Vollwaise mit zwei älteren Schwestern im März 1997 in die Bundesrepublik ein. Im Antragszeitraum hatte sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 i.V.m. § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes.
Vom 15.09.2003 bis 31.07.2005 bezog sie Leistungen der Jugendhilfe. Seit dem 01.08.2005 absolvierte die Antragstellerin eine schulische Ausbildung zur Kinderpflegerin beim Berufskolleg N mit voraussichtlicher Abschlussprüfung im Juni 2007.
Die Antragstellerin beantragte am 07.01.2005 Leistungen nach dem SGB II. Diese wurde ihr mit Bescheid vom 09.02.2005 für den Zeitraum bis zum 31.07.2005 in Höhe von monatlich 703,95 Euro bewilligt.
Am 29.07.2005 stellte die Antragstellerin den Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Sie legte eine Auskunft des BAföG-Amtes vom 04.10.2005 vor, wonach ihr ein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG wegen Nichterfüllung der persönlichen Voraussetzungen im Hinblick auf ihren Aufenthaltstatus nach § 8 BAföG nicht zustehe.
Mit Bescheid vom 08.12.2005 lehnte das BAföG-Amt den am 04.10.2005 für den Förderungszeitraum Oktober 2005 bis August 2006 gestellten Antrag auf Leistungen nach dem BAföG ab. Die Antragstellerin erfülle die persönlichen Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 BAföG nicht.
Am 27.12.2005 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II beantragt und vorgetragen, sie sei seit dem 01.09.2005 mittellos, nicht mehr krankenversichert. Es seien Mietrückstände von zum Zeitpunkt der Antragstellung 1434,20 Euro aufgelaufen. Ihr Vermieter habe sie aufgefordert, die Mietrückstände bis zum 31.12.2005 auszugleichen, anderenfalls drohe eine Kündigung.
Nach verschiedenen Ermittlungen und Durchführung eines Erörterungstermins am 31.01.2006 hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 23.02.2006 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit ab dem 27.12.2005 für sechs Monate Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II als Darlehen zu gewähren. Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen einer darlehensweisen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II wegen Vorliegens einer besonderen Härte im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II als gegeben angesehen. Die besondere Härte bestehe darin, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine betriebliche Ausbildungsstelle nicht haben vermitteln können und aktuell nicht anbieten könne. In dieser Situation könne von der Antragstellerin nicht verlangt werden, ihre Ausbildung abzubrechen, um Leistungen nach dem SGB II zu erhalten, da die aufgenommene Ausbildung den Ausbildungsstand der Antragstellerin verbessere und so schon allgemein ihre Vermittlungschancen erhöhe. Insbesondere sei jedoch für den angestrebten Abschluss als Kinderpflegerin in Folge anstehender steuerrechtlicher Änderungen eine Verbesserung des Arbeitsmarktes zu erwarten. Der ausgesprochenen Verpflichtung der Antragstellerin stehe nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung im Rahmen von § 7 Abs. 5 SGB II Ermessen auszuüben habe, da bei Vorliegen eines Härtesfalles die Hilfeleistung indiziert sei.
Gegen den am 06.03.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 17.03.2006, mit der sie die Voraussetzungen der besonderen Härte im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nach den Maßstäben der Rechtsprechung zur Vorläufernorm im Bundessozialhilfegesetz als nicht gegeben ansieht. In ihrem Vermittlungsbereich seien zur Zeit 156 arbeitslose Kinderpfleger gemeldet bei drei offenen Stellen. Von den anstehenden steuerrechtlichen Veränderungen werde eher der Beruf der Hauswirtschafterin als der der Kinderpflegerin profitieren. Die Betreuung der Kinder werde neben den in erster Linie abgefragten hauswirtschaftlichen Tätigkeiten verlangt werden.
Mit Beschluss des Senats vom 24.05.2006, auf den verwiesen wird, hat die Vorsitzende den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts vom 23.03.2006 zurückgewiesen worden.
Der Senat hat die Antragstellerin zu ihren Vorstellungen hinsichtlich der finanziellen Absicherung ihrer Ausbildung im August 2005 und das Berufskolleg N zum zeitlichen Umfang der Ausbildung befragt. Zu den Antworten wird auf Bl. 117 ff., 126 der Prozessakten, zu weiteren Einzelheiten auf die Prozessakten und die beigezogenen Akten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 20.03.2006), ist begründet.
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II, da es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung fehlt. Ein Anspruch der Antragstellerin ist nach § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen. Hiernach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der § 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Die von der Antragstellerin im August 2005 aufgenommene Ausbildung ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 2, 12 BAföG (dem Grunde nach) förderbar, denn die Antragstellerin besucht eine Berufsfachschule, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt und die in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang einen berufsqualifizierenden Abschluss vermitteln soll.
Die Voraussetzungen einer darlehensweisen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegen auch nicht vor. Hiernach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhals als Darlehen geleistet werden.
Ein besonderer Härtefall in diesem Sinne liegt nicht vor. Dies gilt unabhängig davon, ob man in Anlehnung an die obergerichtliche Rechtsprechung zur Vorläufervorschrift in § 26 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) das Vorliegen einer besonderen Härte (vorrangig) daran misst, ob die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinaus gehen, dass regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für die Ausbildung verbunden ist und vom Gesetzgeber so bewusst in Kauf genommen wurde (grundlegend Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.10.1993, – 5 C 16/91 -, BVerwGE 94, 224 ff.) oder ob man einer typisierenden auch schon unter Geltung des BSHG von Instanzgerichten bevorzugten Betrachtungsweise folgt (Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rdnrn. 47 ff.; Münder, SGB II, § 7 Rdnrn. 74 ff.; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 22 SGB II, Rdnrn. 32 ff., jeweils mit Aufzählungen von Fallgruppen).
Nach der auch unter Geltung des SGB II in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte fortgeführten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 26 BSHG (u.a.: Beschlüsse des LSG Niedersachsen – Bremen vom 14.04.2005, – L 8 AS 36/05 ER -, vom 02.02.2006, – L 8 AS 439/05 ER -; LSG Berlin – Brandenburg vom 26.01.2006, – L 5 B 1351/05 AS ER -, L 5 B 1352/05 AS PKH -; Thüringer LSG, Beschluss vom 22.09.2005, – L 7 AS 635/05 ER -, lag ein besonderer Härtefall im Sinne von § 26 Satz 2 BSHG vor, wenn die Folgen des gesetzlichen Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart erscheint.
Die der Antragstellerin drohende Konsequenz ihres Leistungsausschlusses nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegt darin, dass sie ihre Ausbildung abbrechen muß, um zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II berechtigt zu sein. Diese typische Konsequenz ist vom Gesetzgeber beabsichtigt und hinzunehmen (vgl. die vorzitierte Rechtsprechung sowie Beschluss des SG Dresden vom 10.07.2006, – S 23 AS 1002/03 ER – mit Zusammenstellung auch der Kommentarliteratur). Es kann grundsätzlich nicht angenommen werden, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspräche, den in § 8 BAföG vorgesehenen Leistungsausschluss für den Personenkreis, dem auch die Antragstellerin aufgrund ihres aktuellen Aufenthaltsstatus angehört, durch Errichtung einer zweiten Förderungsebene innerhalb des SGB II zu umgehen (ebenso ausdrücklich: Thüringer LSG, a.a.O., LSG Hamburg, Beschluss vom 31.08., – L 5 B 185/05 -; SG Dortmund, Beschluss vom 12.05.2005 – S 22 AS 50/05 ER -; SG Dresden, a.a.O.). Unter diesem Gesichtspunkt kann nur angenommen werden, dass der Gesetzgeber, der Personen durch den Leistungsausschluss nach § 8 BAföG potentiell zur Nichtaufnahme oder Aufgabe ihrer Ausbildung zwingt, dies auch innerhalb des SGB II so beabsichtigt.
Der Fall der Antragstellerin kann auch nicht wegen Zugehörigkeit zur einer der in Rechtsprechung und Literatur erörterten Fallgruppen als besondere Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II angesehen werden.
Die Antragstellerin gehört nicht zu der Personengruppe, der prinzipiell nach dem BAföG Förderungsfähigen, deren Leistungssatz hiernach jedoch nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreicht, denn sie ist von einer Förderung nach dem BAföG gänzlich ausgeschlossen.
Die Antragstellerin gehört nicht zur Personengruppe derjenigen, die aufgrund einer vormaligen Förderung ihrer Ausbildung nach dem BSHG oder dem SGB II schutzwürdiges Vertrauen dahin entwickeln konnten, auch ihre weitere Ausbildung werde durch Mittel der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung für Arbeitssuchende gefördert werden (vgl. etwa Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 15.04.2005 – L 2 B 7/05 ER, NZS 2006, 161 f., info also 2006, 138). Denn bei Aufnahme ihrer nun laufenden Ausbildung hatte die Antragstellerin keinen Anspruch nach dem SGB II. Aufgrund der SGB II-Leistungsgewährung während der vorhergehenden Ausbildung konnte sie kein schutzwürdiges Vertrauen dahin entwickeln, dass eine andere/weitere Ausbildung durch Leistungen nach dem SGB II gefördert werden würde. Zum Zeitpunkt der Aufnahme der nun laufenden Ausbildung hatte die Antragstellerin auch keine bindende Zusage bzw. auch nur Inaussichtstellung einer Leistung nach dem SGB II durch irgendeine Person, der sie insoweit Vertrauen hätte entgegen bringen können.
Die Antragstellerin gehört auch nicht zur Personengruppe derer, deren Ausbildung wegen des unvorhergesehenen Eintretens besonderer Umstände (z.B. langwierige Erkrankung, Geburt von Kindern) unerwartet lange dauert oder die in Folge eines Notfalles (Wohnungsbrand, Raub, Unfall, Tod des Unterhaltsleistenden etc., vgl. Grube a.a.O.) ehemals vorhandene Mitteln zur Selbstfinanzierung der Ausbildung gänzlich fehlen (vgl. zu einem solchen Fall Beschluss des LSG Hamburg vom 24.11.2005 – L 5 B 256/05 ER AS, Inf. Ausl. R 2006, 148ff., info also 2006, 139). Keiner dieser Gründe liegt bei der Antragstellerin vor. Sie war bereits anfänglich auf finanzielle Förderung zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts während der Ausbildung angewiesen; in ihren persönlichen finanziellen Verhältnissen hat sich nichts leistungsrelevantes verändert.
Die Antragstellerin gehört damit auch nicht zu der Personengruppe, die in der Spätphase ihrer Ausbildung und kurz vor deren Abschluss stehend, plötzlich bedürftig werden.
Ein besonderer Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt auch nicht aus den vom Sozialgericht im angefochtenen Beschluss genannten Gründen vor.
Das Fehlen aktueller Ausbildungsstellen für eine betriebliche Ausbildung kann nicht zur Begründung eines besonderen Härtefalles herangezogen werden. Denn der Mangel an Ausbildungsstellen betrifft große Teile der arbeitswilligen jüngeren Bevölkerung, die allesamt potentielle Adressaten von Förderungsausschlüssen nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II bzw. als Ausländer bei Fehlen des erforderlichen Aufenthaltsstatus auch nach § 8 BAföG sind.
Die individuelle Nützlichkeit einer Fortsetzung der begonnenen Ausbildung zumindest bis zum Erwerb der Fachoberschulreife nach deren ersten Jahre mag gegeben sein und zu einer Verbesserung der Vermittlungssituation der Antragstellerin bei anschließender Arbeitslosigkeit führen. Der Aspekt, dass von der Antragstellerin der Abbruch einer jedenfalls nicht arbeitsmarktpolitisch sinnlosen Ausbildung gefordert würde, hat jedoch weder isoliert betrachtet noch im Zusammenhang mit der Erwartung, dass sich möglicherweise der gegenwärtig schlechte Arbeitsmarkt für den Ausbildungsberuf verbessern wird, auch nur annähernd ein vergleichbares Gewicht wie die Gesichtspunkte, die den vorstehend behandelten Fallgruppen zugrunde liegen. Im Übrigen würde durch diese Argumentation eine mit den Leistungsausschlüssen nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II/8 BAföG verbundene Zielsetzung des Gesetzgebers nahezu regelmäßig umgangen. Denn von fast jeder Ausbildung lässt sich annehmen, dass sie persönlich nützlicher ist als das bloßes Abwarten eines Arbeits- oder Ausbildungsangebotes sowie, dass der Absolvent der Ausbildung nach deren Abschluss qualifizierter ist als vorher.
Eine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II kann zur Überzeugung des Senats auch nicht daraus hergeleitet werden, dass die Antragstellerin bislang nicht zu dem vom BAföG erfassten Personenkreis zählt. Denn die Härte rührt insoweit, wie vorab dargelegt, aus der gesetzgeberischen Entscheidung her, den von den Regelungen der Ausbildungsförderung begünstigten Personenkreis zu bestimmen. Darüber hinaus ist auch nicht zu erwarten, dass die Umsetzung der sog. Qualifikationsrichtlinie – Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 (Amtsblatt L 304/12 vom 30.09.2004) – eine für die Antragstellerin günstigere Position bringen wird, da nach Nr. 31 der Erwägungen dieser Richtlinien diese nicht für finanzielle Zuwendungen gilt, die von den Mitgliedsstaaten zur Förderung der "allgemeinen und beruflichen Ausbildung" gewährt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.
Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG endgültig.
Erstellt am: 29.08.2006
Zuletzt verändert am: 29.08.2006