Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.01.2006 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab 29.12.2005 bis zum 30.04.2006 Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erbringen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C aus X zu ihrer Vertretung beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten, ob die Antragsteller Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) haben.
Bei den Antragstellern handelt es sich um so genannte "de facto" – Flüchtlinge. Sie verfügen über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Bevor sie nach X zogen, hielten sie sich in der Gemeinde N auf. Sie erhielten dort in der Zeit von Dezember 1993 bis Februar 1994 Leistungen nach dem AsylbLG und in der Zeit von März 1994 bis März 1997 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Im April zogen sie in die Stadt T. Dort erhielten sie bis zum 31.07.2004 (Wegzug nach X) Leistungen nach den Bestimmungen des damaligen (BSHG). Auch die Antragsgegnerin gewährte den Antragstellern zunächst Leistungen nach den sozialhilferechtlichen Maßgaben. Mit Bescheid vom 16.12.2005 beschränkte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen auf § 3 AsylbLG. Hiergegen ließen die Antragsteller Widerspruch einlegen mit der Begründung, dass sie einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. SGB XII hätten, da sie ihren dauernden Aufenthalt in Deutschland hätten. § 2 AsylbLG solle diejenigen Ausländergruppen begünstigen, die mindestens seit drei Jahren Leistungen nach dem AsylbLG erhielten, aber auch diejenigen, von denen auf Grund der Länge des Aufenthaltes und der sonstigen Umstände davon auszugehen sei, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben würden. Der Gesetzgeber habe nicht gewollt, dass diejenigen, die bereits seit Jahren in Deutschland lebten und Leistungen nach dem SGB XII bzw. vorher nach dem BSHG bezogen hätten, schlechter gestellt würden.
Am 29.12.2005 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Düsseldorf um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie haben darauf hingewiesen, dass ihnen auf Grund der eingetretenen Aufenthaltsverfestigung und der Tatsache, dass bis auf den Antragsteller zu 1) die übrigen Familienmitglieder keine Pässe von der syrischen Botschaft hätten erhalten können, Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 AufenthG erteilt worden seien. Sie befänden sich seit nunmehr 13 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Der Gesetzgeber habe mit den zum 01.01.2005 eingetretenen gesetzlichen Änderungen diese Gruppe von Ausländern nicht schlechter stellen wollen.
Die Antragsteller haben beantragt,
die Antragsgegnerin bis zur Entscheidung über den Widerspruch vom 22.12.2005 gegen den Bescheid vom 16.12.2005 zu verpflichten, an die Antragsteller als Bedarfsgemeinschaft ab 01.12.2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es sei unstreitig, dass die Antragsteller früher hilferechtlich besser gestellt worden seien, als dies derzeit der Fall sei. Dies hänge mit der Rechtslage, wie sie vor dem Jahre 2005 bestanden habe, zusammen. Das Tatbestandsmerkmal "36 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben" schließe auch Leistungsberechtigte, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG seien, nicht aus. Hätte der Gesetzgeber den Personenkreis all derjenigen, die sich seit mehr als drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, in jedem Fall besser stellen wollen, so wäre es ihm unbenommen gewesen, dies zu regeln. Tatsächlich würden aber gerade die Fälle der Aufenthaltsbefugten gezielt dem AsylbLG zugeordnet.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 20.01.2006 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass es vorliegend an einem Anordnungsgrund fehle. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit den Antragstellern schwere, unzumutbare Nachteile drohen würden, die eine Eilentscheidung des Gerichtes rechtfertigen würden. Sie könnten die Entscheidung in der Hauptsache abwarten. Ohne individuelle Anhaltspunkte sei jedoch mit der gesetzgeberischen Intention davon auszugehen, dass mit dem Betrag, der ihnen auf Grund der Bestimmungen des AsylbLG monatlich an Hilfe zum Lebensunterhalt zustehe, ein menschenwürdiges Leben möglich sei. Der nach den Bestimmungen des AsylbLG durch die Antragsgegnerin gewährte Betrag reiche für die Deckung des unabweisbaren, insbesondere unaufschiebbaren Lebensunterhaltes aus. Eine besondere Härte wäre daher im Einzelfall darzulegen und glaubhaft zu machen gewesen, was vorliegend nicht geschehen sei.
Gegen den am 25.01.2006 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 17.02.2006 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht mit Beschluss vom 17.02.2006 nicht abgeholfen hat. Die Antragsteller machen geltend, dass sie sich seit mehr als 10 Jahren auf das Niveau der Sozialhilfe nach dem BSHG eingestellt und jetzt erheblich weniger Mittel zur Verfügung hätten. Die Vorschrift des 3 AsylbLG solle hingegen ausschließlich diejenige Gruppe treffen, die sich noch nicht in die sozialen Lebensverhältnisse Deutschlands eingewöhnt habe und die für einen Übergangszeitraum von maximal drei Jahren mit eingeschränkten Leistungen auskommen solle. Es stelle deshalb eine besondere Härte dar, wenn diejenigen, die sich bereits seit langer Zeit in die Verhältnisse eingewöhnt hätten, mit Menschen auf eine Stufe gestellt würden, die erst seit kurzer Zeit in der Bundesrepublik Deutschland leben würden. Die Verweisung auf das AsylbLG bedeute den Verlust des Krankenversicherungsschutzes über die gesetzliche Krankenkasse, welche zu weiteren Unannehmlichkeiten und Erschwernissen im Zugang der ärztlichen Versorgung führe.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde der Antragsteller entgegen und verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.
Die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Dabei sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist dies nicht möglich, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927).
Im vorliegenden Fall spricht mehr dafür, dass den Antragstellern ein Anspruch nach § 2 AsylbLG zusteht. Sie gehören zu dem leistungsberechtigten Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG. Ihnen ist eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden. Insofern besteht kein Unterschied zwischen dem bis zum 31.12.2004 gültigen AsylbLG und seiner Neufassung ab 01.01.2005. Nach der alten Fassung des § 1 AsylbLG waren Leistungsberechtigte diejenigen Personen, die eine Duldung nach § 55 AuslG besaßen (Abs. 1 Nr. 4). Diese Vorschrift besagte u.a., dass einem Ausländer eine Duldung zu erteilen ist, solange seine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Dem entspricht weitgehend die Vorschrift des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Danach ist einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
Der von § 2 Abs. 1 AsylbLG vorausgesetzte Leistungszeitraum von 36 Monaten ist erfüllt. Ein derartiger Leistungszeitraum wird seit dem 01.06.1997 von der Vorschrift vorausgesetzt. Zwar hat die Stadt T mitgeteilt, dass die Antragsteller in der Zeit von April 1997 bis zum 31.07.2004 Leistungen nach den Bestimmungen des damaligen BSHG bezogen haben. Entscheidend dürfte nicht sein, dass die Antragsteller formal keine abgesenkten Leistungen nach § 3 AsylbLG, sondern Leistungen nach dem BSHG erhalten haben. Nach Auffassung des Senats würde es eine übertriebene Förmelei darstellen, wenn allein darauf abzustellen wäre, dass die Antragsteller Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen haben.
Es haben sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Bereits mit Beschlüssen vom 23.01.2006 (L 20 B 15/06 AY ER) und vom 29.03.2006 (L 20 B 6/06 AY ER) hat der Senat die Auffassung vertreten, dass allein mit der Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise eine Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG und damit die Versagung der höheren Leistungen nach dem SGB XII nicht begründet werden kann. Allein die Nutzung der, wenn auch unsicheren, Rechtsposition der Duldung, kann allein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Ausländers nicht begründen (vgl. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.12.2005, L 7 AY 40/05). Denn eine Aufenthaltserlaubnis darf nach § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Als Verschulden wird nach dieser Vorschrift angesehen, wenn der Ausländer falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anordnungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Demzufolge bedarf es hier keiner weiteren Ausführungen, dass das Verhalten der Antragsteller rechtsmissbräuchlich sein könnte, da sie über eine Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG verfügen. Auch die die Beweislast tragende Antragsgegnerin hat hierzu weder Ermittlungen angestellt noch Anhaltspunkte für eine Rechtsmissbräuchlichkeit vorgetragen.
Ist der Anordnungsanspruch nach summarischer Prüfung nicht zweifelhaft, kann der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht mit der Begründung versagt werden, es bestehe kein Anordnungsgrund (so schon der Senat im Beschluss vom 23.01.2006, a.a.O.). Nach Auffassung des Senats sollen die Leistungen nach § 2 AsylbLG den Regelfall bilden. Daher erscheint es Leistungsberechtigten lediglich im begründeten Einzelfall zumutbar, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit den niedrigen Leistungen nach § 3 AsylbLG zu wirtschaften. Demgegenüber kann dahinstehen, dass auch die niedrigen Leistungen nach § 3 AsylbLG den Vorgaben des Art. 13 der Richtlinie 2003/9/EG gerecht werden dürften (vgl. hierzu den Beschluss des Senats vom 10.03.2006, L 20 B 7/06 AY ER m.w.N.).
Leistungen nach dem AsylbLG sind wie Sozialhilfeleistungen in Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig (nur) bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung zuzuerkennen. Der Senat geht jedoch davon aus, dass bei nicht rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens und im übrigen unveränderten Verhältnissen die Antragsgegnerin den Antragstellern auch den 30.04.2006 hinaus Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erbringen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 73 a SGG i.V.m. § 114 ZPO.
Gegen diese Beschluss ist die Beschwerde nicht möglich, § 177 SGG.
Erstellt am: 21.05.2007
Zuletzt verändert am: 21.05.2007