Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.9.2018 geändert. Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 8.5.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013 rechtswidrig war. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen jeweils zur Hälfte zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der 1973 geborene Kläger hat nach dem Abitur eine Ausbildung zum Bankkaufmann erfolgreich durchlaufen (1993 bis 1996) und sich später zum Bank- und Sparkassenfachwirt weitergebildet (2002-2005). Er war seit 1997 zunächst bei einer Versicherung, danach bei verschiedenen Kreditinstituten als Bankkaufmann im Bereich Privatkundenberatung/Vertrieb beschäftigt, zuletzt seit April 2011 bei der W-bank. Ab dem 5.11.2012 war er arbeitsunfähig krank. Am 9.1.2013 meldete er sich bei der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit (fortan nur noch: BA) arbeitsuchend, ab dem 10.1.2013 nahm er eine zweimonatige Elternzeit. Am 31.1./1.2.2013 beantragte er bei der BA Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Er könne die an ihn gestellten Anforderungen im Beruf des Bankkaufmanns, der sich immer mehr "vom Berater zum Verkäufer" gewandelt habe, nicht mehr erfüllen, da er dem Vertriebsdruck nicht (mehr) gewachsen sei. Die ihm gemachten Zielvorgaben seien durch seriöse Geschäftspraktiken nicht zu erfüllen. Nach einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten sei er am 5.11.2012 während der Arbeit zusammengebrochen und seither in psychiatrischer Behandlung. Er sehe sich nicht imstande, nach der Elternzeit an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Einer Umschulung zum Sozialarbeiter oder Erzieher stehe er positiv gegenüber. Die BA leitete den Antrag an die Beklagte weiter, weil sie diese für zuständig hielt (Schreiben vom 7.2.2013, bei der Beklagten am 14.2.2013 eingegangen). Die Beklagte befragte die behandelnden Ärzte des Klägers sowie seine Psychologische Psychotherapeutin X aus V, die von einer mittelgradigen depressiven Episode berichtete, und schaltete als Gutachter Privatdozent Nervenarzt Dr. M aus D ein. Dieser vermutete eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen, die sich im Rahmen eines zuletzt erlebten beruflichen Konflikts mit der depressiven Reaktion nach außen hin dargestellt habe. Die Frage, ob er Leistungen zur Teilhabe vorschlage, ließ er bewusst offen (Gutachten vom 10.9.2013). Die Beklagte lehnte den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Die persönlichen Voraussetzungen eines Teilhabeanspruchs lägen nicht vor, weil die berufliche Tätigkeit als Bankkaufmann weiter vollschichtig zumutbar sei (Bescheid vom 8.5.2013; Widerspruchsbescheid vom 19.11.2013). Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der W-bank endete zum 30.6.2013. Während des Widerspruchsverfahrens bewilligte die BA (durch die Agentur für Arbeit K) dem Kläger im Zuge der Berufsberatung für 2 Jahre die Übernahme der Kosten für eine notwendige Maßnahme der beruflichen Weiterbildung (FdW) in Form der Umschulung zum Erzieher, nachdem der Kläger einen entsprechenden Ausbildungsplatz beim Evangelischen Kirchenkreis G nachgewiesen hatte (Bescheid vom 23.7.2013). Die dreijährige Ausbildung zum Erzieher begann der Kläger am 1.8.2013. Die BA gewährte ihm vom 1.7.2013 bis zum 31.7.2015 Arbeitslosengeld. Im 3. Ausbildungsjahr erhielt der Kläger von seinem Arbeitgeber ein "Praktikantenentgelt" in Höhe von monatlich 1.433,13 EUR brutto. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.11.2013 hat der Kläger am 11.12.2013 Klage erhoben und weiter Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Förderung einer Umschulungsmaßnahme zum staatlich anerkannten Erzieher) geltend gemacht. Nach dem erfolgreichem Abschluss der von der BA unterstützten Umschulung zum Erzieher im Juli 2016 und Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Erzieher zum 1.8.2016 hat der Kläger die Klage geändert. Er hat nun darauf hingewiesen, dass ihm ein finanzieller Schaden dadurch entstanden sei, dass die Beklagte die Umschulung abgelehnt und deshalb Übergangsgeld nicht gewährt habe. Den finanziellen Nachteil für die beiden ersten Jahre der Ausbildung hat er unter Berücksichtigung der Angaben der Beklagten zur Höhe eines (fiktiven) Übergangsgeldes mit 11.404,80 EUR beziffert. Es bestehe im Hinblick auf ein etwaiges Amtshaftungsverfahren weiter ein Feststellungsinteresse dahingehend, dass die Ablehnung der Beklagten rechtswidrig war. Den Beruf des Bankkaufmanns habe er 2013 nicht ohne erhebliche Gefährdung seiner Erwerbsfähigkeit wieder aufnehmen können. Die Kreditinstitute seien existentiell darauf angewiesen, Finanzprodukte mit möglichst hohen Provisionen zu verkaufen. Bankinterne Tätigkeiten ohne die Notwendigkeit, Finanzprodukte zu verkaufen, gebe es kaum. Das Gutachten des Sachverständigen S bestätige, dass ein Berufswechsel aus gesundheitlichen Gründen erforderlich war. Den Betrag von 11.404,80 EUR habe ihm die Beklagte nachzuzahlen. Die Beklagte hat keine medizinische Notwendigkeit für Leistungen zu Teilhabe am Arbeitsleben gesehen. Die Tätigkeit des Bankkaufmanns sei nicht zwingend mit dem Verkauf von Finanzprodukten verbunden; Bankkaufleute könnten durchaus auch im bankinternen Bereich eingesetzt werden. Sie hat dazu eine Stellungnahme ihres Reha-Beraters B vom 22.1.2015 vorgelegt, aus der sich ergibt, dass für Bankkaufleute, die nur im "internen Bereich" eingesetzt werden, im Zeitpunkt der Recherche kein vakantes Stellenangebot vorlag; auch die Sichtung der Internetauftritte regional ansässiger Bankfilialen sei insoweit ergebnislos geblieben. Es sei zu vermuten, dass solche Stellen intern ausgeschrieben würden. Die Beklagte hat außerdem eine Stellungnahme des Arbeitspsychologen Dr. C (von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft C) vom 13.3.2015 vorgelegt. Dieser hat mitgeteilt, dass die Ausübung der Tätigkeit eines Bankkaufmannes auf den Vertrieb von Finanzprodukten ausgerichtet sei. Sie weise damit typische Belastungsformen auf, die im Rahmen der europäischen Finanzkrise zugenommen haben. Die Ausbildung zum Bankkaufmann befähige allerdings auch zu Tätigkeit in einer Bank außerhalb des Vertriebs, bei denen die Belastung deutlich geringer sein dürfte. Eine allgemein und vollumfängliche Einschätzung könne nicht abgegeben werden. Die vom SG befragten Psychologische Psychotherapeutin X und Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Q aus K haben gemeint, der Kläger könne eine Tätigkeit als Bankkaufmann nicht mehr ausüben (Berichte vom 24.2. und 19.3.2014). Das SG hat als Sachverständigen den Nervenarzt und Diplom-Psychologen S aus H eingeschaltet. Dieser hat die Angaben des Klägers zu seiner beruflichen Situation als im Vertrieb beschäftigter Bankkaufmann für absolut korrekt und realistisch gehalten, da sie mit den Angaben vieler seiner Patienten übereinstimmten. Wäre der Kläger weiter in diesem Beruf tätig, sei mit einer ausgeprägten seelischen Dekompensation zu rechnen. Seine Erwerbsfähigkeit wäre erheblich gefährdet. Es könne mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass der Kläger als Bankkaufmann nicht mehr arbeiten könne, ohne seine Gesundheit zu gefährden (nach ambulanter Untersuchung erstattetes Gutachten vom 20.10.2014). Aus einer vom SG eingeholten Auskunft der BA ergibt sich, dass es durchaus Arbeitsplätze für Bankkaufleute ohne Kundenkontakt gebe, die allerdings sehr oft intern besetzt und selten ausgeschrieben würden; sie habe aktuell kein solches Stellenangebot gefunden (Auskunft vom 28.7.2015). Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt. Das SG hat die Klage abgewiesen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei unzulässig, da dem Kläger das dafür erforderliche besondere Feststellungsinteresse fehle. Die vom Kläger außerdem erhobene echte Leistungsklage auf Zahlung von (Rest-)Übergangsgeld in Höhe von 11.404,80 EUR sei ebenfalls unzulässig. Über einen solchen Anspruch hätte die Beklagte zunächst durch Verwaltungsakt entscheiden müssen (Urteil vom 18.9.2018, dem Kläger am 22.10.2018 zugestellt). Mit seiner Berufung vom 20.11.2018 hat der Kläger seine Ansprüche weiterverfolgt und zur Begründung auf das Sachverständigengutachten des Nervenarztes S hingewiesen.
Der Senat hat die Bundesagentur für Arbeit beigeladen (im Beschluss vom 29.7.2019 fälschlich als "Agentur für Arbeit H" bezeichnet; fortan: Beigeladene).
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat das den Zahlungsanspruch über 11.404,80 EUR betreffende Verfahren abtrennt (Beschluss vom 14.1.2020).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.9.2018 zu ändern und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 8.5.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013, mit dem die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt hat, rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis für zutreffend.
Die Beigeladene ist am 26.11.2019 zum Termin zur mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis geladen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne. Sie hat mitgeteilt, dass sie im Termin nicht vertreten sein werde (Schreiben vom 11.12.2019). Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für die Beigeladene niemand erschienen.
Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie den Verwaltungsvorgang der Beigeladenen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann trotz Ausbleibens der Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden. Die Beigeladene ist in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 62 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Beiladung bezieht sich erkennbar und zutreffend auf die Bundesagentur für Arbeit, § 367 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Die Agentur für Arbeit H ist nicht beteiligtenfähig, weil sie keine rechtsfähige Körperschaft ist, § 367 Abs 2 SGB III, und es an einer (Landes-)Vorschrift fehlt, die die Beteiligtenfähigkeit einer Agentur für Arbeit anordnet, § 70 Nr 3 SGG.
Die Berufung ist begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist ausweislich des Sachantrags des Klägers nur noch die von ihm erstrebte gerichtliche Feststellung, der Bescheid der Beklagten vom 8.5.2013 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013, § 95 SGG) sei bei seiner Bekanntgabe und für die nachfolgende Dauer seiner Wirksamkeit (materiell) rechtswidrig gewesen. Tatsächlich habe ihm schon im Mai 2013 von Rechts wegen jedenfalls dem Grunde ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach zugestanden.
Die Klage ist zulässig (geworden) und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 8.5.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013 war rechtswidrig. Im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe und während der Dauer seiner Wirksamkeit hat er den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Zu Unrecht hat die Beklagte darin entschieden, der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beklagte hätte dem Kläger solche Leistungen dem Grunde nach zusprechen müssen.
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entgegen der Auffassung des SG statthaft und auch sonst zulässig. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage iS von § 131 Abs 1 Satz 3 SGG ist statthaft, wenn ursprünglich ein Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens war, ein den Verwaltungsakt erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis (fort-)besteht und ein besonderes Feststellungsinteresse vorliegt (vgl BSG. Beschluss vom 16.3.2018, Az B 1 KR 104/17 B Rdnr 9 juris). § 131 Abs 1 Satz 3 SGG betrifft in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich nur unstatthaft gewordene Anfechtungsklagen. Die Vorschrift ist aber auf andere Klagearten entsprechend anzuwenden, bei denen es um die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts geht, wie zB bei Verpflichtungsklagen oder kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen, wenn er sich iS von § 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erledigt hat (vgl Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt. Kommentar zum SGG. 12. Auflage 2017, § 131 Rdnrn 7b, 7c).
Der Verwaltungsakt vom 8.5.2013 hat sich spätestens mit dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zum Erzieher am 31.7.2016 auf sonstige Weise erledigt, weil der erstrebte Erfolg auf sonstige Art eingetreten ist, § 39 Abs 2 SGB X. Ob er sich bereits früher (etwa bereits mit der Bewilligung der streitigen Leistung durch die Beigeladene am 23.7.2013 oder mit Beginn der Maßnahme am 1.8.2013) erledigt hatte und dem Kläger zu irgendeinem dieser Zeitpunkte das Rechtsschutzinteresse für eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage bereits fehlte, kann offenbleiben. Eine Fortsetzungsfeststellungklage ist nämlich entgegen der Auffassung des SG sogar dann statthaft, wenn eine nach dem Gesetz vorrangige Klage(-art) bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht (mehr) statthaft ist (Keller. AaO. Rdnr 7d mwN).
Ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger als Versichertem und der Beklagten besteht fort. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse, im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses klären zu lassen, ob die Beklagte die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben am 8.5.2013 zu Unrecht abgelehnt hat. Für die Annahme eines solchen – bei in aller Regel subsidiären Feststellungsklagen immer erforderlichen, vgl § 55 Abs 1 letzter Halbsatz SGG – berechtigten Interesses genügt ein durch die Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann. Für die Fortsetzungsfeststellungklage hat die Rechtsprechung dazu die Fallgruppen (Topoi) der Wiederholungsgefahr, der Präjudizialität und des Rehabilitationsinteresses entwickelt (Keller. AaO. § 131 Rdnr 10a mwN). Vorliegend ist ein Fall der Präjudizialität gegeben. Die Rechtswidrigkeit der Leistungsversagung ist eine Vorfrage für einen möglichen Schadensersatzanspruch in Höhe von 11.404,80 EUR, um den es dem Kläger letztlich (nur noch) geht. Der Senat hat aufgrund des Gesamtvorbringens des Klägers – anders als das SG – keine begründeten Zweifel daran, dass der Kläger gewillt ist, diesen – nunmehr abgetrennten – Anspruch ernsthaft weiterzuverfolgen.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist in der Sache begründet. Der Kläger hat bereits nach den Vorschriften des SGB VI einen Anspruch auf gerichtliche Feststellung, dass der Bescheid vom 8.5.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013 rechtswidrig war. Der Kläger hatte im Mai 2013 einen Anspruch gegen die Beklagte auf Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben (dem Grunde nach).
Die Beklagte war im Mai 2013 für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständig. Es kann dahinstehen, ob sie bereits ursprünglich zuständig war, §§ 6 Abs 1 Nr 4 iVm 5 Nr 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), und die Beigeladene deshalb den Antrag zu Recht an sie weitergeleitet hat, vgl § 6 Abs 3 Satz 1 SGB IX. Jedenfalls ist sie dadurch zuständig geworden, dass die Beigeladene den Antrag fristgerecht an sie weitergeleitet hat, § 14 Abs 1 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 1 SGB IX in der vom 1.5.2004 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung.
Die Träger der Rentenversicherung haben Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen, um
1. den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und
2. dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern,
wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, § 9 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).
Die persönlichen Voraussetzungen erfüllen Versicherte,
1. deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und
2. bei denen voraussichtlich
a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann,
b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann,
c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
aa) der bisherige Arbeitsplatz erhalten werden kann oder
bb) ein anderer in Aussicht stehende Arbeitsplatz erlangt werden kann, wenn die Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes nach Feststellung des Trägers der Rentenversicherung nicht möglich ist,
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen Versicherte, die bei Antragstellung
1. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben oder
2. eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen,
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Wartezeit von 15 Jahren) hatte der Kläger bereits 2013 mit 234 zu berücksichtigenden Monaten (=19 ½ Jahre) erfüllt. Er erfüllte bereits 2013 auch die persönlichen Voraussetzungen. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers war im hier maßgeblichen, zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Beruf des Bankkaufmanns erheblich gefährdet, § 10 Abs 1 Nr 1 SGB VI. Die Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes war nicht möglich. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit hätte voraussichtlich durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden können, § 10 Abs 1 Nr 2 a) SGB VI. Dies steht zur Überzeugung des Senats auf der Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen S fest.
Von einer Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ist auszugehen, wenn nach gutachterlicher Feststellung wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen und/oder behinderungsbedingter Funktionseinschränkungen damit zu rechnen ist, dass ohne Teilhabeleistungen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit eintreten wird. Eine erhebliche Gefährdung liegt vor, wenn nach gutachterlicher Feststellung durch die Beeinträchtigungen in absehbarer Zeit mit einer Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben zu rechnen ist (Luthe in: jurisPK-SGB VI, 2. Auflage 2013, Stand 4.2.2019, Rdnr 38). Diese Voraussetzungen sind gegeben. Der Kläger konnte Anfang 2013 seine Tätigkeit als Bankkaufmann im Vertrieb generell, also auch bei der W-bank, nicht mehr ohne erhebliche Gefährdung seiner Erwerbsfähigkeit ausüben. Dies ergibt sich zur vollen Überzeugung des Senats bereits aus dem Gutachten des Sachverständigen S. Der Kläger ist am 5.11.2012 nach einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten über die von ihm zu erbringenden Leistungen zusammengebrochen, war ab diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig krank und musste sich in der Folge in psychotherapeutische Behandlung begeben (Berichte der Psychologischen Psychotherapeutin X vom 20.3.2013 und 24.2.2014; Bericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Q vom 19.3.2014). Nach den – auch aus Sicht des Sachverständigen S uneingeschränkt – glaubhaften Angaben des Klägers handelte es sich bei dem Ereignis vom 5.11.2012 um den Kulminationspunkt einer bereits in den Jahren zuvor im Beruf als Bankkaufmann aufgetretenen Belastungssituation, in der zuvor Arbeitgeberwechsel und medizinische Rehabilitationsmaßnahmen nicht zur einer wesentlichen Reduzierung der Belastung geführt hatten. Der Sachverständige S leitet aus diesem Geschehen nachvollziehbar eine Dekompensation im Sinne einer Erschöpfungsdepression mit Antriebsminderung, sozialem Rückzug, Stimmungsverschlechterung, Unzufriedenheit und Gereiztheit ab. Bei Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit als Bankkaufmann sei weiter mit ausgeprägten depressiven Dekompensationen zu rechnen. Dies beruhe darauf, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als Bankkaufmann durch die erlebten moralischen Probleme immer wieder in ausgeprägte innerseelische Konflikte geriete. Aufgrund dieser Konstellation könne mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Kläger seinen Beruf als Bankkaufmann nicht wieder ausüben kann, ohne sein Gesundheit zu gefährden. Diese Feststellungen sind überzeugend und der Beurteilung als wahr zugrunde zu legen. Von der Richtigkeit dieser schlüssigen und nachvollziehbaren Bewertung ist der Senat auch deshalb uneingeschränkt überzeugt, weil der Sachverständige aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit über Erfahrungen verfügt, die diese Bewertung zusätzlich stützen. Er hat über viele Jahre, beginnend mit der Deutschen Bank, der Commerzbank und mit anderen Geldinstituten, als Patienten immer wieder Bankkaufleute gesehen, die in dem Bereich des Verkaufs sogenannter "Finanzprodukte" tätig gewesen sind. Diese haben ihm geschildert, durch ihre Vorgesetzten gezwungen worden zu sein, Zielvorgaben für den Verkauf von Finanzprodukten zu unterschreiben und Geldanlageprodukte auch dann zu verkaufen, wenn dies mit ihrer ethischen Einstellung nicht vereinbar war. Die Angaben der behandelnden Psychologischen Psychotherapeutin X und des Hausarztes Dr. Q stimmen mit diesen Feststellungen sowohl zeitlich als auch inhaltlich überein. Der Einwand der Beklagten, die Erwerbsfähigkeit des Kläger sei jedenfalls im Beruf als "Bankkaufmann im internen Bereich" nicht gefährdet, weil er in diesem Berufsfeld keine Kundenkontakte habe, ist nicht stichhaltig. Es lässt sich bereits nicht feststellen, dass es den so bezeichneten Beruf als arbeitsmarktgängigen Beruf gibt. Dies folgt aus den von der Beklagten selbst vorgelegten Stellungnahmen ihres Reha-Beraters B und des Arbeitspsychologen Dr. C und zusätzlich aus der Auskunft der Beigeladenen vom 28.7.2015. Nach den Ausführungen des Reha-Beraters B ist zwar zutreffend, dass ein Bankkaufmann auch ausschließlich im internen Bereich eingesetzt werden kann. Er hat bei seinen umfassenden Recherchen auf dem Stellenmarkt jedoch keine entsprechende Tätigkeit gefunden, woraus er herleitet, dass solche Stellen wohl nur intern ausgeschrieben würden. Auch die Auskunft der Beigeladenen bestätigt, dass es solche Arbeitsplätze zwar gibt, diese aber oft intern besetzt und selten ausgeschrieben werden; sie selbst hat bei einem Suchlauf in ihrer "Jobbörse" eine solche Stellenbeschreibung nicht gefunden. Damit in Einklang steht das vom Arbeitspsychologen Dr. C dargelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis, wonach die Tätigkeit des Bankkaufmanns auf den (belastenden) Vertrieb von Finanzprodukten ausgerichtet ist (Regel), aber auch zu einer Tätigkeit außerhalb des Vertriebs mit deutlich geringerer Belastung befähigt (Ausnahme). Daraus ergibt sich für den Senat, dass der Teilberuf des "Bankkaufmanns im internen Bereich" nicht als eigenständiger Maßstab für die Beurteilung einer Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers im letzten versicherungspflichtigen Beruf in Betracht kommt, der Kläger also auch im Recht der Teilhabe nicht auf diesen Teilbereich des Tätigkeitsfeldes "verwiesen werden" kann. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger bei Bescheid-erteilung in seinem Beruf als Bankkaufmann bereits erwerbsgemindert war oder seine Erwerbsfähigkeit nur erheblich gefährdet war. Ein (leistungsgeminderter) Bankkaufmann, der gesundheitlich nur im internen Bereich außerhalb des Vertriebs eingesetzt werden kann, wird nach dem insoweit einhelligen Beweisergebnis deshalb nicht über den allgemeinen Arbeitsmarkt gesucht, weil solche Stellen selten sind und fast ausschließlich intern besetzt werden. Damit korrespondieren die Einordnung des Sachverständigen S, der insoweit von einem "theoretischen Arbeitsplatz" spricht, und die Angabe des Klägers selbst, solche Stellen gebe es kaum. Vor diesem Hintergrund kann der Kläger nicht auf einen Teilbereich seines Tätigkeitsfeldes, auf einen Schonarbeitsplatz oder auf einen Arbeitsplatz, der an Berufsfremde nicht vergeben wird, "verwiesen werden" (vgl die Parallelen zum Recht der Renten wegen Erwerbsfähigkeit in den früheren Katalogfällen 3-5; s dazu BSGE 80, 24ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 Rdnr 38 juris; zuletzt: BSG Urt v 13.12.2019, Az B 13 R 7/18 R, Rdnr 17 juris). Eine Minderung der erheblich gefährdeten Erwerbsfähigkeit des Klägers hätte voraussichtlich durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden können. Im Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben muss "voraussichtlich" eine Leistung nach dem Umständen des Einzelfalls im Hinblick auf die Abwendung der Minderung der Erwerbsfähigkeit Erfolg versprechend sein (vgl Zabre in: Kreikebohm. Kommentar zum SGB VI. 5. Auflage 2017, § 10 Rdnr 9). Dies ist zu bejahen, wenn die erfolgreiche Umsetzung der in Abs 1 Nr 2 genannten Zielsetzungen wahrscheinlich ist, d.h. mehr Gründe dafür als dagegen sprechen (Luthe. AaO. § 10 Rdnr 60). Unter Berücksichtigung seines Alters (39 Jahre), seiner Motivation bezüglich einer Umschulung (zum Erzieher oder Sozialarbeiter) und seines Gesundheitszustandes war wahrscheinlich, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden konnte. Die Rehabilitationsfähigkeit des Klägers war vorhanden. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers im psychischen Bereich standen, wie der Sachverständige S im Einzelnen erläutert, ausschließlich mit seiner Tätigkeit als Bankkaufmann in Zusammenhang. Nach Beendigung dieser Tätigkeit kam es zu einer Stabilisierung seines Gesundheitszustandes. Danach hat sich der Kläger in der Folge psychopathologisch deutlich stabilisiert und nur noch beim Berühren der belastenden Themen eine psychovegetative Anspannung mit unterschwelliger Gereiztheit gezeigt. Letztlich hat sich die entsprechende Prognose durch die erfolgreiche Beendigung der Umschulungsmaßnahme zum Erzieher am 31.7.2016 und die anschließende Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in diesem Beruf eindrucksvoll bestätigt. Die Förderung der Umschulung durch eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung durch die Beigeladene nach den Vorschriften des § 81 SGB III rechtfertigt keine andere Beurteilung, sondern war aufgrund der rechtswidrigen Weigerung der Beklagten zur schleunigen Wiedereingliederung des Klägers zielführend. Aus den Beratungsvermerken in der Akte der Beigeladenen ergibt sich, dass diese sich der vorrangigen Zuständigkeit der Beklagten bewusst war. Nachdem diese die Leistung allerdings abgelehnt hatte, musste (und durfte) sie davon ausgehen, dass eine Leistung durch die Beklagte nicht (jedenfalls nicht zeitnah) erfolgen würde, so dass nun ihre (subsidiäre) Leistungspflicht zum Tragen kam. Ob und inwieweit sie daraus Erstattungsansprüche gegen die Beklagte herleiten kann, kann an dieser Stelle offen bleiben. Aus den vorangehenden Ausführungen folgt, dass die Beklagte auf den Antrag des Klägers vom 31.1./1.2.2013 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben als Pflichtleistungen zu erbringen gehabt hätte, um Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit im Beruf als Bankkaufmann durch Krankheit vorzubeugen oder sie zu verhindern, § 9 Abs 2 iVm Abs 1 SGB VI. Die Auswahl geeigneter Leistungen hätte in ihrem Ermessen gelegen, wobei jedenfalls aus der ex post – Sicht sicher gesagt werden kann, dass die Umschulung zum Erzieher eine geeignete Leistung gewesen wäre. Die Beklagte hat bereits ausgeführt, dass sie eine solche Leistung – wie die Beigeladene – für 2 Jahre gefördert hätte (Schreiben vom 8.12.2016). Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 SGG. Sie berücksichtigt, dass die auf Zahlung von Übergangsgeld gerichtete Klage von Anfang an unzulässig war (vgl dazu BSG, Beschluss vom 14.2.2017, Az B 14 AS 45/16 BH, Rdnrn 5f juris).
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind nämlich die konkreten Umstände des Einzelfalls.
Erstellt am: 24.06.2020
Zuletzt verändert am: 24.06.2020