NZB als unzulässig verworfen
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.06.2006 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Bewilligung von Kurzarbeitergeld (Kug). Die Klägerin betreibt gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung und eine unselbständige Niederlassung in E. Diese hatte der T E GmbH, die für die W Aktiengesellschaft (W AG) in deren Werk in E die gesamte Disposition und Teilelieferung für die Endmontage abwickelte, Arbeitnehmer überlassen. Wegen streikbedingter Blockademaßnahmen konnte die T GmbH im Juni 2003 ihre Logistikleistungen nicht erbringen und die Mitarbeiter der Klägerin vom 09.06. bis 27.06.2003 nicht einsetzen. Am 20.06.2003 zeigte die Klägerin den Arbeitsausfall für die Zeit vom 09. bis 30.06.2003 bei der Beklagten an und beantragte Kug.
Mit Bescheid vom 24.06.2003 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Kug auf die Anzeige über Arbeitsausfall infolge der mittelbaren Auswirkungen von Streikhandlungen ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2003 zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei einem Arbeitskampf im Betrieb des Entleihers stehe dem Leiharbeitnehmer das Recht aus § 11 Abs. 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zu, wonach der Leiharbeitnehmer im Arbeitskampf im Betrieb des Entleihers nicht verpflichtet sei, beim Entleiher tätig zu sein. Daraus erwachse dem Verleiher das Recht, den Leiharbeitnehmer anderweitig einzusetzen. Sei dies nicht möglich, sei der Arbeitgeber dennoch zur Lohnzahlung im Sinne von § 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verpflichtet.
Am 03.12.2003 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Dresden Klage erhoben, die durch Beschluss vom 27.04.2004 an das örtlich zuständige SG Düsseldorf verwiesen worden ist. Die Klägerin hat ihr Begehren auf Bewilligung von Kug weiter verfolgt und dabei die Ansicht vertreten, § 615 BGB treffe nur eine Regelung zum allgemeinen Betriebsrisiko, beim Arbeitskampfrisiko seien jedoch andere Maßstäbe anzulegen. Außerdem regele auch ein jeweils entsprechender Passus in den Arbeitsverträgen der betroffenen Mitarbeiter die entfallende Lohnzahlungspflicht bei Arbeitskämpfen. Zudem sei es unzumutbar gewesen, die Arbeitnehmer anderweitig einzusetzen, da die Leiharbeitnehmer für die T GmbH sofort hätten abrufbar gewesen sein müssen. Sofern anderweitige Einsatzmöglichkeiten nicht vorhanden seien, entfalle der Entgeltanspruch.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2003 in der Fassung des Widerspruchsbe scheides vom 04.11.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Kug gemäß ihrem Antrag vom 19.06.2003 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, das Entgeltrisiko verbleibe bei der Klägerin, weil sie nach anderen Einsatzmöglichkeiten hätte suchen müssen. Sofern dies nicht möglich sei, trage der Verleiher grundsätzlich das Lohnrisiko nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre.
Mit Gerichtsbescheid vom 09.06.2005 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin antragsgemäß Kug zu gewähren. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen den ihr am 22.06.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 15.07.2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, bei gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung stehe der Leiharbeitnehmer nur in einem Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher und nicht mit dem Entleiher. Die vertragliche Verpflichtung des Leiharbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber sei im Kern nur darauf beschränkt, seine Arbeitskraft diesem zur Verfügung zu halten. Zweckbestimmte Dienste leiste er letztlich nur im Betrieb des Entleihers. Bei einem derart ausgestalteten Arbeitsverhältnis gehöre es zum allgemeinen Wirtschaftsrisiko des Verleihunternehmens, ob es die für es ständig bereit gehaltene Arbeitskraft des Leiharbeitnehmers nutzen könne oder nicht. Da ein Entgeltanspruch des Leiharbeitnehmers somit auch für Zeiten bestehe, in denen er seine Arbeitskraft bereit halte, der Verleiher sie aber nicht nutzen könne, bestehe für ihn kein Anspruch auf Kug.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.06.2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend und stützt sich dabei auch auf ein von ihr im Berufungsverfahren vorgelegtes Gutachten von Prof. Dr. C. Auf den Inhalt dieses Gutachtens vom September 2005 wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Auf den Inhalt der "Kug"-Akte, der ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu Unrecht verurteilt, der Klägerin Kug zu bewilligen. Ein Anspruch der Arbeitnehmer der Klägerin auf Kug für die Zeit vom 09. bis 30.06.2003 besteht entgegen der Auffassung des SG nicht.
Gemäß § 169 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Kug, wenn
1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt,
2. die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind,
3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und
4. der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist.
Diese Voraussetzungen, die kumulativ gegeben sein müssen, sind vorliegend nicht vollständig erfüllt. Zwar fehlt es neben der Anzeige gemäß Nr. 4 auch nicht am erforderlichen nachträglichen Antrag gemäß § 323 Abs. 2 Satz 1 SGB III binnen der Ausschlussfrist von 3 Monaten gemäß § 325 Abs. 3 SGB III. Denn der Widerspruch der Klägerin vom 04.07.2003 gegen den ablehnenden Anerkennungsbescheid kann als Antrag ausgelegt werden (vgl.: Niesel, SGB III, § 323 Randnr. 23 m.w.N.). Es kann dahingestellt bleiben, ob die betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Kug gemäß den Nrn. 2 und 3 vorliegend erfüllt waren und insbesondere kann offen bleiben, ob die wirksame Anordnung von Kurzarbeit als die immanente Voraussetzung des Anspruchs auf Kug erfüllt ist. Insoweit gab die Klägerin in der Arbeitsausfallanzeige an, mit den betroffenen Arbeitnehmern eine entsprechende Vereinbarung getroffen zu haben. Es lag jedoch kein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall (§ 169 Nr. 1 SGB III) bzw. zumindest kein Entgeltausfall vor, weil die betroffenen Arbeitnehmer ihre Arbeitsentgeltansprüche gegen die Klägerin jedenfalls nicht verloren haben, und zwar weder durch die oben dargelegte Vereinbarung über Kurzarbeit noch durch die arbeitsvertragliche Vereinbarung in Nr. 4 der mit ihren Arbeitnehmern geschlossenen Mitarbeiterverträge, wonach die Klägerin dann nicht zur Zahlung verpflichtet bleibe, wenn die Nichtunterbringung (des Arbeitnehmers) im Vertragsgebiet und damit die Unmöglichkeit einer Arbeitsleistung im Wesentlichen durch einen Arbeitskampf bedingt sei.
In Bezug auf Letzteres ist bereits nicht feststellbar, dass die Nichtunterbringung der betroffenen Leiharbeitnehmer kausal durch den Arbeitskampf bei der W AG bedingt gewesen sein könnte. Denn die Klägerin konnte ihre Arbeitnehmer wegen des Streiks lediglich nicht bei der (mittelbar) betroffenen T GmbH unterbringen. Denn ansonsten war eine Vielzahl anderer vertraglich vorgesehener, nicht durch den Streik bei der W AG betroffener Beschäftigungsmöglichkeiten unzweifelhaft vorhanden, insbesondere weil die gesamte Bundesrepublik Deutschland Vertragsgebiet war.
Entscheidend dafür, dass die Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer der Klägerin nicht verloren gehen konnten bzw. die Klägerin zur Zahlung der Vergütung verpflichtet blieb, ist jedoch, dass die arbeitsvertragliche Vereinbarung, nach der die Klägerin nicht zur Lohnzahlung verpflichtet sei, wenn die Nichtunterbringung im Vertragsgebiet durch einen Arbeitskampf bedingt sei, gemäß § 134 BGB nichtig ist. Die Vereinbarung verstößt gegen das gesetzliche Verbot gemäß § 11 Abs. 4 Satz 2 1. Halbsatz AÜG i.V.m. § 615 Satz 3, 1 BGB. Danach darf das Recht des Leiharbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug des Verleihers (§ 615 Satz 1 BGB) nicht durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden und bleibt dementsprechend der Verleiher grundsätzlich zur Zahlung der Vergütung verpflichtet (vgl.: Feuerborn in: Schüren, Kommentar, AÜG 2. Auflage, § 11 Randnrn. 91, 92 und 105; Wank in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 3. Auflage, § 11 AÜG Randnr. 29). Dieses gesetzliche Verbot gilt auch für den Fall, dass der Verleiher wegen eines Arbeitskampfes keine Beschäftigungsmöglichkeiten in potentiellen Entleiherbetrieben für seine Leiharbeitnehmer findet, weil dies grundsätzlich Teil seines Wirtschaftsrisikos ist und die Vergütungspflicht auch in diesem Fall bestehen bleibt. Gegen diese in der Literatur einhellig vertretene Auffassung (vgl.: Ulber, AÜG und Arbeitnehmer-Entsendegesetz, Kommentar, § 11 Randnr. 82, 83; Feuerborn/Schüren a.a.O. Randnr. 106; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Marschall, § 175 Randnr. 43; Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht/Düwel, 4.5 Randnr. 399; Becker/Wulfgramm, AÜG, Kommentar, 3. Auflage, Artikel 1 § 11 Randnr. 44; Sandmann/Marschall, AÜG, Kommentar, Artikel 1 § 11 Anm. 31), die der Senat für zutreffend erachtet, kann auch nicht erfolgreich ins Feld geführt werden, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG), in seinem Urteil vom 01.02.1973 – 5 AZR 382/72 – ausgeführt hat, dass etwas Anderes allenfalls dann gelten könnte, wenn infolge eines Streiks sämtliche vertraglich vorgesehenen Beschäftigungsmöglichkeiten wegfallen. Denn zum Einen waren – wie dargelegt – nicht sämtliche vertraglich vorgesehenen Beschäftigungsmöglichkeiten infolge eines Streiks weggefallen und zum Anderen betraf das genannte Urteil einen Sachverhalt und die Rechtslage vor Inkrafttreten des AÜG am 12.10.1972, so dass sich das BAG schon deshalb nicht mit der zwingenden Vorschrift des § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG auseinanderzusetzen brauchte. Dagegen spricht auch nicht die Anmerkung von Becker zu diesem Urteil (NJW 1973, 1629 f.), der im Übrigen dem Urteil lediglich nicht in der Begründung, im Ergebnis aber zustimmt. Denn darin wird lediglich eine fehlende dogmatische Begründung für die vom BAG vorgenommene individualrechtliche Risikoabgrenzung bemängelt, jedoch anerkannt, dass sich der Gesetzgeber (mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG) zwischenzeitlich zugunsten des Leiharbeitnehmers für die individualrechtliche Zuordnung des Lohnrisikos entschieden und § 615 Satz 1 BGB für unabdingbar erklärt habe.
Auch das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. X C führt zu keiner anderen Beurteilung. Dem Gutachten kann nicht gefolgt werden. Es kann schon deshalb nicht überzeugen, weil in ihm verkannt wird, dass es keinen nach § 615 BGB e n t s t a n d e n e n Anspruch gibt. Denn § 615 BGB gibt keinen selbständigen Anspruch, sondern bewirkt als Erfüllungsanspruch, dass der Vergütungsanspruch dem Dienstverpflichteten erhalten bleibt. Das Gutachten überzeugt insbesondere aber deshalb nicht, weil es außer Acht lässt, dass das Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers nur mit dem Ver- leihunternehmen besteht und der Verleiher in Annahmeverzug gerät und damit das volle Lohnrisiko trägt, wenn er den dienstbereiten Leiharbeitnehmer gemäß den vertraglich vorgesehenen Beschäftigungsmöglichkeiten nicht einsetzen kann. Daher kann es entgegen der Ansicht des Gutachters nicht darum gehen, "ob in der konkreten Situation ein anderer wirtschaftlich sinnvoller und zumutbarer Arbeitseinsatz möglich gewesen wäre". Es geht allein darum, dass es vorliegend keine Hinweise darfür gibt, dass alle vertraglich vorgesehenen Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer der Klägerin infolge Streiks weggefallen waren (Palandt/Putzo, BGB, 64. Auflage, § 615 Randnr. 25 unter Hinweis auf BAG Urteil vom 01.02.1973). Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten kann schließlich auch deshalb nicht überzeugen, weil es jegliche Auseinandersetzung mit den oben genannten einhelligen Literaturmeinungen vermissen lässt.
Es kann auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz darin gesehen werden, dass den Arbeitnehmern der T GmbH Kug von der Beklagten bewilligt wurde, den Leiharbeitnehmern der Klägerin aber nicht. Denn der Gleichheitssatz nach Artikel 3 Grundgesetz gebietet nur, tatbestandlich Gleiches rechtlich gleich zu behandeln. Dementsprechend ist nicht zu erkennen, dass die Klägerin als Unternehmen, das gewerbsmäßig Arbeitnehmerüberlassung betreibt, mit der T GmbH, die als Logistikunternehmen für die W AG die gesamte Disposition und Teilelieferung für die Endmontage abwickelt, als Unternehmen im Wesentlichen gleich zu behandeln wären. Denn allein der Umstand, dass die Klägerin wie die T GmbH mittelbar durch den Streik bei der W AG betroffen war, rechtfertigt keine Gleichbehandlung.
Nach alle dem war auf die Berufung der Beklagten die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG).
Erstellt am: 05.09.2007
Zuletzt verändert am: 05.09.2007