Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.05.2019 aufgehoben. Das Verfahren wird an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Der Antragsteller ist am 00.00.1956 geboren. Er beantragte am 21.02.2019 beim Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Er gab an, bis Juni 2012 in Deutschland selbständig gewesen zu sein. In der Folge habe er bis Ende Dezember 2018 in den USA gelebt. Dort habe er ein Liquidationseinkommen aus seiner früheren GmbH bezogen und seine Ersparnisse aufgebraucht. Nebenbei habe er als freier Journalist gearbeitet, aber hieraus keine Einkünfte erzielt. Der Antragsteller fügte seinem Antrag einen am 20.11.2018 geschlossenen Mietvertrag über seine Wohnung in E bei. Vermieterin ist Frau T, gemäß den Angaben des Antragstellers eine frühere Angestellte. Der Antragsteller übergab dem Antragsgegner in der Folge ein Schreiben von Frau T vom 30.03.2019, in dem diese sich bereiterklärte, die Verpflichtung des Antragstellers zur Zahlung von Miete bis Ende März 2019 auszusetzen und die monatlichen Beiträge des Antragstellers zur privaten Krankenversicherung zu übernehmen. Beides könne für die Zukunft nicht mehr erfolgen, der Mietvertrag werde fristlos gekündigt. Eine Kontenabfrage des Antragsgegners beim Bundeszentralamt für Steuern ergab über die vom Antragsteller angegebenen Konten hinaus ein unbekanntes aktives Konto sowie eine Verfügungsberechtigung der Frau T über mehrere frühere und aktive Konten des Antragstellers. Aus einem vom Antragsteller eingereichten Schreiben der Schufa Holding AG geht hervor, dass dort neben der E Adresse des Antragstellers seit dem 20.03.2019 als Wohnadresse auch die E-Str. 00 in N gespeichert ist. Zudem wurde die Anschrift von Frau T in der I-Str. 00 in I 2011 auch als Adresse des Antragstellers gespeichert. Bei Ermittlungen des Außendienstes des Antragsgegners konnte der Antragsteller zwischen dem 24.04.2019 und dem 30.04.2019 an fünf Tagen zu unterschiedlichen Uhrzeiten nicht unter seiner E Adresse angetroffen werden.
Im Laufe des Verwaltungsverfahrens forderte der Antragsgegner den Antragsteller mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 16.04.2019, unter Fristsetzung bis zum 30.04.2019 und Verweis auf die Rechtsfolgen der Vorschrift des § 66 SGB I zu diversen Angaben und zur Einreichung von Unterlagen auf. Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 30.04.2019 zunächst eine Fristverlängerung bis zum 15.05.2019. Mit Schreiben vom 06.05.2019 beantwortete der Antragsteller einige vom Antragsgegner gestellte Fragen. Zu Fragen des Antragsgegners zur Finanzierung seines Lebensunterhalts ab 2012 und zu seiner Finanzierung durch Freunde bzw Verwandte teilte der Antragsteller mit, dass entsprechende Fragestellungen rechtswidrig seien.
Am 20.05.2019 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Düsseldorf eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Das Sozialgericht hat mit der Eingangsverfügung vom 20.05.2019 den Antragsteller mit Fristsetzung bis zum 23.05.2019, 10 Uhr, aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen, wovon er seit Januar 2019 lebe, und eine eidesstattliche Versicherung zu seinen Vermögensverhältnissen zu übersenden. Zudem habe er eine ladungsfähige Adresse anzugeben. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner mit der Eingangsverfügung unter Hinweis auf § 104 Abs. 4 SGG zur Antragserwiderung und Aktenübersendung ebenfalls bis zum 23.05.2019, 10 Uhr, aufgefordert. Der Antrag ist dem Antragsgegner gemäß Sendebericht um 13.55 Uhr per Fax übermittelt worden. Einem am 22.05.2019 übermittelten Original des Antrags waren das Schreiben der Frau T vom 30.03.2019 und ein Kontoauszug des Antragstellers beigefügt. Der Antragsteller hat mit am 23.05.2019, 9.44 Uhr beim Sozialgericht eingegangenen Fax eidesstattlich versichert, über kein Vermögen zu verfügen. Die Sicherstellung seines Lebensunterhalts erfolge seit Januar 2019 durch frühere Geschäftspartner "in kleinstem Umfang". Mit um 9.45 Uhr eingegangenen Fax hat er eine Anmeldebestätigung der Stadt E übersandt.
Mit Beschluss vom 23.05.2019 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, "dem Antragsteller ab dem 20.Mai 2019 vorläufig – längstens aber bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens – unter dem Vorbehalt der Rückforderung Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren". Die Tenorierung sei aufgrund einer Folgenabwägung geboten, die zugunsten des Antragstellers ausfalle. Hierbei sei allein das Vorbringen des Antragstellers zugrundezulegen, weil dieser bereits seit dem 07.01.2019 auf eine Entscheidung über seinen Antrag warte und der Antragsgegner nicht einmal auf eine gerichtliche Verfügung binnen der gesetzten Frist reagiere. Der Beschluss ist den Beteiligten nach Aktenlage am 23.05.2019 um 11.11 Uhr bzw 11.15 Uhr per Fax übermittelt worden.
In der Verfahrensakte ist nach dem Beschluss ein gemäß dem Absendevermerk um 10.48 Uhr übersandtes sechsseitiges Fax des Antragsgegners abgeheftet. Die erste Seite ist auf den 22.05.2019 datiert und enthält den Zusatz "erneut Versuch per Fax". Der Antragsgegner bittet in dem Schriftsatz um eine Verlängerung der gesetzten Frist, weil der Verwaltungsvorgang erst am Morgen des 23.05.2019 vorliege. Erst dann könne mit der Prüfung und Fertigung einer Stellungnahme begonnen werden. Die weiteren Seiten bestehen aus der auf den 23.05.2019 datierten Antragserwiderung, in der der Antragsgegner darauf hinweist, dass die Finanzierung des Lebensunterhalts des Antragstellers in den Jahren 2012 bis 2018 auch aufgrund des teilweisen Fehlens von Kontoauszügen unklar sei und aus einer beigefügten Stellungnahme des "Neukundenservice" des Antragstellers. In dieser wird auf die aus der Schufa-Auskunft des Antragstellers hervorgehenden verschiedenen Meldeadressen, die diversen Konten des Antragstellers und die teilweise Verfügungsberechtigung der Frau T und auf die Ermittlungsergebnisse des Außendienstes hingewiesen.
Am 24.05.2019 hat der Antragsgegner Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 23.05.2019 erhoben und die Aussetzung der Vollstreckung beantragt. Die Grundsätze eines fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs seien nicht gewahrt. Bereits am 22.05.2019 sei versucht worden, eine Fristverlängerung zu erwirken. Es sei jedoch nicht möglich gewesen, das Schreiben dem Sozialgericht per Fax zuzustellen. Auf entsprechende Schwierigkeiten sei das Sozialgericht schon früher hingewiesen worden. Auch am 23.05.2019 sei versucht worden, die Stellungnahme dem Sozialgericht fristgemäß zukommen zu lassen. Da dies wiederum nicht funktioniert habe, sei die Geschäftsstelle der erkennenden Kammer telefonisch informiert worden. Die Schriftsätze hätten das Sozialgericht vor der Absetzung des Beschlusses erreicht. Eine Notwendigkeit zur Verkürzung der normalerweise üblichen einwöchigen Schriftsatzfrist habe nicht bestanden. In der Sache sei die Finanzierung des Lebensunterhalts des Antragstellers vor der Wiedereinreise nach Deutschland unklar. Der Antragsteller habe mehrere Konten nicht angegeben. Die Beziehung des Antragstellers zu Frau T sei ebenso unklar wie sein gewöhnlicher Aufenthalt. In diesem Zusammenhang sei auch die nunmehr bekanntgewordene Adresse des Antragstellers in N zu berücksichtigen.
Mit Beschluss vom 11.06.2019 hat der Senat die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.05.2019 ausgesetzt (L 7 S 168/19 ER).
II.
Die zulässige Beschwerde ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung in entsprechender Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG begründet.
Auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in entsprechender Anwendung von § 159 SGG eine Zurückverweisung zulässig (Beschlüsse des Senats vom 03.12.2015 – L 7 AS 2005/15 B ER vom 08.06.2016 – L 7 AS 1068/16 B ER und vom 08.03.2019 – L 7 AS 324/19 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 18.08.2014 – L 19 AS 1341/14 B ER; Sächsisches LSG Beschluss vom 30.07.2014 – L 3 AS 796/14 B ER; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 18.11.2011 – L 5 KR 202/11 B ER; LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 25.03.2009 – L 3 AS 148/09 B ER).
Das Verfahren vor dem Sozialgericht leidet an wesentlichen Mängeln im Sinne dieser Vorschrift.
Das Vorgehen des Sozialgerichts verletzt den Anspruch der Antragsgegners auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG). Der im Grundgesetz verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG garantieren den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren daher, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern (ständige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, vergl. nur BVerfG Beschluss vom 29.05.1991 – 1 BvR 1383/90). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gilt auch im sozialgerichtlichen Eilverfahren (LSG Hessen Beschluss vom 23.01.20017 – L 9 SO 97/06 ER).
Das Sozialgericht hat diesen Anforderungen nicht entsprochen. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs schließt es nicht nur aus, an den fruchtlosen Ablauf einer dem Beteiligten gar nicht bekannten Frist negative Rechtsfolgen zu knüpfen, sondern auch unzumutbar kurze Fristen zu setzen, die auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht sicher ausreichend sind (Beschluss des Senats vom 03.12.2015 – L 7 AS 2005/15 B ER).
Dies war hier der Fall: Die dem Antragsgegner gesetzte Frist von nur zwei vollen Arbeitstagen war angesichts der Komplexität des aufklärungsbedürftigen Sachverhalts zu kurz. Diese Komplexität war dem Sozialgericht aufgrund des dem Original des Antrags beigefügten Schreiben von Frau T und dem Verweis des Antragstellers auf die Finanzierung durch "frühere Geschäftspartner" in seiner Stellungnahme vom 23.05.2019 auch erkennbar. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die dem Original beigefügten Anlagen den Antragsteller erst am 22.05.2019 erreicht und die Frist weiter verkürzt haben. Außerdem hat der Antragsgegner glaubhaft vorgetragen, innerhalb der Frist eine Kontaktaufnahme mit dem Gericht versucht zu haben, was aufgrund technischer Probleme bei der Faxübermittlung nicht gelang, und die Geschäftsstelle telefonisch über das Problem informiert zu haben. Der Senat weist daraufhin, dass die Geschäftsstelle verpflichtet gewesen wäre, hierüber unverzüglich einen Vermerk zu fertigen und der Kammervorsitzenden vorzulegen. Schließlich hat der Antragsgegner nachweislich bis zum 23.05.2019, 10.48 Uhr, reagiert, ohne dass dies vom Sozialgericht berücksichtigt worden wäre. Eine besondere Eilbedürftigkeit hat dieses Vorgehen nicht gerechtfertigt, weil der Antragsteller selbst mit Schreiben vom 30.04.2019 noch um Fristverlängerung bis zum 15.05.2019 gebeten hatte.
Das Vorgehen des Sozialgerichts verletzt zudem die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, die unter Berücksichtigung der Beweismaßstäbe im einstweiligen Rechtsschutzverfahren und der Mitwirkungsobliegenheiten der Antragsteller auch in diesen Verfahren besteht (§ 103 Abs. 1 SGG; vgl. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 12.01.2015 – L 11 AS 1310/14 B ER). Im vorliegenden Fall wäre das Sozialgericht verpflichtet gewesen, die vom Antragsgegner aufgeworfenen Fragen durch eigene Sachverhaltsermittlungen – so z.B. durch die Einholung weiterer Auskünfte und Unterlagen beim Antragsgegner bzw bei Dritten und Behörden und ggf durch die Vernehmung von Zeugen – aufzuklären und die hierbei gewonnen Ergebnisse einer Gesamtwürdigung zuzuführen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die vom Antragsgegner aufgeworfenen Gesichtspunkte der unklaren Vermögensverhältnisse des Antragstellers, seines in Frage stehenden gewöhnlichen Aufenthalts und der klärungsbedürftigen Beziehung zu Frau T gewichtig sind und die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers iSv §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ernsthaft in Frage stellen. Erst bei Nichtaufklärbarkeit des Sachverhalts auch nach den Maßstäben des einstweiligen Rechtsschutzes hat das Sozialgericht im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden (zu den insoweit geltenden Maßstäben vgl. nur Beschluss des Senats vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER).
Aufgrund dieser Verfahrensmängel ist unter Berücksichtigung der Maßstäbe des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme iSd § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG notwendig, weil eine Aufklärung des Sachverhalts bislang unterblieben ist.
Bei der Ausübung seines Ermessens hat der Senat sich unter Berücksichtigung der Prozesswirtschaftlichkeit, des Beschleunigungsgebotes und der Effektivität des Rechtsschutzes sowie der Einbeziehung der berechtigten Interessen der Antragsteller zur Zurückverweisung entschieden. Maßgeblich hierfür ist, dass den Beteiligten andernfalls entgegen der gesetzlichen Ausgestaltung des Instanzenzugs eine Instanz im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entzogen würde, in der ihr Begehren in rechtstaatlicher und prozessordnungsgemäßer Weise geprüft wird (zu diesem Gesichtspunkt auch LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 25.03.2009 – L 3 AS 148/09 B ER).
Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 159 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 02.07.2019
Zuletzt verändert am: 02.07.2019