Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 03.12.2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtlichen Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Rente der Klägerin und hier um die Frage, ob zu Gunsten der Klägerin weitere Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt nach § 262 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) trotz Überschreitens des durchschnittlichen Entgeltpunktewertes von 0,0625 Punkten zu berücksichtigen sind.
Die am 00.00.1948 in L geborene und im Mai 1992 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelte Klägerin ist schwerbehindert mit einem GdB von 60 und hat mehr als 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten belegt. Mit Rentenauskunft vom 24.6.2011, mit der die Pflichtbeiträge der Klägerin bis einschließlich 31.12.2010 Berücksichtigung fanden, wurden zu Gunsten der Klägerin bei der Berechnung der voraussichtlichen Regelaltersrente 484 belegungsfähige Monate nach § 72 SGB VI und insgesamt 29,5386 Entgeltpunkte ermittelt. Da dies lediglich einem Schnitt von 0,0610 Entgeltpunkten entsprach, berücksichtigte die Beklagte zu Gunsten der Klägerin gemäß § 262 SGB VI zusätzliche 4,7801 Entgeltpunkte. Im Ergebnis legte die Beklagte daher 34,7739 Entgeltpunkte für Beitragszeiten zu Grunde. Die rechnerische Regelaltersrente belief sich auf 1.024,30 EUR monatlich.
In der Folgezeit legte die Klägerin weitere Nachweise über rentenrechtliche Zeiten vom 20.08.1976 bis 24.05.1981 gegenüber der Beklagten vor. Aufgrund dessen ermittelte die Beklagte in der Rentenauskunft vom 29.7.2011 insgesamt 30,6434 Entgeltpunkte wieder für 484 belegungsfähige Monate. Das entsprach durchschnittlich 0,0624 Entgeltpunkten. Gemäß § 262 SGB VI legte die Beklagte daher abermals zu Gunsten der Klägerin weitere 4,1305 zusätzliche Entgeltpunkte zugrunde. Die zu erwartende Regelaltersrente der Klägerin wurde auf der schon mit Rentenauskunft vom 24.06.2011 ermittelten Basis von 34,7739 Entgeltpunkten für Beitragszeiten bei 37,2921 persönlichen Entgeltpunkten unter Berücksichtigung weiterer Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten berechnet und belief sich auf 1.024,41 EUR monatlich.
Im Jahr 2011 erzielte die Klägerin durch eine Erwerbstätigkeit noch weitere 0,9300 Entgeltpunkte.
Mit Bescheid vom 23.12.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin abschlagfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von monatlich 935,55 EUR beginnend ab dem 01.01.2012. Hierbei legte die Beklagte nur noch 31,6043 Entgeltpunkte für Beitragszeiten bei insgesamt 34,0572 persönlichen Entgeltpunkten unter Berücksichtigung weiterer Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten zu Grunde. Zusätzliche Entgeltpunkte gemäß § 262 SGB VI wurden nicht ermittelt, da die Kalendermonaten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen einen Durchschnittswert von 0,0628 Entgeltpunkten erreichten.
Den hiergegen fristgerecht erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.7.2012 zurück. Die Klägerin habe keinen höheren Rentenanspruch, da zusätzliche Entgeltpunkte nach § 262 SGB VI nicht zu berücksichtigen seien. Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ermittlung zusätzlicher Entgeltpunkte nach der genannten Vorschrift lägen nicht vor, da der Durchschnittswert der Entgeltpunkte der Kalendermonate mit vollwertigen Pflichtbeiträgen nicht weniger als 0,0625 betrage.
Die Klägerin hat am 23.7.2012 Klage zum Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, dass Beitragszahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich nur rentensteigernde Wirkung haben dürften. Im vorliegenden Falle habe der Erwerb zusätzlicher Entgeltpunkte durch die Zahlung von Beiträgen dazu geführt, dass die Rente der Klägerin geringer werde. Dies verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG). Außerdem hat sich die Klägerin auf eine Hinweispflicht der Beklagten für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Sie hat diesbezüglich die Auffassung vertreten, die Beklagte hätte sie darauf hinweisen müssen, dass bei weiteren Nachweisen aus dem ehemaligen Russland die Grenze von 0,0624 Entgeltpunkten überschritten werde. Das Beratungsbedürfnis hätte sich angesichts der monatlichen Einkünfte im Juni und Juli 2011 aufdrängen müssen. Die Klägerin hätte dann weitere Zeiten aus Russland nicht nachgemeldet.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.7.2012 zu verurteilen, die Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Berücksichtigung von 37,2921 persönlichen Entgeltpunkten neu zu berechnen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Berechnung einer Rentenanwartschaft spezialgesetzlich in § 109 SGB VI geregelt sei; erst im Leistungsfall könne verbindlich über den Rentenanspruch entschieden werden.
Mit Urteil vom 03.12.2012 hat das SG der Klage stattgegeben und dies im Wesentlichen mit der analogen Anwendung von § 262 SGB VI begründet. Die Zuordnung weiterer Entgeltpunkte sei geboten, da das ansonsten eintretende Ergebnis mit dem gesetzgeberischen Willen nicht zu vereinbaren wäre. Es widerspräche dem Willen des Gesetzgebers, dass die der Klägerin bewilligte Rente betragsmäßig geringer ausfiele, als diejenige, die der Klägerin zugestanden hätte, wenn sie im Jahr 2011 keine weiteren Entgeltpunkte erarbeitet hätte.
Gegen das am 24.01.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.02.2013 Berufung eingelegt. Entgegen den Feststellungen des SG gebe es keine gesetzliche Grundlage für die Berücksichtigung weiterer Entgeltpunkte in Höhe von 3,2349. Das SG habe die Entgeltpunkte auch lediglich aufgestockt und nicht im Sinne der Vorschrift des § 262 SGB VI ermittelt. Dies sei von der Gesetzesbegründung nicht gedeckt. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass der Gesetzgeber Personen von der Regelung ausnehmen wollte, die im Laufe des Berufslebens den Durchschnittswert überschritten. Sofern dies in Einzelfällen erst gegen Ende des Berufslebens eintrete, sei dies hinzunehmen. Bei der Klägerin sei eine entsprechende Erhöhung von 0,0624 auf 0,0628 Entgeltpunkte erfolgt, daher seien nur 34,0527 persönliche Entgeltpunkte berücksichtigt worden. Ein Verstoß gegen das Verfassungsrecht sei nicht zu erkennen. Die Klägerin unterliege auch nicht der Gruppe der Berechtigten nach § 262 SGB VI. Die Vorschrift basiere im Übrigen auf sozialpolitischen Erwägungen und könne den Eigentumsschutz der Klägerin nicht verletzen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 03.12.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie gehöre zur Gruppe der Berechtigten nach § 262 SGB VI; allein aufgrund des Hinzuverdienstes im Kalenderjahr 2011 werde der Klägerin nunmehr eine geringere Rente ausgezahlt. Dies verstoße gegen Art. 3 GG. Hinnehmbar sei, dass gegebenenfalls keine Rentensteigerung einträte, es dürfe jedoch nicht zu einer Rentenkürzung führen. Auch sei das Grundrecht auf Eigentum verletzt, Rentenanwartschaften unterlägen dem Schutz des Grundgesetzes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet. Das SG hat zu Unrecht § 262 SGB VI analog angewandt. Der angefochtene Bescheid 23.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.07.2012 ist rechtsmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat – bedingt durch das Überschreiten des maximalen Durchschnitts von 0,0625 Entgeltpunkten durch die Erzielung weiteren Einkommens im Jahr 2011 – keinen Anspruch auf (fiktive) zusätzliche Entgeltpunkte und zwar weder aus einer direkten (hierzu unter A.), noch aus einer analogen Anwendung von § 262 SGB VI (hierzu unter B.), noch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (hierzu unter C.), noch aus dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (hierzu unter D.). Die Berufung der Beklagten hat daher Erfolg.
A. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Berücksichtigung der die Rente erhöhenden zusätzlichen Entgeltpunkte nach Wegfall der Voraussetzung des § 262 SGB VI durch den Hinzuverdienst im Jahr 2011 nicht zu. Die Anspruchsvoraussetzungen für die noch in der Rentenauskunft vom 24.06.2011 ausgewiesenen zusätzlichen 4,7801 Entgeltpunkte bzw. für die in der Rentenauskunft vom 29.07.2011 ausgewiesenen zusätzlichen 4,1305 Entgeltpunkte sind mit dem Hinzuverdienst im Jahr 2011 entfallen. Die Klägerin erfüllt zwar durchgehend die Mindestbelegungsdauer von 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten. Die zweite Voraussetzung – nämlich das Nichtüberschreiten der Höchstgrenze von 0,0625 Entgeltpunkten – lag zwar im Zeitpunkt der – ohnehin unverbindlichen – Rentenauskünfte ebenfalls noch vor. Mit den Rentenauskünften hat die Beklagte ausdrücklich jedoch nur den Versicherungsverlauf der Klägerin bis einschließlich 31.12.2010 berücksichtigt und berücksichtigen können. Für die Ermittlung der Höchstgrenze sind jedoch alle Pflichtbeitragszeiten bis zum Rentenbeginn zu berücksichtigen. Durch die Erzielung von Einkommen im Jahr 2011 mit einem Entgeltpunktewert von weiteren 0,9300 Entgeltpunkte hat die Klägerin jedoch die Höchstgrenze geringfügig mit einem Wert von 0,0628 Entgeltpunkten überschritten, so dass zum Zeitpunkt des Rentenbeginns ab 01.01.2012 die Anspruchsvoraussetzungen für die Berücksichtigung zusätzlicher Entgeltpunkte nach § 262 SGB VI gegenüber der Mitteilungen in Rentenauskünften nicht mehr gegeben waren.
B. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Aufstockung der Entgeltpunkte nach § 262 SGB VI in analoger Anwendung. Das SG hat zu Unrecht unter analoger Anwendung von § 262 SGB VI der Klägerin weitere zusätzliche Entgeltpunkte zugesprochen. Es ist schon keine planwidrige Regelungslücke erkennbar (zu den Voraussetzungen eines Analogiegebots vergleiche: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 370 ff. und S. 380 ff.; aus der Rechtsprechung des BSG: BSG v. 27.06.2007 – B 6 KA 24/06 R – SozR 4-2500 § 73 Nr. 3). Dabei ist zunächst zwar unbeachtlich, dass die Wortlautgrenze des § 262 SGB VI hinsichtlich der Höchstgrenze überschritten wird, denn die Analogie überschreitet als Rechtsfortbildung stets die Wortlautgrenze. Der Wortlaut ist zwar die Grenze der Auslegung (h.M., vgl. beispielsweise: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 324), nicht aber der Rechtsfortbildung, zu der die Analogie gehört (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 370 ff). Zur Beantwortung der Frage, ob eine Analogie möglich ist, ist eine Orientierung am Sinn und Zweck der Vorschrift vorzunehmen (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, 353 ff). Es ist zu fragen, warum der Gesetzgeber die geregelten Fälle von der grundsätzlichen Wertung ausgenommen hat (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, 353 ff). Hierfür ist – wie es auch das SG getan hat – auf die Gesetzgebungsmaterialien zurückzugreifen.
Die Vorschrift des § 262 SGB VI war ursprünglich mit anderen Voraussetzungen (insb. 25 Versicherungsjahre statt nunmehr Belegung von 35 Jahren mit rentenrechtlichen Zeiten) in §§ 55a, 55b des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes bzw. in Art 2 § 10a des Gesetzes zur Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung – Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz geregelt, war dann im Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992) in der heutigen Fassung für die Vorschrift des § 257 SGB VI vorgesehen und wurde dann durch Art. 1 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992) als § 262 SGB VI in das SGB VI aufgenommen. Insoweit ist insbesondere für die Ermittlung von Sinn und Zweck der Vorschrift auf den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992; BT-Drucksache 11/4124, S. 201) zurückzugreifen.
Sinn der aktuellen Vorschrift des § 262 SGB VI ist es, die Minderung erzielter Arbeitsverdienste in der Erwerbsbiografie – insbesondere beispielsweise aufgrund von Teilzeitbeschäftigung – durch die "Anhebung" der Entgeltpunkte zu kompensieren (BT-Drucksache 11/4124, S. 201; Dankelmann in: jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 262 SGB VI, Rn. 15). Damit wird insbesondere dem Umstand Rechnung getragen, dass vor allem Frauen, die durch Beschäftigung in den unteren Lohngruppen sowie berufliche Unterbrechungen wegen Kindererziehung nicht wie Männer in der Lage waren, sich angemessene Rentenleistungen aufzubauen, eine Kompensation zu geben. Die Vorschrift stellt dabei eine Sonderregelung zu § 70 SGB VI dar (Dankelmann in: jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 262 SGB VI, Rn. 15). Dabei entspricht der Wert von 0,0625 Entgeltpunkten 75 Prozent des Durchschnittseinkommens. Aus Praktikabilitätsgesichtspunkten hat der Gesetzgeber eine feste Grenze gezogen und damit seinen Willen zum Ausdruck gebracht, nur solche Renten zu privilegieren, die unter einem durchschnittlichen Entgeltpunktewert von 0,0625 Punkten liegen. Der Gesetzgeber hat diese Grenze bewusst gewählt. Raum für eine planwidrige Regelungslücke hat der Gesetzgeber damit nicht gelassen. Bei Überschreiten dieses Wertes bleibt insgesamt kein Raum für die Anwendung der Vorschrift auch nicht in Analogie. Die Regelungslücke, die dadurch entsteht, dass oberhalb des Grenzwertes von 0,0625 liegende durchschnittliche Entgeltpunkte nicht privilegiert werden, ist daher nicht planwidrig, sondern beabsichtigt.
C. Das Ergebnis ist auch sachgerecht und stellt keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht – insbesondere Art. 3 GG und Art. 14 GG – dar. Die Klägerin steht damit wie alle anderen Versicherten dar, die diesen Grenzwert aufgrund der erzielten Verdienste in der Erwerbsbiografie in ihrem Rentenleben überschreiten. Dabei ist es unerheblich, wann im Rahmen eines Erwerbslebens derart höhere Einkünfte erzielt werden. Maßgeblich ist ausschließlich, dass bei der notwendig anzustellenden Gesamtbetrachtung der Wert von 0,0625 Punkten überschritten wird. Dass die Klägerin diese Einkünfte erst zum Schluss ihres Berufslebens erzielt hat, kann der Klägerin durch eine analoge Anwendung von § 262 SGB VI nicht zum Vorteil gereichen. Dies würde vielmehr eine ungerechtfertigte Benachteiligung aller anderen Versicherten darstellen, die entsprechende höhere Verdienste im Verlaufe ihres Erwerbslebens und nicht erst an dessen Ende erzielen. Die Berücksichtigung weiterer Mindestentgeltpunkte nach § 262 SGB VI (gegebenenfalls in analoger Anwendung) widerspricht damit dem Gleichbehandlungsgrundsatz, weil sie alle anderen Versicherten benachteiligt, die zwischenzeitlich höhere Verdienste erzielt haben, so dass insgesamt über das gesamte Versichertenleben ein höherer Durchschnittswert als 0,0625 Punkte erzielt wird. Die Unterlassung der Berücksichtigung der Mindestentgeltpunkte nach § 262 SGB VI (analog) bei der Klägerin stellt daher keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 GG dar, sondern gewährleistet gegenüber anderen Versicherten vielmehr gerade das Gebot der Gleichbehandlung.
Auch ein Verstoß gegen Art. 14 GG liegt nicht vor, da alle Beitragszeiten der Klägerin im Versicherungsverlauf Berücksichtigung finden. Der fiktiven Berücksichtigung weiterer Entgeltpunkte nach § 262 SGB VI stehen keine Beitragszeiten gegenüber, so dass eine Eigentumsverletzung schon mangels Verletzung des Schutzbereichs von Art. 14 GG ausscheidet.
D. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung weiterer Entgeltpunkte nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs; dessen Voraussetzungen liegen nicht vor.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung (vgl. BSG Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 29/10 R Rn. 12 mwN), dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen.
Die Klägerin hat keine Verletzung einer der Beklagten obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), genannt. Sie hat lediglich gerügt, dass ihr Beratungsbedürfnis sich der Beklagten hätte aufdrängen müssen, weil die Beklagte in den Monaten Juni und Juli 2011 die Rente berechnet hat und hätte erkennen müssen, dass die entsprechende Änderung eintreten würde. Die Klägerin begründet dies ausschließlich mit der erteilten Rentenauskunft vom 29.07.2011. Eine konkrete anlassbezogene Beratung hat nicht stattgefunden, ein Anlass zu einer Spontanberatung ist nicht vorgetragen, wobei bereits fraglich ist, dass Pflichtbeiträge für das Jahr 2011 schon im Sommer 2011 in den Versicherungsverlauf der Klägerin eingestellt waren. Der Senat kann aber auch davon abgesehen in der Rentenauskunft vom 29.07.2011 eine solche Verletzung einer der Beklagten obliegenden Pflicht nicht erkennen. Die Beklagte hat vielmehr mit der Rentenauskunft in hinreichendem Maße die Klägerin auf die möglichen Veränderungen hingewiesen. Mit der Rentenauskunft hat die Beklagte nicht den monatlichen Zahlbetrag bei Bezug einer Rente für schwerbehinderte Menschen, sondern nur den monatlichen Rentenanspruch bei Bezug einer voller Erwerbsminderungsrente ab 29.07.2011 in Höhe von 1.028,78 EUR und bei Bezug einer Regelaltersrente ab 13.10.2013 in Höhe von 1.024,41 EUR mitgeteilt. Bezüglich der Regelaltersgrenze hat die Beklagte ausdrücklich folgendes zu diesem Betrag mitgeteilt:
" …, wenn der Berechnung ausschließlich die bisher gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten sowie der bis zum 30.06.2012 maßgebende aktuelle Rentenwert zu Grunde gelegt wird …
Des Weiteren hat die Beklagte ausdrücklich folgendes in der Rentenauskunft vom 29.07.2011 mitgeteilt:
"Sollten für Sie bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Beiträge wie im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahr gezahlt werden, bekämen sie ohne Berücksichtigung von Rentenanpassungen von uns eine monatliche Regelaltersrente von 979,53 EUR."
Die Beklagte ist damit sehr wohl auf die Einkommenssituation der Klägerin eingegangen und hat mitgeteilt, dass eine entsprechend niedrigere Regelaltersrente in Höhe von 979,53 EUR erzielt wird, wenn Beiträge wie im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahre eingezahlt werden. Damit hätte die Klägerin ohne weiteres erkennen können, dass ihr Hinzuverdienst im Jahr 2011 sich rentenschädlich auswirkt. Die Beklagte hat daher mit der Rentenauskunft genau die Hinweise gegeben, deren Unterlassung nunmehr von der Klägerin gerügt worden sind. Eine weitergehende Verletzung von Aufklärungspflichten der Beklagten ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Ein Anspruch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch scheitert im Übrigen auch daran, dass der "eingetretene Nachteil" bei einem unterstellten pflichtwidrigen Verwaltungshandeln nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann. Die Klägerin hat faktisch den weiteren Verdienst 2011 erzielt, so dass die Anwendbarkeit von § 262 SGB VI entfällt. Dieses faktische Erzielen kann durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht rückgängig gemacht werden (ähnlich der faktischen persönlichen Arbeitslosmeldung im SGB III, die ebenfalls über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht fingiert werden kann). Der rentenversicherungspflichtige Verdienst im Jahr 2011 kann nicht einfach außer Betracht bleiben. Eine solche Betrachtung wäre contra legem, weil dies gegen § 70 SGB VI verstößt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen der §§ 160 Abs. 1 S. 1, 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Es besteht insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG; und zwar auch nicht wegen der analogen Anwendbarkeit des § 262 SGB VI. Eine Rechtsfrage ist lediglich insoweit klärungsbedürftig, soweit diese sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leiter, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 144., Rn. 28 in Verbindung mit § 160, Rn. 8a). Hier ergibt sich die Antwort ohne weiteres aus dem Gesetz, da eine analoge Anwendung von § 262 SGB VI ohne weiteres aus den oben genannten Gründen ausscheidet. Weitergehende Anhaltspunkte für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben.
Erstellt am: 29.07.2015
Zuletzt verändert am: 29.07.2015