Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Der Streitwert wird auf 9.299,38 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen einer Betriebsprüfung.
Die Klägerin betreibt ein Friseurgeschäft. Von Mai 2003 bis Februar 2005 beschäftigte die Klägerin die Beigeladene zu 4) als Friseurin, ohne dass bei der Einzugsstelle eine Anmeldung für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag erfolgte. Für den genannten Zeitraum wurden keine Beiträge zur Sozialversicherung nachgewiesen und entrichtet. Es wurden auch keine Lohnsteuern einbehalten und abgeführt. Die Beigeladene zu 4) bezog zugleich vom 01.05.2003 bis 24.04.2004 Arbeitslosengeld und danach Arbeitslosenhilfe bis 31.12.2004.
Mit Schreiben vom 25.02.2005 legte die Klägerin der Finanzverwaltung im Rahmen einer Selbstanzeige korrigierte Lohnsteueranmeldungen für die Zeit von Mai 2003 bis Januar 2005 vor. Darin wurde die Berechnung der Lohnsteuer auf der Grundlage der Steuerklasse VI vorgenommen, wobei von einer Nettolohnvereinbarung ausgegangen und vom Nettolohn auf einen Bruttolohn hochgerechnet wurde. Im anschließenden steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren wurde die Beigeladene zu 4) zum Umfang ihrer Beschäftigung bei der Klägerin und des dort erzielten Arbeitsentgelts vernommen. Die Prüffeststellungen der sozialversicherungsrechtlichen Auswertung wurden der Beklagten von der Finanzverwaltung mitgeteilt.
Mit Beitragsbescheid vom 24.10.2005 stellte die Beklagte fest, dass die Beigeladene zu 4) im Hinblick auf ihre Beschäftigung bei der Klägerin der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie der Beitragspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag und forderte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 18.991,38 EUR einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 2.237,00 EUR nach.
Ihren hiergegen gerichteten Widerspruch begründete die Klägerin damit, die Beiträge seien zu Unrecht auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI nachberechnet worden. Der Klägerin habe eine Lohnsteuerkarte der Beigeladenen zu 4) mit der Lohnsteuerklasse I vorgelegen. Ferner habe auch keine Hochrechnung von einem Nettolohn auf einen Bruttolohn erfolgen dürfen. Es sei nicht erkennbar, dass ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart worden sei. Hierfür treffe die Beklagte die Beweislast. Sofern die Beklagte davon ausgehe, dass ein illegales Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe und daher eine Nettolohnvereinbarung gesetzlich fingiert werde (§ 14 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung [SGB IV]), sei dies unzutreffend. Die Beschäftigung einer Friseuse sei nicht illegal.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie an, ein illegales Beschäftigungsverhältnis liege vor, weil die Klägerin ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei, Meldungen an die Einzugsstelle zu erstatten und Beiträge zu zahlen. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV gelte ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart, unabhängig davon, ob steuerlich eine anzuerkennende Nettolohnvereinbarung tatsächlich vorliege. Es sei auch zutreffend von der Lohnsteuerklasse VI ausgegangen worden, weil zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge keine Lohnsteuerkarte vorgelegen habe. Die spätere Berücksichtigung einer anderen Lohnsteuerklasse durch die Finanzverwaltung habe insoweit für die Beitragsermittlung keine Bedeutung. Es sei auch zu bezweifeln, dass tatsächlich eine Lohnsteuerkarte vorgelegen habe, da die Beigeladene zu 4) während des streitigen Zeitraums Leistungen der Bundesagentur für Arbeit erhalten habe und Arbeitsentgelte in der Lohnsteuerkarte nicht bescheinigt wurden. Schließlich deute auch der Umstand, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Selbstanzeige gegenüber dem Finanzamt korrigierte Lohnsteueranmeldungen auf der Grundlage der Steuerklasse VI abgegeben habe, darauf hin, dass eine Lohnsteuerkarte nicht vorgelegen habe.
Mit der am 29.03.2006 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Zur Begründung führt sie an, gegenüber der Finanzverwaltung habe man sich zunächst auf den – für die Klägerin weniger günstigen – Standpunkt einer Nettolohnvereinbarung gestellt, um einen möglichst hohen Betrag von der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zu erfassen. Die Betrachtungsweise, dass eine Nettolohnvereinbarung vorgelegen habe, sei gegenüber der Finanzverwaltung in einem zweiten Schritt korrigiert worden. Die Auffassung, dass keine Nettolohnvereinbarung vorlag, sei von der Finanzverwaltung geteilt worden. Es habe sich auch nicht um ein illegales Beschäftigungsverhältnis gehandelt. Die Beigeladene zu 4) sei als Friseurin bei der Klägerin beschäftigt gewesen und im Rahmen des Üblichen entlohnt worden. Es seien lediglich Steuern und Sozialversicherungsabgaben zunächst nicht abgeführt worden. Die Unterstellung einer Nettolohnvereinbarung habe zur Folge, dass die Beklagte mehr Beiträge erhielte, als wenn das Beschäftigungsverhältnis von vornherein ordnungsgemäß angemeldet und abgerechnet worden sei. Dann könne die Sozialversicherung in Deutschland aber keinerlei Interesse mehr an legalen Beschäftigungsverhältnissen haben. Vielmehr sei es dann wünschenswert, dass alle Arbeitgeber illegale Beschäftigungsverhältnisse eingehen, um die Sozialversicherung finanziell zu sanieren. Außerdem seien Arbeitnehmer, für die aufgrund der Nettolohnfiktion höhere Beiträge gezahlt würden, im Hinblick auf ihre Rentenanwartschaften besser gestellt als diejenigen, für die die Sozialversicherungsbeiträge sofort ordnungsgemäß abgeführt worden seien. Die in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV geregelte Fiktion einer Nettolohnvereinbarung sei daher verfassungswidrig und verletze das aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Übermaßverbot sowie den Gleichheitssatz aus Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2006 zu verurteilen, die Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.05.2003 bis zum 28.02.2005 neu zu berechnen und bei der Berechnung
1. die der Beigeladenen zu 4) ausgezahlten Arbeitsentgelte als Bruttoentgelte zu berücksichtigen,
2. hilfsweise für den Fall, dass von einer Nettolohnvereinbarung auszugehen ist, bei der Hochrechnung vom Nettolohn auf den Bruttolohn die Lohnsteuerklasse I zugrunde zu legen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide unter Hinweis auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid weiterhin für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert, weil sich der angefochtene Bescheid der Beklagten als rechtmäßig erweist. Die Beklagte hat die der Beigeladenen zu 4) ausgezahlten Arbeitsentgelte zu Recht als Nettobeträge angesehen und die Hochrechnung auf den der Beitragszahlung zugrunde liegenden Bruttolohn zutreffend anhand der Steuerklasse VI vorgenommen.
Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Unstreitig sind im hier maßgeblichen Zeitraum bezüglich der Beigeladenen zu 4) Steuern und Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten worden. Es handelte es sich außerdem um ein illegales Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV.
Wie sich aus der Begründung zur Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit ergibt, ist die illegale Beschäftigung ein "Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch" (BT-Drucks. 14/8221, S. 11). Unter illegalen Beschäftigungen im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV sind daher alle Formen bewusster Zuwiderhandlungen des Arbeitgebers zu verstehen, bei denen der Verpflichtung nicht nachgekommen wird, Meldungen zu erstatten und Beiträge für die Versicherten zu zahlen (Werner, in: jurisPK-SGB IV, Stand 24.07.2006, § 14 Rn. 292).
Die Klägerin hat gegen die aus §§ 28a Abs. 1, 28e Abs. 1 SGB IV folgende Pflicht zur Meldung und Beitragszahlung verstoßen. Im Hinblick auf den Verstoß gegen die Meldepflicht ist ein Ordnungswidrigkeitstatbestand nach § 28a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 111 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV gegeben. Damit liegt auch Schwarzarbeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG) vor, wonach unter anderem derjenige Schwarzarbeit leistet, der Dienstleistungen ausführen lässt und dabei als Arbeitgeber seine sozialversicherungsrechtlichen Melde-, Beitrags- und Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt. Auch aus dem Vorliegen von Schwarzarbeit kann auf die Illegalität der Beschäftigung geschlossen werden (Werner, in: jurisPK-SGB IV, Stand 24.07.2006, § 14 Rn. 291).
Schließlich ergibt sich die Illegalität des Beschäftigungsverhältnisses aus einem Verstoß gegen § 266a des Strafgesetzbuchs (StGB), weil die Klägerin als Arbeitgeberin die Einzugsstelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung vorenthalten hat. Insoweit ist auch der subjektive Tatbestand erfüllt, weil die Beigeladene zu 4) bis April 2003 zunächst als ordnungsgemäß gemeldete Arbeitnehmerin bei der Klägerin beschäftigt war. Erst ab Mai 2003 wurde sie (bei gleichzeitigem Arbeitslosengeldbezug) von der Sozialversicherung abgemeldet, obwohl weiterhin eine mehr als geringfügige Beschäftigung ausgeübt wurde. Die Pflicht zur Meldung und Beitragszahlung war den Beteiligten also bekannt.
Sofern teilweise für die Annahme eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses gefordert wird, dass kumulative Verstöße gegen das Abgabenrecht, die Beitragszahlung zur Sozialversicherung und die Arbeitsförderung vorliegen (Seewald, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, SGB IV, 55. EL 2007, § 14 Rn. 140 m.w.N.; a.A. Werner, in: jurisPK-SGB IV, Stand 24.07.2006, § 14 Rn. 291), so ist auch diese Voraussetzung gegeben, denn aufgrund der unvollständigen Angaben der Klägerin über die Beschäftigung einer steuerpflichtigen Arbeitnehmerin gegenüber der Finanzverwaltung ist auch der Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO erfüllt.
Der Begriff der illegalen Beschäftigung bezieht sich nicht – wie die Klägerin meint – auf die Beschäftigung als solche. Es ist nicht darauf abzustellen, ob die Beschäftigung einer Friseuse gegen das Gesetz verstößt, sondern darauf, unter welchen Umständen diese Beschäftigung ausgeübt wird. Zwar wurde die Bezeichnung "illegale Beschäftigung", die in verschiedenen Vorschriften gebraucht wird (vgl. § 95 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 3 S. 2 u. 3 SGB IV, § 394 Abs. 1 Nr. 6 SGB III, § 71 Abs. 1 Nr. 6 SGB X, § 31a Abs. 1 Nr. 1 AO, § 16 Abs. 2 SchwarzArbG, § 2 Abs. 2 S. 3 AEntG), früher restriktiv ausgelegt. Unter die Definition fielen insbesondere die illegale Arbeitnehmerüberlassung und die illegale Ausländerbeschäftigung, aber auch die Ausübung einer Beschäftigung während des Bezugs von Sozialleistungen, ohne dass der Leistungsträger hierüber informiert wurde. Letzteres ist im vorliegenden Fall erfüllt, weil die Beigeladene zu 4) nach ihrer Abmeldung von der Sozialversicherung weiter für die Klägerin tätig war, sich aber gleichzeitig bei der Agentur für Arbeit arbeitslos meldete und Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe bezog, ohne ihre Beschäftigung bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen. So ist auch bei restriktiver Auslegung die Tatbestandsvoraussetzung eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV erfüllt.
Ferner waren keine Sachverhaltsermittlungen dahingehend erforderlich, ob zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 4) tatsächlich eine Nettolohnabrede getroffen wurde. Im Fall einer illegalen Beschäftigung wird gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV eine solche Nettolohnabrede fingiert. Diese Rechtsfolge ist zwingend, da es sich bei § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV nicht etwa nur um eine Zweifelsregelung für die Fälle handelt, in denen der tatsächliche Wille der Parteien nicht ermittelt werden kann.
Auch auf die (nachträgliche) steuerrechtliche Behandlung des gezahlten Arbeitsentgelts kommt es entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung nicht an, weil § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV für die Bestimmung des der Beitragsberechnung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts eine spezielle Vorschrift darstellt.
Schließlich bestehen zur Überzeugung der Kammer keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der in § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV geregelten Nettolohnfiktion.
Eine gegen Art. 3 GG verstoßende Besserstellung von Schwarzarbeitern gegenüber ordnungsgemäß beschäftigten Versicherten vermag die Kammer nicht zu erkennen. Die These der Klägerseite, dass Schwarzarbeitern durch die Unterstellung einer Nettolohnabrede zu hohe Rentenanwartschaften erwachsen und der Arbeitgeber mit zu hohen Beiträgen belastet würde, weil sich durch die erforderliche Hochrechnung von einem Nettolohn auf den Bruttolohn ein zu hohes beitragspflichtiges Arbeitsentgelt ergeben würde, überzeugt nicht. Denn hierbei wird vorausgesetzt, dass bekannt ist, welchen Lohn die Beteiligten unter regulären Verhältnissen vereinbart hätten und dass dieser Lohn geringer wäre als der gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV hochgerechnete Bruttolohn. Hiervon kann indes nicht ausgegangen werden, weil im Falle von Schwarzarbeit aus der Natur der Sache heraus keine Vereinbarung darüber getroffen wird, ob der Arbeitgeber die Steuern und Beitragsanteile seines Beschäftigten übernehmen will oder nicht. Denn Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sollen ja gerade nicht abgeführt werden. Vor diesem Hintergrund kann ebenfalls nicht – wie es die Auffassung der Klägerseite nahe legt – davon ausgegangen werden, dass die Beteiligten im Schwarzarbeitsverhältnis einen gleich hohen oder sogar niedrigeren Lohn als bei ordnungsgemäß Beschäftigten oder gegebenenfalls einen Tariflohn vereinbaren wollten. Auch hierüber wird regelmäßig keine Regelung getroffen, so dass nicht zwingend angenommen werden kann, dass das auf der Grundlage eines Nettolohns errechnete Bruttoarbeitsentgelt in keinem Verhältnis mehr zu dem von den Vertragspartnern angenommenen Wert der Arbeitsleistung steht (vgl. aber zu der bis zum 31.07.2002 geltenden Rechtslage BSG, Urteil vom 22.09.1988 – 12 RK 36/86, zitiert nach juris). Die Regelung des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV wurde eingefügt, um das beitragspflichtige Arbeitsentgelt ohne die bisherigen Auslegungsschwierigkeiten ermitteln zu können. Die Nettolohnfiktion dient gerade dazu, die Unsicherheit darüber auszuräumen, ob eine Netto- oder Bruttolohnabrede vorliegt (Werner, in: jurisPK-SGB IV, Stand 24.07.2006, § 14 Rn. 280 u. 283).
Selbst wenn man eine Ungleichbehandlung durch die Einführung einer Nettolohnfiktion annehmen würde, wäre diese sachlich gerechtfertigt.
Die Einführung des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV erfolgte im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit. Hierdurch sollten in der Praxis oft auftretende Schwierigkeiten bei der Verfolgung von illegaler Beschäftigung verringert werden. Die Sanktionen wurden erheblich verschärft und auf diese Weise die Abschreckungswirkung erhöht, um die illegale Beschäftigung und den Leistungsmissbrauch wirksamer einzudämmen und die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft zu stärken (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/8221 S.1). Die gesetzliche Regelung einer Nettolohnfiktion bei illegaler Beschäftigung verfolgt damit einen legitimen Zweck. Sofern Arbeitgeber, die Schwarzarbeiter beschäftigen, im Fall der Entdeckung die Zahlung höherer Beiträge befürchten müssen, ist dies vom Gesetzeszweck gedeckt und im Sinne der Abschreckungswirkung gegebenenfalls sogar gewollt.
Die vom Gesetzgeber getroffene Regelung ist auch nicht unangemessen. Hier hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Es kommt nicht darauf an, ob die jeweils gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen wurde. Ein Verfassungsverstoß liegt vielmehr erst dann vor, wenn für die getroffene Regelung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind (BVerfGE 64,158). Dies ist hier nicht der Fall. Die gesetzliche Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass dem illegalen Arbeitnehmer erfahrungsgemäß jedenfalls bei Nichtabführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen wirtschaftlich ein Nettoarbeitsentgelt zufließt (BT-Drucks. 14/8821 S. 14). Außerdem ist hinsichtlich der Beitragspflicht im Außenverhältnis zu den Sozialleistungsträgern allein der Arbeitgeber Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge (§ 28e Abs. 1 SGB IV). Damit liegen der Regelung des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV sachgerechte Erwägungen zugrunde. Der Umstand, dass die Ermittlung des beitragspflichtigen Arbeitsentgeltes bei Schwarzarbeit möglicherweise auch anders, z.B. durch die Zugrundelegung eines Tariflohns (oder gar einer Bruttolohnfiktion) hätte geregelt werden können, führt nicht zur Verfassungswidrigkeit der getroffenen Regelung. Es erscheint vielmehr angemessen, dass der Gesetzgeber – wie hier – unter verschiedenen Regelungsmöglichkeiten diejenige wählt, die den Interessen der Versichertengemeinschaft insgesamt am meisten gerecht wird. Im Übrigen kann ein Arbeitgeber die Gefahr "zu hoher Beiträge" leicht dadurch vermeiden, dass er keine Schwarzarbeiter beschäftigt.
Folgte man der Auffassung der Klägerin, so müsste das der Beigeladenen zu 4) gezahlte Arbeitsentgelt als Bruttolohn angesehen werden mit der Folge, dass im Vergleich zu ordnungsgemäß Beschäftigten ein unterdurchschnittlich niedriges Arbeitsentgelt verbeitragt würde. Konsequenz hieraus wäre dann jedoch eine "Schlechterstellung" des Schwarzarbeiters, obwohl dieser als abhängig Beschäftigter durch die Vorschriften der Sozialversicherung besonders geschützt werden soll. Überdies könnte ein Arbeitgeber unter diesen Voraussetzungen völlig "gefahrlos" Schwarzarbeiter beschäftigen.
Ausgehend von einem der Beigeladenen zu 4) gezahlten Nettolohn hat die Beklagte zutreffend (nach dem sog. Abtastverfahren) auf das der Beitragsberechnung zugrunde liegende Bruttoentgelt hochgerechnet. Richtigerweise ist die Beklagte hierbei vom Vorliegen der Lohnsteuerklasse VI ausgegangen.
Die Klägerin muss sich insoweit an ihrem eigenem Vortrag festhalten lassen. Denn mit dem an das Finanzamt xxx gerichteten Schreiben vom 25.02.2005 hat die Klägerin korrigierte Lohnabrechnungen für den streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegt, wobei sie selbst eine Hochrechnung von dem Nettolohn auf einen Bruttolohn auf der Grundlage der Steuerklasse VI vornahm. Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, dass dies gegenüber der Finanzverwaltung später "korrigiert" worden sei. Die Hochrechnung auf einen Bruttolohn ist, wie bereits dargelegt, im Hinblick auf die Beitragszahlung zwingend. Auch hinsichtlich der der Berechnung zugrunde zu legenden Lohnsteuerklasse kann die Klägerin nicht einerseits die Steuerklasse VI angeben, um die strafbefreiende Wirkung des § 371 AO möglichst weitgehend auszunutzen, sich andererseits aber im Hinblick auf die (dann geringeren) Beitragsansprüche der Sozialleistungsträger darauf berufen, es habe tatsächlich die Lohnsteuerklasse I vorgelegen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt während des Betriebsprüfungsverfahrens die vermeintlich beim Arbeitgeber vorhandene Lohnsteuerkarte I vorgelegt hat. Auch die im Schreiben an die Beklagte vom 15.12.2005 angekündigte Vorlage korrigierter Beitragsnachweise erfolgte nicht. Maßgeblich ist im Fall der Anfechtungsklage die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. Dementsprechend durfte die Beklagte mangels Vorlage der Lohnsteuerkarte I oder anderer geeigneter Nachweise die Lohnsteuerklasse VI zugrunde legen.
Für eine Hochrechnung auf der Grundlage der Steuerklasse VI spricht ferner, dass gemäß § 39c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Lohnsteuer nach dieser Steuerklasse zu ermitteln ist, wenn dem Arbeitgeber keine Steuerkarte vorliegt. Da sich die Beteiligten bei Schwarzarbeit darüber einig sind, dass gerade keine Steuern abgeführt werden sollen, folgt hieraus zur Überzeugung der Kammer, dass in diesen Fällen stets davon auszugehen ist, dass keine Steuerkarte vorlag. Überdies hat die Beigeladene zu 4) ab Mai 2003 Arbeitslosengeld bezogen, das auf der Grundlage der Steuerklasse I berechnet wurde.
Nicht maßgeblich ist, ob nachträglich eine Steuerkarte mit der Lohnsteuerklasse I vorgelegt wird. Die Beklagte stellt in diesem Zusammenhang zutreffend auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge ab. Denn die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge aus laufendem Arbeitsentgelt erfolgt monatsweise (§ 23 SGB IV). Ein Jahresausgleich, wie im Steuerrecht, findet nicht statt. Insoweit ist es unbeachtlich, dass die für das Beschäftigungsverhältnis nachzuentrichtenden Steuern möglicherweise nicht anhand der Lohnsteuerklasse VI festgesetzt wurden. Sofern für einen Beitragsmonat keine Steuerkarte vorlag, ist das beitragspflichtige Arbeitsentgelt entsprechend § 39c Abs. 1 EStG auf der Grundlage der Steuerklasse VI zu ermitteln.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Der festgesetzte Streitwert von 9.299,38 EUR ergibt sich aus der Differenz der von der Beklagten geltend gemachten Beitragsnachforderung (16.754,38 EUR) und dem Betrag, der sich ergeben würde, wenn man – dem Klagebegehren entsprechend – die nachzufordernden Beiträge auf der Basis einer Bruttolohnabrede errechnet. Ausweislich der von der Beklagten überreichten Probeberechnung würden sich die auf dieser Grundlage ermittelten Gesamtsozialversicherungsbeiträge auf 7.455,00 EUR belaufen. Die Säumniszuschläge bleiben als Nebenforderung für die Festsetzung des Streitwerts außer Betracht (LSG NRW, Beschluss vom 17.10.2006 – L 11 [8] R 57/06; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03.11.2005 – L 5 B 192/05 KR, jeweils zitiert nach juris).
Erstellt am: 23.10.2008
Zuletzt verändert am: 23.10.2008