Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11.12.2001 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im zweiten Rechtszug zu tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht einen Rente wegen Berufsunfähigkeit bewilligenden Bescheid infolge Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze für die Monate Januar und Februar 2001 aufgehoben und den Kläger zur Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 3.367,68 DM (= 1.721,87 Euro) aufgefordert hat.
Der 1942 geborene Kläger arbeitete zuletzt bis Februar 1988 versicherungspflichtig und ist seit März 1988 selbständig in einer Versicherungsagentur tätig. Nach Vergleich vor dem Sozialgericht – SG – Dortmund (S 16 An 24/93) bewilligte die Beklagte ihm Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 01.02.1992 längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Bescheid vom 22.08.1995). Auf seinen Antrag aus April 1999 befreite die Beklagte den Kläger von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für arbeitnehmerähnliche Selbständige (Bescheid vom 07.07.1999). Im Rahmen einer danach veranlassten Prüfung des Hinzuverdienstes wies die Beklagte den Kläger unter anderem darauf hin, dass für Bezieher von Rente wegen Berufsunfähigkeit, die vor dem 01.01.1996 begonnen hat, die Hinzuverdienstbeschränkungen grundsätzlich erst ab 01.01.2001 Geltung hätten (20.07.1999). Im Dezember 2000 erhielt der Kläger einen weiteren Hinweis darauf, dass ab Januar 2001 von allen Beziehern einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit Hinzuverdienstgrenzen zu beachten seien (§ 313 SGB VI). Auf Anfrage des Klägers erläuterte die Beklagte diesem telefonisch den Sachverhalt bezüglich des Hinzuverdienstes und übersandte ihm Vordrucke (15.12.2000). Die Beklagte prüfte, ob eine Neuberechnung der Rente zu veranlassen sei. Der Kläger widersprach einer Herabsetzung seiner Rentenansprüche wegen Hinzuverdienstes, da die gesetzliche Regelung rechts- und verfassungswidrig sei und gab an, voraussichtlich werde er ab 01.01.2001 aus selbständiger Arbeit ein monatliches Einkommen in Höhe von 5.000,00 DM beziehen. Im Juni 1999 hatte er angegeben, durchschnittlich monatlich 3.500,00 DM als Provision zu erhalten.
Die Beklagte berechnete die Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 01.03.2001 neu und hob den Rentenbescheid vom 22.08.1995 mit Wirkung für die Zukunft ab 01.03.2001 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X – auf (Bescheid vom 05.01.2001). Dazu führte sie aus, wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens sei die Rente nicht zu zahlen. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug vor, die Schlechterstellung aufgrund des geänderten Gesetzes sei rechts- und verfassungswidrig (25.01.2001). Den Rechtsbehelf wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 08.10.2002). Die dagegen gerichtete Klage setzte das SG Dortmund (S 25 RA 153/02) bis zur Erledigung des hier anhängigen Rechtsstreits aus (Beschluss vom 13.12.2002).
Die Beklagte hörte den Kläger an und teilte ihm mit, sie beabsichtige, den Bescheid vom 22.08.1995 und die folgenden Bescheide mit Wirkung ab 01.01.2001 nach § 48 SGB X aufzuheben und die Überzahlung für die Zeit vom 01.01. bis 28.02.2001 in Höhe von 3.367,68 DM nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern (17.01.2001). Dazu führte der Kläger aus, die Beklagte habe es versäumt, ihn in den Jahren 1998 bis 2000 über die Rechtslage des § 313 SGB VI in Kenntnis zu setzen. Über seine Rentenansprüche für das Jahr 2001 habe er bereits Dispositionen getroffen. Als selbständiger Versicherungskaufmann könne er nicht vorhersehen, ob sich seine Erwartung, monatlich 5.000,00 DM an Einkommen zu erzielen, auch erfüllen werde. Solle sich dieses erwartete Einkommen nicht realisieren lassen, werde er gezwungen, Rentenansprüche rückwirkend gegen die Beklagte durchzusetzen. Die bisherigen Ausführungen der Beklagten ließen jegliche Erklärung hierzu missen (25.01.2001). Die Beklagte berechnete die Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 01.01.2001 neu, errechnete einen Überzahlung für die Zeit vom 01.01. bis "31.03.2001" in Höhe von 3.367,68 DM und forderte den Kläger auf, die Überzahlung zu erstatten (Bescheid vom 07.02.2001). Die Rente sei wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens nicht zu zahlen. Als "Anlage 10" enthielt der Bescheid "Ergänzende Begründungen und Hinweise". Darin führte die Beklagte aus, "Der Rentenbescheid vom 22.08.1995 und die Folgebescheide werden mit Wirkung ab 01.01.01 nach § 48 SGB X aufgehoben". Die Aufhebung des Rentenbescheides ab diesem Zeitpunkt sei statthaft, weil ein Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 – 4 SGB X gegeben sei und die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X noch nicht abgelaufen seien.
Bei einem selbständig Tätigen könne sich die Höhe des Hinzuverdienstes für das laufende Jahr nur auf die sorgfältig geschätzte eigene Angabe zu seinem Einkommen stützen, die die Beklagte nach Vorlage des Originalsteuerbescheides überprüfen und ggf. einen neuen Bescheid erteilen werde. Den hiergegen eingelegten Rechtsbehelf wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.04.2001).
Mit der am 10.05.2001 erhobenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf Auszahlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit in voller Höhe. Über die ab dem 01.01.2001 geltenden veränderten gesetzlichen Regelungen habe die Beklagte ihn unzureichend informiert. Er habe finanziell bereits über die Rentenzahlungen für das Jahr 2001 disponiert. Die Anhörung sei zu allgemein gehalten gewesen. Die Bescheide der Beklagten ließen jegliche Ausführung zu § 48 Abs. 1, insbesondere zu Satz 2 Nr. 4 SGB X vermissen. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass er lediglich perspektivisch zu erwartende Einkünfte angegeben habe, die sich möglicherweise nicht realisieren ließen. Richtig sei deshalb, zur Berechnung der Rentenhöhe lediglich den Hinzuverdienst aus vergangenen Jahren zum Maßstab heranzuziehen.
Der Kläger hat beantragt,
den Rentenbescheid vom 07.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2001 aufzuheben.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten.
Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und ausgeführt, zwar sei grundsätzlich die gesetzliche Regelung zur Berücksichtigung der Hinzuverdienstgrenze nicht verfassungswidrig. Jedoch seien die angefochtenen Bescheide in einfach gesetzlicher Hinsicht zu beanstanden. Nach den gesetzlichen Regelungen habe die Beklagte den Steuerbescheid des Klägers für das Jahr 2001 abzuwarten um dann einen Rentenneuberechnungsbescheid für die Monate Januar und Februar 2001 zu erlassen (Urteil vom 11.12.2001, der Beklagten zugestellt am 28.12.2001).
Mit der am 25.01.2002 eingelegten Berufung vertritt die Beklagte die Auffassung, die Prüfung der Hinzuverdienstgrenze gemäß §§ 96 a, 313 SGB VI sei bei einem Selbständigen aufgrund einer Schätzung über den monatlich zu erwartenden Gewinn vorzunehmen. Dazu stützt sie sich auf ein Urteil des BSG (15.12.1977 – 11 Ar 30/77 -, in SozR 2200 § 1248 Nr. 18) zur Zahlung vorgezogener Altersruhegelder. Sie meint, der Hinzuverdienst bei einem Selbstständigen sei nicht erst zu prüfen, wenn der Einkommenssteuerbescheid vorliege. Andernfalls würde er zunächst eine Rentenleistung erhalten, die ihm – möglicherweise – nicht zugestanden habe. Er würde damit gegenwärtig durch den Bezug der Rente in voller Höhe und dem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit besser als ein abhängig Beschäftigter gestellt. Bei einer absehbaren Minderung des monatlichen Einkommens habe jeder Versicherte die Möglichkeit, dies dem Rentenversicherungsträger mitzuteilen, damit ggf. eine Neuberechnung der Rente erfolgen könne. Eine ausschließliche Orientierung am Einkommensteuerbescheid sei zudem nicht uneingeschränkt möglich, da trotz des Zuflussprinzips im Einkommenssteuerrecht das in der Hinzuverdienstregelung vordergründige "Erarbeitungsprinzip" berücksichtigt werden müsse; im Rahmen der Hinzuverdienstregelung seien nur solche Einkünfte rentenschädlich, die während des Bezuges einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit "erarbeitet" worden seien; Einkünfte blieben somit unberücksichtigt, wenn sie aus einer Erwerbstätigkeit erzielt worden seien, die vor Rentenbeginn ausgeübt worden sei; unbeachtlich sei dabei, zu welchem Zeitpunkt sie ausgezahlt würden; es sei allein entscheidend, wann sie erarbeitet worden seien. Sie könne auch nicht verpflichtet sein, beim Vorliegen einer Gewinnschätzung seitens des Selbständigen eine Erwerbsminderungsrente ohne Prüfung des Hinzuverdienstes nur vorläufig zu zahlen; der betroffene Versicherte könne bei Änderung seines monatlichen Gewinns eine Abänderung des Rentenbescheides jederzeit herbeiführen. Nach dem Sinn und Zweck der §§ 96 a, 313 SGB VI solle der Versicherte "gegenwärtig" die Hinzuverdienstgrenzen einhalten. Folge man der Auffassung des SG, müsse dem Kläger zunächst die Vollrente wegen Berufsunfähigkeit gezahlt werden, um nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheides – der möglicherweise abhängig von dem Versicherten und seinem Steuerbevollmächtigten erst zwei Jahre später vorliege – eine entsprechende tatsächliche Prüfung vorzunehmen. Nach dem sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebenden monatlichen Hinzuverdienst seien alle Hinzuverdienstgrenzen für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit überschritten, die Rente sei somit im Jahr 2001 nicht zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11.12.2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, festzustellen, dass der Bescheid vom 07.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2001 rechtswidrig gewesen ist.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, Streitgegenstand sei lediglich die allerdings grundsätzliche Frage, ob die Beklagte von ihm Jahr um Jahr eine perspektivische Auskunft über sein zukünftiges Einkommen verlangen dürfe, um über die Höhe der monatlich zu zahlenden Rente zu entscheiden.
Er hat die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 (26.03.2002) und 2001 (29.07.2003) vorgelegt und auf das ruhende Klageverfahren beim SG hingewiesen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakten und die beigezogenen Akten der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, denn diese sind rechtswidrig und beschweren den Kläger daher im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Beklagte hat im Rahmen einer Prognose, der die Angaben des Klägers zu seinem voraussichtlichen Hinzuverdienst zugrunde gelegt wurden, mit den angefochtenen Bescheiden den künftigen Hinzuverdienst festgestellt und auf dieser Grundlage die Zahlungsansprüche für die Monate Januar und Februar 2001 vollständig entzogen sowie die danach berechnete Überzahlung zurückgefordert. Für diesen Eingriffsakt auf Prognosebasis gibt es keine parlamentsgesetzliche Ermächtigung (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.2003 – B 4 RA 35/02 R -). Diese Rechtswidrigkeit des Eingriffs im Zeitpunkt seines Erlasses führt notwendig zur Aufhebung. Denn für die gerichtlich Entscheidung über die Anfechtungsklage hiergegen kommt es maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes an. Der Ausnahmefall, dass bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung alle Rechts- und Sachverhaltsänderungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen sind, die für die Beurteilung der objektiven Rechtmäßigkeit des Eingriffsaktes von Bedeutung sind, liegt hier nicht vor. Die angefochtenen Bescheide regeln – abweichend von der genannten Entscheidung des BSG zugrunde liegenden Fallkonstellationen – lediglich einen kurzen, abgeschlossenen Zeitraum. Deshalb ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ohne wesentliche Bedeutung, dass im Verlauf des Berufungsverfahrens die Bescheide für die Jahre 2000 und 2001 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vorgelegt worden sind. Diese könnten allerdings Grundlage für neu zu erteilende Bescheide der Beklagten sein, die bislang nicht ergangen sind.
Da der Kläger mit seinem Hauptantrag Erfolg hat, war über den hilfsweise gestellten Antrag nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es bestand Anlass, die Revision zuzulassen, da die Rechtssache nach Auffassung des Senats grundsätzliche Bedeutung hat, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Erstellt am: 25.03.2004
Zuletzt verändert am: 25.03.2004