Es wird festgestellt, dass die Klagen im sozialgerichtlichen Klageverfahren mit dem Aktenzeichen S 26 AS 613/18 als zurückgenommen gelten und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Ablehnungsentscheidungen des Beklagten hinsichtlich der begehrten Überprüfung von endgültigen Ablehnungs-, Festsetzungs- und Erstattungsverfügungen im Rahmen der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten nach den Bestimmungen des Zweiten Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II). Vorab ist streitig, ob die Klagen als zurückgenommen gelten.
Nachdem der Beklagte der als Ergotherapeutin selbständig tätigen Klägerin zunächst für verschiedene Zeiträume vorläufig passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem SGB II gewährt hatte, verlautbarte er für die verschiedenen Zeiträume im Anschluss endgültige Ablehnungs-, Festsetzungs- und Erstattungsverfügungen, gegen die jeweils kein Widerspruch erhoben worden ist. Den mit Schreiben vom 30. Mai 2017 gestellten Antrag der Klägerin auf Überprüfung dieser sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidungen lehnte der Beklagte mit Bescheiden vom 09. Januar 2017 und vom 06. Juli 2017 ab, die hiergegen erhobenen Widersprüche wies er mit Widerspruchsbescheiden vom 08. März 2018, vom 12. März 2018, vom 13. März 2018, vom 27. März 2018, vom 09. April 2018 sowie vom 11. April 2018 jeweils als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat hiergegen – anwaltlich vertreten – mit bei dem Sozialgericht Neuruppin am 19. April 2018 eingegangenem Schriftsatz vom 17. April 2018 Klagen erhoben. In der Klageschrift führte sie neben der Antragstellung ua aus, dass sich aus den vorliegenden Gewinnermittlungen des Steuerbüros der Klägerin ein tatsächlich niedrigeres Einkommen ergebe als der Beklagte bei seinen Berechnungen berücksichtigt habe. Nach Einnahme von Akteneinsicht werde eine ausführliche Klagebegründung erfolgen.
Mit bei dem erkennenden Gericht am 25. Mai 2018 eingegangenem Schriftsatz vom 23. Mai 2018 hat die Klägerin – anwaltlich vertreten – ihre Klagen erweitert und wendet sich gegen eine weitere ablehnende Verfügung des Beklagten vom 06. Juli 2017 in Gestalt eines weiteren Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 09. Mai 2018, verwies auf seinen Klageschriftsatz und stellte eine weitere Begründung nach Akteneinsicht in Aussicht.
Nachdem die Klägerin – anwaltlich vertreten – Akteneinsicht genommen hatte, bat das Gericht mit Verfügung vom 22. November 2018 um Übersendung der nach erfolgter Akteneinsicht in Aussicht gestellten weiteren Klagebegründung innerhalb von sechs Wochen. Hierauf teilte die Klägerin – anwaltlich vertreten – mit Schriftsatz vom 25. Februar 2019 mit, dass sich die Klagebegründung auf Grund des Aktenumfangs noch etwas verzögern werde. Für die Begründung bedürfe es der Berechnung jedes einzelnen Monats unter Auswertung der Unterlagen.
Das Gericht hat sich sodann mit Verfügung vom 03. Oktober 2019 (gefertigt und abgesandt am 04. Oktober 2019) erneut an die anwaltlich vertretene Klägerin gewandt und ua Folgendes dargelegt:
"[ ]
in dem vorbezeichneten sozialgerichtlichen Verfahren fordere ich Sie gemäß § 102 Abs 2 SGG auf, das Verfahren zu betreiben. Bislang haben Sie die Klagen – trotz Ankündigung und Erinnerung – nicht näher begründet und insbesondere nicht dargelegt, aus welchen konkreten Gründen die angegriffenen sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen des Beklagten rechtswidrig sein sollen und wodurch die Klägerin in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein soll, weshalb ich erhebliche Zweifel habe, ob die (vertretene) Klägerin an der Fortführung dieses gerichtlichen Verfahrens noch interessiert ist.
Ich fordere Sie daher auf, die Klagen nunmehr zu begründen.
Ich weise darauf hin, dass die Klagen gemäß § 102 Abs 2 S 1 SGG als zurückgenommen gelten, wenn die (anwaltlich vertretene) Klägerin das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Aufforderung.
[ ]"
Die gerichtliche Verfügung, die mit vollständiger Unterschrift des Kammervorsitzenden unterzeichnet worden ist, ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit gedruckter vollständiger Unterschrift des Kammervorsitzenden am 05. Oktober 2019 als beglaubigte Abschrift mittels Zustellungsurkunde zugestellt worden.
Nachdem die Klägerin – anwaltlich vertreten – mit bei dem erkennenden Gericht am 07. Januar 2020 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tage ihre Klagen näher begründet hatte, ist ihr mit gerichtlicher Verfügung vom 10. Januar 2020 (formlos) mitgeteilt worden, dass das Verfahren "durch Klagerücknahmefiktion gemäß § 102 Abs 2 SGG wegen Nichtbetreibens beendet worden" sei.
Mit Schriftsatz vom 05. Februar 2020 hat die Klägerin – anwaltlich vertreten – vorgetragen, die Klagerücknahmefiktion könne nicht greifen, weil die Voraussetzungen für eine wirksame Betreibensaufforderung im Sinne des § 102 Abs 2 S 1 SGG nicht vorlägen, insbesondere bedürfe es angesichts der erfolgten Antragstellung, die sämtliche angegriffenen Verfügungen konkret benenne, keiner Klagebegründung. Diese sei nicht zwingend erforderlich, die hierfür maßgeblichen Regelungen des § 92 Abs 1 S 3 SGG und § 92 Abs 1 S 4 SGG normierten nur Sollvorschriften. Insgesamt sei das Klagebegehren hinreichend deutlich durch die Mitteilung, die tatsächlichen Einkünfte der Klägerin seien geringer als von dem Beklagten berücksichtigt, umrissen. Sämtliche Einkommensnachweise und Gewinnermittlungen befänden sich in den dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakten, so dass dem Gericht bereits die Überprüfung der Bescheide möglich gewesen wäre. Der Wirksamkeit der Betreibensaufforderung stehe zudem entgegen, dass das Gericht nicht dargelegt habe, welche konkreten Mitwirkungshandlungen erforderlich seien, um den Rechtsstreit zu entscheiden. Im Übrigen müsse die Betreibensaufforderung auch von dem zuständigen Richter mit vollem Namen und nicht nur von einer Justizbeschäftigten unterzeichnet werden, um sie insbesondere von einer Routineverfügung abzugrenzen und eine wirksame Fristsetzung zu erzeugen.
Das Sozialgericht Neuruppin hat auf diesen Schriftsatz das Klageverfahren mit dem gerichtlichen Aktenzeichen S 26 AS 613/18 unter dem neuen Aktenzeichen S 26 AS 115/20 WA fortgeführt.
Die Klägerin beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),
festzustellen, dass die Klagen nicht als zurückgenommen gelten und der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt ist,
sowie ferner
die mit den Bescheiden vom 09. Januar 2017 und vom 06. Juli 2017 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 08. März 2018, vom 12. März 2018, vom 13. März 2018, vom 27. März 2018, vom 09. April 2018, vom 11. April 2018 sowie vom 09. Mai 2018 verlautbarten Ablehnungsverfügungen des Beklagten aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, seine Ablehnungs- und Festsetzungsverfügungen für die Zeiträume vom 01. Oktober 2012 bis zum 31. März 2016 abzuändern, gegenüber der Klägerin endgültig höhere passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem SGB II festzusetzen und zu gewähren sowie die Erstattungsverfügungen aufzuheben.
Der Beklagte beantragt (nach seinem Vorbringen sinngemäß),
die Klagen abzuweisen.
Er meint, die Voraussetzungen für eine sog Klagerücknahmefiktion lägen vor.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 06. März 2020 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird schließlich auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen, über die die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten gemäß § 105 Abs 1 S 2 SGG zuvor mit gerichtlicher Verfügung vom 06. März 2020 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem vorherigen umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23), haben keinen Erfolg.
1. Über das Begehren der Klägerin war im Rahmen einer (negativen) Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG zu entscheiden. Macht eine Klägerin geltend, die von ihr erhobenen Klagen gelten nicht als zurückgenommen und der Rechtsstreit sei nicht in der Hauptsache erledigt, lebt die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Verfahrens rückwirkend wieder auf. Das Gericht entscheidet dann entweder durch feststellendes Endurteil dahin, dass die Klagen als zurückgenommen gelten und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, oder – wenn die Klagen nicht als zurückgenommen gelten – in der Sache selbst (vgl für die ähnliche Fallgestaltung bei dem Streit um die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs: Bundessozialgericht, Urteil vom 28. November 2002 – B 7 AL 26/02 R, RdNr 20 mwN).
2. Die zunächst unter dem Aktenzeichen S 26 AS 613/18 geführten Klagen (nach verständiger Würdigung und sinnentsprechender Auslegung – vgl §123 SGG – des klägerischen Vorbringens als eine Kombination aus Anfechtungs-, Verpflichtungs- und unechten Leistungsklagen (vgl § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG, § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 SGG, § 54 Abs 4 SGG und § 56 SGG) statthaft) gelten gemäß § 102 Abs 2 S 1 SGG als zurückgenommen, was den Rechtsstreit gemäß § 102 Abs 1 S 2 SGG in der Hauptsache erledigt hat.
a) Mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26. März 2008 (BGBl I S 444) wurde mit Wirkung vom 01. April 2008 in Abs 2 des § 102 SGG eine Fiktion der Klagerücknahme bei Nichtbetreiben eingefügt. Die Norm lautet seit ihrem Inkrafttreten unverändert: "Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Absatz 1 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs 1 Satz 1 (SGG) in Verbindung mit § 155 Abs 2 VwGO ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen." Bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG, BT-Drucks 16/7716 S 19 zu Nummer 17 (§ 102)); sie erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Abs 2 S 2 iVm Abs 1 S 2 SGG).
b) Die gerichtliche Aufforderung an die anwaltlich vertretene Klägerin zur Begründung der Klage ist zu Recht ergangen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Betreibensaufforderung waren erfüllt. Die Betreibensaufforderung entspricht den formellen und materiellen Anforderungen.
aa) Sie ist zunächst – entgegen der Auffassung der Klägerin – in formell ordnungsgemäßer Weise ergangen. Die Betreibensaufforderung ist insbesondere von dem zuständigen Kammervorsitzenden verfügt und mit vollem Namen und nicht nur mit einem den Namen abkürzenden Handzeichen (Paraphe), die als Unterschrift nicht genügt hätte (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R, RdNr 49 mwN), unterzeichnet worden. Insoweit machte die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf handelte und dass der Unterzeichnende nicht von einer "Routine-Verfügung" ausgegangen ist. Hierüber musste für die Betroffene schon deshalb Gewissheit bestehen, weil die Betreibensaufforderung nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben wurde, sondern darüber hinaus die an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gemäß § 63 Abs 1 S 1 SGG mittels Zustellungsurkunde (vgl § 63 Abs 2 S 1 SGG iVm § 176 Abs 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) iVm § 176 Abs 2 ZPO iVm § 177 ZPO bis § 181 ZPO) als beglaubigte Abschrift zugestellte Betreibensaufforderung selbst den vollen Namen des zuständigen Kammervorsitzenden trägt (vgl hierzu Gerichtsbescheid der Kammer vom 09. Dezember 2016 – S 26 AS 301/15, RdNr 31 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Beschluss vom 07. Oktober 2015 – B 14 AS 175/15 B, RdNr 3 sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R, RdNr 49 mwN).
bb) Wenn die Betreibensaufforderung danach den formellen Anforderungen, die das Gesetz an sie stellt, entspricht, genügt sie auch den an sie zu stellenden materiellen Anforderungen.
aaa) Die anwaltlich vertretene Klägerin hat innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten nach Zustellung der Betreibensaufforderung des Gerichts am 05. Oktober 2019 nicht bis spätestens zum 06. Januar 2020 (vgl § 64 Abs 1 SGG iVm § 64 Abs 2 S 1 SGG iVm § 64 Abs 3 SGG), wie gerichtlich gefordert und zuvor von ihr selbst mehrfach angekündigt, in ausreichender Weise dargelegt, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die angegriffenen sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen rechtswidrig sein sollen.
bbb) Eine fiktive Klagerücknahme nach § 102 Abs 2 SGG setzt aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 19 Abs 4, 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG)) darüber hinaus voraus, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung bestimmte, sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Klägerin bestanden haben. Dabei muss sich aus dem fallbezogenen Verhalten der Klägerin, zB aus der Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten, der Schluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses, also auf ein Desinteresse der Klägerin an der weiteren Verfolgung ihres Begehrens ableiten lassen. Anhaltspunkte für die Annahme fehlenden Interesses an der Verfahrensfortsetzung können sich namentlich aus der Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten ergeben, jedoch muss deren Erfüllung nach Lage des Falls von der Klägerin zu erwarten sein; maßgeblich sind – wie regelmäßig – die Umstände des Einzelfalles. Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses reichen aus; es ist insoweit nicht ein sicherer, über begründete Zweifel hinausgehender Schluss geboten (vgl dazu auch Gerichtsbescheid der Kammer vom 09. Dezember 2016 – S 26 AS 301/15, RdNr 34 unter Hinweis auf Verwaltungsgericht Schwerin, Urteil vom 04. Mai 2015 – 4 A 1269/13, RdNr 47f).
aaaa) Dies zugrunde gelegt, war vorliegend von Zweifeln an einem Interesse der Klägerin an der Fortführung des Klageverfahrens auszugehen, da sie weder in ihrer Klageschrift noch nach dortiger und wiederholter – zeitlich unbestimmter – Ankündigung ausreichend dargelegt hat, aus welchen konkreten tatsächlichen oder rechtlichen Gründen sie eine Rechtswidrigkeit der angegriffenen sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen herleiten möchte. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist insoweit nicht ausreichend, lediglich pauschal darauf hinzuweisen, dass das von dem Beklagten berücksichtigte Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nicht dem tatsächlichen Einkommen entspreche. Einmal abgesehen davon, dass dieser Umstand in Verfahren der vorliegenden Art regelmäßig streitig ist, ist das Gericht nicht verpflichtet, auf einen solchen pauschalen Einwand hin, quasi "ins Blaue hinein" zu ermitteln und sich in den mehrbändigen Verwaltungsvorgängen des Beklagten für einen Zeitraum von mehreren Jahren die einzelnen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben aus der selbständigen Tätigkeit der Klägerin – gleichsam wie ein Eichhörnchen die von ihm im Boden versteckten Samen, Nüsse oder Pilze – zusammen zu suchen und anlasslos auf deren Validität im Vergleich zu den von dem Beklagten berücksichtigten Werten im Einzelnen zu überprüfen. Die Darlegung, aus welchen konkreten Gründen die angegriffenen Entscheidungen im Einzelnen für rechtswidrig gehalten werden, oblag insoweit zunächst der Klägerin, bevor das Gericht überhaupt der ihm nach Maßgabe der Regelungen des § 103 SGG und des § 106 SGG obliegenden Amtsermittlungspflicht nachzukommen hatte.
bbbb) Es kann offen bleiben, ob die fehlende – nach dem Sozialgerichtsgesetz nicht vorgeschriebene – Klagebegründung (vgl § 92 Abs 1 S 1 SGG bis § 92 Abs 1 S 4 SGG) als solche bereits für eine Betreibensaufforderung ausreicht. Denn die anwaltlich vertretene Klägerin hatte eine Begründung ihrer Klagen mehrfach ausdrücklich angekündigt und – wie bereits dargelegt – keine substanziell tragfähigen und die Pflicht des Gerichts zur Amtsermittlung auslösenden Anhaltspunkte dargetan, aus welchen tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen die angegriffenen Verfügungen rechtswidrig sein sollen. Weil sich schließlich auch für das Gericht nicht von Amts wegen Ansatzpunkte für eine sachgerechte Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte bzw den erkennbar fortwährenden Willen der Klägerin zum Festhalten an ihren Klagen aufgedrängt hat, kann aus dem Ausbleiben einer solchen mehrfach angekündigten Klagebegründung der Rückschluss auf durchgreifende Zweifel an einem Klagefortführungsinteresse gezogen werden.
cccc) Im Übrigen: Ohne dass eine Klägerin offen- und darlegt, aus welchen konkreten Erwägungen heraus sie meint, die angefochtenen Verwaltungsakte seien rechtswidrig, kann auch der Beklagte nicht dazu Stellung nehmen und ggf auch dem Begehren von sich aus durch teilweise oder vollständige Abgabe eines Anerkenntnisses nachkommen. Ebenso wenig kann das Gericht beurteilen, ob es noch weitere Akten beiziehen muss, eine Beweisaufnahme (ggf mit Zeugen) durchzuführen haben wird oder sonstige Entscheidungen und Handlungen im vorbereitenden Verfahren treffen bzw vornehmen muss (vgl §§ 103, 106 SGG), aber etwa auch, ob ein Verfahren abweichend vom bloßen Datum seines Eingangs bei Gerichts zeitlich früher als andere "ältere" Verfahren terminiert wird (vgl hierzu Gerichtsbescheid der Kammer vom 09. Dezember 2016 – S 26 AS 301/15, RdNr 37 unter Hinweis auf Verwaltungsgericht Schwerin, Urteil vom 04. Mai 2015 – 4 A 1269/13, RdNr 53).
dddd) Auch sonst vermag die Kammer keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, aus denen – während der laufenden Frist – erkennbar geworden wäre, dass die Klägerin entgegen im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung bestehender Zweifel gleichwohl ein rechtliches Interesse an der Fortführung ihres Rechtsstreits gehabt hätte (vgl zu diesem Gesichtspunkt auch Gerichtsbescheid der Kammer vom 09. Dezember 2016 – S 26 AS 301/15, RdNr 38 unter Hinweis auf Verwaltungsgericht Schwerin, Urteil vom 04. Mai 2015 – 4 A 1269/13, RdNr 59).
3. Weil danach die formellen und materiellen Voraussetzungen der Klagerücknahmefiktion im Sinne des § 102 Abs 2 SGG vorliegen, war festzustellen, dass die Klagen als zurückgenommen gelten und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, weshalb über die (weiteren) Begehren der Klägerin auf Aufhebung der angegriffenen Ablehnungsverfügungen, auf Verpflichtung des Beklagten abschließend höhere Leistungsansprüche nach dem SGB II festzusetzen und zu gewähren und die Erstattungsverfügungen aufzuheben, nicht mehr zu entscheiden war.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten insgesamt einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Klägerin mit ihren Begehren im Klageverfahren vollumfänglich unterlag.
5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).
Rechtsmittelbelehrung
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Richter am Sozialgericht
Erstellt am: 15.07.2020
Zuletzt verändert am: 23.12.2024