Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe einer Nachzahlung nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Die am 15.10.1964 geborene Klägerin erhält von der Beklagten seit Jahren Leistungen nach dem AsylbLG bzw. vor dessen Inkrafttreten nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Mit Bescheiden vom 20.11.1996 hob die Beklagte für verschiedene Zeiträume zwischen Juli 1992 und Januar 1996 Bescheide über der Klägerin gewährte Leistungen nach dem AsylbLG nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf – die Klägerin hatte eine Arbeitsaufnahme und das sich hieraus ergebende Einkommen nicht angezeigt – und forderte die danach zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 7.163,69 EUR nach § 50 SGB X zurück. Hierauf erstattete die Klägerin in der Folgezeit einen Betrag i.H.v. 613,69 EUR.
Aus dem laufenden Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG stellte sie – bereits anwaltlich vertreten – mit Schriftsatz vom 8.3.2010 einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Darin begehrte sie die rückwirkende Zuerkennung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG für den Zeitraum beginnend ab dem 1.1.2006. Diesem Antrag gab die Beklagte durch Bescheid vom 6.10.2010 insoweit statt, als sie der Klägerin für den Zeitraum vom 1.1.2006 bis zum 12.5.2010 Analogleistungen zuerkannt. Als Nachzahlungsbetrag wies die Beklagte in dem Bescheid einen Betrag von 750,00 EUR aus. Dieser Betrag, der deutlich niedriger war als die volle Differenz zwischen den in dem fraglichen Zeitraum tatsächlich gewährten Grundleistungen und den Analogleistungen in gesetzlicher Höhe, ergab sich daraus, dass die Beklagte bei der Berechnung des Nachzahlungsanspruchs den sogenannten Aktualitätsgrundsatz zugrundelegt. Darüber hinaus teilte die Beklagte in dem Bescheid mit, dass sie gegen die Nachzahlungsforderung der Klägerin i.H.v. 750,00 EUR mit der damals noch offen stehenden Restforderung aus den Erstattungsbescheiden vom 20.11.1996 nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) in voller Höhe aufrechne.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, insoweit die Beklagte "unter Zugrundelegung des Aktualitätsgrundsatzes lediglich eine Nachzahlung von 750,00 EUR" bewilligt habe; der Widerspruch richtete sich "ausdrücklich gegen die Verweigerung der Mehrleistung". Der Klägerin stehe ein höherer Nachzahlungsanspruch zu. Der Aktualitätsgrundsatz könne bei der Ermittlung der Höhe des Nachzahlungsanspruchs keine Berücksichtigung finden. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.1.2011 zurück, wobei sie auch auf die Aufrechnung mit dem Rückforderungsanspruch gegen die Klägerin einging.
Dagegen erhob die Klägerin – noch immer anwaltlich vertreten – am 26.1.2011 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund (S 26 [47] AY 15/11), wobei sich die Klagebegründung ausschließlich gegen die aus Sicht der Klägerin unzutreffende Berücksichtigung des Aktualitätsgrundsatzes bei der Ermittlung des Nachzahlungsbetrag richtete. Im Laufe dieses Klageverfahrens erteilte die Beklagte unter dem 26.1.2012 einen Bescheid, indem sie der Klägerin unter vollständiger Abkehr von dem Aktualitätsgrundsatz nunmehr einen Nachzahlungsanspruch in Höhe von insgesamt 6.399,30 EUR zuerkannte. Auch in diesem Bescheid führte sie aus, dass gegen den Nachzahlungsbetrag in voller Höhe mit der zu diesem Zeitpunkt noch offenen Rückforderung i.H.v. 6.550,00 EUR aufgerechnet werde. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, in der die Klägerin darauf hingewiesen wurde, dass sie gegen diesen Bescheid Widerspruch einlegen könne.
Außerdem legte die Klägerin – wiederum vertreten durch ihren Bevollmächtigten – entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 26.1.2012 am 31.1.2012 Widerspruch gegen diesen Bescheid ein. Zur Begründung führte sie aus, es sei zwar zutreffend, dass ihr gegenüber noch eine Forderung der Beklagten bestehe. Zu berücksichtigen sei in der vorliegenden Fallkonstellation allerdings ein absolutes Aufrechnungsverbot, was sich insbesondere aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 19 6.11.2001 – 1 K 2736/97 und der Kommentierung von Birk in LPK-BSHG, Vorbemerkungen zum AsylbLG, Rn. 4 ff. ergebe. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.3.2012 zurück. Die Aufrechnung sei im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung von § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 26 Abs. 2 SGB XII grundsätzlich möglich und hier sowohl im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen als auch auf das ihr eingeräumte Ermessen rechtmäßig erfolgt.
Mit ihrer am 11.4.2012 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren – Anfechtung der Aufrechnungserklärung, um die Auszahlung eines Nachzahlungsbetrag zu erreichen – weiter.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2012 insoweit aufzuheben, als dass die Beklagte gegen den Anspruch der Klägerin auf Nachzahlung von EUR 6.399,30 einen Betrag von EUR 6.550,00 aufrechnet.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die Klage unzulässig sei, da der Bescheid vom 26.1.2012 bereits nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens S 26 (47) 15/11 geworden sei. Daneben sei die Klage auch unbegründet, da die Aufrechnung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 26 SGB XII zulässig sei und das seitens der Klägerin geltend gemachte Aufrechnungsverbot nicht bestehe, insbesondere deshalb nicht, da es nicht um die Aufrechnung gegen Ansprüche auf laufende Leistungen, die der gegenwärtigen Bedarfsdeckung der Klägerin dienten, gehe, sondern um die Aufrechnung gegen Nachzahlungsansprüche. Der gegenwärtige Bedarf der Klägerin bleibe durch die laufend bewilligten Leistungen gedeckt.
Mit Schriftsatz vom 7.10.2013 hat die Klägerin das Klageverfahren S 26 (47) AY 15/11 für erledigt erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind in ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig; statthafte Klage ist die Anfechtungsklage. Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 26.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.3.2012, soweit die Aufrechnung mit einer Forderung der Beklagten in Höhe i.H.v. 6.550,00 EUR erklärt wird. Die Aufrechnungserklärung stellt eine – jedenfalls in der von der Beklagten gewählten Handlungsform des Bescheids – mit der Anfechtungsklage anfechtbare eigenständige und logisch abtrennbare Verfügung im Sinne von § 31 SGB X dar.
Der Bescheid der Beklagten vom 26.1.2012 ist insbesondere nicht, wie die Beklagte meint, nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens S 26 (47) AY 15/11 geworden. Nach dieser Vorschrift wird ein neuer Verwaltungsakt, der nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist, nur insoweit Streitgegenstand eines Verfahrens, wie er an die Stelle des angefochtenen Teils eines Verwaltungsakts tritt (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 13.11.1985 – 6 RKa 15/84 Rn. 10 – juris). Der Bescheid vom 6.1.2012 trat aber nicht an die Stelle des angefochtenen Teils des Bescheids vom 6.10.2010, der Gegenstand des Klageverfahrens S 26 (47) AY 15/11 war. Denn mit dem Widerspruch und der nachfolgenden Klage gegen diesen Bescheid angefochten war ausdrücklich nur die Verweigerung der über den Betrag von 750,00 EUR hinausgehende Mehrleistung, also inhaltlich die Anwendung des Aktualitätsgrundsatzes bei der Berechnung der Höhe des Nachzahlungsanspruchs. Die in dem Bescheid vom 6.1.2010 außerdem erhaltene Aufrechnung des Betrags von 750,00 EUR nach § 26 Abs. 2 SGB XII wurde nicht angefochten und ist damit in Bestandskraft erwachsen. Hiermit korrespondiert auch die dem Bescheid vom 26.1.2012 angefügte Rechtsbehelfsbelehrung, nach der gegen den Bescheid der Widerspruch erhoben werden kann.
II. Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf teilweise Aufhebung des angefochtenen Bescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig, soweit die Beklagte die Aufrechnung mit einem Betrag i.H.v. 5.800,00 EUR erklärt hat und beschweren die Klägerin damit nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Soweit die Beklagte darüber hinaus die Aufrechnung mit weiteren 750,00 EUR erklärt hat, sind die Bescheide zwar rechtswidrig, verletzen die Klägerin aber nicht in ihren eigenen Rechten.
a. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf teilweise Aufhebung der angefochtenen Bescheide, soweit die Beklagte mit einer Forderung von 5.800,00 EUR gegen die Nachzahlungsforderung der Klägerin aufrechnet, denn die Aufrechnung ist rechtmäßig.
Ermächtigungsgrundlage ist § 26 SGB XII, der über § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechende Anwendung findet (vgl. Oppermann in: juris-PK, § 2 AsylbLG, Rn 117).
aa. Gegenüber der sich aus dem Nachzahlungsanspruch der Klägerin ergebenden Forderung besteht kein Aufrechnungsverbot. Die Auffassung der Klägerin, dass gegenüber Leistungen nach § 2 AsylbLG ein Aufrechnungsverbot bestehe, teilt die Kammer angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift des § 2 AsylbLG nicht, der die Vorschriften des SGB XII und somit auch § 26 Abs. 2 SGB XII für entsprechend anwendbar erklärt. Soweit die Klägerin auf die Kommentierung von Birk in LPK-BSHG, Vorbemerkungen zum AsylbLG, Rn. 4 ff., Bezug nimmt, so findet sich dort nur, dass für den Personenkreis, der Leistungen gemäß §§ 3 ff. AsylbLG bezieht, die Aufrechnungsmöglichkeit nach § 25a BSHG nicht gelte. Für den Personenkreis, der Leistungen gemäß § 2 AsylbLG bezieht, findet sich dort der Hinweis, dass anstelle der in den §§ 3-7 AsylbLG geregelten Rechtsmaterie § 120 BSHG analog gelte. Von einem hier geltenden Aufrechnungsverbot ist nicht die Rede; es finden sich aber auch keine sachlichen Gründe hierfür. Daneben ist zur Überzeugung der Kammer auch nicht im Hinblick auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seinem Urteil vom 18.7.2012, – 1 BvL 10/10 –, juris, von einem Aufrechnungsverbot aufzugehen. Denn das BVerfG hat seiner Übergangsregelung Wirkung ab dem 1.1.2011 beigemessen; für den Zeitraum vorher wurde die Vorschrift des § 3 AsylbLG nicht mit dem Grundgesetz (GG) für unvereinbar erklärt und ist anzuwenden. Hält das BVerfG selbst aber die Unvereinbarkeit des § 3 AsylbLG mit dem Grundgesetz, insbesondere mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG, im Hinblick auf die angeordnete Rückwirkung gegenüber dem Rechtsfrieden für Zeiträume vor dem 1.1.2011 für nachrangig, hält es die Kammer nicht für zutreffend, aus dem Urteil ein Aufrechnungsverbot gegen Ansprüche der Klägerin nach § 2 AsylbLG abzuleiten, die aus einem Zeitraum bis zum 31.12.2010 – wie die hier streitgegenständlichen – resultieren.
bb. Nach § 26 Abs. 2 SGB XII können Analogleistungen nach § 2 AsylbLG bis auf das jeweils Unerlässliche mit Ansprüchen des Trägers der Sozialhilfe gegen eine leistungsberechtigte Person aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach dem AsylbLG handelt, die die leistungsberechtigte Person oder ihr Vertreter durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben oder durch pflichtwidriges Unterlassen veranlasst hat.
Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des Bescheids vom 26.1.2012 erfüllt.
Der Beklagten standen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung bestandskräftig festgestellte Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach dem AsylbLG aus den Erstattungsbescheiden vom 20.11.1996 jedenfalls in Höhe von 5.800,00 EUR zu. Diese Leistungen hat Klägerin durch pflichtwidriges Unterlassen veranlasst. Denn die Klägerin hat es versäumt, ihr damaliges Erwerbseinkommen anzuzeigen, wozu sie gesetzlich verpflichtet war. Hierdurch hat sie die Beklagte veranlasst, Leistungen i. H. v. 5.800,00 EUR zu Unrecht zu erbringen.
Der Klägerin stand demgegenüber – ursprünglich – eine Forderung in Höhe von EUR 6.399,30 gegen die Beklagte zu, die durch die – mit insoweit bereits damals bestandskräftigen Bescheid vom 6.10.2010 – erklärte Aufrechnung i.H.v. 750,00 EUR erfüllt wurde und sich somit auf 5.649,30 EUR reduziert hat. Gegen diese Ansprüche konnte die Beklagte in vollem Umfang mit der oben dargelegten Forderung aufrechnen. Das jeweils Unerlässliche verbleibt der Klägerin heute dadurch, dass sie laufende Leistungen nach § 2 AsylbLG erhält; im Nachzahlungszeitraum vom 1.1.2006 bis zum 12.5.2010 verblieb es ihr dadurch, dass sie Leistungen nach § 3 AsylbLG erhielt; wie oben dargelegt, findet die Regelung des § 3 AsylbLG für Zeiträume vor dem 1.1.2011 Anwendung.
Das ihr damit tatbestandlich eröffnete Ermessen hat die Beklagte pflichtgemäß ausgeübt.
b. Soweit die Beklagte im angefochtenen Bescheid die Aufrechnung über einen Betrag von 5.800,00 EUR hinaus erklärt hat, ist der Bescheid dagegen rechtswidrig. Eine über diesen Betrag hinausgehende Forderung stand der Beklagten im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung nicht mehr zu. Denn auch die Forderung der Beklagten reduzierte sich durch die im Bescheid vom 6.10.2010 erklärte Aufrechnung i.H.v. 750,00 EUR um diesen Betrag. Dennoch hat die Klägerin insoweit kein Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide, da sie diese überschießende Aufrechnung nicht in ihren Rechten verletzt.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt dem Unterliegen in der Hauptsache.
Erstellt am: 07.03.2014
Zuletzt verändert am: 07.03.2014