Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.08.2008 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes, insbesondere darum, ob der Wechsel der Klägerin von der Lohnsteuerklasse V in die Lohnsteuerklasse III rechtsmissbräuchlich und damit nicht zu berücksichtigen war.
Die 1977 geborene Klägerin ist verheiratet und Mutter des am 00.00.2007 geborenen K G. Bis zur Geburt von K war die Klägerin mit 37,5 Wochenstunden als Personalsachbearbeiterin beschäftigt. Vom 20.07. bis 26.10.2007 bezog die Klägerin Mutterschaftsgeld und dazu einen Zuschuß ihres Arbeitgebers. Seit dem 27.10.2007 befindet sie sich in Elternzeit.
Das regelmäßige monatliche Bruttoentgelt der Klägerin bis zur Geburt ihres Sohnes betrug ca. 3000,00 EUR. Bis Januar 2007 hatte die Klägerin die Lohnsteuersteuerklasse V, ihr Ehemann die Klasse III. Ab Februar 2007 wählten sie für die Klägerin die Steuerklasse III, für ihren Ehemann die Steuerklasse V. In diesem Zeitpunkt belief sich das monatliche Bruttoentgelt ihres Ehemannes auf rund 5740 EUR. Durch den Steuerklassenwechsel erhöhte sich das Nettoeinkommen der Klägerin um rund 820,00 Euro.
Am 27.09.2007 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt H die Gewährung von Elterngeld mit 24-monatiger Auszahlungsmodalität nach der Geburt ihres Kindes.
Mit Bescheid vom 07.12.2007 wurde der Antrag bewilligt und ein Elterngeld für die Zeit vom 20.08.2007 bis 19.10.2007 in Höhe von 0 Euro, in der Zeit vom 20.10.2007 bis 19.11.2007 in Höhe von 338,31 Euro, in der Zeit vom 20.11.2007 bis 19.08.2008 in Höhe von 436,98 Euro, in der Zeit vom 20.08.2008 bis 19.09.2008 in Höhe von 338,30 Euro und in der Zeit vom 20.09.2008 bis 19.06.2009 in Höhe 436,97 Euro berechnet. Bei der Berechnung hatte die Beklagte den Lohnsteuerklassenwechsel wegen Missbrauchs nicht beachtet.
Mit ihrem dagegen rechtzeitig erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr Steuerklassenwechsel sei nicht rechtsmissbräuchlich, sondern sachlich gerechtfertigt, weil sie dadurch nach der Geburt ihres Kindes höhere staatliche Leistungen beziehen könne.
Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch mit Bescheid vom 08.02.2008 zurück. Ein Steuerklassenwechsel allein zum Bezug höheren Elterngelds verfolge kein schützenswertes Ziel, sei rechtsmissbräuchlich und daher unbeachtlich.
Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, dass zwar ihr Ehemann ein deutlich höheres Einkommen als sie habe, der Steuerklassenwechsel jedoch nicht rechtsmissbräuchlich sei. Aus dem Elterngeldgesetz gehe nicht hervor, dass ein Steuerklassenwechsel, auch mit dem Ziel ein höheres Elterngeld zu erlangen, unbeachtlich sei.
Der Beklagte hat dem entgegengehalten, dass der Steuerklassenwechsel rechtsmissbräuchlich und damit bei der Berechnung des Elterngeldes nicht zu berücksichtigen sei.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Sozialgericht den Beklagten verpflichtet, das Elterngeld der Klägerin unter Berücksichtigung des vorgenommenen Steuerklassenwechsels neu zu berechnen. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Bundeselterngeld, berechnet auf der Grundlage der von ihr tatsächlich erzielten Nettoeinkünfte. Der Beklagte haben entgegen § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 7 BEEG der Elterngeldberechnung nicht die "abgeführte Lohnsteuer" zu Grunde gelegt, sondern ein fiktives durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse V angesetzt. Dabei habe er rechtswidrig den Wechsel der Lohnsteuerklasse im Februar 2007 unbeachtet gelassen.
Im Bundeselterngesetz finde sich keine Einschränkung hinsichtlich des Lohnsteuerklassenwechsels; vielmehr nehme es durchweg Bezug auf den Einkommensbegriff aus dem EStG. Hätte der Gesetzgeber einen Lohnsteuerklassenwechsel als unbeachtlich ansehen wollen, so hätte er dies ohne Weiteres ins Gesetz aufnehmen können, wie er das z.B. in § 133 Abs. 3 SGB III auch getan habe.
Die von der Beklagten zitierten Richtlinien des Bundesfamilienministeriums seien als Verwaltungsvorschriften keine geeignete Rechtsgrundlage für den von der Beklagten vorgenommenen Eingriff in die Rechte der Klägerin.
Ebenso wenig habe die Klägerin sich durch den Lohnsteuerwechsel rechtsmissbräuchlich verhalten, wie eine Abwägung zwischen dem Schutzzweck des Elterngeldes und den legalen Mitteln, dieses auszuschöpfen, ergebe. Der Wechsel einer Lohnsteuerklasse sei grundsätzlich zulässig. Zudem sei die Problematik des Lohnsteuerklassenwechsels beim Elterngeld dem Gesetzgeber durchaus bewusst gewesen, wie die Gesetzgebungsmaterialien zeigten.
Seine rechtzeitig eingelegte Berufung hat der Beklagte damit begründet, die Berücksichtigung eines allein zu Zwecken der Erhöhung des Elterngeldanspruchs vorgenommenen Lohnsteuerklassenwechsels sei als sozial unangemessen zu bewerten und widerspreche in rechtsethischer Hinsicht der Funktion des Elterngeldrechts. Ein durch einen steuerrechtlich unsinnigen Steuerklassenwechsel im Jahr vor der Geburt manipulativ erhöhtes Erwerbseinkommen sei sozial verfehlt, weil es nicht die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Antrag stellenden Person abbilde. Ein solches Verhalten sei unangemessen und beeinträchtige Gemeinwohlinteressen.
Die BEEG-Regelung zur Einkommensermittlung diene nach Sinn und Zweck zudem dazu, den Bezug erhöhten Elterngelds durch die Nutzung steuerrechtlich zulässiger Gestaltungsmöglichkeiten zu verhindern. Dieser erklärte Wille des Gesetzgebers werde durch die Äußerungen in der Gesetzgebungsdebatte nicht infrage gestellt.
Im Übrigen sei § 133 Abs. 3 SGB III als spezifischer Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens von Treu und Glauben zu betrachten. Dieser allgemeine Rechtsgedanke könne auch im BEEG Anwendung finden. Auch die Rechtsprechung des BAG betrachte in verschiedenen Konstellationen der Wechsel der Lohnsteuerklasse von Ehegatten mit dem Ziel, höhere Lohnersatzleistungen zu beziehen, als rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich der Antrag entnehmen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die vom Beklagten angeführte BAG-Rechtsprechung sei auf ihren Fall nicht übertragbar, weil der Staat sich – anders als ein privater Arbeitgeber – vor einem unerwünschten Steuerklassenwechsel durch ausdrückliche gesetzliche Regelungen hätte schützen können. Die vom Beklagten angeführten Richtlinien zum Bundeselterngeld widersprächen der gesetzlichen Regelung, weil der Gesetzgeber gerade keine Einschränkung des Steuerklassenwechsels vorgesehen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf das die beigezogene Verwaltungs- und die Gerichtsakte.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Klage und Berufung richten sich zutreffend gegen den Beklagten, weil nach der Auflösung der Versorgungsämter durch das 2. Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007 (GVBl. NRW 2007, S. 482) die Versorgungsämter mit Ablauf des 31.12.2007 aufgelöst worden sind und der Beklagte seit dem 01.01.2008 für Aufgaben nach dem BEEG zuständig ist.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Recht dazu verurteilt, der Elterngeldberechnung die tatsächlich ab Februar 2007 gewählte Steuerklasse III zugrunde zu legen.
Zwar hat die Klägerin ihre Steuerlast rein steuerlich gesehen unnötig erhöht, da sie brutto rund 2700 Euro weniger als ihr Ehemann verdiente, die von ihr gewählte Steuerklassenkombination III/V dagegen umgekehrt erst ab einer Einkommensverteilung von etwa 60 zu 40 Prozent zugunsten des Ehegatten mit der der Steuerklasse III – wie ursprünglich im Fall der Klägerin und ihres Ehemanns – die Steuerlast zu optimieren beginnt (vgl. Wrede, Betriebsberater (BB) 1996, S. 566). Unterhalb dieser Grenze führt sie zu einem überhöhten Lohnsteuervorabzug.
Indes lässt das Steuerrecht die Wahl einer solchen – rein steuerlich gesehen – ungünstigen Steuerklasse in § 39 Abs. 3 b S. 2 EStG ohne Weiteres zu. Der Wechsel der Klägerin in die Steuerklasse III verstieß auch weder gegen die Vorschriften des Bundeselterngeld- und Erziehungszeitgesetzes (BEEG) (1.), noch war er rechtsmissbräuchlich und daher unbeachtlich für die Elterngeldberechnung (2.)(Senat Urteile vom 12.12.2008 – L 13 EG 40/08 und vom 16.01.2009 – L 13 EG 55/08 beide in Juris).
1.) Die Vorschriften des BEEG schließen einen Wechsel in eine – von der vorläufigen Steuerlast her gesehen – ungünstigere Steuerklasse zur Erzielung höheren Elterngelds nicht aus. Der geringere Lohnsteuervorabzug beim Elterngeldberechtigten infolge eines solchen Steuerklassenwechsels erhöht vielmehr die Bemessungsgrundlage des Elterngelds.
a) § 2 Abs. 7 Satz 1 BEEG definiert Einkommen als den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (u.A.) reduziert um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern. Als auf das Einkommen entfallende Steuern gelten für die Elterngeldberechnung nach § 2 Abs. 7 S. 3 BEEG die (regelmäßig im Wege des Lohnsteuervorabzugs) "abgeführte" Lohnsteuer. Daher kann die Berechnung nach S. 4 der Vorschrift aufgrund der monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Elterngeldberechtigen erfolgen und deren Angaben zum Lohnsteuervorabzug übernommen werden (vgl. Begründung zur Gesetz gewordenen Beschluss-Empfehlung des federführenden Ausschusses für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, BT-Drs.16/2785, S.44, linke Spalte sowie nunmehr Ziffer 2.7.3.1 der Anwendungshinweise des Bundesfamilienministeriums).
b) Dieser eindeutige Wortlaut des BEEG ist nicht nach Sinn und Zweck einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein allein zur Erhöhung des Elterngelds vorgenommener Wechsel in eine – mit Blick auf die gemeinsame Steuerlast der Ehegatten – ungünstigere Steuerklasse für die Elterngeldberechnung unbeachtlich wäre. Ein solcher Gesetzeszweck lässt sich weder dem Wortlaut (aa) noch der Entstehungsgeschichte des BEEG (bb) entnehmen.
(aa) Der Zweck des BEEG lässt sich nicht allein auf den Ersatz des nach Steuern erzielten Erwerbseinkommens reduzieren. Das Elterngeld zielt darauf ab, Eltern in der Frühphase der Elternschaft zu unterstützen und dazu beizutragen, dass sie in diesem Zeitraum selbst für ihr Kind sorgen können. Dafür soll jeder betreuende Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert, einen an seinem individuellen Einkommen "orientierten" Ausgleich für finanzielle Einschränkungen im ersten Lebensjahr des Kindes erhalten (BEEG-Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucksache 16/1889, S. 2, 1. Spiegelstrich). Das Elterngeld bildet das Nettoeinkommen des betreuenden Elternteils dafür auf der Grundlage der § 2 ff. BEEG allerdings nicht eins zu eins ab; vielmehr hat der Gesetzgeber das Prinzip der Einkommensersatzleistung vielfältig durchbrochen. Das zeigt einerseits die Ausnahme von Einmal- sowie von steuerfreien Zahlungen (vgl. Senat, Urteil vom 26.09.2008 – L 13 EG 27/08 – JURIS), andererseits etwa die Gewährung des Geschwisterbonus in § 2 Abs. 4 BEEG sowie die Aufstockungsregeln für Einkommen unter 1000 Euro in § 2 Abs. 2 BEEG.
Ebenso wenig überzeugt der Einwand der Beklagten, das nach dem Wechsel der Steuerklasse erzielte Erwerbseinkommen spiegele nicht die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Antrag stellenden Person wider. Denn das BEEG nimmt nicht den Elterngeldberechtigten isoliert, sondern die Ehegatten als Erwerbsgemeinschaft in den Blick, wie etwa die Regelung zu den Partnermonaten in § 4 Abs. 2 S. 2 BEEG sowie die Anrechnungsregel des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG zeigen. Das Elterngeld soll auch dazu dienen, die Lasten von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung zwischen den Ehepartner gerechter zu verteilen. Vor diesem Hintergrund läuft eine zeitweilige Verschiebung der Steuerlast innerhalb der Erwerbsgemeinschaft der Eltern zum Zweck des Bezugs höheren Elterngelds den Zwecken des BEEG nicht zuwider. Noch weniger liegt darin eine Verletzung von Gemeinwohlinteressen, wie die Beklagte meint.
(bb) Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, spricht zudem der Gang der parlamentarischen Erörterungen eher für eine Absicht des Gesetzgebers, einen Steuerklassenwechsel, wie ihn die Klägerin vorgenommen hat, zuzulassen (so schon SG Augsburg Urt. v. 08.07.2008 – S 10 EG 15/08 Juris Rz. 12 m.w.Nw). Denn die Opposition im Bundestag hatte das Problem des niedrigeren Verdienstes von Müttern mit der Steuerklasse V konkret angesprochen und sogar darauf hingewiesen, ein Wechsel der Steuerklasse werde bei der Berechnung des Arbeitsgeberzuschusses zum Mutterschaftsgeld (vgl. dazu etwa BAG, Urt. v. 18.09.1991 – 5 AZR 581/90 Juris, Rz. 15 ff.) als unzulässig angesehen (Redebeitrag der Abgeordneten Lenke (FDP) zur abschließenden Lesung des BEEG-Entwurfs, BT-Plenarprotokoll 16/55, Seite 5357 A). Demgegenüber hatten Abgeordnete der Regierungsfraktionen in der Debatte betont, ein Wechsel in die Steuerklasse III sei jederzeit ohne Weiteres möglich (BT-Plenarprotokoll 16/55, Seite 5356). Wörtlich hat die Parlamentarische Staatssekretärin aus dem Bundesfinanzministerium Dr. Hendricks (SPD) ausgeführt (BT-Plenarprotokoll 16/55 , S. 5356, rechte Spalte Buchstabe D):
"Wenn eine Frau schwanger wird, dann kann sie also zum Finanzamt gehen und eine andere Steuerklasse wählen, so dass der Berechnung des Elterngeldes dann natürlich ein anderes Einkommen zugrunde liegt" (das Protokoll verzeichnet Beifall bei der SPD und der CDU/CSU).
An solchen eindeutigen Äußerungen der Vertreter der parlamentarischen Mehrheit im Gesetzgebungsverfahren muss sich der Gesetzgeber festhalten lassen (vgl. K.F. u. H.C. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage, § 79, S. 627 f.).
Anders als der Beklagte meint, lässt sich der ursprünglichen Gesetzesbegründung ebenfalls kein dem freien Steuerklassenwechsel entgegenstehender Wille des Gesetzgebers entnehmen. Soweit die Begründung ausführt (Beschlussempfehlung und Bericht des federführenden Ausschusses für Familien, Frauen, Senioren und Jugend, BT-Drucksache 16, 2785, S. 43), steuerrechtlich zulässige Gestaltungsoptionen sollten nicht den Bezug eines deutlich erhöhten Elterngeldes ermöglichen, bezieht sich diese Passage, wie der Zusammenhang zeigt, nur auf die Bestimmung des Begriffs der positiven Einkünfte. Insoweit hat der Gesetzgeber aber – anders als beim Steuerklassenwechsel – eine an sich steuerrechtlich zulässige Gestaltungsoption, nämlich die Geltendmachung negativer Einkünfte und damit den Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten, im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des federführenden Ausschusses für Familien, Frauen, Senioren und Jugend, BT-Drucksache 16, 2785, S. 43).
Die vom Beklagten zitierten Anwendungshinweise des Bundesfamilienministeriums spiegeln ebenfalls nicht den Willen des Gesetzgebers wider. Nicht einmal der parlamentarische Gesetzgeber kann durch eine nachträgliche Willensäußerung nach Abschluss des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens, etwa durch eine "klarstellende" Gesetzesänderung, eine "authentische Interpretation" seines – angeblichen – ursprünglichen Willens erzwingen, soweit dieser nicht hinreichend im Gesetzestext zum Ausdruck gekommen war (vgl. BSG, Urteil vom 29.08.2006 – B 13 RJ 47/04 R – Juris, Randziffer 67 ff. mit weiteren Nachweisen). Dies gilt umso mehr für norminterpretierende Verwaltungsvorschriften des federführenden Ministeriums.
2. Der Steuerklassenwechsel der Klägerin verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben; er ist nicht rechtsmissbräuchlich und daher von der Beklagten zu beachten.
Will der Gesetzgeber vermeiden, dass Bürger gesetzlich eingeräumte Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, kann er entsprechende Vorschriften erlassen. Ansonsten dürfen Berechtigte vom Gesetz gewährte Vergünstigungen ohne Einschränkung in Anspruch nehmen, wenn sie deren Voraussetzungen erfüllen (vgl. BSGE 41, 263, 267 ff.).
Allerdings hat das Bundessozialgericht den Grundsatz von Treu und Glauben und dessen Unterfall des Rechtsmissbrauchs als ungeschriebene Begrenzung der Geltendmachung von Sozialleistungen anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.1995 – 10 RAr 1/94 – Juris, Rz. 24 m.w.N.; zu weiteren Konstellationen von Treu und Glauben vgl. BSGE, 46, 187, 189 m.w.Nw.). Die Feststellung von Rechtsmissbrauch hat sich dabei am Schutzzweck der Norm (BSGE 59, S. 40, 45 ff.) und an ihrem rechtsethischen Gehalt (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.1995 – 10 RAR 1/94 – Juris, 24 m.w.N.) zu orientierten. Insbesondere darf ein Recht nicht ausschließlich funktionswidrig genutzt werden (vgl. BSGE 46, 187, 189 ff. zur Formalmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 315 a RVO).
Einen Verstoß gegen die Schutzzwecke des BEEG und einen ausschließlich funktionswidrigen Gebrauch ihrer Rechte braucht die Klägerin sich nicht vorhalten zu lassen. Wie oben unter 1) b) ausgeführt lässt sich dem BEEG keine Beschränkung auf einen reinen Einkommensersatz entnehmen. Das unterscheidet das Elterngeld vom Zuschuss zum Mutterschaftsgeld, das allein auf den Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile gerichtet ist (vgl. BAG, Urt. v. 18.09.1991 – 5 AZR 581/90 Juris, Rz. 15 ff.). Das Nettoeinkommen vor der Geburt durch einen Steuerklassenwechsel zu steigern, widerspricht daher nicht dem Zweck des Elterngeldes, einen finanziellen Schonraum für junge Familien zu schaffen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern. Aus diesem Grund verletzt der Steuerklassenwechsel der Klägerin gleichfalls nicht dem "rechtsethischen Gehalt" des BEEG. Insbesondere hat die Klägerin durch den Wechsel der Steuerklassen nicht gegen die aller Rechtsausübung zugrunde liegenden ungeschriebenen Verhaltensregelungen verstoßen, die unter der begrifflichen Klammer der Arglisteinrede einen Kernbestandteil der Rechtsfigur von Treu und Glauben bilden (vgl. Roth, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Auflage, § 242, Rz 104). Im Steuerklassenwechsel liegt kein vorwerfbares Vorverhalten, auf das sich die Klägerin gegenüber dem Beklagten nicht berufen könnte. Steuerpflichtige dürfen, wie ausgeführt, ihre Steuerklassen frei wählen und dabei auch für sie ungünstigere Steuerklasse eintragen lassen.
Ebenso wenig vermag der Senat § 133 Abs. 3 SGB III einen in Treu und Glauben verwurzelten allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen, aus dem für das BEEG die Unbeachtlichkeit eines gezielten Lohnsteuerklassenwechsel auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung folgt. Vielmehr trifft § 133 SGB III eine spezialgesetzliche Regelung zur Harmonisierung des Steuerrechts mit dem Sozialrecht. In der Gesetzesbegründung zur Schaffung dieser Vorschrift findet sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber einen Wechsel der Lohnsteuerklasse als missbräuchlich ansah. Vielmehr wollte er durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung gerade die Wirksamkeit des steuerrechtlich zulässigen Wechsels der Lohnsteuerklassen für die Berechnung des Arbeitslosengeldes verhindern. Es hätte dem BEEG-Gesetzgeber freigestanden, eine Parallelregelung zu schaffen. Ihr Fehlen kann nicht auf dem Umweg über Treu und Glauben in Verbindung mit § 133 Abs. 3 SGB III ersetzt werden.
Die Klägerin treffen schließlich gegenüber der Beklagten keine erhöhten Treue- und Rücksichtsnahmepflichten, die dazu zwängen, den Lohnsteuerklassenwechsel als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Das unterscheidet sie maßgeblich von den Arbeitnehmern in den Konstellationen aus dem Arbeitsrecht, auf die der Beklagte seine Berufung stützen will. Das Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis begründet besondere Nebenpflichten mit gesteigerter Treueprägung. In dieser gesteigerten Treuebindung kann ein Lohnsteuerklassenwechsel zur Erhöhung einer reinen Lohnersatzleistung als Verfolgung eines rücksichtslosen Eigennutzes zum Nachteil des Arbeitgebers gewertet werden (vgl. etwa das vom Beklagten zitierte Urteil des BAG vom 13.06.2006 – 9 AZR 423/05, Juris, Rz. 14 ff. m.w.Nw.).
Davon unterscheidet sich die hier vorliegende Interessenlage jedoch maßgeblich. Die Klägerin verbindet mit dem Beklagten kein Dauerschuldverhältnis in Gleichordnungsposition, das einem Arbeitsverhältnis vergleichbar wäre und dem Beklagten gegenüber gesteigerte Rücksichtnahmepflichten begründet hätte. Ihre Rechtsbeziehungen zum Beklagten beschränkten sich auf die Beantragung und Entgegennahme des Elterngelds. Nach dem BEEG hat sie zudem, wie ausgeführt, auch keinen Anspruch auf reinen Lohnersatz, sondern auf eine am Einkommen lediglich "orientierte" Ausgleichsleistung zur Familienförderung, die sozial und nach Förderungszielen gestaffelt ist (Geschwisterbonus, Aufstockungsregel). Zudem hätte der Gesetzgeber den Lohnsteuerklassenwechsel im BEEG allein zu Zwecken höheren Elterngeldes unschwer ausschließen können. Dagegen finanziert ein Arbeitgeber insbesondere durch seine Pflicht zur Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeldes als Privater eine gemeinnützige Sozialleistung, deren Ausmaß und Gestaltung er nicht beeinflussen kann und bedarf deshalb – anders als Träger hoheitlicher Gewalt – des Schutzes durch den Satz von Treu und Glauben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Der Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil das Bundessozialgericht die zugrunde liegende Rechtsfrage noch nicht entschieden hat und sie von Bedeutung für eine Vielzahl unter Anderem beim Senat anhängiger Fälle ist.
Erstellt am: 19.03.2009
Zuletzt verändert am: 19.03.2009