Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29.11.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2000 verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Bereitstellung eines Ausnahmemoduls unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Ausnahmemoduls zum Grundmodul "Kardiologie" ab dem Quartal 1/99.
Der Kläger ist als fachärztlicher Internist mit dem Schwerpunkt Kardiologie in E niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Am 16.02.1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung eines Ausnahmemoduls zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29.11.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2000 ab. Ein medizinisch begründeter Mehrbedarf zum Grundmodul Kardiologie sei nicht feststellbar. Zwar habe der Kläger auf einem Überweisungsanteil überhalb von 90% hingewiesen, wobei die kardiologischen Patienten selektioniert aus dem E Raum sowohl von Allgemeinmedizinern als auch von internistischen Kollegen überwiesen würden. Auch sei auf die erteilte Sonderbedarfszulassung abgestellt worden. Im Rahmen der Teilbudgetierung sei die Fallpunktzahl zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung angehoben worden. Gleichwohl habe die Kommission "Bedarfsabhängige Zusatzbudgets und -module" nach eingehender Prüfung des Sachverhaltes einschließlich der vorliegenden Behandlungsausweise keinen medizinisch begründeten Mehrbedarf feststellen können. Die Behandlungsfälle wiesen nach Auffassung der Kommissionsmitglieder im Vergleich zu anderen Kardiologen keine Besonderheiten auf, die die Vergabe eines Ausnahmemoduls rechtfertigten. Im Rahmen der Modulierung würden nunmehr alle fachärztlich tätigen Internisten mit Schwerpunkt Kardiologie in einer Gruppe zusammen gefasst und miteinander verglichen, so dass sich aus der Erhöhung im Rahmen der früheren Teilbudgetierung keine entscheidungserheblichen Gesichtspunkte ergäben.
Hiergegen richtet sich die am 08.09.2000 erhobene Klage. Zur Begründung führt der Kläger an, seine Sonderbedarfszulassung beruhe darauf, dass E mit einem Einzugsgebiet von 100000 bis 120000 Einwohnern kardiologisch im nieder gelassenen Bereich nicht versorgt gewesen sei. Nach wie vor seien die nächsten niedergelassenen Kardiologen erst in Marl, Gladbeck und Bottrop ansässig, so dass der Kläger der einzige niedergelassene Kardiologe in E und Umgebung sei. Eine stationäre kardiologische Versorgung existiere nicht, da die Tätigkeit des Klägers in E zum Verlust der Ermächtigung des internistischen Chefarztes Dr. T im Juli 1999 geführt habe. Dieser Umstand habe im Hinblick auf die Zusammensetzung der Patienten des Klägers erhebliche Konsequenzen. In der Ambulanz des Dr. T seien besonders viele Herzrhythmus-Patienten und Schrittmacher-Patienten betreut worden. Diese Patienten seien von der kardiologischen Schwerpunktpraxis des Klägers weiter betreut worden, wodurch z.B. auch eine erhöhte Anzahl von Ruhe-EKG s notwendig geworden sei. Die mangelnde Existenz einer stationären kardiologischen Abteilung vor Ort führe dazu, dass ein überdurchschnittlich schwer erkranktes Patientengut die klägerische Praxis aufsuche. Das sei ein wesentlicher Gesichtspunkt, welcher für die Annahme eines besonderen Versorgungsbedarfes zugunsten des Klägers spreche. Er habe nicht die Möglichkeit, wie andere Kardiologen bei entsprechenden Krankheitsbildern eine Überweisung für eine weiterführende stationäre kardiologische Behandlung vorzunehmen. Diesem Umstand habe die Beklagte für frühere Zeiträume auch Rechnung getragen. So habe der Vorstand der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.1997 festgestellt, dass die Leistungen nach dem damaligen internistischen Teilbudget zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich seien und ein nachgewiesener Versorgungsschwerpunkt bestehe. Konsequenterweise sei dem Kläger ab dem Zeitpunkt der Niederlassung im Quartal 1/97 auch eine erhöhte Fallpunktzahl zugebilligt worden. Bereits im Verwaltungsverfahren habe der Kläger darauf hingewiesen, dass in seiner Praxis schwerpunktmäßig die Diagnostik der Coronarsyndrome einschließlich Funktionsdiagnostik mit Belastungs- EKG und Stressechokardiographie durchgeführt werde. Des weiteren würden kardiovaskuläre Schäden diagnostiziert, inklusive Farbduplexechokardiographie und Duplexsonographie der Gefäße. Eine weitere wichtige Stufendiagnostik erfolge im Hinblick auf Herzkatheteruntersuchungen und Angiographien. Schwerpunktmäßig würden Patienten mit Herzrythmusstörungen inklusive der Herzschrittmachertherapie behandelt. Als Krankheitsbild könne hier insbesondere die Betreuung von Patienten mit arteriellem Hypertonus, vor und nach Herzklappenersatz, operativer Myokardrevaskularisation, PTCA und PTA sowie einer Herztransplantation aufgeführt werden. Das Grundmodul werde insbesondere durch ein Mehraufwand bei der Gebührennummer 603 EBM (EKG), in verhältnismäßig geringerem Umfang durch die Gebührennummern 606 i.V.m. 609 EBM belastet. Der Mehrbedarf bei diesen EKG-Leistungen sei insbesondere darauf zurückzuführen, dass der Kläger Behandlungsschwerpunkte der Gefäßdiagnostik aufweise, was statistisch zu belegen sei. So würden selektive Coronarangiographien nur von rund einem Drittel aller Kardiologen überhaupt abgerechnet. Damit eingehend betreue der Kläger einen hohen Anteil an Herzkatheterpatienten. Auch hier weise die Einzelzifferstatistik statistisch einen Mehrbedarf aus. Die Überschreitungswerte gegenüber der geringen Anzahl an erbringenden Kardiologen bewegten sich zwischen 25 und 66%. Dieser Behandlungsschwerpunkt führe zwangsläufig zu einem Mehrbedarf insbesondere bei dem EKG nach Gebührennummer 603 EBM, da aus forensischen Gründen jeweils vor und nach derartigen Leistungen eine elektrokardiographische Untersuchung erforderlich sei. Eine weitere Besonderheit bestehe in der vom Kläger betriebenen invasiven Diagnostik. Hierdurch sei der Kläger in der Lage, auch ein schwerkrankes Patientengut ambulant zu betreuen, so dass Überweisungen in weiterführende stationäre kardiologische Abteilungen in diesem Zusammenhang entbehrlich seien. Die Überweisungen zur klägerischen Praxis erfolgten größtenteils zur Mit- und Weiterbehandlung. Es bestünden nur in geringer Zahl Konsiliaraufträge und in einem noch geringeren Umfang würden Zielaufträge erteilt. Der hohe Anteil an Überweisungen zur Mit- und Weiterbehandlung beruhe ebenfalls auf der nicht vorhandenen stationären kardiologischen Versorgung vor Ort und lasse auf einen hohen Anteil schwererkrankter Patienten schließen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. November 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. August 2000 zu verurteilen, über seinen Antrag auf Bereitstellung eines Ausnahmemoduls unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger die nach Ziffer 3.3.1 ihrer Durchführungsbestimmungen maßgeblichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Ausnahmemoduls zum kardiologischen Grundmodul nicht erfülle. Zwar überschreite die klägerische Praxis im Quartal 2/98 den durchschnittlichen Teilfallwert ihrer Vergleichsgruppe in dem entsprechenden Modul um mehr als das Einfache der Standardabweichung der Vergleichsgruppe. Eine medizinische Begründung für diesen statistisch festgestellten Mehrbedarf sei jedoch nicht ersichtlich. Die klägerische Praxis weise keine der in den Durchführungsbestimmungen ausdrücklich genannten Krankheitsfälle oder spezifischen Betreuungsleistungen zur medizinischen Begründung des besonderen Versorgungsbedarfs auf. Angesichts der nicht abschließenden Aufzählung habe die Beklagte den klägerischen Fall der vom Vorstand eingesetzten Kommission zur Beurteilung von Budget- bzw. Modulerweiterungen vorgelegt. Die Kommission bediene sich der fachlichen Beratung von Vertretern der jeweiligen Berufsverbände. Bei der Beurteilung des vorliegenden Falles habe sich die Kommission auf eine qualifizierte fachärztliche Bewertung der klägerischen Praxis durch Vertreter des Berufsverbandes der Kardiologen, denen die konkrete Fallgestaltung in der klägerischen Praxis vorgelegt worden sei, stützen können. Die Beklagte füge einen Auszug aus dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 10.08.1999 bei. Dem Auszug sei zu entnehmen, dass die Vorstandskommission im klägerischen Falle bei der Beurteilung des medizinischen begründeten Mehrbedarfs ausdrücklich Rücksprache mit den Vertretern des Berufsverbandes Kardiologie gehalten habe. Ein medizinisch begründeter Mehrbedarf in der Praxis des Klägers habe dabei nicht festgestellt werden können. Nach Auffassung der Kommission und der beratenden Vertreter des kardiologischen Berufsverbandes weise die klägerische Praxis im Vergleich zu anderen Kardiologen keine ein Ausnahmemodul rechtfertigende Besonderheit auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich wegen eines Begründungsdefizites als rechtswidrig.
Nach § 6 Abs. 1 HVM kann der Vorstand der Beklagten auf Antrag des Vertragsarztes im Einzelfall zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs eine Erweiterung der Grundmodule nach Anlage 4 gewähren. Ein solcher Ausnahmetatbestand liegt insbesondere dann vor, wenn nachfolgend genannte Krankheitsfälle oder spezifische Betreuungsleistungen den Schwerpunkt der Praxistätigkeit darstellen:
– Betreuung von HIV-Patienten
– Onkologische Erkrankungen
– Diabetes
– Mukoviszidose
– Schmerztherapie (Teilnehmer an der Schmerztherapie Vereinbarung)
– kontinuierliche Patientenbetreuung in beschützenden Einrichtungen
– erheblich über dem Arztgruppendurchschnitt liegender Überweisungsanteil.
Der Vorstand erlässt gemäß § 6 Abs. 2 HVM hierzu Durchführungsbestimmungen. Nach diesen Durchführungsbestimmungen zum HVM ist für die Anerkennung eines Mehrbedarfs zu prüfen, ob der besondere Versorgungsbedarf einen Schwerpunkt der antragstellenden Praxis bildet. Nach Ziffer 3.6 der Durchführungsbestimmungen ist in Zweifelsfällen oder Fragen von grundsätzlicher Bedeutung die vom Vorstand eingesetzte Kommission einzuschalten.
Nicht Streitgegenstand ist vorliegend die Frage, ob die Beklagte berechtigt gewesen ist, für die Gruppe der fachärztlich tätigen Internisten fallzahlabhängige Honorarmodule in Anlehnung an die im EBM vorgesehene Praxisbudgetierung einzuführen. Gleichwohl hat die erkennende Kammer die Rechtmäßigkeit der Honorarmodule mit Urteil vom heutigen Tage bejaht (Az.: S 26 KA 19/01).
Vorliegend begehrt der Kläger unter ausführlicher Darstellung der aus seiner Sicht für einen besonderen Versorgungsbedarf für bestimmte kardiologische Leistungen in E sprechenden Gründe die Bereitstellung eines Ausnahmemoduls nach § 6 HVM. Die Beklagte räumt ein, dass die von ihr in den Durchführungsbestimmungen festgelegten quantitativen Voraussetzungen eines Ausnahmemoduls zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs gegeben seien. Gleichwohl stehe nach Auffassung der Mitglieder einer hinzugezogenen Kommission fest, dass die klägerische Praxis im Vergleich zu anderen Kardiologen keine Besonderheiten aufweise, die die Vergabe eines Ausnahmemoduls rechtfertigten. Weder aus dem angegriffenen Widerspruchsbescheid noch aus der Klageerwiderung und dem überreichten Protokoll der Vorstandskommissionssitzung vom 10.08.1999 ergibt sich, welche Gesichtspunkte die Beklagte und ihre Kommission zu dieser Feststellung bewegt haben.
Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X sind jedoch in der Begründung eines Verwaltungsaktes die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Allein die Mitteilung, dass mit Vertretern des Berufsverbandes Rücksprache genommen und die Abrechnung des Klägers eingesehen worden sei, ersetzt die erforderliche Mitteilung der entscheidungserheblichen Ergebnisse dieser Rücksprache und der Einsicht in die Abrechnungsunterlagen nicht. Die Kammer ist nicht bereit, allein den Hinweis auf die Qualifikation der namentlich nicht benannten Kommissionsmitglieder als Entscheidungsbegründung zu akzeptieren. Da die Beklagte offensichtlich die Beschlussfassung der Vorstandskommission ungeprüft in den Widerspruchsbescheid vom 09.08.2000 übernommen hat, kann im Sinne des § 42 Satz 1 SGB X nicht davon ausgegangen werden, dass die Verletzung der Begründungspflicht die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Eine wirksame Nachholung des Begründungsmangels (§ 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X) ist nicht erfolgt, zumal die Beklagte in ihrer Klageerwiderung sich nochmals ausdrücklich auf das unzureichende Ergebnisprotokoll der Vorstandskommissionssitzung vom 10.08.1999 stützt und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des Klägers weiterhin nicht erfolgt ist. Von daher hält es die Kammer für angemessen, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Neubescheidung des Antrages auf Bereitstellung eines Ausnahmemoduls zum Grundmodul Kardiologie zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 22.08.2003
Zuletzt verändert am: 22.08.2003