Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.01.2006 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung.
Die 1926 geborene Klägerin hat seit Jahrzehnten durchgehend bis zum 31.12.2002 von der Beigeladenen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und danach Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) erhalten. Seit dem 01.01.2005 erhält sie die Leistungen der Grundsicherung im Alter gemäß dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII). Nach ihrer Angabe war sie nie selbst versichert. Bis 1960 habe sie im Haushalt ihrer Eltern gelebt, die alle Rechnungen bezahlt hätten, so dass sie davon ausgehe, dass eventuell angefallene Arztrechnungen von ihnen beglichen worden seien. Seit 1960 seien die Arztrechnungen immer von den Sozialämtern übernommen worden.
Die Klägerin beantragte am 20.05.2005 bei der Beklagten den Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Sie gab an, sie sei zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat krankenversichert gewesen. Auf die Mitteilung der Beigeladenen, dass die Klägerin seit dem 01.01.2005 Leistungen gemäß dem 4. Kapitel des SGB XII erhalte, lehnte die Beklagte den Beitritt mit Bescheid vom 09.06.2005 ab. Sozialhilfeempfänger, deren Leistungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger ab dem 01.01.2005 lediglich auf einer anderen Rechtsgrundlage fortbestehe, hätten kein Beitrittsrecht. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die gesetzlichen Voraussetzungen des Beitritts lägen vor. Dem Gesetz sei nicht zu entnehmen, dass ein Leistungsanspruch nach dem 01.01.2005 nicht mehr fortbestehen dürfe. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2005, zugestellt am 25.08.2005, wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf den laufenden Leistungsbezug zurück.
Zur Begründung der am 26.09.2005 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Rechtsansicht der Beklagten sei mit dem Gesetz nicht vereinbar und stehe auch in Widerspruch zur Gesetzesbegründung.
Mit Urteil vom 13.01.2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Aufnahme der Klägerin verurteilt. Es hat ein Beitrittsrecht bejaht, denn aus der Gesetzbegründung ergebe sich, dass gerade der Personenkreis ein Beitrittsrecht haben solle, der weiterhin Leistungen nach dem SGB XII erhalte.
Gegen das ihr am 19.01.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.02.2006 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass ein Beitrittsrecht nur für Personen bestehe, deren Leistungsbezug vor dem 01.01.2005 geendet habe. Davon unabhängig scheitere ein Beitrittsrecht der Klägerin aus, da sie nach ihrer Erklärung im Verwaltungsverfahren über ihre Eltern familienversichert gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.01.2006 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ein Beitrittsrecht nicht ausgeschlossen sei, wenn der Leistungsbezug fortbestehe.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag und der Auffassung der Klägerin an.
Der Senat hat vom Bundesministerium für Gesundheit die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses, auf die in der Gesetzesbegründung zum Beitrittsrecht Bezug genommen wird, beigezogen und eine Auskunft des Ministeriums eingeholt. Insoweit wird auf Bl. 100 bis 114 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, auch hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht ein Beitrittsrecht der Klägerin zur freiwilligen Versicherung bejaht.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 SGB V können ab dem 01.01.2005 innerhalb von sechs Monaten Personen, die in der Vergangenheit laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bezogen haben und davor zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat krankenversichert waren, der gesetzlichen Krankenversicherung beitreten.
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob ein Beitrittsrecht schon deshalb ausscheidet, weil der Versicherungsstatus der Klägerin in der Vergangenheit ungeklärt ist und ob insbesondere eine eventuell bis 1960 bestehende "Familienversicherung" dem Beitritt entgegenstehen würde. Insoweit ist schon offen, ob tatsächlich entsprechend der Angabe der Klägerin im Verwaltungsverfahren ein Familienhilfeanspruch nach § 205 Reichsversicherungsordnung in der bis 31.12.1988 geltenden Fassung (RVO) bestanden hat (nach der 1960 geltenden Fassung des § 205 Abs. 3 Satz 2 RVO konnte die Satzung eine Altersgrenze für den Familienhilfeanspruch festlegen) oder ob – wie der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren vermuten lässt – die Eltern nur eventuell anfallende Arztrechnungen aus eigenen Mitteln beglichen haben. In letzterem Fall wäre freilich auch nicht ausgeschlossen, dass die Eltern für die Klägerin eine private Versicherung abgeschlossen hatten. Zweifelhaft ist auch, ob überhaupt ein Familienhilfeanspruch nach § 205 RVO dem Beitrittsrecht entgegensteht, weil das bis zum 31.12.1988 geltende Recht für den berechtigten Personenkreis keine eigenständige Versicherung begründete, sondern nur dem Mitglied einen Anspruch auf Familienhilfe einräumte, den er auch selbst geltend machen und verfolgen konnte (vgl. Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 10 RdNr. 4; s. a. BSG SozR 3-2500 § 10 Nr. 16). Der Gesetzeswortlaut stellt aber auf eine Versicherung des Beitrittsberechtigten ab.
Ein Beitrittsrecht besteht jedoch jedenfalls deshalb nicht, weil die Klägerin unverändert auch nach dem 01.01.2005 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII bezieht. Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB V "in der Vergangenheit ( …) bezogen haben", deutet schon darauf hin, dass ein am 01.01.2005 abgeschlossener Leistungsbezug vorliegen muss. Dieser Wortlaut schließt allerdings nicht zwingend eine Auslegung im Sinne der Klägerin aus, da die Formulierung auch (allein) auf den Leistungsbezug "nach dem BSHG" bezogen werden kann, so dass ein Leistungsbezug nach dem an die Stelle des BSHG getretenen SGB XII nach dem 01.01.2005 unschädlich sein würde (für diese Auffassung Gerlach, a.a.O., § 9 RdNr. 78).
Die Gesetzbegründung sowie der Sinn und Zweck der Regelung sprechen aber für die Auffassung der Beklagten. Nach der Gesetzesbegründung sollte für einen "eng begrenzten Personenkreis ehemaliger Bezieher von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt" ein einmaliges befristetes Beitrittsrecht eingeräumt werden, womit einer Empfehlung des Petitionsausschusses Rechnung getragen werde, bei der Neuregelung der Versicherungspflicht von Sozialhilfeempfängern eine Regelung für Altfälle vorzusehen (BT-Drucksache 15/1749, 36). Schon die Formulierung "ehemalige Bezieher" weist auf einen in der Vergangenheit liegenden Leistungsbezug hin. Weiter wird in der Begründung darauf hingewiesen, dass ehemalige Bezieher von Sozialhilfe nach dem Ende des Bezugs von Sozialhilfe wegen des Erfordernisses der Vorversicherungszeiten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB X) nur dann Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied haben, wenn sie bereits während des Sozialhilfebezuges eine früher bestehende Mitgliedschaft hatten fortsetzen können. Personen, die vor dem Bezug von Sozialhilfe keine Zugangsmöglichkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung hatten, sollten ein einmaliges Beitrittsrecht zur GKV erhalten. Auch diese Erläuterungen zeigen, dass es um abgeschlossene Leistungsfälle geht. Warum allerdings in diesem Zusammenhang die Begründung die "Gleichstellung" mit AlG II-Empfängern anspricht, ist nicht ganz verständlich, denn ob diese eine ab dem 01.01.2005 mögliche Mitgliedschaft aufgrund der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V nach dem Ende des Leistungsbezuges fortsetzen können, hat mit der Frage eines ab 1.1.2005 eingeräumten Beitrittsrechts ehemaliger Sozialhilfeempfänger nichts zu tun. Immerhin weist die Begründung darauf hin, dass der Leistungsbezug abgeschlossen sein muss, denn die Frage der Fortsetzung der Mitgliedschaft stellt sich nur bei Beendigung des Leistungsbezugs.
Auch der der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zu Grunde liegende Fall, der Anlass zu der Regelung gegeben hat, macht deutlich, dass nur für frühere Bezieher von Leistungen ein Beitrittsrecht geschaffen werden sollte. Die Petition betraf einen Selbständigen, der zuvor Sozialhilfe bezogen hatte und der die Möglichkeit eingeräumt haben wollte, der gesetzlichen Krankenversicherung beizutreten. In der Beschlussempfehlung wird darauf hingewiesen, dass nach Art. 28 Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) beabsichtigt gewesen sei, auch Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG in die GKV einzubeziehen. Diese Regelung sei noch nicht umgesetzt worden. Bei einer Umsetzung dieser Norm sollten auch Altfälle, "d.h. ehemalige Bezieher laufender Hilfe zum Lebensunterhalt", berücksichtigt werden. Wenn nun in der zitierten Gesetzesbegründung die Formulierung des Petitionsausschusses aufgegriffen wird, zeigt dies deutlich, dass das Beitrittsrecht einen abgeschlossenen Leistungsbezug voraussetzt.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung stünde auch in Widerspruch zu der vom Gesetzgeber inzwischen verfolgten Konzeption des Krankenversicherungsschutzes nicht gesetzlich versicherter Sozialhilfeempfänger. Der Gesetzgeber hat sich mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) ab dem 01.01.2004 für die Übernahme der Krankenbehandlung von Sozialhilfeempfängern durch die Krankenkassen gegen eine Kostenerstattung durch die Träger der Sozialhilfe entschieden (§ 264 Abs. 2 – 7 SGB V). Damit hat er sein Vorhaben aufgegeben, diesen Personenkreis in die Versicherungspflicht einzubeziehen (so KassKomm/Peters, § 5 SGB V RdNr. 148). In der Gesetzesbegründung des GMG wird dazu ausgeführt, Bund und Länder hätten sich nicht auf eine Umsetzung des Art. 28 GSG zu angemessenen Beitragszahlungen einigen können. Zwischenzeitlich habe auch das Bundesministerium der Finanzen erhebliche Bedenken wegen der Auswirkungen von aufgrund von Versicherungspflicht zu zahlenden Beiträgen auf das steuerliche Existenzminimum und damit verbundenen Steuerausfällen geltend gemacht (BT-Drucksache 15/1525, 140). Es liegt daher fern, dass der Gesetzgeber mit der Ablösung des BSHG durch das SGB XII ein einmaliges Beitrittsrecht zur GKV für Personen schaffen wollte, die weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Wie die hohe Zahl von ca. 2.800 allein bei der Beklagten anhängigen Widerspruchsverfahren wegen des Beitrittsrechts zeigt, liefe die von der Klägerin (bzw den Sozialhilfeträgern) vertretene Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB V auf eine teilweise Umsetzung des Art. 28 GSG "durch die Hintertür" hinaus, die nach der zitierten Gesetzesbegründung gerade nicht mehr verfolgt werden sollte. Im Übrigen wäre auch nicht verständlich, warum der Krankenversicherungsschutz von Sozialhilfeempfängern, die früher versichert waren, über § 264 Abs 2 SGB V sichergestellt werden sollte, während für Leistungsempfänger, die nie versichert waren, nunmehr über ein Beitrittsrecht eine Mitgliedschaft in der GKV begründet werden könnte.
Somit besteht ein Beitrittsrecht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB V nur, wenn der Leistungsbezug vor dem 01.01.2005 geendet hat (so auch Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung, §§ 9 SGB V RdNr. 23; unklar KassKomm/Peters, § 9 SGB V RdNr. 48). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob ein früherer Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG von der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII abgelöst worden ist oder ob eine Person – wie die Klägerin – zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG, dann Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalten hat und seit dem 01.01.2005 diese Leistungen nach Maßgabe des 4. Kapitels des SGB XII erhält. Ungeachtet bestehender Strukturunterschiede und des Umstandes, dass es sich bei der Grundsicherung und der Sozialhilfe um eigenständige Leistungsbereiche handelt (vgl. Falterbaum in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 41 RdNr. 6) handelt es sich bei beiden Leistungen um steuerfinanzierte Sozialleistungen für bedürftige Personen, also in der Sache um "Sozialhilfe". Dabei ist der Umfang der Bedarfsdeckung aufgrund der Neukonzeption der Sozialhilfe zwischen beiden Bereichen in vielen Fällen identisch (a.a.O.). Folgerichtig hat der Gesetzgeber auch diesen Personenkreis in die Regelung des § 264 Abs. 2 SGB V einbezogen. Der Umstand, dass dies erst zum 30.03.2005 durch das Verwaltungsvereinfachungsgesetz vom 21.03.2005 (BGBl. I, 818) erfolgt ist, könnte darauf zurückzuführen sein, dass im Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in der Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I, 3022) übersehen worden sein ist, dass in der zunächst zum 01.01.2005 Gesetz gewordenen Fassung des § 264 Abs. 2 SGB V nur die Empfänger von Leistungen nach dem 3. und 5. bis 9. Kapitel des SGB XII genannt waren. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass erst im Vermittlungsverfahren das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in das SGB XII integriert worden ist (s. BT-Drucksache 15/2260 zu Art. 1 Nr. 8). Die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Krankenversicherungsschutz der Empfänger von Grundsicherungsleistungen dem der Empfänger von Sozialhilfe angeglichen hat, zeigt aber, dass auch ein laufender Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem 01.01.2005 einem Beitrittsrecht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB V entgegensteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 05.07.2006
Zuletzt verändert am: 05.07.2006