zu L 16 B 64/04 KR ER
Die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts (SG) Köln vom 21.06.2004 – Az.: S 26 KR 586/04 ER – wird bis zur Erledigung des Rechtsstreits über den einstweiligen Rechtsschutz in der Beschwerdeinstanz ausgesetzt. Die Beschwerdeführerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdegegners für das Verfahren der Vollstreckungsaussetzung.
zu L 16 B 87/04 KR ER
Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Beschluss des SG Köln vom 30.06.2004 wird als unzulässig verworfen. Auch insoweit trägt die Beschwerdeführerin die dem Beschwerdegegner entstandenen Kosten des Aussetzungsverfahrens.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (d. Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Ausstellung einer Kündigungsbestätigung. D. Ast. war nach seinen Angaben seit dem 01.01.2004 Mitglied bei der Taunus BKK (T-BKK). Der allgemeine Beitragssatz betrug 12,8 %. Zum 01.04.2004 fusionierte diese Kasse mit der BKK Braunschweig (BKK B). Daraus ging die Antragsgegnerin (d. Ag.) hervor. Ihr Beitragssatz beträgt seitdem 13,8 %. D. Ast. kündigte daraufhin mit Schreiben vom 29.04.2004 die Mitgliedschaft bei d. Ag. zum 30.06.2004, später nochmals zum 31.08.2004. Das wies d. Ag. zurück (Bescheid vom 13.05.2004; Widerspruchsbescheid vom 08.06.2004), da durch die Fusion eine neue Krankenkasse mit einem neuen Beitragssatz entstanden sei. Ein Sonderkündigungsrecht ergebe sich nicht. D. Ast. hat deshalb Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben und zudem begehrt, d. Ag. im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, d. Ast. unverzüglich eine Kündigungsbestätigung (zum 30.06.2004 bzw. 31.08.2004) auszustellen. Das SG hat d. Ag. antragsgemäß verpflichtet (Beschluss vom 21.06.2004) und festgestellt, dass der Ast. einstweilen berechtigt sei, der Beigeladenen beizutreten. Das SG hat d. Ag. ein Ordnungsgeld zur Vollstreckung der Verpflichtung angedroht, eine Kündigungsbescheinigung auszustellen (Beschluss vom 30.06.2004).
Mit ihren Beschwerden trägt d. Ag. vor, entgegen der Ansicht des SG Köln fehle es an einem Anordnungsanspruch und am Anordnungsgrund. Zudem mangele es an der verfassungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung. Die Aufnahme durch die Beigeladene sei unzulässig, solange eine Kündigungsbestätigung fehle.
Das SG hat den Beschwerden nicht abgeholfen. D. Ag. und Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben und den Vollzug der angefochtenen Entscheidungen einstweilen auszusetzen.
Einem vom Senat im Parallelverfahren angeregten Vergleichsvorschlag ist sie nicht gefolgt, sie hat sich aber bereit erklärt, im Falle des Unterliegens in der Hauptsache, dem Ast. die Differenzbeiträge zu erstatten.
D. Ast. und Beschwerdegegner beantragt sinngemäß, die Beschwerden zurückzuweisen.
Er will zur Beigeladenen wechseln (Beitragssatz: 12,5 %).
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten und der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
a) zu L 16 B 64/04 KR ER
Der Aussetzungsantrag der Ag. und Beschwerdeführerin ist zulässig und nunmehr begründet. Nach § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Gemäß Satz 2 kann er die Aussetzung und Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen; die §§ 108, 109 und 113 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend.
Der Aussetzungsantrag ist statthaft. Die Beschwerde d. Ag. hat keine aufschiebende Wirkung. Sie hat sich allerdings nicht schon durch Zeitablauf (30.06.2004) erledigt. Denn das SG hat d. Ag. verpflichtet, unverzüglich eine Kündigungsbestätigung (jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft) auszustellen. Ferner liegt mit dem Beschluss des SG eine gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 199 Abs 1 Nr. 2 SGG vor.
Berufen ist zur Entscheidung der Vorsitzende des Gerichts (vgl. insoweit auch BSG SozR 3 – 1500 § 199 SGG Nr 1, S. 1 ff., 10, m.w.N.; Meyer-Ladewig, 7. Aufl., § 199, Rdnr. 7 a; Zeihe, SGG, § 199 Rdnr. 10 a; derselbe, Die Sozialgerichtsbarkeit 1994, S. 505 ff., jeweils m. w. N.).
Die Entscheidung hat nach pflichtgemäßen Ermessen zu erfolgen, wobei außer den betroffenen Interessen der Beteiligten und den Nachteilen, die bei einer Vollstreckung für die Beschwerdeführerin, das öffentliche Interesse oder Dritte entstehen würden, auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, USK 91155; Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 8; Zeihe, a.a.O., Rdnr. 9, jeweils m. w. N.).
Der Senat geht mit dem SG Köln davon aus, dass d. Ast. ein Sonderkündigungsrecht zustehen dürfte, obgleich diese Frage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist (Senatsbeschluss vom 24.05.2004, L 16 B 15/04 KR ER; Übereinstimmung mit dem rechtskräftigen Beschluss des LSG NRW/2. Senat vom 08.07.2004 – L 2 B 16 /04 KR ER -; mit dem LSG Sachsen-Anhalt, rechtskräftiges Urteil vom 16.12.2003 – L 4 KR 33/00 in ErsK 2004, 51; vgl. auch Urteil des SG Düsseldorf vom 12.09.2003 – S 8 KR 60/03, rechtskräftig nach Rücknahme der Berufung im Verfahren LSG NRW L 16 KR 305/03; siehe weiter SG Nordhausen, Beschluss vom 13.05.2004 – S 6 KR 761/04 ER; SG Stuttgart, Urteil vom 28.10.2003, S 4 KR 5695/03).
Für die Ermessensentscheidung, ob eine Aussetzung der Vollstreckung vorgenommen werden kann, ist im vorliegenden Falle allerdings ausschlaggebend, dass durch die Erklärung der Beschwerdeführerin vom 10.07.2004 der Anordnungsgrund inzwischen entfallen ist. Die Erklärung lautet: "Im Falle des rechtskräftigen Obsiegens des Antragstellers/Klägers in der Hauptsache erstattet die T-BKK dem Antragsteller/Kläger unaufgefordert die Beitragsdifferenz bis zum Ablauf der gesetzlichen Bindungsfrist, soweit der Beitragssatz der in Ausübung des Wahlrechts und des Sonderkündigungsrechts fristwahrend gewählten Krankenkasse unter dem Beitragssatz der T-BKK liegt und der Antragsteller/Kläger auf eine Rückabwicklung verzichtet."
Mit dieser Erklärung ist der bei Erlass des sozialgerichtlichen Beschlusses noch bestehende Anordnungsgrund d. Ast. – jedenfalls bei summarischer Prüfung der Streitsache und verständiger Auslegung der Erklärung – entfallen.
Das vom Gesetzgeber im Rahmen des Sonderkündigungsrechts nach § 175 Abs 4 Satz 5 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) allein als maßgeblich für die Ausübung dieses Rechts angesehene Kriterium der Beitragssatzerhöhung spricht dafür, dass der Gesetzgeber nur die Erhöhung der Beitragssätze als hinreichenden Grund für ein Sonderkündigungsrecht angesehen hat; insoweit ist nur dieses Interesse der Versicherten im Rahmen einer vorläufigen Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes maßgebend. Soweit demgegenüber mit dem zweiten GKV- Neuordnungsgesetz (Gesetz vom 23.06.1997, BGBl. I S. 1520) ein Sonderkündigungsrecht auch dann eingeräumt wurde, wenn die Krankenkasse Leistungen, über deren Art und Umfang sie entscheiden kann, verändert, wurde dieses Recht durch Art. 1 Nr 22 a des GKV-Solidaritätsstärkungsgesetzes (Gesetz vom 19.12.1998, BGBl. I S. 3853) wieder aufgehoben, so dass an dieses Interesse nicht anzuknüpfen ist.
Die Erklärung vom 10.07.2004 stellt d. Ast. aber von den Risiken frei, zu hohe Beiträge bei Bestehen eines Sonderkündigungsrechts zu tragen, weil d. Ag. sich mit der Erklärung unwiderruflich verpflichtet hat, für den Fall des rechtskräftigen Obsiegens d. Ast. die relevante Beitragsdifferenz zu erstatten. Soweit d. Ag. ihre Verpflichtung von einem fristwahrend ausgeübten Wahlrecht zu einer neuen Krankenkasse und dem Verzicht auf die Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses (für die weitere Dauer des Verbleibs bei d. Ag. – bis zum Ablauf der achtzehnmonatigen ordentlichen Bindungsfrist des § 175 Abs. 4 S. 1 SGB V, hier wohl 30.06.2005; was von d. Ag. ganz offensichtlich nicht mehr in Frage gestellt wird -) abhängig macht, ist dies dahin zu verstehen, dass d. Ag. selbstverständlich und nachvollziehbar verlangt, dass d. Ast. eindeutig erklärt (hat), zu welcher Kasse ein Wechsel beabsichtigt ist und deren Beitragssatz unter dem der Ag. liegt (13,8 %) – denn nur dann kommt ein finanzieller Ausgleich in Betracht. Dem steht nicht entgegen, dass d. Ast. das Wahlrecht bislang nicht hat ausüben können. Darauf kann sich die Ag. angesichts ihres grob irreführenden, an Sittenwidrigkeit grenzenden Informationsverhaltens (vgl. dazu den Beschluss des 2. Senats des LSG NRW vom 08.07.2004, L 2 B 16/04 KR ER) und der nach Auffassung des Senats rechtswidrigen Weigerung, eine Bescheinigung über die Sonderkündigung auszustellen, – auch für die Zukunft – nicht berufen; denn auch bei Ablauf der Wechselfristen wird d. Ast., dem rechtswidrig eine Kündigungsbestätigung durch einen Leistungsträger versagt worden ist, ein Zugangsrecht zur kostengünstigeren Kasse mit entsprechender Fristverlängerung zustehen (Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs). Dass darüber hinaus eine (weitere) Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses (bis zum Zeitpunkt des ohnehin möglichen Wechsels zum (offenbar) 30.06.2005/Ablauf der 18-Monatsfrist des § 175 Abs. 4 S. 1) nicht in Betracht kommt, erscheint angesichts des vom Gesetzgeber als allein maßgeblich herausgestellten finanziellen Kündigungsinteresses der Versicherten ebenfalls selbstverständlich. Damit fehlt es aber nunmehr an einem hinreichenden Interesse d. Ast., aus dem von der Beschwerdeführerin angegriffenen Beschluss des SG Köln zu vollstrecken, zumal es Sache d. Ast. ist, die von d. Ag. gewünschten Erklärungen herbeizuführen, soweit sie nicht schon vorliegen.
Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass – entsprechend der Auffassung des SG – bis zur Abgabe der Verpflichtungserklärung vom 10.07.2004 durch d. Ag. ein Anordnungsgrund zugunsten d. Ast. bestand. Denn ohne die Verpflichtung d. Ag. zur Abgabe einer Kündigungsbestätigung drohte d. Ast. ein unwiederbringlicher Rechtsverlust: es ist keine Rechtsgrundlage erkennbar, aufgrund derer d. Ast. einen Anspruch auf Rückzahlung von Beitragsteilen (nämlich der Differenz zwischen dem – höheren – Beitrag der Ag. und dem – niedrigeren – Beitrag einer konkurrierenden Krankenkasse, die von d. Ast. als künftige Leistungsträgerin in Aussicht genommen wird/wurde) verwirklichen könnte. Ein solcher Anspruch ist gesetzlich nicht normiert. Über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch lässt sich – entgegen der Auffassung d. Ag. – kein derartiges Zahlungsbegehren begründen, weil über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nur von der Rechtsordnung vorgesehene Rechtsfolgen (nachträglich) verwirklicht werden können (wie etwa ein verzögerter Beitritt zu der neuen, kostengünstigeren Kasse). Ohne tatsächliche Aufnahme in eine neue Kasse und ohne den entsprechenden Nachweis wird die Kündigung zur bisherigen Krankenkasse nicht wirksam (§ 175 Abs. 4 S. 4 SGB V); dies hätte zur Folge, dass d. Ag. der von ihr festgesetzte Krankenkassenbeitrag in voller Höhe zustehen würde. Ein denkbarer sozialrechtlicher Schadensersatzanspruch erscheint zweifelhaft; er hat sich bislang in Rechtsprechung und Literatur nicht durchgesetzt. Schließlich wird man d. Ast. nicht auf Amtshaftungsansprüche im Sinne von § 839 BGB verweisen können, weil diese Ansprüche zum einen voraussetzen, dass ein Anspruchsteller versuchen muss, seine berechtigten Interessen zunächst vor den Fachgerichten durchzusetzen, und weil zum anderen angesichts der aufgezeigten Rechtsunsicherheiten völlig unklar ist, ob d. Ast. der erforderliche Nachweis gelingt, d. Ag. habe ihre Pflichten schuldhaft verletzt. Angesichts dieser Überlegungen wird wohl nicht daran festgehalten werden können, dass ein Anordnungsgrund (Abwendung wesentlicher Nachteile durch die begehrte Regelungsanordnung) schon deshalb nicht vorliegt, weil ein Sonderkündigungsrecht noch nicht höchstrichterlich (d.h. offensichtlich) bestätigt worden ist. Auch ist von Bedeutung, dass d. Ag. mit der Versagung einer Kündigungsbestätigung d. Ast. gerade hindert, das Recht auszuüben, eine neue Kasse zu wählen. Auch dürfte angesichts der drohenden endgültigen Rechtsvernichtung zurücktreten müssen, dass das finanzielle Interesse d. Ast. (0,65 % der Beitragsdifferenz für relativ wenige Monate) eher überschaubar erscheint. Insofern wird der Senat an seiner bisher geäußerten Rechtsauffassung (vgl. Beschluss vom 24.05.2004, L 16 B 15/04 KR ER) kaum festhalten können, selbst wenn diese Auffassung bislang von einer Vielzahl anderer Sozialgerichte bundesweit geteilt wird (vgl. nur etwa LSG Berlin, Beschluss vom 24.06.2004, L 15 B 51/04 KR ER; LSG Thüringen, Beschluss vom 02.07.2004, L 6 KR 526/04 ER; SG Reutlingen, Beschluss vom 12.07.2004, S 3 KR 2053/04 ER sowie die mehr als 150 weiteren, von d. Ag. inzwischen benannten Gerichtsbeschlüsse).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG (vgl. zur gesonderten Kostenentscheidung u.a. BSG SozR 3-1500, § 199 SGG Nr. 1, S. 12) und trägt dem Gedanken Rechnung, dass d. Ag. Veranlassung zum Rechtsstreit gegeben hat, die dargestellten Unklarheiten der materiellen Rechtslage nicht zu Lasten der Versicherten gehen können und das vom SG zutreffend bejahte Vollstreckungsinteresse d. Ast. erst im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens durch die o.a. Erklärung d. Ag. entfallen ist.
b) zu L 16 B 87/04 KR ER
Der Antrag d. Ag., die Vollstreckung aus dem Beschluss des SG vom 30.06.2004 auszusetzen, ist unzulässig. Denn der Beschluss enthält lediglich einen feststellenden, der Vollstreckung nicht fähigen Ausspruch ( … er ist berechtigt, der Beigeladenen beizutreten …). Mit der Beschwerde ist die Rechtskraft gehemmt. Einer Aussetzung der Vollziehung bedarf es nicht (vgl. Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 7. Aufl., § 198 RN 3 m.w.N.).
Soweit sich d. Ag. gegen Vollstreckungsmaßnahmen in Form des Ordnungsgeldes wendet, hat sich der Antrag durch die Aussetzung der Vollziehung in Bezug auf den Beschluss des SG vom 21.06.2004 erledigt.
Die Kostenentscheidung folgt ebenfalls aus § 193 SGG und berücksichtigt insbesondere den überflüssigen Antrag.
Diese Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs 2 Satz 3 SGG).
Erstellt am: 16.06.2005
Zuletzt verändert am: 16.06.2005