Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.09.05 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Regelaltersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob Arbeitszeiten der Klägerin im Ghetto Budapest (Ungarn) von November 1944 bis Januar 1945 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen sind.
Die am 00.00.1933 in Budapest geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung. Im Jahre 1967 wanderte sie nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.
Anlässlich ihres im September 1993 bei der Claims Conference eingeleiteten Verfahrens auf Entschädigungsleistungen aus dem Fonds für jüdische Zwangsarbeiter gab die Klägerin in dem Antragsformular vom 23.09.1993 an, sich von Frühling 1944 bis Januar 1945 im Ghetto Budapest aufgehalten zu haben. Zu ihrem Verfolgungsschicksal erklärte sie, sie sei noch zur Schule gegangen, als die deutsche Armee Budapest besetzt habe. Ihren Vater und ihren 20jährigen Bruder habe man gleich nach Kriegsausbruch in ein Zwangsarbeitslager geschickt. Sie sei daraufhin mit ihrer Mutter und ihrem kleineren Bruder allein geblieben. Ihre Mutter, die als Putzfrau habe arbeiten müssen, um Geld zu verdienen, habe sie und ihren Bruder zur Arbeit mitnehmen müssen. Sehr oft hätten sie nichts zu Essen gehabt und gehungert. Kurz nach dem Überfall der Deutschen im Jahre 1944 sei das Ghetto abgesondert und mit Holzwänden abgeriegelt worden. Im Ghetto hätten sie ein Stück Brot von zwanzig Gramm für den ganzen Tag erhalten und sie habe ständig unter Hunger gelitten. Bei ihrer Befreiung am 18.01.1945 sei sie sehr unterernährt und schwach gewesen.
Am 28.10.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). In dem Antragsformular vom 05.05.2003 machte die Klägerin eine Beschäftigung in der Nähwerkstatt im Ghetto Budapest von Mitte Juni 1944 bis zum 18.01.1945 geltend und führte aus, dort fünf bis sechs Stunden täglich gebügelt und Knöpfe genäht zu haben. Als Arbeitsverdienst habe sie "10 Pengö per Woche – min. Taschengeld" erhalten. Dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) habe sie nicht angehört. In dem Fragebogen zum ZRBG vom 31.07.2003 führte sie ergänzend aus, die Schneiderwerkstatt habe sich innerhalb des Ghettos befunden. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei sie von Polizisten bewacht worden. Für ihre Näharbeiten, die sie täglich fünf bis sechs Stunden verrichtet habe, habe sie zusätzliche Lebensmittel und 10 Pengö wöchentlich erhalten. Zeugen für die geltend gemachten Arbeitszeiten könne sie nicht benennen.
Durch Bescheid vom 14.01.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, dass eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin gegenüber der Claims Conference nicht glaubhaft gemacht sei.
Zur Begründung ihres gegen diesen Bescheid am 20.01.2004 eingelegten Widerspruchs gab die Klägerin in einer persönlichen Erklärung vom 08.03.2004 (Bl. 45 RA) an, sie habe trotz ihres schlechten Gesundheitszustandes als schwaches Kind mit Verantwortung alles machen müssen, um ihrer Familie zu helfen, da ihr Vater zuckerkrank gewesen sei und kaum habe Arbeit finden können. Sie habe einen kleineren Bruder gehabt, der auch habe essen wollen und so habe sie vom Judenrat eine Beschäftigung als Helferin in einer Nähwerkstatt erhalten, für die sie 10 Pengö per Woche Taschengeld erhalten habe. Dies sei ein Zusatz zu ihren geringen Einkünften gewesen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 16.09.2004 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Mit ihrer am 27.09.2004 beim Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und durch ihren Prozessbevollmächtigten vorgetragen, für ihre Arbeit im Ghetto Sachbezüge zur beliebigen Verfügung und nicht nur zum sofortigen Verbrauch erhalten zu haben, was z.B. bei Kartoffeln, Zucker, Graupen, Sonnenblumenöl oder Salz auch nicht möglich gewesen sei. Dass sie im Entschädigungsverfahren die nunmehr geltend gemachte Beschäftigung in der Nähwerkstatt nicht erwähnt habe, stehe der Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen. Angaben über eine freiwillige Tätigkeit und Entlohnung seien im Entschädigungsverfahren ohne Bedeutung gewesen und dort auch nicht abgefragt worden.
Mit Urteil vom 15.09.2005 hat das Sozialgericht die Klage unter Hinweis auf die widersprüchlichen Angaben der Klägerin im Entschädigungs- und Rentenverfahren abgewiesen. Dabei könne dahinstehen, ob die Klägerin der behaupteten Beschäftigung im Ghetto Budapest tatsächlich nachgegangen sei. Jedenfalls sprächen ihre Angaben gegenüber der Claims Conference, im Ghetto Budapest täglich nur 20 Gramm Brot erhalten und ständig unter Hunger gelitten zu haben, gegen die Entgeltlichkeit der behaupteten Tätigkeit. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 23.09.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.09.2005 Berufung eingelegt und durch ihren Prozessbevollmächtigten auf ein Gutachten des Prof. Dr. Golczewski über die damaligen Verhältnisse im Generalgouvernement verwiesen. Danach habe es dort – ähnlich wie im Ghetto Lodz – eine Arbeitsverwaltung des Judenrates gegeben. Arbeiten im Ghetto seien damals ein Privileg gewesen und die Bewohner hätten sich selbst bemühen müssen, eine dieser Arbeitsstellen zu erhalten. Der Ertrag der Ghetto-Produktion sei partiell als Lohn ausgeschüttet worden; für einen anderen Teil des Ertrags habe der Judenrat Lebensmittel gekauft und so allgemein das Ghetto versorgt. Nach über 60 Jahren falle es den Antragstellern schwer, sich an Einzelheiten der Entlohnung zu erinnern, zumal die schreckliche Zeit habe verdrängt werden müssen, um überhaupt weiter leben zu können. Sie habe aber jedenfalls die gleiche Entlohnung wie alle anderen jüdischen Arbeiter im Ghetto erhalten. Lebensmittel seien im Übrigen damals wertvoller als Geld gewesen und auch in Deutschland habe eine Lebensmittelrationierung bestanden. Zeugen für ihre Arbeitszeiten könne sie nicht mehr benennen, da diese inzwischen verstorben seien. Sie rege jedoch an, das vom Sozialgericht Hamburg in Auftrag gegebene Gutachten über die damaligen Verhältnisse im Ghetto Budapest abzuwarten.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.09.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2004 zu verurteilen, ihr unter Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit von November 1944 bis Januar 1945 und der Verfolgungszeit als Ersatzzeit ab dem 01.07.1997 Regelaltersrente nach Maßgabe der gsetzlichen Bestimmungen zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit gemäß § 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich zuvor mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt habe.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2004 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht gemäß § 54 Abs.2 SGG in ihren Rechten. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Regelaltersrente hat.
Nach § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Zwar hat die Klägerin das 65. Lebensjahr bereits im November 1998 vollendet. Sie kann jedoch die erforderliche Wartezeit nicht vorweisen. Als anrechnungsfähige Versicherungszeiten kommen insoweit Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs.1 Nr.1, 51 Abs.1 und Abs.4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs.1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetz nur Versicherten, d.h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 250 SGB VI RdNr. 10; Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl., § 250 RdNr. 6; BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).
Die Klägerin hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Gemäß §§ 55 Abs.1, 247 Abs.3 S.1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach § 2 Abs.1 ZRBG gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt und werden als sog. "Ghetto-Beitragszeiten" bei der Anrechnung auf die Wartezeit als Beitragszeiten berücksichtigt. Bei der von der Klägerin behaupteten Beschäftigung im Ghetto Budapest von November 1944 bis Januar 1945 handelt es sich jedoch nicht um eine "Ghetto-Beitragszeit" in diesem Sinne, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 S.1 ZRBG nicht erfüllt sind. Danach erhalten Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) Leistungen nach dem ZRBG, die (1.) sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, und (2.) dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben. Insoweit mag vorliegend dahin stehen, ob § 1 Abs.1 S.1 ZRBG über seinen Wortlaut hinaus voraussetzt, dass der Versicherte in den nach § 17 a Fremdrentengesetz (FRG) bzw. § 20 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) genannten Zeitpunkten dem dSK angehörte und die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit daher vorliegend allein deshalb ausscheidet, weil die Klägerin ihre frühere Zugehörigkeit zum dSK in dem Rentenantragsformular vom 05.05.2003 ausdrücklich verneint hat. Ebenso bedarf die Frage, ob die Klägerin Verfolgte im Sinne des BEG ist, keiner abschließenden Klärung; denn es fehlt vorliegend schon an dem Erfordernis der Ausübung einer aus eigenem Willensenschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt. Dabei kann offen bleiben, ob diese Beschäftigung nachgewiesen oder – in entsprechender Anwendung des § 4 FRG bzw. § 3 WGSVG – lediglich glaubhaft gemacht sein muss; denn die Klägerin hat schon nicht glaubhaft gemacht, in der streitgegenständlichen Zeit eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene, entgeltliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs.1 ZRBG ausgeübt zu haben.
Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 4 Abs.1 FRG, § 3 Abs.1 WGSVG). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss also mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr.4).
Nach der insoweit erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin von November 1944 bis Januar 1945 im Ghetto Budapest einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs.1 ZRBG nachgegangen ist.
Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin tatsächlich in dem streitgegenständlichen Zeitraum in einer Nähwerkstatt im Ghetto Budapest gearbeitet hat, denn schon ihre eigenen Angaben sind insoweit uneinheitlich. So ließ sie die nunmehr geltend gemachte Beschäftigung in der Nähwerkstatt in ihrem im Jahre 1993 eingeleiteten – zeitnäheren – Verfahren auf Entschädigungsleistungen aus dem Fonds für jüdische Zwangsarbeiter gänzlich unerwähnt. Es mag zwar sein, dass freiwillig ausgeübten Beschäftigungen in dem Entschädigungsverfahren keine (anspruchsbegründende) Bedeutung zukam und nach diesen dort auch nicht ausdrücklich gefragt wurde. Es verwundert jedoch, dass die Klägerin gegenüber der Claims Conference die Tätigkeit ihrer Mutter und damit verbundenen Umstände sehr anschaulich schilderte, ohne jedoch ihre eigene Tätigkeit zu erwähnen. Das gilt umso mehr, als die erstmalige Aufnahme einer Tätigkeit für die damals erst 11-jährige Klägerin, insbesondere vor dem Hintergrund des zweiten Weltkriegs und des durch die Deutsche Besatzungsmacht veranlassten Abbruchs der Schulausbildung, ein einschneidendes, auf Dauer prägendes Ereignis war, das eine nachhaltige Fremdgestaltung ihres persönlichen Schicksals darstellte. Darüber hinaus lassen sich die Angaben der Klägerin in ihrer persönlichen Erklärung vom 08.03.2004 nicht ohne weiteres zeitlich mit ihren Schilderungen im Entschädigungsverfahren in Einklang bringen; denn in der genannten persönlichen Erklärung vom 08.03.2004 gab die Klägerin als Grund für ihre Arbeitssuche und -aufnahme (neben der Versorgung ihres kleineren Bruders) an, ihr Vater sei zuckerkrank gewesen und habe kaum Arbeit finden können. Gegenüber der Claims Conference hatte sie im September 1993 hingegen erklärt, ihr Vater sei mit ihrem 20-jährigen Bruder gleich nach Kriegsausbruch in ein Zwangsarbeitslager geschickt worden, und im zeitlichen Zusammenhang damit die Arbeitsaufnahme durch ihre Mutter erwähnt, die sie zur Arbeit mitgenommen habe.
Unabhängig von diesen Ungereimtheiten im Vortrag der Klägerin zu ihrer Tätigkeit im Ghetto Budapest ist jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass es sich dabei um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handelte.
Auch bei Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verrichtet wurden, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt, von nichtversicherungspflichtiger Zwangsarbeit abzugrenzen (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr. 2,3; BSG SozR 3-2200 § 1248 Nr.15, 16, 17). Dabei ist das Vorliegen eines – freien – Beschäftigungsverhältnisses danach zu beurteilen, ob die Beschäftigung aufgrund einer zweiseitigen Vereinbarung aufgenommen wurde und den Austausch wirtschaftlicher Werte (Arbeit gegen Lohn) zum Inhalt hatte. Die Ausübung einer Beschäftigung im Sinne von "Zwangsarbeit” genügt dazu nicht (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr.2 S.6 ff und Nr.3 S.18 ff). Zwangsarbeit ist in Abgrenzung zur versicherungspflichtigen Beschäftigung die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen oder in Zwangsarbeitslagern (vgl. z.B. BSGE 80, 250, 253 = SozR 3-2200 § 1248 Nr.15). Typisch ist dabei insbesondere die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeiten, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Weiter ist charakteristisch für Zwangsarbeit, dass ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an die Arbeiter ausgezahlt wird (vgl. hierzu BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr.12; BSG, Urteil vom 20.02.1975 – 4 RJ 15/74 -; BSG SozR 5070 § 14 Nr.9). Entsprechendes gilt für die Bewachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, dass diese sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (zur Abgrenzung vgl. BSGE 12, 71 = SozR Nr. 18 zu § 537 RVO). Diese Kriterien zeigen, dass eine verrichtete Arbeit sich um so mehr von dem Typus des Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 71/99 R). Diese Grundsätze gelten auch für Rentenansprüche, die – wie hier – auf das ZRBG gestützt werden. Mit § 1 Abs.1 ZRBG, der die Zahlbarmachung einer Rente nur für aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene, gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigungen in einem Ghetto vorsieht, knüpft der Gesetzgeber erkennbar an die von der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 1 Abs.1 S.1 ZRBG als auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/8583, S.1, 5; 14/8602, S.1,5). Danach ist das ZRBG ausdrücklich in Reaktion (und Akzeptanz) der Rechtsprechung des BSG verabschiedet worden, um – entgegen § 272 SGB VI – in vielen Fällen die daraus resultierenden Rentenansprüche in das Ausland erst zahlbar zu machen. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über den von der "Ghetto-Rechtsprechung" begünstigten hinaus ist hingegen ersichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).
Unter Berücksichtigung der Kriterien des BSG zur Abgrenzung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu nichtversicherter Zwangsarbeit ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin im Ghetto Budapest einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen, entgeltlichen Beschäftigung nachgegangen ist.
Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass den von der Klägerin dort ausgeübten Arbeiten ihr freier Willensentschluss zugrunde lag. Zwar hat die Klägerin im Rentenverfahren angegeben, die geltend gemachten Arbeiten in der Nähwerkstatt des Ghettos durch eigene Bemühungen und Vermittlung des Judenrates freiwillig aufgenommen zu haben. Abgesehen davon, dass eine etwaige Zuweisung oder Vermittlung der Arbeit durch den Judenrat allein kaum ausreicht, um die Freiwilligkeit der verrichteten Arbeiten zu bejahen (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R), ist es unter Berücksichtigung ihres übrigen Vorbringens im Rentenverfahren jedenfalls ebenso gut möglich, dass es sich dabei um Arbeiten handelte, die dem Typus der Zwangsarbeit entsprachen, weil sie durch derart hoheitliche Eingriffe überlagert waren, dass sich die Klägerin ihnen nicht entziehen konnte. So spricht insbesondere die in dem Fragebogen zum ZRBG vom 31.07.2003 von der Klägerin selbst angegebene Bewachung auf dem Weg zu ihrer innerhalb des Ghettos gelegenen Arbeitsstätte und auch auf dem Heimweg durch Polizisten gegen die Freiwilligkeit ihrer dortigen Tätigkeit und für Zwangsarbeit.
Unabhängig von den aufgezeigten Zweifeln des Senats an der Freiwilligkeit des Beschäftigungsverhältnisses ist es auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin die behaupteten Arbeiten im Ghetto Budapest gegen Entgelt ausgeübt hat. Wie bereits erwähnt, erfordert das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ein Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt. Zwar ist die Höhe des Entgelts grundsätzlich kein wesentliches Merkmal für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und kann auch in Form von Sachbezügen gewährt werden. Art und Umfang der gewährten Leistungen können aber Anhaltspunkte dafür geben, ob das Entgelt als Bezahlung im Sinne einer Entlohnung der geleisteten Arbeit oder zu anderen Zwecken, wie z.B. nur als "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft” des zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten, gedacht ist. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung haben keinen Entgeltcharakter mehr (BSG; Urteil vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R -). Die bloße Gewährung freien Unterhalts genügt insoweit ebenfalls nicht, als solche Versicherungspflicht begründen zu können, weil sie zur Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes führt (BSG, Urteil vom 07.10.2004, a.a.O.).
Es ist jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin für die behauptete Arbeit in der Nähwerkstatt ein Entgelt erhalten hat, das über die Gewährung freien Unterhalts bzw. allzu geringfügiger Leistungen hinausging. Insoweit mag zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass sie für die geltend gemachte Tätigkeit im Ghetto Budapest wöchentlich 10 Pengö erhielt. Dies stellte jedoch – auch nach den eigenen Angaben der Klägerin – lediglich ein Taschengeld, nicht jedoch eine im Verhältnis zu dem täglichen Arbeitseinsatz von fünf bis sechs Stunden angemessene Gegenleistung dar.
Die von der Klägerin im Renten- und Streitverfahren für ihre Arbeit im Ghetto Budapest als Entlohnung behauptete Verpflegung in Form von zusätzlichen Lebensmitteln (so ihre Angaben im ZRBG-Fragebogen vom 31.07.2003) bzw. Sachbezügen zum beliebigen Verbrauch (so die Angaben ihres Prozessbevollmächtigten im Klageverfahren) genügt ebenfalls nicht, um ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis glaubhaft zu machen. Es mag zwar sein, dass die Klägerin im Zusammenhang mit den von ihr geleisteten Arbeiten Verpflegung erhielt. Dem Sachvortrag der Klägerin, der mangels sonstiger Mittel als alleinige Grundlage zur Beurteilung des für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses wesentlichen Elements der Entgeltlichkeit zur Verfügung steht, lässt sich jedoch nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit entnehmen, dass der Umfang der gewährten Lebensmittel über allzu geringfügige Leistungen bzw. die bloße Gewährung freien Unterhalts hinausging. Zur Gewährung freien Unterhalts gehören Sachbezüge in geringerem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten (vgl. hierzu Etmer, RVO Bd. I, Stand März 1966, § 1228 Anm.4). Gewährte Lebensmittel fallen unter den freien Unterhalt, wenn sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch, nicht hingegen nach vorbestimmten Maße zur beliebigen Verfügung gegeben werden (vgl. RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, Bd. IV- Invalidenversicherung – 2. Auflage, Berlin 1930, § 1227 Anm.2). Aus den Angaben der Klägerin im Rentenverfahren, für ihre Arbeit zusätzliche Lebensmittel erhalten zu haben, lassen sich jedoch weder hinreichend sichere Schlussfolgerungen zum konkreten Umfang, Wert und zu der Menge der Gegenleistungen für die erbrachten Arbeiten ziehen, noch läßt sich in diesen im Sinne einer guten Möglichlichkeit entnehmen, dass die gewährten Lebensmittel über den unmittelbaren Verbrauch hinausgingen. Dies ist im Übrigen auch unter Berücksichtigung der – zeitnäheren – Angaben der Klägerin gegenüber der Claims Conference, im Ghetto Budapest täglich 20 g Brot für den ganzen Tag erhalten und ständig unter Hunger gelitten zu haben, wenig wahrscheinlich.
Weitere Mittel zur Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen, entgeltlichen Beschäftigung im Ghetto Budapest sind nicht ersichtlich und wurden von der Klägerin auch nicht benannt. Insbesondere sind sämtliche Zeugen nach ihren Angaben bereits verstorben.
Anlass, das vom Sozialgericht Hamburg in Auftrag gegebene Gutachten über die Verhältnisse im Ghetto Budapest abzuwarten, besteht nicht; denn für das konkrete Vorliegen eines versicherungspflichtigen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses sind stets die jeweiligen Umstände des Einzelfalles maßgeblich. Diese stehen im Falle der Klägerin jedoch der Annahme einer solchen entgegen (s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Der Zulassung der Revision bedarf es nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 SGG nicht erfüllt sind.
Erstellt am: 13.03.2007
Zuletzt verändert am: 13.03.2007