Die Beschwerde des Sachverständigen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 28.01.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Der Senat entscheidet gemäß § 4 Abs. Abs. 7 Satz 1 2. Halbsatz Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Für den Arbeitsschrift des Aktenstudiums und der vorbereitenden Arbeiten ist ein Zeitanteil von 1 1/2 Stunden zugrunde zu legen.
Gemäß §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) richtet sich die Vergütung des Sachverständigen nach der für die Gutachtenerstellung erforderlichen Zeit. Wie viel Zeit erforderlich ist, hängt nicht von der individuellen Arbeitsweise des Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen. Erforderlich ist derjenige Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt, um sich nach sorgfältigem Studium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehender Überlegung seine gutachtlichen Darlegungen zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen. Dabei ist der Umfang des unterbreiteten Sachstoffs, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Beweisfragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet und die Bedeutung der Sache angemessen zu berücksichtigen (Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 26.07.2007 – 1 BvR 55/07- JurBüro 2008, 44), des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 16.12.2003 – X ZR 206/98 – MDR 2004, 776), des zuständigen Senats des LSG NRW (Beschlüsse vom 13.02.2008 – L 4 B 17/07, vom 24.09.2008 – L 4 B 9/08 und vom 5.8.2011 – L 15 R 425/11 B) sowie der zuständigen Senate anderer Bundesländer (Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 8.10.2012 – L 5 SF 64/11 KO; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.9.2004 – L 12 RJ 3686/04 KO-A; Thüringer LSG, Beschluss vom 1.8.2003 – L 6 SF 220/03).
Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten erfordern es, die Akten sorgfältig durchzuarbeiten und zur Vorbereitung der nachfolgenden gutachterlichen Untersuchung und Anamnese Notizen und ggf. Aktenauszüge zu fertigen. Zu berücksichtigen ist einerseits, dass ein mit der täglichen Durcharbeitung von Gerichtsakten nicht vertrauter Sachverständiger hierfür längere Zeit benötigt als ein in dieser Tätigkeit geübter Richter. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass für den medizinischen Sachverständigen nur bestimmte Aktenteile von Interesse sind, die er herauszusuchen und zu erfassen hat, soweit es für die Beantwortung der Beweisfragen notwendig ist. Die nochmalige Überprüfung des im Schätzungswege zu ermittelnden Zeitaufwandes für Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten führt dazu, dass der Senat von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach der Sachverständige für jeweils 50 Seiten mit ärztlichen Unterlagen durchsetztem Aktenmaterial eine Stunde benötigt, abweicht. Die inzwischen vorhandenen technischen Mittel erlauben bei dem hier zu beurteilenden Arbeitsschritt ein zügigeres Vorgehen als in zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten. So sind etwa Notizen mit modernen technischen Mitteln schneller zu erstellen und besser für die gesondert zu vergütenden übrigen Arbeitsschritte verwertbar als es bei handschriftlichen Notizen in früherer Zeit der Fall war. An Stelle von Exzerpten können Fotokopien erstellt werden.
Die Annahme, dass ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität eine größere Anzahl von Seiten beim Aktenstudium bewältigen kann, wird durch die Rechtsprechung der Kostensenate anderer Bundesländer bestätigt. So legt das Thüringer LSG (Beschluss vom 1.8.2003 – L 6 SF 220/03 – MEDSACH 2004, 102) zugrunde, dass der Sachverständige etwa 80 Blatt mit 1/4 medizinischem Inhalt in einer Stunde bewältigen könne. Bei einem höheren Anteil medizinischer Unterlagen steige der Zeitaufwand. Das LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 31.7.2002 – L 4 SF 6/01 – NZS 2003, 168) geht davon aus, dass das Durcharbeiten von 100 Aktenblättern mit allgemeinem Inhalt eine Stunde erfordert, dass aber für die Durchsicht medizinischer Unterlagen der doppelte Zeitaufwand erforderlich ist. Das Bayerische LSG (Beschluss vom 15.3.2010 – L L 15 SF 36/10 B E) berücksichtigt einen Zeitaufwand von einer Stunde für das Durcharbeiten von 100 Seiten. Das Schleswig-Holsteinische LSG (Beschluss vom 8.12.2012 – L 5 SF 64/11 KO – SchlHA 2012, 476) legt zugrunde, dass der Sachverständige 100 – 150 Blatt je Stunde bewältigen kann. Das LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 22.9.2004 – L 12 RJ 3686/04 KO-A – MedR 2006, 118) erachtet einen Zeitaufwand von einer Stunde für 150 – 200 Aktenblättern für erforderlich. In der Verwaltungspraxis der meisten Bundesländer wird ein Durchschnittswert von 100 Seiten pro Stunde zugrunde gelegt (vgl. dazu die Übersicht bei Widder/Gaidzik, Leistungsgerechte Vergütung nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz? MEDSACH 2005, 127, 129-130, wo dieser Durchschnittswert in den weiteren Ausführungen für realistisch erachtet wird).
Unter Zugrundelegung des dargelegten objektiven Maßstabes zur Ermittlung des erforderlichen Zeitaufwandes sowie aus Gründen der Praktikabilität und der Handhabbarkeit für die Kostenbeamtinnen und Beamten erachtet der Senat nunmehr einen einheitlichen Durchschnittswert von 100 Seiten pro Stunde beim Arbeitsschritt des Aktenstudiums für angemessen, soweit nicht außergewöhnliche Umstände ein Abweichen hiervon gebieten. Angesichts der Bandbreite der in der Rechtsprechung zugrunde gelegten Werte erscheint dieses Vorgehen sachgerecht, indem es dem zugrunde zu legenden objektivierten Maßstab entspricht und sowohl das Interesse des Sachverständigen an einer leistungsgerechten Vergütung als auch das öffentliche Interesse am sparsamen Einsatz öffentlicher Mittel berücksichtigt. Wenn der Sachverständige für die Beurteilung von Fremdröntgenaufnahmen oder sonstiger Dokumentationen bildgebender Verfahren keinen gesonderten Zeitanteil angesetzt hat, muss der Zeitanteil für das Aktenstudium angemessen angehoben werden. Für die Literaturrecherche ist allerdings nur in besonders gelagerten Einzelfällen ein zusätzlicher Zeitanteil in Ansatz zu bringen, da davon auszugehen ist, dass dem Sachverständigen nach dem dargestellten objektivierten Maßstab der Kenntnisstand in der medizinischen Wissenschaft auf seinem Fachgebiet bekannt ist.
Im vorliegenden Fall hatte die Sachverständige insgesamt 144 Seiten Aktenmaterial zu erfassen, sodass hierfür ein Zeitanteil von 1 1/2 Stunden zu berücksichtigen ist. Ergebnisse bildgebender Verfahren waren nicht zu beurteilen.
2. Ob der Zeitaufwand für den Arbeitsschritt der Abfassung der Beurteilung nach dem dargelegten objektivierten Maßstab und nach den im angefochtenen Beschluss aufgeführten Beurteilungskriterien mit 2 Stunden, wie vom Sozialgericht zugrunde gelegt, oder mit 3 Stunden einzuschätzen ist, kann dahinstehen, da eine höhere Vergütung als vom Sozialgericht festgesetzt, auch beim Ansatz von 3 Stunden nicht zustande kommt und das Verbot der reformatio in peius eine weitergehende Kürzung im Beschwerdeverfahren nicht erlaubt. Ein höherer Zeitansatz als 3 Stunden kommt für diesen Arbeitsschritt jedenfalls nicht in Betracht. Insoweit kann auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen werden. Das Sozialgericht hat zu Recht den quantitativen Umfang derjenigen Ausführungen als Kriterium zugrunde gelegt, die unter den Überschriften "Zusammenfassende Beurteilung der Laboruntersuchungen" und "Gutachterliche Stellungnahme und Beantwortung der Beweisfragen" im Gutachten aufgeführt sind.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG, § 4 Abs. 4 S. 2 JVEG).
Erstellt am: 14.05.2013
Zuletzt verändert am: 14.05.2013