Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 07.10.2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der von der Klägerin als Arbeitnehmerin entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 01.01.1994 bis 31.12.1996.
Die am 00.00.1944 geborene Klägerin war von Oktober 1993 bis September 1998 Geschäftsführerin der D-GmbH, an der sie zu 40 % beteiligt war.
Im Oktober 1998 meldete sie sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.12.1998 wegen nicht erfüllter Anwartschaftszeit ab. Sie vertrat die Ansicht, die Tätigkeit als Geschäftsführerin der D GmbH sei keine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne der §§ 25, 123 Sozialgesetzbuch 3. Buch – SGB III – gewesen. Der Widerspruchsbescheid enthielt im Anschluss an die Rechtsbehelfsbelehrung folgenden Hinweis: "Wegen der Erstattung der zu Unrecht geleisteten Beiträge wenden Sie sich bitte an ihre zuständige Krankenkasse als Einzugsstelle."
Gegen die Leistungsablehnung hatte die Klägerin vor dem Sozialgericht in Duisburg – Az. S 1(7) AL 11/99 – Klage erhoben. Im Rahmen dieses Klageverfahrens wies die Beklagte mit Schriftsatz vom 01.08.2001 darauf hin, dass bei einem Erstattungsantrag bezüglich der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum bis 31.12.1996 die Einrede der Verjährung zu erheben wäre gem. § 27 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 4. Buch – SGB IV. Die Klägerin nahm die Klage mit Schriftsatz vom 19.09.2001 zurück.
Im August 2002 beantragte die Klägerin bei der C-kasse die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die den Antrag an die Beklagte weiterleitete. Mit Bescheid vom 15. Januar 2003 stellte die Beklagte fest, dass die zur D-GmbH entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in voller Höhe (6.349,62 DM) zu Unrecht entrichtet worden seien. Ausgehend von einem Erstattungsantrag am 14.08.2002 sei der Erstattungsanspruch für die vor dem 01. Januar 1998 entrichteten Beiträge für die Zeit vom 01.10.1993 bis 31.12.1997 in Höhe von 5.156,97 DM verjährt.
Ausgezahlt wurde ein Betrag in Höhe von 1.192,65 DM. Ein gleichlautender Bescheid vom selben Datum hinsichtlich der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung ging an die D-GmbH.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 15.01.2003 Widerspruch ein, mit dem sie die Auffassung vertrat, Verjährung sei für die Zeit bis 31.12.1997 nicht eingetreten, da sie durchgehend ihre Ansprüche dem Arbeitsamt gegenüber geltend gemacht habe.
Die Beklagte erließ unter dem 28.04.2003 einen Änderungsbesched, mit dem sie zusätzlich die für das Jahr 1997 entrichteten Beiträge in Höhe von 598,21 EUR erstattete. Den Widerspruch im Übrigen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2003 unter Berufung auf § 27 Abs. 2 SGB IV zurück. Ein Erstattungsanspruch verjähre in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Nach den Weisungen der Bundesanstalt werde die Einrede der Verjährung nach pflichtgemäßem Ermessen nur in Fällen einer besonderen Härte nicht erhoben, und zwar dann, wenn die unrechtmäßige Beitragszahlung durch ein fehlerhaftes Handeln der Bundesanstalt, der Einzugsstelle oder eines Trägers der Rentenversicherung nachweislich verursacht worden sei. Eine solche Verursachung liege nicht vor. Nach Angaben des früheren Arbeitgebers habe zwar die LVA S im Juni 1999 eine Betriebsprüfung durchgeführt, jedoch zur Frage der Versicherungspflicht bzw. Arbeitnehmereigenschaft keinerlei Feststellung getroffen. Der Antrag auf Beitragserstattung sei am 13.08.2002 bei der C-kasse eingegangen. Allerdings ergebe sich aus dem anhängig gewesenen Verfahren vor dem Sozialgericht Duisburg, dass bereits im Jahre 1991 (gemeint ist wohl 2001) die Beitragserstattung geltend gemacht worden sei. Demnach unterlägen die Beiträge bis 1996 der Verjährung. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände sei es nicht rechtsmissbräuchlich, wenn die Einrede der Verjährung erhoben werde.
Auch der D-GmbH wurden lediglich Beiträge für die Jahre 1997 und 1998 erstattet. Rechtsmittel der GmbH dagegen blieben erfolglos (Urteile SG Mainz vom 11.08.2005 – Az. S 10 AL 287/03 – und LSG Rheinland-Pfalz vom 01.06.2006 – Az. L 1 AL 226/05 -).
Die Klägerin hat gegen die Entscheidung der Beklagen am 16.09.2003 vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg Klage erhoben, mit der sie nur noch die Erstattung der für die Zeit vom 01.01.1994 bis 31.12.1996 entrichteten Beiträge begehrt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Berufung auf die Verjährungseinrede sei ermessensfehlerhaft. Hilfsweise müsse sie nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so gestellt werden, als habe sie im Jahre 1998 den Antrag auf Beitragserstattung gestellt. Zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung sei sie davon ausgegangen, dass die Beiträge zu Recht entrichtet worden seien, so dass für sie kein Anlass bestanden habe, einen Antrag auf Beitragserstattung zu stellen. Bei dieser Sachlage habe die Beklagte sie darauf hinweisen müssen, dass sie zumindest hilfsweise einen Antrag auf Beitragserstattung stellen könne.
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15.01.2003 und 28.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2003 zu verurteilen, die von ihr für die Zeit vom 01.01.1994 bis zum 31.12.1996 entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ergänzend zum Widerspruchsbescheid ausgeführt, die Klägerin sei im Widerspruchsbescheid – betreffend die Ablehnung von Arbeitslosengeld – auf die Beitragserstattung hingewiesen worden. Da die Klägerin im anschließenden Klageverfahren anwaltlich vertreten gewesen sei, seien die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht gegeben.
Das SG hat durch Urteil vom 07.10.2005 die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die in §§ 351 SGB III i. V. mit § 26 SGB IV normierten Voraussetzungen für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge lägen vor. In dieser Zeit habe keine Arbeitnehmereigenschaft und damit keine Versicherungspflicht der Klägerin im Sinne des § 24 SGB III vorgelegen. Der Anspruch auf Beitragserstattung sei auch nicht verjährt. Die Beklagte könne sich nicht auf § 27 Abs. 2 SGB IV berufen. Die Verjährung sei hier gehemmt. Zwar habe die Klägerin keinen ausdrücklichen Antrag auf Erstattung der zu Unrecht entrichteten Beiträge vor 2002 gestellt, so dass grundsätzlich die bis einschließlich 1997 entrichteten Beiträge verjährt wären. Jedoch hemme jedes schriftlich an die Beklagte herangetragene Leistungsbegehren – wie vorliegend der Antrag auf Arbeitslosengeld vom Oktober 1998 – die Verjährung im Sinne des § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB IV, wenn in diesem Leistungsbegehren nach vernünftiger Auslegung und unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Verjährungsregelungen gleichzeitig ein Antrag auf Beitragserstattung zu sehen sei. Diese Voraussetzungen lägen für all die Beitragsjahre vor, die Auswirkungen auf die Höhe oder die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld haben können, also all die Zeiten, die für die maßgebliche Anwartschaftszeit nach §§ 123, 124 SGB III und die Anspruchsdauer nach § 127 SGB III maßgeblich sein können, hier also die Zeit ab 02.10.1993. Eine solche Auslegung widerspreche nicht dem Zweck der Verjährungsvorschriften, nämlich dem Schuldner die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu erleichtern, zumal die Aufklärung der tatsächlichen Umstände im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß immer schwieriger werde. Im Übrigen wäre die Klage auch nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründet, denn die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, die Klägerin spätestens mit dem Widerspruchsbescheid auf die Möglichkeit hinzuweisen, vorsorglich und hilfsweise einen Antrag auf Beitragserstattung zu stellen. Der im Anschluss an den Widerspruchsbescheid erteilte Hinweis, dass sich die Klägerin wegen der Erstattung der zu Unrecht geleisteten Beiträge an ihre zuständigen Krankenkasse als Einzugsstelle wenden möge, reiche insofern nicht aus. Die Beratung müsse sich auf diejenigen Gestaltungsmöglichkeiten erstrecken, die jeder verständige Sozialleistungsberechtigte mutmaßlich nutzen würde. Durch die Beratung sei dem Berechtigten positiv der Weg aufzuzeigen, auf dem er zu der gesetzlich vorgesehen Leistung gelange. Ein Beratungsbedarf liege im Fall der Versagung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen nicht erfüllter Anwartschaftszeit aufgrund fehlender versicherungspflichtiger Beschäftigung immer vor.
Das Urteil ist der Beklagten am 10.11.2005 zugestellt worden. Am 30.11.2005 hat sie dagegen Berufung eingelegt, mit der sie der Auffassung des SG entgegentritt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass der Antrag auf Arbeitslosengeld vom 02.10.1998 nicht zu einer Hemmung der Verjährung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB IV des Beitragserstattungsanspruchs führe, da dieser einen anderen Rechtscharakter habe. Die Antragstellung der Klägerin sei eine der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Sozialleistung Arbeitslosengeld (§ 323 Abs. 1 SGB III). Die Beitragserstattung sei jedoch keine Sozialleistung, sondern es gehe um die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Leistungen. Ein Leistungsbegehren der Klägerin auf Beitragserstattung habe durch den Antrag auf Arbeitslosengeld nicht vorgelegen. Die Beklagte sei auch nicht daran gehindert die Einrede der Verjährung zu erheben, da keine besondere Härte vorliege. Die zu Unrecht erfolgte Beitragszahlung zur Arbeitslosenversicherung sei nicht auf ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln zurückzuführen. Die Klägerin könne ihr Begehren auch nicht auf einen sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen, denn eine weitergehende Beratungspflicht der Beklagten habe nicht bestanden. Ausgehend vom Empfängerhorizont der Klägerin als Geschäftsführerin einer GmbH (mit beschäftigten Arbeitnehmern!), die zudem im Widerspruchs- und Klageverfahren anwaltlich vertreten wurde, sei der Hinweis auf S. 10 des Widerspruchsbescheides angemessen und ausreichend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 07.10.2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Gerichtsakte des SG Duisburg mit dem Az S 1 (7) AL 11/99 und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat zu Recht die Beklagte verurteilt, der Klägerin ihre für die Zeit vom 01.01.1994 bis 31.12.1996 entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten. Nach § 351 Abs. 2 Nr. 1 SGB III i.V.m. § 26 Abs.2 und 3 Satz 1 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge demjenigen zu erstatten, der die Beiträge getragen hat. Die Voraussetzungen dieses Erstattungsanspruchs sind vorliegend grundsätzlich erfüllt, weil die von der Klägerin entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wegen der fehlenden Versicherungspflicht der Klägerin zu Unrecht entrichtet worden sind. Diese fehlende Versicherungspflicht ergibt sich aus der fehlenden persönlichen Abhängigkeit der Klägerin als Geschäftsführerin mit wesentlichen Anteilen an der GmbH, bei der sie beschäftigt war.
Die Beklagte ist auch nicht berechtigt die Einrede der Verjährung gegenüber dem Anspruch der Klägerin zu erheben. Der Erstattungsanspruch verjährt zwar nach § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Ob und für welchen Zeitraum die Beklagte die Verjährungseinrede erheben will, steht grundsätzlich in ihrem pflichtgemäßen Ermessen (vgl. BSG, 29.07.2003 – B 12 AL 1/02 R -, SozR 4-2400 § 27 Nr 1, Rz 20 ff.). Die Verjährungseinrede ist allerdings unter dem Gesichtspunkt des "venire contra factum proprium", also des aus § 242 BGB abzuleitenden Verbotes, sich widersprüchlich zu verhalten, von vornherein unzulässig (vgl dazu BSG 23.10.1975 – 11 RA 152/74 – BSGE 40, 279 mWN.; zuletzt offen gelassen von BSG, 29.07.2003 – B 12 AL 1/02 R -, SozR 4-2400 § 27 Nr 1, Rz 20 ff.), wenn der Versicherungsträger selbst unrichtige oder unvollständige Auskunft gegeben hatte bzw. sich auf sonstige Weise zu eigenem vorhergehenden Verhalten in Widerspruch setzt (vgl. Rolfs in Gagel, § 351 SGB III Rz. 31).
Vorliegend ist die Verjährungseinrede als unzulässige Rechtsausübung zu werten, weil die Beklagte bereits im Jahre 1998 im Rahmen der Bearbeitung des Antrags der Klägerin auf Bewilligung von Arbeitslosengeld festgestellt hatte, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Beschäftigung in den Jahren 1994 bis 1996 nicht versicherungspflichtig war. Zu diesem Zeitpunkt war eine Verjährung noch nicht eingetreten. Die Beklagte war daher gehalten, ausgehend von ihrer Rechtsauffassung, von Amts wegen ein Erstattungsverfahren einzuleiten, dass die Verjährung unterbrochen hätte. Als Teil der vollziehenden Gewalt ist die Beklagte an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) und von daher nicht berechtigt, zu Unrecht entrichtete Beiträge zu behalten. Da für die Erstattung von Beiträgen kein Antragserfordernis besteht, war die Beklagte auch nicht gehindert von Amts wegen tätig zu werden (vgl. § 18 SGB X). Die Auffassung der Beklagten, dass ihr erst im März 2001 alle Umstände einer Erstattungspflicht bekannt gewesen seien, überzeugt nicht. Hierzu steht im Widerspruch, dass sie ohne weitere Ermittlungen auf den Leistungsantrag der Klägerin unter dem 28.10.1998 einen Ablehnungsbescheid erteilt hat mit der Begründung, die Anwartschaftszeit sei mangels versicherungspflichtiger Beschäftigung nicht erfüllt. Der Eintritt der Verjährung ist folglich auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurückzuführen. Aus diesem Fehlverhalten für die Klägerin nachteilige Rechtsfolgen abzuleiten und sich auf Verjährung zu berufen, ist der Beklagten verwehrt.
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob in dem Antrag auf Arbeitslosengeld stets auch ein – ggf. nur hilfsweise gestellter – Antrag auf Beitragserstattung zu sehen ist, der die Verjährung nach § 27 Abs. 3 S. 2 SGB IV gehemmt hätte. Mit der Beklagten hält der Senat dies für sehr zweifelhaft, weil mit beiden Anträgen gegensätzliche Ziele verfolgt werden und es der Klägerin in der Tat zunächst nur um den Anspruch auf Arbeitslosengeld gegangen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Streitsache grundsätzliche Bedeutung zumisst.
Erstellt am: 28.03.2007
Zuletzt verändert am: 28.03.2007