Die Beschwerde der Antragssteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.03.2013 wird zurückgewiesen. Kosten der Antragsteller sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde ist unbegründet.
Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an die Antragsteller für die Zeit ab dem 01.11.2012. Eine Beschränkung des erstinstanzlich verfolgten Begehrens ist im Beschwerdeverfahren nicht erfolgt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).
A. Für die Zeit ab dem 22.05.2013 Zeitpunkt der Abmeldung der Antragsteller nach Bulgarien ist ein Anordnungsanspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nicht glaubhaft gemacht.
1. Dahinstehen kann, ob die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II seitens der Antragstellerin zu 1) ab dem 22.05.2013 erfüllt sind. Jedenfalls steht ab dem 22.05.20013 einem etwaigen Leistungsanspruch der Leistungsauschluss des § 7 Abs. 4a SGB II entgegen, da sich die Antragstellerin zu 1) ab diesem Zeitpunkt ohne Zustimmung des Antragsgegners außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält.
Ein Leistungsanspruch des Antragstellers zu 2) und der Antragstellerin zu 3) nach § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II für die Zeit ab dem 22.05.2013 scheidet aus, da ihr gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II nicht mehr glaubhaft gemacht ist. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II nimmt nach dem ausdrücklich geäußerten Willen des Gesetzgebers (Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drs 15/1516 S 52) auf den Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes in § 30 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) Bezug und wird wie dieser ausgelegt (z. B. Hackethal in jurisPK SGB II, 3. Aufl. 2012, § 7 Rn 26 f.; Thie/Schoch in LPK-SGB II, 4. Aufl, § 7 Rn 12 f). Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er sich an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend aufhält. Die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist der Aufenthalt, dann sind die damit verbundenen Umständen festzustellen und schließlich ist zu würdigen, ob diese erkennen lassen, dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet nicht nur vorübergehend verweilt, sich also im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält (siehe BSG Urteil vom 31.01.2012 B 13 R 1/12 R -, Rn 24 ff mit einer Zusammenfassung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. § 30 SGB I). Im Hinblick auf die Abmeldung des Antragstellers zu 2) und der Antragstellerin zu 3) beim Einwohnermeldeamt der Beigeladenen nach Bulgarien, ist nach derzeitiger Aktenlage von der Aufgabe eines Aufenthalts in der Bundesrepublik auszugehen. Allein die Bekundung, dass die Familie nach einer Heirat der Antragstellerin zu 1) beabsichtigt, in die Bundesrepublik wieder einzureisen, ist nicht ausreichend, um nur eine zeitweise Unterbrechung des Aufenthalts der beiden Antragsteller in der Bundesrepublik anzunehmen (vgl. hierzu LSG NRW Urteil vom 27.08.2012 L 19 AS 525/12 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
2. Ebenfalls sind die Voraussetzungen für den Bezug von Hilfen zum Lebensunterhalts nach §§ 27, 27a SGB XII für die Zeit ab dem 22.05.2013 nicht gegeben. Ausländern kann nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII ein Anspruch auf Hilfen zum Lebensunterhalt zustehen, wenn sie sich tatsächlich im Inland aufhalten. Die Antragsteller halten sich nicht mehr in der Bundesrepublik auf.
B. Hinsichtlich des Zeitraums vom 01.11.2012 bis zum 22.05.2013 ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.
1. Soweit die Antragsteller die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtschutzes rückwirkend für den Zeitraum vom 01.11.2012 bis zum 08.01.2013, dem Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialgericht, begehren, ist eine Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Regelung wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht erfolgt. In der Regel ist ein Anordnungsgrund nicht gegeben, soweit ein Antragsteller Leistungen für einen im Zeitpunkt der Antragstellung beim erstinstanzlichen Gericht, vorliegend dem 08.01.2013, bereits zurückliegenden Zeitraum begehrt (vgl. LSG NRW Beschluss vom 14.07.2010 – L 19 AS 912/10 B ER). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. noch gegenwärtigen Notlage erforderlich sind. Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit noch in die Gegenwart fortwirkt und infolgedessen eine aktuelle Notlage besteht, kann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden. Gesichtspunkte, die in diesem Einzelfall ein Abweichen von diesem Grundsatz gebieten können, sind nicht ersichtlich. Dies gilt auch für einen etwaigen Leistungsanspruch nach dem SGB XII.
2. Einen Anordnungsgrund hinsichtlich der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II bzw. § 29 SGB XII haben die Antragsteller für die Zeit ab dem 08.01.2013 nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher kann nur bejaht werden, wenn den Antragstellern schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden können. Ein Anordnungsgrund für die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II ist nicht glaubhaft gemacht, weil die Unterkunft der Antragsteller aktuell nicht gefährdet ist. Eine solche Gefährdung ist in der Regel frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage anzunehmen. Nach Erhebung und Zustellung der Räumungsklage bleiben noch zwei Monate Zeit, den Verlust der Wohnung abzuwenden. Nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird die auf Mietrückstände gestützte Kündigung unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruches hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet (z. B. LSG NRW Beschluss vom 29.02.2012 – L 19 AS 2254/11 B ER – m.w.N; siehe auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2007 1 BvR 535/07- , wonach dies im Hinblick auf den gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen verfassungsrechtlich unbedenklich ist; a. A. LSG Bayern Beschluss vom 19.03.2013 – L 16 AS 61/13 B ER -). Im einstweiligen Rechtschutzverfahren sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. noch gegenwärtigen Notlage erforderlich sind. Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit noch in die Gegenwart fortwirkt und infolgedessen eine aktuelle Notlage besteht, kann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden. Gesichtspunkte, die in diesem Einzelfall ein Abweichen von diesem Grundsatz gebieten können, sind nicht ersichtlich. Dies gilt auch für etwaige Ansprüche der Antragsteller auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 29 SGB XII. Nach Aktenlage bestehen zwar seit Februar 2013 Mietrückstände, jedoch hat der Vermieter bislang eine Kündigung nicht ausgesprochen, sondern nur angedroht.
3. Auch hinsichtlich der Gewährung eines Regelbedarfs nach § 20 SGB II oder Hilfen zum Lebensunterhalt im Form des Regelbedarfs nach §§ 27, 27a SGB XII ist für die Zeit vom 08.01. bis zum 22.05.2013 kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllt sind und kein Leistungsausschluss eingreift, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Beschluss vom 07.04.2011 B 9 VG 15/10 B -). Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 22.06.2012 – L 19 AS 845/12 B ER) ist ein Anordnungsgrund i.S.d. Notwendigkeit gerichtlichen Eingreifens in der Regel nur dann glaubhaft gemacht, wenn zuvor vom Antragsteller alle zumutbaren Möglichkeiten der Selbsthilfe ausgeschöpft worden sind, das erstrebte Ziel auch ohne Einschaltung des Gerichts zu erreichen. Zu diesen Möglichkeiten zählt insbesondere die vorherige Kontaktaufnahme mit dem für die begehrte Leistung zuständigen Leistungsträger. Dies ist hinsichtlich möglicher Leistungen nach dem SGB XII im Hinblick auf § 18 Abs. 1 SGB XII um so mehr erforderlich, als hiernach der Zeitpunkt der Kenntniserlangung von dem Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen den frühestmöglichen Zeitpunkt für das Einsetzen der Hilfe nach dem SGB XII darstellt.
Die Antragsteller haben gegen die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II betreffend den Zeitraum vom 01.11.2012 bis zum 05.03.2013 ihre Rechtsschutzmöglichkeiten nicht ausgeschöpft. Vielmehr haben sie den ablehnenden Bescheid vom 11.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2013 materiell bestandskräftig werden lassen, diese sind damit für die Beteiligten und die Gerichte nach § 77 SGG bindend geworden. Auch die zwischenzeitliche Stellung eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X begründet keinen Anordnungsgrund. Im Regelfall ist einem Antragsteller zuzumuten auch im Hinblick auf die Bindungswirkung bestandskräftiger Bescheide im Fall der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X, die Entscheidung über einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X im Verwaltungs- und ggf. in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten (vgl. LSG NRW Beschluss vom 05.04.2013 L 19 AS 529/13 B ER -, LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 05.04.2011 – L 5 AS 342/10 B ER -; LSG Thüringen Beschluss vom 14.09.2011 L 10 AL 434/10 ER -). Deshalb sind in einem solchen Fall besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen. Es ist erforderlich, dass massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden. Solche erheblichen Auswirkungen auf die soziale und wirtschaftliche Existenz der Antragssteller sind nicht glaubhaft gemacht. Auch haben die Antragsteller in der Zeit vom 08.01. bis zum 05.03.2013 bei der Beigeladenen als Sozialhilfeträger nicht vorgesprochen. Damit haben sie nicht alle Möglichkeiten der Selbsthilfe ausgeschöpft.
Hinsichtlich des Zeitraums vom 06.03.2013 bis zum 21.05.2013 ist die Eilbedürftigkeit des Verfahrens durch die Abmeldung der Antragsteller nach Bulgarien entfallen. Zwar haben die Antragsteller im Beschwerdeverfahren ihre Mittellosigkeit durch die Vorlage von Kontenauszügen belegt. Im Hinblick auf die ungewisse Rückkehr in die Bundesrepublik, die die Antragsteller zwar nach ihren Einlassungen nach einer Heirat der Antragstellerin zu 1) beabsichtigen, jedoch noch nicht näher konkretisiert haben, ist es den Antragsteller zuzumuten, ihre Leistungsansprüche nach dem SGB II und dem SGB XII im Hauptsacheverfahren zu klären. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Regelbedarf der Antragsteller teilweise durch den Bezug von Kindergeld in Höhe von 368,00 EUR und durch (substitutionsweise geleistete) Zuwendungen Dritter gedeckt gewesen ist. Die Auskehrung vorläufiger Leistungen an Antragsteller mit ungeklärtem Aufenthalt auch rückwirkend entspricht nicht dem Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 25.06.2013
Zuletzt verändert am: 25.06.2013