Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 02.12.2005 abgeändert und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern bis 31.01.2006 Leistungen nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.
Gründe:
I. Die Antragsteller begehren die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, Leistungen nach Maßgabe des § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu erbringen.
Die 1975 geborene Antragstellerin zu 2) ist die Ehefrau des 1966 geborenen Antragstellers zu 1). Die 1990 geborene Antragstellerin zu 3) sowie der 1993 geborene Antragsteller zu 4) sind deren Kinder. Die Antragsteller sind serbo-montenegrinische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Roma an. Sie befinden sich seit Dezember 1999 in der Bundesrepublik Deutschland. Seit dem 01.01.2005 sind die auch zuvor bereits geduldeten Antragsteller im Besitz einer Duldung nach § 60 a Aufenthaltsgesetz – AufenthG – (vorher § 55 Ausländergesetz).
Vom 04.01.2003 bis 31.10.2005 bezogen die Antragsteller Leistungen im Sinne des § 2 AsylbLG. Mit Ordnungsverfügung vom 19.11.2002 waren die Antragsteller aufgefordert worden, das Bundesgebiet bis zum 05.01.2003 zu verlassen. Die Ordnungsverfügung ist zunächst bestandskräftig geworden. In mehreren Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln wehren sich die Antragsteller gegen eine Vollziehung der ergangenen Ordnungsverfügung (u.a. Az: 23 K 1530/04). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az: 23 L 1625/05) hat der Landrat des Rhein-Sieg-Kreises zugesagt, von einer Vollziehung der gegenüber der Antragstellerin zu 4) ergangenen Ordnungsverfügung bis zur gerichtlichen Entscheidung über den in diesem Verfahren gestellten Aussetzungsantrag abzusehen. Sämtliche Antragsteller machen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wegen in ihrer Heimat nicht gesicherter Krankenbehandlung geltend. Insbesondere die Antragstellerin zu 3) leide an einem chronischen Diabetes mellitus Typ I mit dem Erfordernis der Insulintherapie.
Die zuständige Ausländerbehörde der Kreisverwaltung des Rhein-Sieg-Kreises hat eine Stellungnahme nach § 72 Abs. 2 AufenthG für serbisch-montenegrinische Staatsangehörige eingeholt. Mit Stellungnahme vom 30.08.2005 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Auffassung vertreten, dass die Antragsteller wegen ihrer diversen Erkrankungen in Serbien und Montenegro in ausreichendem Maße behandelt werden könnten. Es sei daher nicht ersichtlich, dass den Ausländern bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Serbien und Montenegro Gefahren im oben dargelegten Sinne drohten.
Mit Bescheid vom 08.11.2005 hat die Antragsgegnerin die den Antragstellern nach den Bestimmungen des § 2 AsylbLG gewährten Leistungen zum 31.10.2005 eingestellt, da sie die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätten. Vom Gesetzgeber sei nicht gewollt, dass alle Ausländer, die sich über 36 Monate in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, einen Anspruch auf besondere Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG hätten. Zwar könne die Erkrankung der Antragstellerin zu 3) gegen Rechtsmissbrauch sprechen. Nach der Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.08.2005 an die zuständige Ausländerbehörde bestünden aber keine Hinderungsgründe für eine Ausreise. Somit sei von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten bezüglich der Dauer des Aufenthalts der Antragsteller auszugehen. Mit Bescheid vom selben Tage wurden den Antragstellern Leistungen nach § 3 AsylbLG und Krankenhilfen nach § 4 AsylbLG ab dem 01.11.2005 gewährt. Den Widerspruch der Antragsteller wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.2006 zurück.
Zur Begründung ihres am 17.11.2005 beim Sozialgericht (SG) Köln anhängig gemachten Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Antragsteller vorgetragen, über die Anträge der Antragsteller auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß §§ 25 Abs. 3, Abs. 5 Aufenthaltsgesetz sei bisher nicht entschieden. Im Übrigen habe der Rhein-Sieg-Kreis gegenüber dem VG Köln zugesagt, von einer Vollziehung der gegenüber den Antragstellern ergangenen Ordnungsverfügungen bis zur gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag abzusehen. Dies stelle ein rechtliches Abschiebungshindernis dar. Der Bescheid vom 08.11.2005 erweise sich als offensichtlich rechtswidrig, da schon eine Anhörung unterblieben sei. Die Versagung von Leistungen nach § 2 AsylbLG führe dazu, dass die Anmeldung gemäß § 264 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Krankenversicherung entfallen sei. Die notwendige Behandlung der schweren chronischen Erkrankung der Antragstellerin zu 3) sei nicht mehr gewährleistet. Zur Glaubhaftmachung haben die Antragsteller ärztliche Bescheinigungen der S-Universität zu C vom 01.04.2003 und 20.01.2005 überreicht sowie ein Gutachten der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 29.08.2005 zur Behandlung einer schwerbehinderten jungen Roma-Frau in Serbien und Montenegro.
Mit Beschluss vom 02.12.2005 hat das SG Köln den Antrag der Antragsteller abgelehnt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es bestehe kein Anordnungsgrund als Ausdruck einer besonderen Eilbedürftigkeit des Begehrens, da die Antragsteller Leistungen nach § 3 AsylbLG bezögen und die medizinische Versorgung der Antragstellerin zu 3) durch Leistungen bei Krankheit gemäß § 4 Abs. 1 AsylbLG sichergestellt sei. Die unterbliebene Anhörung vor Erteilung des Bescheides vom 08.11.2005 sei ggf. im Widerspruchsverfahren heilbar. Es könne daher dahin stehen, ob ein Anordnungsanspruch gegeben sei.
Gegen den ihnen am 05.12.2005 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 16.12.2005 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, den Antragstellern sei ein Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten, da die derzeit bewilligten Leistungen nach § 1 und 3 ff. AsylbLG deutlich geringer seien als die nach § 2 AsylbLG iVm dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass bei Streitigkeiten über die Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes mit einer zeitnahen Hauptsacheentscheidung typischerweise nicht gerechnet werden könne. Nach Ablauf einer Aufenthaltsdauer von 36 Monaten widerspreche es dem Integrationsgedanken des AsylbLG, den Antragstellern Leistungen vorzuenthalten, die ihnen glaubhaft zuständen. Die Zusage der Ausländerbehörde, von einer Vollziehung der gegenüber den Antragstellern ergangenen Ordnungsverfügung bis zu einer Entscheidung über den Aussetzungsantrag im Verfahren Az. 23 L 1625/05 vor dem VG Köln abzusehen, stelle ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG dar. Die Antragsteller beeinflussten die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich. Der Bescheid vom 08.11.2005 sei offensichtlich rechtswidrig und sogar willkürlich.
Die Antragsgegnerin hält den Beschluss des SG Köln für zutreffend. Die Antragsteller erhielten fast 73 % der Regelleistung aufgrund der Vorschrift des § 3 AsylbLG. Zusätzlich würden sowohl die Kosten der Unterkünfte in der bisherigen Höhe übernommen als auch die Ernährungszulage für die Antragstellerin zu 3) in Höhe von monatlich 53,- Euro weiter gezahlt. Daher seien die Lebensverhältnisse der Antragsteller ausreichend gesichert. Die rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts ergebe sich daraus, dass die politische Situation in Serbien und Montenegro nicht derart unsicher sei, dass die Antragsteller nicht freiwillig ausreisen könnten. Zum anderen sei auch von einer ausreichenden Behandelbarkeit der Erkrankungen der Antragsteller, insbesondere der Antragstellerin zu 3), in Serbien-Montenegro auszugehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der der Entscheidung zugrunde liegt.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller, der das SG nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 16.12.2005), ist begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (Sicherungsanordnung, Abs. 2 S. 1), nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht (vgl. Keller im Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86 b RdNr 25 ff.).
Die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).
Dabei sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist dies nicht möglich, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, Neue Juristische Wochenschrift 2005, 927).
Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung kann im vorliegenden Einzelfall nicht deshalb abgelehnt werden, weil ein Anordnungsgrund nicht bestehe. Zwar hat der Senat in einem anderen Verfahren, in dem die Frage, ob ein Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich beeinflusst hatte, mit Blick auf mögliche Ausreisehindernisse schwierig und deshalb durch summarische Prüfungen im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht beantwortbar war, hinsichtlich des Anordnungsgrundes ausgeführt, Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG stellten schon nach der gesetzlichen Wertung jedenfalls eine ausreichende Existenzsicherung dar. Dem könne nicht entgegen gehalten werden, auch die Sozialhilfe nach dem SGB XII sichere bereits einen nicht unterschreitbaren Grundbedarf. Die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG hätten sich schließlich in einer Vielzahl von Fällen als geeignet erwiesen, die notwendige Existenzsicherung für Asylbewerber zur Verfügung zu stellen. Diese Leistungen hielten sich im Übrigen auch im Rahmen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten vom 27.01.2003 (AmtsBl. EU L 31/18, 06.02.2003), die in Art. 13 Abs. 2 S. 1 den Mitgliedsstaaten die Sicherung eines Lebensstandards der Asylbewerber aufgebe, der die Gesundheit und den Lebensunterhalt gewährleiste (vgl. Beschluss des Senats vom 21.12.2005 – L 20 (9) B 37/05 SO ER).
Im hier zu entscheidenden Fall erweist sich nach summarischer Prüfung der Anordnungsanspruch derzeit als glaubhaft gemacht. Dem Hauptsacheverfahren wird vorbehalten bleiben, festzustellen, ob der Anspruch auch unter Berücksichtigung der anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren besteht. Zwischen den Beteiligten ist alleine streitig, ob die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben bzw. selbst beeinflussen. Soweit die Antragsgegnerin diesbezüglich die Rechtsmissbräuchlichkeit darauf stützt, dass die Antragsteller freiwillig ausreisen könnten, ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht erkennbar. Ein solches liegt auch nicht in der Beanspruchung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zur Durchsetzung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG. Zur Auslegung des Begriffs der Rechtsmissbräuchlichkeit verweist der Senat insoweit auf die Gesetzesmaterialien zu § 2 AsylbLG (vgl. BT-Drs. 15/1420, S. 121). Darin heißt es u. a., die Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) solle wie im derzeit geltenden Recht grundsätzlich für alle Fälle des § 1 nach 36 Monaten erfolgen. Ausgenommen seien nur die Fälle, in denen der Ausländer rechtsmissbräuchlich die Dauer seines Aufenthalts (z. B. durch Vernichtung des Passes, Angabe einer falschen Identität) selbst beeinflusst habe. Dies entspreche auch der Intention des Gesetzes, zwischen denjenigen Ausländern zu unterscheiden, die unverschuldet nicht ausreisen könnten und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkämen. Die Antragsteller begründen ihren Wunsch auf ein Verbleiben im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland damit, dass im Falle der Rückkehr nach Serbien-Montenegro insbesondere die Erkrankung der Antragstellerin zu 3) nicht adäquat behandelbar wäre. In der Durchsetzung eines Abschiebeverbots gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG liegt kein von der Rechtsordnung missbilligtes, subjektiv vorwerfbares Verhalten eines Ausländers, das ursächlich für einen tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet war oder ist (vgl. auch OVG Bremen, Beschluss v. 06.09.2005 – S 3 B 199/05). Dass nicht jedes auf Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Verhalten als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, ergibt sich bereits aus den in der Gesetzesbegründung (a.a.O.) aufgeführten Beispielen.
Der Senat geht bei seiner Entscheidung davon aus, dass die Antragsgegnerin bei gleichbleibender Sachlage und nicht rechtskräftigem Abschluss des anhängigen Hauptsacheverfahrens auch über den 31.01.2006 Leistungen im tenorierten Umfang erbringen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 01.02.2006
Zuletzt verändert am: 01.02.2006