Entscheidung durch BSG hat Urteile vom SG und LSG aufgehoben. Klage abgewiesen !
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 15.08.2000 wird zurückgewiesen. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 12.01. und 06.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27.01.2004 verurteilt, dem Kläger einen DM 6760,00 entsprechenden Betrag in Euro zu zahlen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des zweiten Rechtszuges zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung von Kosten für selbst beschaffte Leistungen der häuslichen Krankenpflege.
Der im Juni 1927 geborene Kläger leidet nach Operationen wegen eines Akustikusneurinoms u. a. an rechtsseitigen Lähmungen, Schwindel und Gangataxie. Die Beklagte gewährt ihm als Pflegkasse seit 1995 Leistungen der Pflegestufe III nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Die Pflegesachleistungen werden seit August 1997 von der Ambulanten Krankenpflege des Evangelischen Krankenhauses F (im Folgenden: Pflegedienst) erbracht.
Anfang Juli 1998 verordnete der Arzt für Innere Medizin Dr. N aus F dem Kläger "Bewegungsübungen 4 x täglich, 7 x wöchentlich" wegen Z.n. Akustikusneurinom-OP, Hydrocephalusaresoption mit Ventoimplantat für das 3. Quartal 1998 mit der Begründung, häusliche Krankenpflege sei notwendig, weil das Ziel der ärztlichen Behandlung dadurch gesichert werde (Verordnung vom 03.07.1998). Die Beklagte lehnte die Gewährung der verordneten Leistung ab, weil es sich um Grund- und nicht um Behandlungspflege handele. Deshalb sei die Leistung von der Pflegekasse zu erbringen (Bescheid vom 14.07.1998; Widerspruchsbescheid vom 05.01.1999).
Im Folgenden stellte Dr. N quartalsweise gleichlautende Verordnungen aus; die Beklagte lehnte die Leistung weiter ab (Bescheide vom 26.01.1999, 08.04.1999, 07.07.1999, 12.10.1999, 12.01.2000, 11.04.2000, 06.07.2000, 09.08.2000, 09.10.2000, 11.01.2001, 10.04.2001, 16.07.2001, 18.10.2001, 08.01.2002, 08.04.2002). Die verordneten Bewegungsübungen wurden jeweils mit Hilfe einer Pflegekraft durchgeführt, vom Pflegedienst in Rechnung gestellt und vom Kläger bezahlt.
Mit seiner Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg hat der Kläger Erstattung der Kosten für das 3. Quartal 1998 sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte in Zukunft zur Übernahme der Kosten für die verordneten Bewegungsübungen verpflichtet sei. Bei den "Bewegungsübungen" handele es sich um Leistungen zur Sicherung des ärztlichen Behandlungserfolges. Sie würden durch eine geschulte Krankengymnastin erbracht, die ins Haus komme und mit ihm Gehübungen mache. Es handele sich um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und nicht um solche der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Unter Bezugnahme auf die von ihm bis einschließlich Juni 2000 bezahlten Rechnungen hat der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.1999 und der Bescheide vom 26.01.1999, 08.04.1999, 07.07.1999, 12.10.1999, 12.01.2000, 11.04.2000, 06.07.2000 und 09.08.2000 zu verurteilen, die Kosten der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 01.07.1998 bis 30.06.2000 in Höhe von 36.884,10 DM zu erstatten, bzw. für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2000 zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung weiter für zutreffend gehalten. Es handele sich nach dem mit dem Bundesverband für Ambulante Dienste e. V. geschlossenen Vertrag über häusliche Krankenpflege, häusliche Pflege und Haushaltshilfe gemäß §§ 132, 132 a Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vom 01.05.1998 (im Folgenden: Vertrag) bei den Bewegungsübungen (Mobilisation) um eine Leistung der Grundpflege, deren Übernahme lediglich im Rahmen des § 37 Abs 1 SGB V sowie im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung (PV) vorgesehen sei.
Dr. N hat berichtet, die Gangataxie habe seit 1996 so zugenommen, dass der Kläger sich nur noch mit Hilfe von zwei Personen aufrichten und in der Wohnung habe bewegen können. Mitte 1999 sei eine Besserung eingetreten. Nunmehr sei der Kläger in der Lage, sich mit Hilfe einer Person aufzurichten und das rechte Bein zu heben. Die Bewegungsübungen seien wegen der Gangataxie, der spastischen Hemiparese rechts und der Fallneigung nach vorne verordnet worden (Befundbericht vom 28.12.1999).
Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, weil es sich bei den verordneten Bewegungsübungen um Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs 2 SGB V handele (Urteil vom 15.08.2000).
Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, eine Kostenübernahme komme nicht in Betracht, da Bewegungsübungen als aktivierende Pflege der Grundpflege zuzuordnen seien und somit eine Abrechnung über die PV zu erfolgen habe. Dies ergebe sich auch aus den am 14.05.2000 in Kraft getretenen Richtlinien über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V (im Folgenden: Krankenpflege-RL). Der Pflegedienst habe bereits mehrfach Kosten für Mobilisation zu Lasten der Pflegekasse abgerechnet. Sie gehe deshalb davon aus, dass die 4 x täglich durchgeführten Bewegungsübungen in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Hilfeleistung im Bereich der Grundpflege erbracht würden. Selbst wenn man aber Bewegungsübungen als krankengymnastischen Übungen bewerte, könnten sie nicht als Leistung der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs 2 SGB V übernommen werden, da sowohl die geschlossenen Verträge als auch die Krankenpflege-RL die Übernahme derartiger Leistungen nicht vorsähen. Sie halte die Krankenpflege-RL für bindend. Es werde nicht bestritten, dass die durchgeführten Bewegungsübungen medizinisch durchaus sinnvoll seien. Es werde jedoch keine Möglichkeit gesehen, sie im Rahmen der häuslichen Krankenpflege zu vergüten.
Die Beteiligten haben einvernehmlich bestimmt, der für die Zeit vom 01.10.1998 bis 30.06.2002 noch ausstehende Widerspruchsbescheid solle Gegenstand des laufenden Verfahrens werden. Über den anschließenden Zeitraum haben sie einen Teilvergleich geschlossen. (Erklärungen vom 13.11.2002).
Die Beklagte hat die Widersprüche gegen die versagenden Bescheide für die Zeit vom 01.01.1999 bis zum 30.06.2002 zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 27.01.2004). Die Beteiligten haben ihren Streit auf die Kostenerstattung für das 1. und 3. Quartal 2000 (insgesamt DM 6.760,-) beschränkt und sich wegen der übrigen Zeiträume verglichen.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25.08.2000 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Vertreter des Klägers beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 12.01. und 06.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27.01.2004 zu verurteilen, dem Kläger einen DM 6760,00 entsprechenden Betrag in Euro zu zahlen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Bei den Bewegungsübungen handele es sich ausschließlich um Krankenbehandlung, allerdings nicht um Krankengymnastik. Gründe, weshalb die verordneten Bewegungsübungen nicht unter den Begriff der häuslichen Krankenpflege einzuordnen seien, könne er nicht erkennen.
Der Pflegedienst hat mitgeteilt, dass die Mobilisation zum Tätigkeitsbereich von Krankenpflegekräften gehöre, die beim Kläger diese Übungen auch durchführten. Es handele sich nicht um Physiotherapie (Auskunft vom 07.12.2001). Dr. N hat berichtet, die – ebenfalls verordneten – physiotherapeutischen Maßnahmen führten zu einer gewissen Lockerung der Spastik, so dass Geh- und Bewegungsübungen erst möglich geworden seien. Die Bewegungsübungen dienten der praktischen Übung. Sie seien nur mit zwei Hilfspersonen möglich, und könnten also nicht von der Ehefrau allein durchgeführt werden. Ziel sei die Mobilisation, ohne diese müsste eine weitgehende Bettlägerigkeit mit Komplikationen wie Thrombose, Dekubitusbildung und Infektionen wie Pneumonien in Kauf genommen werden. Außerdem gelte es, Kontrakturen weitgehend zu verhindern (Bericht vom 06.12.2001). Der Sachverständige Prof. Dr. T, Chefarzt der Inneren Abteilung des St. N Krankenhauses S, hat ausgeführt, nur durch die gezielten und regelmäßigen Bewegungsübungen seien die Gehfähigkeit zu erhalten und Kontrakturen oder Liegegeschwüre zu vermeiden. Die Mobilisationsübungen seien dringend erforderlich. Die tägliche Mobilisation unterstütze und ermögliche erst eine effiziente Krankengymnastik. Für die Mobilisationsübungen erforderlich sei ein Wissen über die bestehende Erkrankung und die daraus resultierenden Folgen, Lagerungshilfen sowie Kenntnisse von kinesthetischen Handgriffen zur eigenen Schonung. Da solche Erfahrungen auch durch die Ausbildung zur Krankenschwester bzw. zum Krankenpfleger erlernt und gezielt unterrichtet würden, reiche diese Qualifikation aus (Gutachten vom Juni 2003).
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss, § 91 SGB V in der seit dem 01.01.2004 geltenden Fassung) hat gemeint, besondere Bewegungsübungen seien Teil der physikalischen Therapie, wie sie in den Heilmittel-Richtlinien (Heilmittel-RL) geregelt sei. Dagegen regelten die Krankenpflege-RL nur den Umfang der Behandlungspflege, soweit sie "in üblicher Weise" an Pflegekräfte delegiert werden könne (Stellungnahme vom 13.09.2002). Die Richtlinien konkretisierten den Anspruch des Versicherten nach § 37 SGB V, bestimmen jedoch nicht abschließend die Ansprüche des Versicherten, der sich in häuslicher Krankenpflege befindet. Ordnungsgemäße Leistungserbringung durch Pflegekräfte sei für die streitgegenständlichen Bewegungsübungen nicht gewährleistet, insoweit bedürfe es wie bei der Physiotherapie der Qualifikation eines besonders dafür ausgebildeten Therapeuten.
Deshalb handele es sich um Heilmittel (Stellungnahme vom 18.12.2002). Aus der Regelungssystematik der Richtlinien ergebe sich somit schlüssig, dass die streitgegenständlichen Leistungen nicht gesondert verordnungsfähig seien. Ihre isolierte Verordnung löse damit keine Verpflichtung zur Kostenerstattung aus. Es entstehe keine Versorgungslücke, da gezielte krankengymnastische Übungen nach den Heilmittel-RL zu erbringen seien und Bewegungsübungen der streitgegenständlichen Art jeweils Bestandteil der verordneten Pflegeleistungen seien (Stellungnahme vom 08.09.2003).
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens sind (nur noch) die Bescheide vom 12.01. und 06.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2004 (vgl § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Denn die Beteiligten haben den Streitgegenstand einvernehmlich auf die Erstattung der vom Kläger für das 1. und 3. Quartal 2000 aufgewandten Kosten beschränkt.
Die Bescheide vom 12.01. und 06.07.2000 sind im Wege der gewillkürten Klageänderung Gegenstand des Verfahrens geworden, §§ 153 Abs 1, 99 Abs 1 SGG. Denn die Beteiligten haben einvernehmlich erklärt, dass sie die darin geregelten Zeiträume – und damit auch die Bescheide selbst – zum Gegenstand des Verfahrens machen wollen. Es kann offen bleiben, ob die so zulässig geänderte Klage auch selbst zulässig ist, wenn kein Vorverfahren durchgeführt wurde (so BSGE 78, 98ff = SozR 3-2500 § 87 Nr. 12 S 33 ff, 38 f und BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 12 S 71 ff, 75 f; kritisch BSG § 90, 143ff = SozR 3-2500 § 37 Nr. 5). Denn die Beklagte hat das noch fehlende Widerspruchsverfahren wirksam nachgeholt, nachdem der Senat ihr dazu Gelegenheit geboten hatte (vgl BSG aaO; Meyer-Ladewig. SGG. Kommentar. 7. Auflage 2002, § 99 Rdnr. 10a mwN), und – auch – die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 12.01. und 06.07.2000 zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 27.01.2004). Dieser Widerspruchsbescheid ist Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, §§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 SGG. Obwohl die streitigen Zeiträume vollständig vom angefochtenen Urteil umfasst sind, kann der Senat sich nicht auf die Zurückweisung der Berufung beschränken, sondern muss außerdem den Widerspruchsbescheid vom 27.01.2004, gegen den in der Berufungsinstanz kraft Gesetzes eine zweitinstanzliche Klage anhängig geworden ist, entsprechend abändern. Deshalb ist im Urteilstenor der entsprechende Ausspruch des Sozialgerichts klarstellend wiederholt, auf der Grundlage des nunmehr gestellten bestimmten Klageantrags (vgl dazu BSGE 83, 254, 263= SozR 3-2500 § 37 Nr 1) präzisiert und ergänzt worden.
Im Ergebnis zu Recht hat das SG entschieden, dass der Kläger durch die ablehnende Verwaltungsentscheidung beschwert ist, weil diese den Leistungsanspruch rechtswidrig für die streitigen Zeiträume abgelehnt hat, § 54 Abs 2 SGG. Die Beklagte hat es zu Unrecht versagt, dem Kläger die ärztlich verordneten "Bewegungsübungen 4 mal täglich, 7 mal wöchentlich" als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren. Da der Kläger sich diese Leistung wegen der Ablehnung der Beklagten selbst verschaffen musste, steht ihm insoweit ein Anspruch auf Erstattung der von ihm aufgewendeten notwendigen Kosten i. H. v. 6.700,- DM, entsprechend 3.456,33 Euro zu, § 13 Abs 3 SGB V.
Nach § 13 Abs 1 SGB V (in der bis zur Änderung durch das Gesetz vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046 geltenden Fassung) darf die Krankenkasse – an Stelle der regelmäßig gebotenen Sach- oder Dienstleistung – Kosten der Versicherten nur erstatten, soweit dies im SGB V vorgesehen ist. Nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse, soweit sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für eine selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Beklagte hat sowohl für das erste als auch für das dritte Quartal 2000 die Leistung zu Unrecht abgelehnt. Der entsprechende Sachleistungsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V; daran haben auch die im Mai 2000 in Kraft getretenen Krankenpflege-RL nichts geändert.
Gemäß § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V (Gesetz vom 21.12.1992 Art 1 Nr 14 a, BGBl I 2266) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. häusliche Krankenpflege (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB V idFd Art 2 Nr 1 G v 16.06.1998, BGBl I 1311). Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege betrifft u. a. die Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB V (Abs 2 idFd Art 4 Nr 2 b G v. 26.05.1994, BGBl I 1014)).
Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Satz 1). Die Satzung kann bestimmen, dass die Krankenkasse zusätzlich zur Behandlungspflege nach Satz 1 als häusliche Krankenpflege auch Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erbringt (Satz 2). Die Satzung kann dabei Dauer und Umfang der Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung nach Satz 2 bestimmen (Satz 3). Leistungen nach den Sätzen 2 und 3 sind nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit im Sinne des Elften Buches nicht zulässig (Satz 4).
Bei den verordneten Bewegungsübungen handelt es sich auch um eine Maßnahme der Behandlungspflege iS des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V und nicht – wie die Beklagte und der Gemeinsame Ausschuss offenbar meinen – um Grundpflege nach dem SGB XI oder Heilmittel iS des § 32 SGB V.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG gehören zur Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern (vgl BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 2; BSGE 89, 50, 52 = SozR 3-3300 § 12 Nr 1 S 3 für künstliche Beatmung; BSGE 82, 27, 30 f = SozR 3-3300 § 14 Nr 2 S 4 f für Insulininjektionen). Bei den Bewegungsübungen handelt es sich um Pflegemaßnahmen, die speziell auf dem Krankheitszustand des Klägers ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Verschlimmerung der Krankheit zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern. Sie dienen als Teil eines umfassenden Therapiekonzepts der Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung der Grunderkrankung des Klägers. Das haben Dr. N und Prof. T im Einzelnen dargelegt, wenn sie ausführen, ohne die Mobilisation sei eine weitgehende Bettlägerigkeit mit Komplikationen wie Thrombosen, Ausbildung von Liegegeschwüren und Infektionen wie Pneumonien zu erwarten (Dr. N) bzw. nur durch gezielte und regelmäßige Bewegungsübungen seien Kontrakturen und Liegegeschwüre zu verhindern, ohne dieses Konzept wäre der Kläger nach kurzer Zeit dauerhaft an das Bett gebunden (Prof. T).
Die medizinische Notwendigkeit der regelmäßigen Bewegungsübungen ist nicht ernstlich zweifelhaft. Sowohl der behandelnde Arzt Dr. N als auch der gerichtliche Sachverständige Prof. T haben dies nachvollziehbar dargelegt. Die Bewegungsübungen dienen danach als praktische Übungen zur Mobilisation, ohne sie müsste eine weitgehende Bettlägerigkeit mit weiteren gesundheitlichen Komplikationen in Kauf genommen werden (Dr. N). Nur durch gezielte und regelmäßige Bewegungsübungen ist die Aufrechterhaltung der Gehfähigkeit zu erreichen. Die konsequente Durchführung der Übungen ist dringend erforderlich, ohne sie wäre der Kläger dauerhaft ans Bett gebunden (Prof. T). Auch die Beklagte hat die Bewegungsübungen medizinisch für sinnvoll gehalten.
Der Anspruch ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei den Bewegungsübungen um Pflegemaßnahmen handelte, die der Grundpflege iS der PV zuzuordnen und dort bereits als den Pflegeaufwand erhöhend zu berücksichtigen sind (Erfüllung oder § 37 Abs 2 Sätze 2 bis 4 SGB V). Der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege ist zwar grundsätzlich nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Betroffene iS der §§ 14, 15 SGB XI pflegebedürftig ist und zugleich Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen PV erhält. Der Anspruch eines Pflegebedürftigen auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege ist allerdings ausgeschlossen, wenn die benötigten Maßnahmen der Behandlungspflege bereits bei den Leistungen der PV berücksichtigt worden sind. Insoweit scheidet ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung der Krankenversicherung aus, weil es an der Notwendigkeit einer gesonderten Leistung der Krankenversicherung iS von § 12 Abs 1 SGB V fehlt (BSG USK 2001-84; BSG SozR 3-2500 § 37 Nr 3; BSG SozR-3300 § 14 Nrn 9 und 11; BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2; BSGE 82, 276 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7). Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor. Die verordneten Bewegungsübungen sind nicht als Pflegeleistungen iS der sog. aktivierenden Pflege im Rahmen der in § 14 Abs 4 Nr 3 genannten Grundverrichtung "Gehen" zu berücksichtigen.
Wenn die Hilfeleistung iS von § 37 SGB V mit einer der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen der Grundpflege untrennbar verbunden ist oder im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer Verrichtung durchgeführt werden muss, erhöht sie den Bedarf an Grundpflege iS von § 15 Abs 3 SGB XI (zB verneint bei der Reinigung der Atemwege: BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 11 mwN; bejaht bei besonderen Bädern mit anschließender Hautbehandlung wegen Neurodermitis: BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 9). Die Begleitung eines Pflegebedürftigen zum Arzt, weil jener dabei nicht alleine gelassen werden kann, gehört nach diesen Maßstäben unter dem Gesichtspunkt des Verlassens der Wohnung zwecks Aufrechterhaltung der Lebensführung zur Grundpflege (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 6). Auch das An- und Ausziehen von ärztlich verordneten Stützstrümpfen ist zwar Teil der ärztlichen Therapie, muss aber trotzdem der Grundpflege zugerechnet werden, weil es objektiv mit einer der Katalogverrichtungen des § 14 Abs 4 SGB XI zusammenhängt (BSG SozR 3-2500 § 37 Nr 3; vgl jetzt aber § 37 Abs 2 Satz 1 2. Halbsatz SGB V in der seit dem 01.01.2004 geltenden Fassung). Andererseits ist die Begleitung auf ärztlich empfohlenen Spaziergängen, die sich ebenfalls als Teil der ärztlichen Therapie darstellen, als Behandlungspflege anzusehen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 16 S 102 f). Bei dem zweiten Kriterium, dem objektiven zeitlichen Zusammenhang, reicht es zwar schon aus, dass nach objektiven Kriterien, insbesondere medizinischen Erfordernissen, eine gleichzeitige Durchführung von Grundverrichtung und medizinischer Hilfeleistung erforderlich ist. Ausgeschlossen wird aber die Einbeziehung solcher Behandlungspflegemaßnahmen, die lediglich aus praktischen Gründen vom Betroffenen bzw seinen Pflegepersonen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Verrichtung der Grundpflege durchgeführt werden (vgl insbesondere BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 11; SozR 3-2500 § 37 Nr 3). Der erforderliche zeitliche und sachliche Zusammenhang mit einer Verrichtung kann nicht allein mit einer entsprechenden Pflegepraxis im konkreten Fall begründet werden (Abgrenzung zu BSGE 82, 276 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7 in SozR 3-3300 § 14 Nr 11). Es reicht jedoch aus, wenn medizinische Gründe für einen zeitlichen Zusammenhang sprechen, um diesen Zusammenhang anzunehmen und die Hilfeleistung der Grundpflege zuzuordnen.
Die Bewegungsübungen sind nicht zeitlich notwendig mit der – hier einzig in Betracht kommenden – Katalogverrichtung "Gehen" verbunden und stehen nicht objektiv notwendigerweise mit dieser in einem untrennbaren zeitlichen Zusammenhang. Das entspricht der Rechtsprechung des BSG in seiner – eine Entscheidung des erkennenden Senats bestätigenden – Entscheidung vom 10.10.2000 (Az B 3 P 15/99 R = SozR 3-3300 § 14 Nr 16 = Breithaupt 2001, 336ff). Die Hilfe bei den Bewegungsübungen betrifft nicht das Gehen iS des § 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI. Ein Hilfebedarf bei der Verrichtung "Gehen" kann nur dann berücksichtigt werden, wenn es sich um das Gehen im Zusammenhang mit einer der anderen in § 14 Abs 4 SGB XI genannten häuslichen Verrichtungen handelt (BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn 5, 6, 8 und 10). Das ist aber bei den Mobilisierungsübungen nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich hierbei um Hilfestellungen bei Maßnahmen, die vorrangig dem Ziel dienen, zur selbständigen Lebensführung notwendige Fähigkeiten zu erhalten oder wiederzugewinnen und damit den Pflegeaufwand in späteren Lebensabschnitten zu vermeiden oder geringer zu halten (vgl BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn 5, 6, 8 und 10). Die täglichen Bewegungsübungen sind eine ärztlich verordnete, empfohlene Ergänzung der ärztlichen Behandlung der Grunderkrankung, ohne im Zusammenhang mit anderen in § 14 Abs 4 SGB XI genannten häuslichen Verrichtungen zu stehen. Sie dienen dem weiteren Erhalt der Mobilität, der Verhütung einer Verschlimmerung (Liegegeschwüre, Kontrakturen) und letztlich auch einem Verbleib in der Wohnung, damit der Vorbeugung von Krankenhausaufenthalt bzw Heimunterbringung. Maßnahmen, die therapeutischen Zielen in der Zukunft dienen, fallen aber nicht in den Risikobereich der PV (BSG USK 2001-84; BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn 9 und 10).
Aus dem Gesagten ergibt sich mit hinlänglicher Deutlichkeit, dass die Bewegungsübungen auch nicht dem Begriff der Heilmittel – insbesondere nicht der Bewegungstherapie -iS von § 32 Abs 1 SGB V unterfallen. Heilmittel iS dieser Vorschrift sind alle ärztlich verordneten Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 39; BSGE 86, 223 ff = SozR 3-2500 § 138 Nr 1). Wer zuzulassender Leistungserbringer in diesem Sinne ist, regelt § 124 SGB V (Abs 1 und 2). Bewegungsübungen sind schon deshalb keine Heilmittel, weil sie gerade nicht nur durch zugelassene Leistungserbringer iS von § 124 SGB V erbracht werden dürfen. Der Sachverständige Prof. T hat nachvollziehbar verdeutlicht, dass die Bewegungsübungen neben den von Dr. N ebenfalls verordneten physiotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen (Bewegungstherapie iS der für den streitigen Zeitraum noch maßgeblichen Heil- und Hilfsmittelrichtlinien idF vom 25.05.1994, BAnz Nr 160) im Rahmen des therapeutischen Gesamtkonzepts eigenständige Bedeutung haben. Die tägliche Mobilisation unterstützt und ermöglicht erst eine effiziente Krankengymnastik. Nur durch die tägliche motorische Aktivität kann der Kläger überhaupt von der krankengymnastischen Behandlung profitieren. Damit steht in Einklang, dass die Bewegungsübungen von einer geschulten Pflegekraft ohne physiotherapeutische Behandlung durchgeführt werden können; der besonderen Qualifikation eines ausgebildeten Physiotherapeuten, wie er insoweit als Leistungserbringer für Leistungen nach § 32 Abs 1 SGB V einzig in Betracht kommt, bedarf es gerade nicht. Dies bestätigt auch die Auskunft des Pflegedienstes vom 07.12.2001. Wenn die Beklagte vorträgt, der Pflegedienst habe gegenüber der Pflegekasse in der Vergangenheit bereits solche Maßnahmen abgerechnet, ist dies ohne Belang. Denn nach dem zuvor Gesagten bestand eine entsprechende rechtliche Verpflichtung gerade nicht.
Auch der Ausschlussgrund des § 37 Abs 3 SGB V kommt ersichtlich nicht in Betracht. Nach § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Zweifel daran, dass die Ehefrau des Klägers allein nicht in der Lage war, die Hilfe bei den verordneten Bewegungsübungen zu bewerkstelligen, verbleiben schon angesichts ihres hohen Alters und der Schwere der Erkrankung des Klägers nicht. Im Übrigen bedarf es – wie dargelegt – der Unterstützung durch eine geschulte Pflegekraft.
An dem Gesamtergebnis ändert sich – für das 3. Quartal 2000 – durch die zwischenzeitlich am 14.05. 2000 in Kraft getretenen Krankenpflege-RL nichts. Insbesondere ist im rechtlichen Ergebnis ohne Bedeutung, dass im dortigen Verzeichnis von Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege "Bewegungsübungen" nicht aufgeführt sind. Die Krankenpflegerichtlinien schließen es nicht aus, die Bewegungsübungen der Klägerin als Sachleistung zu gewähren.
Die Krankenpflegerichtlinien haben die Aufgabe, die ärztliche Versorgung zu sichern. Nach § 92 Abs 1 Satz 1 SGB V beschließen die Bundesausschüsse die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie. § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V (idF von Art 1 Nr 39 Buchstabe a) Gesetz vom 22.12.1999, BGBl I 2626) bestimmt:"Sie sollen insbesondere Richtlinien beschließen über die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie.". Nach § 92 Abs 7 SGB V (vgl Art 1 Nr 33 Buchstabe e) nach Maßgabe des Art 17 Gesetz vom 23.06.1997, BGBl I 1520) sind in den Richtlinien nach Absatz 1 Satz 2 Nr 6 insbesondere zu regeln 1. die Verordnung der häuslichen Krankenpflege und deren Zielsetzung und 2. Inhalt und Umfang der Zusammenarbeit des verordnenden Vertragsarztes mit dem jeweiligen Leistungserbringer und dem Krankenhaus (Satz 1).
Vor der Entscheidung des Bundesausschusses über die Richtlinien zur Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach Absatz 1 Satz 2 Nr 6 ist den in § 132 a Abs 1 Satz 1 genannten Leistungserbringern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen (Satz 2). Gemäß § 92 Abs 8 SGB V (idF des Art 1 Nr 48 Buchstabe d) Gesetz vom 21.12.1992, BGBl I 2266; früher: Abs 7) sind die Richtlinien der Bundesausschüsse Bestandteil der Bundesmantelverträge. Die Delegation von Normsetzungsbefugnissen an die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen zur Verwirklichung der in § 92 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele ist verfassungsrechtlich zulässig (vgl z. B. BSGE 85, 132 ff = SozR 3-2500 § 27 Nr 12; E 81, 73, 81 ff = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 S 56 ff). Allerdings ermächtigt § 92 SGB V (id 2000 geltenden Fassung) die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen nicht, Richtlinien im Widerspruch zu ranghöherem Recht zu erlassen. So waren nach der bis zum Inkrafttreten des GMG geltenden Rechtslage Verordnungsverbote in Richtlinien bei Heilmitteln von dieser Ermächtigung deshalb nicht gedeckt, weil das Gesetz hierzu in § 34 Abs 4 und 5 SGB V eine anderweitige, abschließende Regelung getroffen hatte (vgl. BSGE 85, 132 ff = SozR 3-2500 § 27 Nr 12; seit d. 01.01.2004 vgl aber § 34 Abs 3 Satz 5 SGB V idF des Gesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190). Die Richtlinien der Bundesausschüsse stehen als Bestandteile der Bundesmantelverträge (§ 92 Abs 8 SGB V, aaO) im Rang unterhalb des Bundesgesetzesrechts. Ihre Aufgabe ist es nicht, Ansprüche, die das Gesetz dem Versicherten gibt, zu beseitigen, sondern diese Ansprüche gesetzeskonform so zu konkretisieren, dass die ärztliche Versorgung gesichert ist.
Ausgehend von dieser Funktion haben die Krankenpflegerichtlinien (RiL) Bewegungsübungen nicht etwa als nicht ausreichend, nicht zweckmäßig oder nicht wirtschaftlich von der Versorgung der Versicherten auszuschließen gesucht. Nachdem die erste Entwurfsfassung der Krankenpflege-RL aus 10/1999 die Einschränkung enthielt, dass Prophylaxeleistungen jeweils Bestandteil der verordneten Pflegeleistungen sind, wenn diese im "inhaltlichen Zusammenhang" stehen, hat dies das Bundesministerium für Gesundheit beanstandet, um zu einer umfassenden Bestimmung des Versichertenanspruchs zu gelangen (vgl. dazu "Informationen zu den Richtlinien zur Verordnung häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V", http://www.bmgesundheit.de). Hierzu bestimmt die Eingangsfloskel zu "Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung, … Hilfen bei der Mobilität sind Bestandteil der verordneten Leistungen in dem Umfang, wie sie zur Wirksamkeit notwendig sind, auch wenn die Häufigkeit, in der sie nach Maßgabe der individuellen Pflegesituation erbracht werden müssen, von der Frequenz der verordneten Pflegeleistungen "abweichen" (richtig: abweicht). Dementsprechend erhalten die Positionen Nr. 2 – 4 jeweils den Zusatz " gegebenenfalls einschließlich … Mobilität, Hilfe zur Verbesserung der (im Rahmen der aktivierenden Pflege z. B.: … allgemeine Bewegungsübungen)." Nach den "Informationen …" (aaO) des BMG bedarf es einer sachgerechten Vergütungsregelgung, um die Bestimmung umzusetzen. Auch beim Katalog der "Leistungen der Behandlungspflege" ist eine entsprechende Einleitungsfloskel (" … Hilfen bei der Mobilität") normiert, nicht aber ein entsprechender Zusatz bei den Leistungspositionen (Positionen Nrn. 6 – 31). Nach I. Grundlagen 3. der Krankenpflege-RL sind die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege dem der Richtlinie angefügten Leistungsverzeichnis (Anlage) zu entnehmen. Dort nicht aufgeführte Maßnahmen, insbesondere solche der ärztlichen Diagnostik und Therapie (z B venöse Blutentnahme, intravenöse Injektionen), sind nicht als häusliche Krankenpflege verordnungsfähig und dürfen von der Krankenkasse nicht genehmigt werden. Insgesamt gehen danach die Krankenpflege-RL davon aus, dass Bewegungsübungen der fraglichen Art zu den Leistungen der Grundpflege gehören, nicht aber zu den Leistungen der Behandlungspflege. Keiner der Leistungspositionen der Behandlungspflege lassen sich die Mobilitätsübungen zuordnen.
Soweit die Krankenpflege-RL damit Mobilitätsübungen umfassend gewährleisten wollen, aber sie auch dann dem Bereich der Grundpflege zuordnen, wenn sie nicht mit Grundverrichtungen im o. g. Sinne in innerem Zusammenhang stehen, steht dies nicht in Einklang mit dem Leistungsanspruch aus § 37 SGB V und dessen Abgrenzungen zum Anspruch auf Grundpflege nach dem SGB XI (vgl. dazu oben). Die gewollt umfassende Gewährleistung des Anspruchs aus § 37 SGB V ist tatsächlich in den Krankenpflege-RL nur lückenhaft umgesetzt. Die Regelungslücke ist in einem solchen Falle unter Rückgriff auf die ranghöhere Norm des § 37 Abs 2 SGB V zu schließen. Nichts anderes gilt, versteht man die Regelung der Bewegungsübungen in den Krankenpflege-RL als den Versuch, Mobilitätshilfen aus dem Bereich der Behandlungssicherungspflege entgegen der Konzeption von § 37 SGB V und SGB XI (vgl dazu oben) in den Bereich der Grundpflege zu verschieben. Die Krankenpflege-RL ist mithin dahingehend zu ergänzen, dass Bewegungsübungen i. S. v. § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V, die nicht zum Bereich der Grundpflege gehören, als verordnungsfähige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege anzusehen sind.
Schließlich ergibt sich etwas Anderes auch nicht aus der Anlage zum Vertrag vom 01.05.1998, der verbindliche Regelungen für das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Pflegedienst als zugelassenem Leistungserbringer enthält. Denn es kann nicht davon ausgegangenen werden, dass die Beklagte die Versorgung des Klägers dadurch in dem Sinne sicher gestellt hat, dass der Pflegedienst ihr gegenüber verpflichtet ist, die streitigen Leistungen an ihre Versicherten kostenlos zu erbringen. In der Leistungsbeschreibung ist "umfassend aufgezählt"( I. 2. Absatz Satz 1), welche Leistungen der häuslichen Krankenpflege der Pflegedienst zu erbringen hat. Mobilitätsübungen sind darin nur als Maßnahmen der Grundpflege aufgeführt (II. 1.4 und 1.5). Darum geht es hier aber – wie ausgeführt – nicht. Zwar sind "Bewegungsübungen" bei der Behandlungspflege (II. 2.) nicht ausdrücklich genannt. Daraus kann aber nicht auf einen Verpflichtungswillen dahingehend geschlossen werden, dass solche Leistungen im Rahmen der Behandlungspflege kostenlos zu erbringen sind. Vielmehr erhellt daraus, dass die Vertragsparteien an derartige Leistungen als Leistungen der Behandlungspflege nicht gedacht haben, es insoweit also an einer vertraglichen Regelung fehlt. Die umfassende Aufzählung umfasst alle Leistungen, die die Vertragsparteien beim Vertragsabschluss bedacht haben. Von einer abschließenden Aufzählung ist gerade nicht die Rede. Ob wegen der weitgehenden Deckungsgleichheit der Begriffe "Grundpflege" in § 37 SGB V einerseits und nach dem SGB XI andererseits (vgl § 37 Abs 2 Satz 4 SGB V) eine Vertragsanpassung geboten ist, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Ausführungen (vgl dazu BSGE 83, 254ff = SozR 2500 § 37 Nr 1; BSGE 90, 150ff = SozR 4-2500 § 132a Nr 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf §193 Abs 1 SGG.
Der Senat hat der Rechtssache, insbesondere der Beurteilung der streitigen Leistung als Leistung der häuslichen Krankenpflege, grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Revision zugelassen, § 160 Abs 2 Nr. 1 SGG.
Erstellt am: 27.05.2015
Zuletzt verändert am: 27.05.2015