Auf Rev. d.Bekl. wird Urteil des LSG aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Neues Az.: = L 9 SO 40/20 ZVW !!!
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.05.2016 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2014 verurteilt, an die Klägerin 17.305,70 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu 9/10. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Heimkosten als Hilfe zur Pflege, wobei die Klägerin als Heimträger einen Anspruch aus übergegangenem Recht nach § 19 Abs. 6 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) geltend macht.
Der am 00.00.1941 geborene Leistungsberechtigte, X M (nachfolgend: Leistungsberechtigter), verstarb am 20.10.2011. Seit dem 15.12.2010 befand er sich stationär in dem Pflege- und Betreuungszentrum, dessen Trägerin die Klägerin ist. Von der Pflegeversicherung bezog der Leistungsberechtigte Leistungen nach der Pflegestufe II. Der zwischen der Klägerin und dem Leistungsberechtigten geschlossene Wohn- und Betreuungsvertrag vom 11.01.2011 sah in § 12 den Eintritt der Fälligkeit des monatlichen Heimentgelts (§ 10) innerhalb von 10 Tagen nach Rechnungsstellung durch den Träger vor. Die ersten, an die Ehefrau des Leistungsberechtigten, die Zeugin M, gerichteten Abrechnungen der Klägerin für die Monate Januar bis April 2011 datieren vom 20.04.2011.
Ausweislich einer Beratungsdokumentation des Beklagten erschien am 28.04.2011 die Tochter des Leistungsberechtigten und gab an, der Heimaufenthalt ihres Vaters werde voraussichtlich noch länger dauern. Ihre Mutter habe jetzt die erste Rechnung erhalten und könne diese nicht bezahlen. Es werde Sozialhilfe beantragt. Ein schriftlicher Antrag auf Sozialhilfe wurde unter dem 04.05.2011 aufgenommen. In diesem ist u.a. angegeben, dass sich das Renteneinkommen der Eheleute auf insgesamt ca. 960,00 EUR beläuft und dass die eigenen Mittel nicht ausreichen. Ferner wurden eine Sterbegeldversicherung (Kapitalversicherung auf den Todesfall) des Leistungsberechtigten sowie eine Risikolebensversicherung der Ehefrau angegeben. Hinsichtlich der Kapitalversicherung betrug ausweislich der Unterlagen zu einem Antrag auf Pflegewohngeld der Rückkaufswert zum 01.02.2011 185,24 EUR bei einem Stornoabzug von 81,96 EUR. Unterzeichnet ist der Antrag auf Sozialhilfe von der Ehefrau des Leistungsberechtigten, der Zeugin M. In einer weiteren Beratungsdokumentation vom 17.05.2011 heißt es, die Zeugin M habe angerufen und mitgeteilt, dass sie den Sozialhilfeantrag zurückziehe. Ihr Schwiegersohn sei ein "hohes Tier bei der H" und würde die anfallenden Kosten übernehmen. Ihr sei mitgeteilt worden, die Erklärung würde schriftlich benötigt. Mit am 18.05.2011 bei der Stadt C eingegangenem Schreiben vom 17.05.2011 teilte die Zeugin M mit, sie ziehe den von ihr gestellten Sozialantrag vom 04.05.2011 zurück.
Von der Klägerin wurde sodann am 21.06.2011 für den Leistungsberechtigten ein Antrag auf Pflegewohngeld gestellt. Dieser wurde mit bestandskräftigem Bescheid des Beklagten vom 29.11.2011 wegen mangelnder Mitwirkung abgelehnt. In der Begründung wurde ausgeführt, dass angeforderte Unterlagen nicht vollständig vorgelegt worden seien.
Mit Schreiben vom 10.01.2014 wandte sich die Klägerin an den Beklagten und forderte diesen zur Übernahme von Heimkosten in Höhe von 18.435,25 EUR auf. Sie führte aus, mit dem Tode des Leistungsberechtigten sei dessen Anspruch auf sie gemäß § 19 Abs. 6 SGB XII übergegangen. Der Leistungsberechtigte habe die Heimkosten mangels eigenen Vermögens nicht selbst zahlen können, so dass ein erheblicher Zahlungsrückstand in der o.a. Höhe entstanden sei. Die Klägerin übermittelte eine entsprechende Forderungsaufstellung einschließlich Rechnungen an die Ehefrau des Leistungsberechtigten, die Zeugin M.
Mit Bescheid vom 10.02.2014 lehnte der Beklagte den Antrag ab. In der Begründung wurde ausgeführt, der Verstorbene hätte für die Zeit seines Heimaufenthaltes keinen Anspruch auf Sozialhilfe gehabt. Der am 04.05.2011 von der Ehefrau des Leistungsberechtigten gestellte Antrag auf Übernahme der ungedeckten Heimpflegekosten aus Sozialhilfemitteln sei zunächst telefonisch am 17.05.2011 sowie durch Schreiben vom gleichen Tage, eingegangen bei der Stadt C am 18.05.2011, zurückgenommen und hierzu mitgeteilt worden, der Schwiegersohn werde die anfallenden Kosten übernehmen. Damit sei für den Leistungsberechtigten weder Sozialhilfe beantragt worden, noch dem Sozialhilfeträger seine Bedürftigkeit in sonstiger Weise bekannt gemacht geworden. Der Leistungsberechtigte habe dementsprechend zum Zeitpunkt seines Todes keinen unerfüllten Sozialhilfeanspruch mit der Folge gehabt, dass ein Anspruchsübergang nicht stattgefunden habe.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 12.03.2014 Widerspruch ein und machte hierzu geltend, der Leistungsberechtigte sei bedürftig gewesen. Selbst eine Übernahmeerklärung des Schwiegersohns hätte nicht zum Wegfall der Bedürftigkeit geführt. Im Übrigen seien auch tatsächlich keine Zahlungen geleistet worden. Des Weiteren habe der Beklagte durch den gestellten Antrag auch Kenntnis von der Bedürftigkeit gehabt. Hieran ändere auch eine etwaige Erklärung eines Schwiegersohnes zur Übernahme der Kosten nichts.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2014 als unbegründet zurück. Mit der Vorsprache der Tochter des Leistungsberechtigten bei der Stadt C sei am 28.04.2011 zwar der Heimaufenthalt des Leistungsberechtigten bekannt geworden. Im Hinblick auf die späteren Erklärungen der Ehefrau habe jedoch davon ausgegangen werden können, dass Sozialhilfe nicht erforderlich bzw. nicht gewollt gewesen sei. Der Sozialhilfeträger sei insbesondere nicht verpflichtet gewesen nachzuprüfen, ob die Heimkosten auch tatsächlich beglichen würden.
Mit der hiergegen am 16.06.2014 bei dem Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie unter Vertiefung ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahrens sowie Überreichung des Heimvertrages sowie ihrer an die Zeugin M gerichteten Rechnungen ausgeführt, dass der Beklagte seit dem 28.04.2011 von der prekären Finanzsituation des Leistungsberechtigten gewusst habe. Es werde bestritten, dass die Ehefrau den Antrag zurückgenommen habe und dass sie hierzu rechtlich befähigt gewesen sei. Eine Antragsrücknahme beseitige jedenfalls nicht die für das Einsetzen der Sozialhilfe allein maßgebliche positive Kenntnis des Beklagten. Auch habe sich bis zum heutigen Tag kein Schwiegersohn bei ihr gemeldet, um die offenen Heimkosten zu übernehmen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2014 zu verurteilen, an sie 18.435,25 EUR zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Bekanntwerden im Sinne von § 18 Abs. 1 SGB XII habe nicht vorgelegen. Durch die Mitteilung der Zeugin M am 17.05.2011, dass die anfallenden Heimkosten der Schwiegersohn übernehmen werde, und die anschließende Antragsrücknahme habe keine Veranlassung mehr bestanden, von einer Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten auszugehen. In der Folgezeit habe es ebenso wenig Anhaltspunkte für eine Hilfebedürftigkeit gegeben. Vielmehr habe von einer Deckung der Heimkosten ausgegangen werden müssen. Zudem wäre ein Eigenanteil aus dem Einkommen des Leistungsberechtigten in Höhe von 111,34 EUR monatlich zu leisten gewesen.
In einem Termin des Sozialgerichts zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten und zur Beweisaufnahme am 29.05.2015 ist die Zeugin M gehört worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die entsprechende Niederschrift Bezug genommen (Bl. 78 R f. GA). Ferner haben die Beteiligten in diesem Termin einen für den Beklagten bis zum 19.06.2015 widerruflichen Vergleich des Inhalts geschlossen, dass der Beklagte an die Klägerin "zur Ausgleichung der im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Forderung einen Betrag in Höhe von 15.000 EUR zahlt". Diesen Vergleich hat der Beklagte am 15.06.2015 widerrufen. Das Sozialgericht hat sodann an die D Versicherung, bei der die Risikolebensversicherung der Zeugin bestanden hatte, eine Anfrage gerichtet. Diese hat mit Schreiben vom 30.06.2015 geantwortet, dass es sich bei diesem Vertrag um eine Risikolebensversicherung ohne Kapitalansammlung handele. Es seien während der bis zum 01.09.2013 reichenden Vertragslaufzeit keine Rückkaufswerte oder beitragsfreie Leistungen angefallen.
Mit Urteil vom 13.05.2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen das Folgende ausgeführt:
Die zulässige Klage sei nicht begründet. Die Klägerin sei durch den angegriffenen Bescheid des Beklagten nicht beschwert. Sie habe keinen Anspruch auf Übernahme rückständiger Heimpflegekosten in Höhe von 18.435,25 EUR. Anspruchsgrundlage sei § 19 Abs. 6 SGB XII. Danach stehe der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistungen erbracht oder die Pflege geleistet habe. Der Sozialhilfeträger müsse Kenntnis von dem Hilfefall gehabt haben. Ansonsten hätte bereits kein Anspruch des verstorbenen Berechtigten bestanden. Der Sozialhilfeträger sei nur insoweit zur Leistung verpflichtet, soweit die Leistung dem Berechtigten gewährt worden wäre. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung sei der frühestmögliche für das Einsetzen der Hilfe. Notlagen aus einer Zeit vor diesem Zeitpunkt seien sozialhilferechtlich unbeachtlich. Der Antrag sei ursprünglich von der Ehefrau des Verstorbenen bzw. der Tochter gestellt worden. Jedenfalls ab Einreichen des schriftlichen Antrages am 04.05.2011 könne von einer Kenntniserlangung ausgegangen werden. Für die Zeit davor komme ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten keinesfalls in Betracht.
Die Regelung des § 18 Abs. 1 SGB XII bedeute indes nicht, dass ein einmal entstandener Anspruch damit festgeschrieben wäre; vielmehr könne er auch nach dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch Zeitablauf oder durch selbstorganisierte Bedarfsdeckung des Hilfesuchenden wieder untergehen. Vorliegend sei der Antrag von der Ehefrau des Verstorbenen ausdrücklich zurückgenommen und die Rücknahme schriftlich erklärt worden. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Erklärung der Ehefrau unwirksam gewesen sei. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) könne sich ein Beteiligter im Verwaltungsverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Ggf. reiche auch eine konkludent erteilte Vollmacht. Von einer solchen Vollmacht sei unter Berücksichtigung der Angaben der Zeugin M vorliegend auszugehen. So habe sie angegeben, ihr Mann sei seinerzeit bereits schlecht dran gewesen und habe mit solchen Sachen nicht zu tun haben wollen. Deshalb habe sie alles Finanzielle erledigt.
Mit der Rücknahme des Antrags und durch den Zeitablauf sei die Kenntnis des Beklagten von der Hilfebedürftigkeit rückwirkend entfallen, auch wenn der Schwiegersohn tatsächlich keine Hilfe geleistet und die Zeugin M angegeben habe, es müsse sich insoweit um ein Missverständnis handeln. Die von der Zeugin abgegebene Erklärung rechtfertige die Annahme, Bedürftigkeit liege nicht mehr vor. Nach der Rücknahme des Antrages durch die Zeugin M sei im Juni 2011 ein Antrag der Klägerin auf Pflegewohngeld gestellt worden. Dieser sei letztlich wegen mangelnder Mitwirkung abgelehnt und diese Entscheidung nach Aktenlage nicht angefochten worden. Anhaltspunkte dafür, dass zu dem Zeitpunkt, als das Pflegewohngeld beantragt worden sei, bereits Heimkostenrückstände bestanden hätten, ergäben sich aus dem Antrag und den im Rahmen der Antragstellung vorgelegten Unterlagen nicht. Nach der Ablehnung des Antrages auf Pflegewohngeld habe sich die Klägerin dann erstmals im Januar 2014 wieder an den Beklagten gewandt. Von einer Kenntnis des Beklagten von der Hilfebedürftigkeit des im Jahr 2011 verstorbenen Leistungsberechtigten könne bei dieser Sachlage nicht mehr ausgegangen werden.
Gegen dieses der Klägerin am 25.05.2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.06.2016 eingelegte Berufung, die sie im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Zeugin M sei laut ihrer eigenen Aussage mangels (auch konkludenter) Vollmacht rechtlich nicht in der Lage gewesen, den ursprünglich gestellten Sozialhilfeantrag für ihren Ehemann wirksam zurückzunehmen. Auch werde angesichts der Aussage der Ehefrau im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht, dass die angebliche Übernahme der Heimkosten durch den Schwiegersohn ein Missverständnis gewesen sei, weiter bestritten, dass sie den Sozialhilfeantrag überhaupt und insbesondere mit dieser Begründung zurückgenommen habe. Der Beklagte hätte sich angesichts dieses Sachverhalts nicht einfach mit der angeblichen Aussage der Zeugin im Mai 2011 zufriedengeben dürfen und habe deshalb sowohl seine Pflicht zur Amtsermittlung als auch die Beratungs- und Unterstützungspflicht verletzt. Denn es sei offensichtlich gewesen, dass die Zeugin die Tragweite ihrer Erklärung in der irrigen Annahme, sie müsste die Leistungen zurückzahlen, gar nicht erkannt habe. Dies ändere ohnehin nichts daran, dass der Beklagte spätestens seit dem 28.04.2011 die für seine Einstandspflicht allein maßgebliche Kenntnis von dem Heimaufenthalt und der Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten gehabt habe, die nicht allein durch die angebliche und jedenfalls unwirksame Rücknahme des Antrags rückwirkend wieder entfallen könne.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.05.2016 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2014 zu verurteilen, an sie 18.435,25 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Zeugin M habe eine Duldungsvollmacht oder jedenfalls eine Anscheinsvollmacht von ihrem Ehemann gehabt, die sie rechtlich in die Lage versetzt habe, den ursprünglichen Sozialhilfeantrag auch wirksam zurückzunehmen. Ihre Zeugenaussage stehe dem nicht entgegen. Auch habe die Rücknahme des Sozialhilfeantrages keine Aufklärungs- und Beratungspflicht bei dem Beklagten ausgelöst. Der Zeugin M sei durchaus selbst bekannt gewesen, dass bei einer Nichtzahlung von Sozialhilfeleistungen die Finanzierung der Heimpflegekosten in anderer Weise sicherzustellen sei. Aus diesem Grund habe sie die Unterstützung durch den Schwiegersohn erwähnt. Auch hätten seinerzeit keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Schwiegersohn entgegen der Aussage der Zeugin M für die ungedeckten Heimpflegekosten nicht aufkomme. Insoweit könne auf die Aussage der Frau M im Erörterungstermin des Sozialgerichts 4 Jahre später nicht abgestellt werden, da die dadurch gewonnenen Erkenntnisse, auch soweit sie als wahr unterstellt würden, zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung weder bekannt noch ersichtlich gewesen seien. Auch sei ein Bekanntwerden der Voraussetzungen für die Sozialhilfeleistungen gemäß § 18 Abs. 1 SGB XII nicht gegeben. Durch die schriftliche Antragsrücknahmeerklärung, die Aussage hinsichtlich der Kostenübernahme durch den Schwiegersohn sowie fehlende weitere Vorsprachen bei dem Beklagten habe davon ausgegangen werden müssen, dass ungedeckte Heimpflegekosten nicht vorhanden gewesen seien. Auch habe die Klägerin die Ablehnung des Antrags auf Pflegewohngeld bestandskräftig werden und damit zugleich erkennen lassen, dass Sozialhilfeleistungen nicht benötigt würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts ist zu einem weit überwiegenden Teil begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 10.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2014 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin i.S.d. § 54 Abs. 2 SGG in ihren Rechten, als der Beklagte die Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten in Höhe von 17.305.70 EUR abgelehnt hat. Denn die zulässige Klage ist in diesem Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
1.) Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid des Beklagten vom 10.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2014, mit dem er den Antrag der Klägerin auf Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten im Wege der Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII a.F.) in Höhe von 18.435,25 EUR abgelehnt hat. Die Klägerin macht in ihrer Eigenschaft als Trägerin einer (stationären) Einrichtung einen im Wege der Sonderrechtsnachfolge nach § 19 Abs. 6 SGB XII auf sie übergegangenen Sozialhilfeanspruch des am 20.10.2011 verstorbenen Leistungsberechtigten geltend. Diesen Anspruch verfolgt sie zu Recht als eigenen, gerichtet auf Zahlung an sich selbst und damit im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG). Denn ein Anspruch des Leistungsberechtigten zu Lebzeiten, den dieser im Rahmen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses als Anspruch auf Schuldbeitritt des Beklagten zur zivilrechtlichen Forderung der Klägerin aus dem Heimvertrag hätte geltend machen müssen, hat sich mit dem Tode des Leistungsberechtigten insoweit in einen Anspruch der Klägerin auf eine Geldleistung gewandelt (s. BSG, Urt. v. 08.03.2017 – B 8 SO 20/15 R -, juris Rn. 13). Der Beklagte ist in seiner Eigenschaft als örtlicher Sozialhilfeträger für die hier streitige Leistung sowohl der örtlich (§ 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) als auch – mangels landesrechtlicher Zuweisung der sachlichen Zuständigkeit des überörtlichen Trägers für Leistungen der Hilfe zur Pflege ohne Leistungen der Eingliederungshilfe – sachlich zuständige Leistungsträger (§ 97 Abs. 1 und 2 SGB XII, § 2 Abs. 1 AV-SGB XII NRW i.d.F. bis 30.06.2016).
2.) Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme offener Heimkosten als Hilfe zur Pflege (§§ 19 Abs. 3, 61 ff. SGB XII a.F.) aus übergegangenem Recht nach § 19 Abs. 6 SGB XII. Gemäß § 19 Abs. 6 SGB XII steht der Anspruch des Berechtigten u.a. auf Hilfe in einer Einrichtung, soweit die Leistung dem Berechtigten gewährt worden wäre, nach seinem Tode demjenigen zu, der die Hilfe erbracht hat. Damit ist die Klägerin kraft Gesetzes Sonderrechtsnachfolgerin des am 20.10.2011 verstorbenen Herrn M in den zu dessen Lebzeiten gegenüber dem Sozialhilfeträger bestehenden und noch nicht erfüllten Leistungsanspruch geworden (vgl. zur Rechtsnatur des § 19 Abs. 6 SGB XII nur BSG, Urt. v. 13.07.2010 – B 8 SO 13/09 R -, juris Rn. 11; BSG, Urt. v. 20.09.2012 – B 8 SO 20/11 R -, juris Rn. 12). Dabei ist der Sozialhilfeträger jedoch nur insoweit zur Leistung gegenüber der Einrichtung verpflichtet, wie ein entsprechender Sozialhilfeanspruch des Berechtigten bei dessen Tod bestanden hat, d.h. der Anspruch der Einrichtung kann aufgrund des mit § 19 Abs. 6 SGB XII angeordneten gesetzlichen Forderungsübergangs (cessio legis) niemals weitergehen als der Anspruch des verstorbenen Leistungsberechtigten (vgl. jurisPK-SGB XII/Coseriu, § 19 Rn. 50; s. auch Senat, Urt. v. 15.06.2011 – L 9 SO 646/10 -, juris Rn. 40 ff.). So muss der Sozialhilfeträger insbesondere auch Kenntnis vom Hilfefall gehabt haben (§ 18 SGB XII), weil anderenfalls bereits kein Anspruch des verstorbenen Berechtigten bestanden hätte (Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 19 Rn. 28).
a) Der auf die Klägerin nach § 19 Abs. 6 SGB XII übergegangene Anspruch auf Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege ist nach Maßgabe der §§ 19 Abs. 3, 61 ff. SGB XII a.F. für die Zeit vom 28.04.2011 bis 20.10.2011 begründet. Gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII wird u.a. Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten sowie u.a. ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
aa) Der Leistungsberechtigte war im o.a. Zeitraum nach Maßgabe der §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 62 SGB XII a.F. pflegebedürftig, da bei ihm die Pflegestufe II festgestellt worden ist und er entsprechende Leistungen der Pflegekasse erhalten hat.
bb) Bei dem Leistungsberechtigten hat in der Zeit vom 28.04.2011 bis 20.10.2011 auch Hilfebedürftigkeit i.S.d § 19 Abs. 3 SGB XII vorgelegen. Dabei ist auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung der Kosten (= Bedarf) abzustellen, also den Zeitpunkt der (jeweiligen) Fälligkeit der gegenüber dem Leistungsberechtigten von Seiten der Klägerin geltend gemachten Forderung (vgl. BSG, Urt. v. 02.02.2012 – B 8 SO 9/10 R -, juris Rn. 19; BSG, Urt. v. 23.08.2013 – B 8 SO 24/11 R -, juris Rn. 20). Da der hier maßgebliche Wohn- und Betreuungsvertrag vom 11.01.2011 nach § 12 Abs. 1 die Fälligkeit des nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse zu zahlenden monatlichen Heimentgelts (s. §§ 10, 11) jeweils nach Rechnungsstellung durch den Träger innerhalb von 10 Tagen bestimmte (soweit nicht der Träger der Sozialhilfe die Kosten ganz oder teilweise übernimmt, s. § 12 Abs. 2) und die ersten Rechnungen der Klägerin für die Monate Januar bis April 2011 auf den 20.04.2011 datierten, wären die entsprechenden Forderungen für diese Monate nach der o.a. Klausel spätestens am 30.04.2011 fällig geworden. Da die Tochter des Leistungsberechtigten bei ihrer Vorsprache bei dem Beklagten am 28.04.2011 freilich mitgeteilt hat, dass ihre Mutter (die Zeugin M) "jetzt" die erste Rechnung der Klägerin erhalten habe, ist die Fälligkeit der Rechnung vom 20.04.2011 mindestens am 28.04.2011 eingetreten ("innerhalb von 10 Tagen ").
Das anrechenbare Einkommen der Eheleute M (§ 82 ff. SGB XII) belief sich im maßgeblichen Zeitpunkt auf die Altersrente des Leistungsberechtigten i.H.v. 724,95 EUR (ab dem 01.07.2011 732,15 EUR) sowie die Altersrente seiner Ehefrau i.H.v. 239,64 EUR (ab dem 01.07.2011 242,03 EUR). Ferner bezogen die Eheleute Wohngeld in Höhe von monatlich 79 EUR. Mit diesen Einkommen war der Leistungsberechtigte außerstande, die nach Abzug der Leistungen der Pflegeversicherung ungedeckten Heimkosten, die sich ausweislich der aktenkundigen Rechnungen der Klägerin für den o.a. Zeitraum monatlich zwischen ca. 1.995 EUR und 2.100 EUR beliefen, vollständig zu decken.
Dem Anspruch gegen den Beklagten steht auch kein verwertbares und einzusetzendes Vermögen i.S.d. § 90 SGB XII entgegen. Dies gilt sowohl für die auf den Namen des Leistungsberechtigten bei der Uelzener Lebensversicherung AG abgeschlossene Kapitalversicherung auf den Todesfall (Sterbegeld) als auch die Unfalltod-Zusatzversicherung. Ausweislich des aktenkundigen Nachtrags zum Versicherungsschein über die Kapitalversicherung auf den Todesfall handelte es sich um eine reine Sterbegeldversicherung, weil aus dieser nicht hervorgeht, dass eine Fälligkeit bereits zu Lebzeiten des Leistungsberechtigten eintreten konnte. Vielmehr sollte ausschließlich im Todesfall ab dem 01.02.2011 eine Leistung von 2.500 EUR ausgezahlt werden. Daraus ging die auf die Zeit nach dem Tod gerichtete Zweckrichtung dieser Sterbegeldversicherung – auch wenn insoweit eine vorzeitige Kündigung und die Entgegennahme des Rückkaufswertes ebenfalls möglich gewesen ist – hinreichend hervor, so dass diese reine Sterbeversicherung, auch wenn es sich bei ihr um Vermögen i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII gehandelt hat, über die Härteregelung des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB II von der Verwertung ausgeschlossen war (vgl. hierzu eingehend Senat, Urt. v. 19.03.2009 – L 9 SO 5/07 -, juris Rn. 43 ff.). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Rückkaufswert dieser Kapitalversicherung auf den Todesfall ab dem 01.02.2011 lediglich 185,24 EUR bei einem Stornoabzug von 81,96 EUR betrug, so dass dieser schon weit unter dem Freibetrag des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII lag. Auch hinsichtlich der Unfalltod-Zusatzversicherung hing die Fälligkeit der vereinbarten Versicherungssumme selbstredend vom Leistungsfall des Todes des Leistungsberechtigten ab, so dass auch diese nicht zu verwerten war. Gleiches gilt im Ergebnis auch für die auf den Namen der Ehefrau des Leistungsberechtigten bei der D abgeschlossene Risikolebensversicherung. Nach Auskunft der D mit E-Mail an den Beklagten vom 22.09.2011 sowie mit von dem Sozialgericht angeforderten Schreiben vom 30.06.2015 hat es sich bei dem entsprechenden Vertrag um eine Risikolebensversicherung ohne Kapitalansammlung gehandelt, so dass während der Vertragslaufzeit kein Rückkaufswert oder beitragsfreie Leistungen angefallen sind. Dementsprechend hat es sich um eine reine Risikolebensversicherung gehandelt, die nach Maßgabe des soeben Ausgeführten von einer Verwertungsobliegenheit ebenfalls ausgenommen war.
b) Der Beklagte erlangte am 28.04.2011 auch Kenntnis i.S.d. § 18 Abs. 1 SGB XII von dem Hilfebedarf des Leistungsberechtigten (unter aa.). Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Sozialgerichts hat die von der Ehefrau des Leistungsberechtigten zunächst telefonisch und sodann am 17.05.2011 schriftlich erklärte "Rücknahme" des erstmals am 28.04.2011 gestellten Antrages auf Sozialhilfe auch nicht zu einem Anspruchsausschluss geführt, weil die für das Entstehen des Sozialhilfeanspruchs konstitutive Kenntnis des Beklagten vom Hilfefall i.S. des § 18 Abs. 1 SGB XII hierdurch weder (rückwirkend) "entfallen" noch als rechtlich nicht existent zu behandeln ist (unter bb. und cc.). Ferner liegt mit der Antragsrücknahme auch kein Verzicht auf die Sozialhilfeleistung nach § 46 SGB I vor (unter dd.).
aa) Der Beklagte erlangte am 28.04.2011 Kenntnis von dem Bedarfsfall des verstorbenen Leistungsberechtigten. Kenntnis i.S.v. § 18 Abs. 1 SGB XII setzt die positive Kenntnis aller Tatsachen voraus, die den Leistungsträger in die Lage versetzen, die Leistung zu erbringen (Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, § 18 Rn. 12). Auf welche Weise und vom wem er Kenntnis erhält, ist dabei unerheblich. Es ist auch nicht erforderlich, dass die Behörde bereits Kenntnis der konkreten Höhe oder vom genauen Umfang der Leistung hat (BSG, Urt. v. 02.02.2012 – B 8 SO 5/10 R -, juris Rn. 18). Für das Einsetzen der Sozialhilfe genügt es, wenn die Behörde Kenntnis vom Bedarfsfall als solchem hat, d.h. ihr erstens der Bedarf und zweitens die Hilfebedürftigkeit bekannt werden (BSG, Urt. v. 10.11.2011 – B 8 SO 18/10 R -, juris Rn. 21; Senat, Urt. v. 11.05.2017 – L 9 SO 63/16 -, juris Rn. 33) und er deshalb dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 SGB X) entsprechend in die Lage versetzt wird, durch weitere Ermittlungen von Amts wegen das Vorliegen eines Anspruchs auf Sozialhilfe zu prüfen (Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, § 18 Rn. 13). Ausweislich des Beratungsvermerks des Beklagten vom 28.04.2011 ist die Tochter des verstorbenen Leistungsberechtigten an diesem Tag vorstellig geworden und hat mitgeteilt, dass sich ihr pflegebedürftiger Vater seit dem 15.12.2010 in der Einrichtung der Klägerin befunden hat und der Heimaufenthalt länger andauern werde. Die Mutter habe die erste Rechnung der Klägerin (vom 20.04.2011) erhalten, und die Eltern könnten diese Rechnung nicht bezahlen; sie beantragten hiermit Sozialhilfe. Hiermit wurde bereits der sozialhilferechtliche Bedarf des Leistungsberechtigten ebenso angezeigt wie dessen Hilfebedürftigkeit, weil dem Beklagten hierdurch bereits bekannt wurde, dass die Heimkosten aufgrund der mangelnden Fähigkeit der Eheleute, die Rechnungen der Klägerin zu bezahlen, nicht vollständig gedeckt sein würden. Da am 28.04.2011 somit die Notwendigkeit der Hilfe ausreichend dargetan worden ist, wurde dem Beklagten die erforderliche positive Kenntnis i.S.d. § 18 Abs. 1 SGB XII auch entsprechend dem Zweck der Regelung, einen niedrigschwelligen Zugang zum Sozialhilfesystem sicherzustellen (s. Coseriu, a.a.O.), verschafft. Dies bestreitet im Übrigen auch der Beklagte nicht.
bb) Diese Kenntnis vom Hilfefall ist durch die fernmündlich und auch schriftlich am 17.05.2011 durch die Ehefrau des Leistungsberechtigten, die Zeugin M, erklärte "Rücknahme" des Sozialhilfeantrages, anders als der Beklagte und das Sozialgericht meinen, nicht (rückwirkend) entfallen. Insbesondere hat diese Erklärung nicht bewirkt, dass der Beklagte die nunmehr von der Klägerin begehrte Leistung ohne jegliche Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen hätte ablehnen dürfen. Denn nach materieller Rechtslage waren – wie bereits ausgeführt – die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege in der Zeit vom 28.04.2011 bis 20.10.2011 gegeben.
Zwar wird in der Rechtsprechung teilweise vertreten, dass die Kenntnis vom Hilfefall i.S.d. § 18 Abs. 1 SGB XII durch eine "Negativerklärung" wieder beseitigt werden könne. Dies sei der Fall, wenn der Antragsteller bzw. sein Vertreter gegenüber dem Sozialhilfeträger erklärt, dass die erforderliche Hilfe von der Familie des Antragstellers geleistet wird (so LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 11.07.2012 – L 2 SO 4215/10 -, juris Rn. 22 ff.). Dabei wird aber übersehen, dass die Kenntnis nur den Zeitpunkt markiert, ab dem Leistungen zu erbringen sind. Diese Kenntnis kann nicht "entfallen". Die Erklärung, keine Leistungen (mehr) zu beanspruchen, weil anderweitig Hilfe gewährt wird, rechtfertigt aber die grundsätzliche Annahme, dass Bedürftigkeit nicht (mehr) vorliegt und damit auch die Ablehnung der Leistung oder die Aufhebung der Leistungsbewilligung ab Änderung der Verhältnisse. Dies setzt aber voraus, dass die Erklärung den objektiven Tatsachen und damit letztendlich der materiellen Rechtslage entspricht. Andernfalls ist die Entscheidung des Sozialhilfeträgers (Ablehnung oder Aufhebung) rechtswidrig (so zutr. Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, § 18 Rn. 15). Bestehen somit im Zeitpunkt der "Rücknahmeerklärung" genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen aktueller Hilfebedürftigkeit, ist der Sozialhilfeträger grundsätzlich gehalten, sich mit der bloßen Rücknahmeerklärung nicht zufrieden zu geben, sondern den maßgeblichen Sachverhalt weiter zu ermitteln, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass trotz dieser Erklärung objektiv ein (aktueller) Hilfefall gegeben ist. Dies ist auch ein Ausfluss dessen, dass Sozialhilfeleistungen, mit Ausnahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§ 44 SGB XII), gerade nicht antragsabhängig sind, was letztlich auch für den "actus contrarius", also die Antragsrücknahme, zu gelten hat. Entscheidend ist damit stets die Kenntnis vom Bestehen aktueller Hilfebedürftigkeit, die durch die Antragsrücknahme gerade nicht entfällt. Es kommt deswegen auch nicht darauf an, ob die "Rücknahmeerklärung" mangels Bevollmächtigung der Zeugin M auch rechtlich unwirksam gewesen ist.
cc) Im vorliegenden Fall stellte sich der objektiv gegebene Sachverhalt im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung der Zeugin M (17.05.2011) so dar, dass es sich dem Beklagten spätestens mit Kenntnis des am 04.05.2011 aufgenommenen, schriftlichen Sozialhilfeantrages hätte aufdrängen müssen, dass der Bedarf des Leistungsberechtigten in Form von Heimpflegekosten von nach seinen Angaben täglich 109,80 EUR angesichts eines Einkommens der Eheleute M von zwei Altersrenten i.H.v. monatlich 724 EUR (Leistungsberechtigter) und 234 EUR (Ehefrau) nicht gedeckt sein konnte. Auch hätten die in diesem Antrag enthaltenen Angaben zum Bestehen einer Sterbegeldversicherung des Leistungsberechtigten sowie einer Risikolebensversicherung der Ehefrau mit Blick auf möglicherweise verwertbares bzw. einzusetzendes Vermögen (§ 90 SGB XII) Anlass für entsprechende Ermittlungen von Amts wegen geboten. In Anbetracht dessen hätte sich der Beklagte in Kenntnis der angegebenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eheleute M durch den schriftlichen Sozialhilfeantrag nicht einfach mit der "Rücknahmeerklärung" der Ehefrau vom 17.05.2011 zufriedengeben und von fehlender Hilfebedürftigkeit aufgrund angeblichen Eintretens des Schwiegersohnes ausgehen dürfen. Er hätte vielmehr von Amts wegen überprüfen müssen, ob der Schwiegersohn tatsächlich die ungedeckten Heimkosten übernimmt, denn nur dann hätten "bereite Mittel" vorgelegen, die einem Sozialhilfeanspruch entgegengestanden hätten (§§ 2 Abs. 1, 82 Abs. 1 SGB XII). Wie die Klägerin zu Recht einwendet, stellt es einen eher ungewöhnlichen Vorgang dar, dass ein nicht zur Zahlung von Unterhalt gesetzlich verpflichteter Angehöriger wie der von der Zeugin M erwähnte Schwiegersohn anstelle des Sozialhilfeträgers mittels Übernahme ungedeckter Heimkosten, die ja bekanntlich einen beträchtlichen Umfang einnehmen und bei denen ungewiss ist, wie lange sie gezahlt werden müssen, "einspringt". Tatsächlich hat der Schwiegersohn ausweislich der glaubhaften Angaben der Zeugin M im Erörterungstermin des Sozialgerichts vom 29.05.2015 zu keinem Zeitpunkt diese Heimkosten auch nur teilweise getragen. Anders wäre der in diesem Verfahren geltend gemachte Zahlungsrückstand auch nicht zu erklären. Auch hat die Zeugin ausgeführt, dass sie die Rücknahmeerklärung in der irrigen Annahme abgegeben hat, das vom Sozialhilfeträger gewährte "Sozialgeld" zurückzahlen zu müssen. Damit hat die Rücknahmeerklärung vom 17.05.2011 in keiner Weise der objektiven Sachlage entsprochen.
Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass dieser objektive Sachverhalt erst mit dem Klageverfahren und insbesondere der Zeugenaussage der Ehefrau des verstorbenen Leistungsberechtigten zu Tage getreten ist. Es bleibt aber dabei, dass der Beklagte, soweit ihm im Zeitpunkt der Antragsrücknahme objektive Umstände bekannt waren, die das Bestehen aktueller Hilfebedürftigkeit begründeten, nicht ohne Weiteres dieser Erklärung folgen durfte, er hiermit insbesondere nicht von seiner Amtsermittlungspflicht entbunden worden ist. Hier gilt im Ergebnis nichts anderes als die von dem erkennenden Senat bereits entschiedene Konstellation, in welcher ein nicht zum Unterhalt verpflichteter Dritter sogar gegenüber der Behörde eine Erklärung abgegeben hat, für den Unterhalt von nach dem SGB XII potenziell Leistungsberechtigten aufzukommen (dort: Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG 2004). Auch in diesem Fall durfte der Sozialhilfeträger die Bewilligung von Leistungen nicht unter bloßem Hinweis auf die abgegebene Verpflichtungserklärung verweigern. Vielmehr ist dies nur rechtmäßig, wenn ein Antragsteller seinen Bedarf ganz oder teilweise durch die Zuwendung des Dritten tatsächlich decken kann. Ist dies jedoch objektiv nicht der Fall, fehlt es dem Leistungsberechtigten an bereiten Mitteln, die bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zu einem entsprechenden Leistungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger führen (Senat, Beschl. v. 02.02.2007 – L 9 SO 691/16 B ER, L 9 SO 692/16 B -, juris Rn. 7 f.).
Der Beklagte kann in diesem Zusammenhang auch nicht einwenden, dass die Klägerin die mit Bescheid vom 29.11.2011 wegen mangelnder Mitwirkung erfolgte Ablehnung des am 21.06.2011 für den Leistungsberechtigten gestellten Antrages auf Pflegewohngeld hat bestandskräftig werden lassen. Er durfte auch hieraus nicht ohne weiteres den Schluss ziehen, dass Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten nach Maßgabe des SGB XII nicht vorgelegen hat. Abgesehen davon, dass der Beklagte den Antrag auf Pflegewohngeld nicht wegen fehlender Bedürftigkeit, sondern fehlender Mitwirkung abgelehnt, d.h. in der Sache nach § 66 Abs. 1 SGB I versagt und damit eine inhaltliche Entscheidung über das Bestehen eines Anspruchs auf Pflegewohngeld gar nicht getroffen hat, ist es ihr schon aus Rechtsgründen verwehrt, hieraus auf das Fehlen von Hilfebedürftigkeit im Recht der Sozialhilfe zu schließen. Denn die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Pflegewohngeld (vgl. § 12 Abs. 3 PflegeG NW i.d.F. bis 15.10.2014) sind trotz des Kriteriums der Hilfebedürftigkeit mit denjenigen für einen Anspruch auf Sozialhilfe, hier Hilfe zur Pflege (§§ 19 Abs. 3, 61 ff. SGB XII), nicht identisch, was sich u.a. am Vermögensfreibetrag von bis zu 10.000 EUR festmacht. Jedenfalls stellt der Verzicht auf Rechtsbehelfe gegen eine ablehnende Entscheidung zum Pflegewohngeld auch in Kumulation mit einer Antragsrücknahme bei der Sozialhilfe den Beklagten nicht von weiteren Ermittlungen von Amts wegen in dem soeben genannten Umfang (s.o.) frei wenn sich – wie hier – das Bestehen aktueller Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten im Sinne des SGB XII aufdrängt.
dd) Die – schriftliche – Rücknahmeerklärung der Zeugin M vom 17.05.2011 stellte endlich auch keinen Verzicht des Leistungsberechtigten auf die Sozialhilfeleistung i.S.d. § 46 Abs. 1 SGB I dar. Gemäß § 46 Abs. 1 SGB I kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden; der Verzicht kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Hier kann offen bleiben, ob sich der Leistungsberechtigte eine solche Erklärung seiner Ehefrau hätte zurechnen lassen müssen. Denn ein Verzicht hat durch die Rücknahmeerklärung vom 17.05.2011 nicht vorgelegen. Grundsätzlich gilt, dass die bloße Rücknahme eines bereits gestellten Sozialleistungsantrages keinen Verzicht auf die Leistung i.S.d. § 46 Abs. 1 SGB I beinhaltet (s. Wagner, in: jurisPK-SGB I, § 46 Rn. 20, 24 m.w.N.). Wenn – wie im vorliegenden Fall – auch noch aus Unwissenheit sowie aufgrund irriger Vorstellungen über die Sachlage auf eine Sozialleistung "verzichtet" wird, so handelt es sich gerade nicht um einen Verzicht im Rechtssinne, sondern schlicht um die Unterlassung einer Antragstellung bzw. deren Rücknahme, was somit nicht unter § 46 SGB I zu subsumieren ist (Wagner, in: jurisPK-SGB I, § 46 Rn. 7). Im Übrigen bedeutet "Verzicht" schon begrifflich mehr als die bloße Rücknahme eines Antrages auf Sozialleistungen. Denn hiermit erklärt ein Leistungsberechtigter, dass ihm trotz Vorliegen aller Anspruchsvoraussetzungen unter keinen Umständen eine (staatliche) Sozialleistung gewährt werden soll. Ein Verzicht liegt also nur dann vor, wenn die entsprechende Sozialleistung ohne diese Erklärung ohne weiteres zu gewähren wäre (Wagner, in: jurisPK-SGB I, § 46 Rn. 20). Ein solch weitgehender Erklärungsgehalt kann der Antragsrücknahme der Zeugin M vom 17.05.2011 schon deshalb nicht beigemessen werden, weil sie – irrigerweise – glaubte, dass ihr Ehemann durch das angebliche Eintreten des Schwiegersohns keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen habe oder verpflichtet gewesen wäre, Leistungen der Beklagten zurückzahlen zu müssen. Dies hat mit einem Verzicht i.S.v. § 46 Abs. 1 SGB I nichts zu tun.
3.) Hinsichtlich der Höhe des von der Klägerin zu Recht geltend gemachten Anspruchs auf Übernahme der ungedeckten Heimpflegekosten im tenorierten Umfang gilt Folgendes:
Auch für die Höhe des Anspruchs ist der ungedeckte Bedarf des verstorbenen Leistungsberechtigten maßgebend, wie er sich seit dem Zeitpunkt der Kenntnis des Beklagten vom Hilfefall (§ 18 Abs. 1 SGB XII), hier ab dem 28.04.2011 durch die Vorsprache der Tochter des verstorbenen Leistungsberechtigten (s.o.), bis zum Zeitpunkt seines Todes am 20.10.2011 dargestellt hat. Da die monatlichen Heimkosten, wie bereits ausgeführt, innerhalb von 10 Tagen nach Rechnungsstellung fällig geworden sind (s. § 12 Abs. 1 des Wohn- und Betreuungsvertrages), die ersten Rechnungen der Klägerin für die Monate Januar bis April 2011 auf den 20.04.2011 datieren und diese der Zeugin M spätestens am 28.04.2011 zugegangen sind (s.o.), ist hier die Zeit ab dem 28.04.2011 maßgebend, die vollständig von der Kenntnis des Beklagten i.S.d. § 18 Abs. 1 SGB XII umfasst ist. Damit hat die Beklagte sämtliche (nach Leistungen der Pflegekasse und seitens der Klägerin bereits berücksichtigtem Abzug von Zahlungen des Leistungsberechtigten in Höhe von insgesamt 540,20 EUR) ungedeckten Heimkosten für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 20.10.2011 abzüglich des Eigenanteils i.H.v. monatlich 111,34 EUR zu tragen. Im Einzelnen:
Ausweislich der von der Klägerin eingereichten Rechnungen belaufen sich die offenen Kosten für die Zeit vom 01.01.2011 bis 20.10.2011 auf eine Gesamthöhe von 18.435,25 EUR (1.406,12 EUR für den Monat Januar 2011, 1.712,98 EUR für Februar 2011, 2.104,96 EUR für März 2011, 1.995,80 EUR für April 2011, 2.104,96 EUR für Mai 2011, 1.995,80 EUR für Juni 2011, 2.104,96 EUR für Juli 2011, 2.107,82 EUR für August 2011, 1.995,80 EUR für September 2011 sowie 905,96 EUR für die Zeit vom 01.10.2011 bis 20.10.2011 zuzüglich 0,09 EUR Telefonkosten). Der aus dem Einkommen zu leistende Eigenanteil hätte nach Maßgabe der mit Schriftsatz vom 01.07.2015 eingereichten sowie rechtlich und tatsächlich nicht zu beanstandenden Berechnung des Beklagten monatlich 111,34 EUR betragen. Bei einer anteiligen Berechnung des Eigenanteils für den Monat Dezember 2010 i.H.v. 55,67 EUR sowie anteilig 71,82 EUR für den Monat Oktober 2011 bei voller Anrechnung des Eigenanteils auf den sozialhilferechtlichen Bedarf für die Monate Januar bis September 2011 (9 x 111,34 EUR = 1.002,06 EUR) ergibt sich für den streitigen Zeitraum ein Eigenanteil von insgesamt 1.129,55 EUR. Bei Abzug dieses Eigenanteils vom Bedarf i.H.v. 18.435,25 EUR ergibt sich ein offener Betrag von 17.305,70 EUR, den die Beklagte zu übernehmen hat. Die darüber hinaus gehende Klage ist mithin unbegründet, so dass die Berufung insoweit zurückzuweisen war.
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und trägt dem Umfang des überwiegenden Obsiegens der Klägerin Rechnung. Als Sonderrechtsnachfolgerin nach § 19 Abs. 6 SGB XII gehört die Klägerin zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG (vgl. nur BSG, Beschl. v. 01.09.2008 – B 8 SO 12/08 B -, juris Rn. 5 ff.).
5.) Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) bestehen nicht.
Erstellt am: 30.01.2020
Zuletzt verändert am: 30.01.2020