Zurücknahme
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.03.2009 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Erstattung von Leistungen nach dem SGB XII streitig.
Der am 00.00 1972 geborene Hilfeempfänger (C.) bezieht seit April 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Er leidet an einer progredienten genetisch bedingten Hirnerkrankung mit ataktischer Gangstörung und extrapyramidalen Symptomen. Auf Grund eines Unfalls im Mai 2004 liegt ferner eine Oberarmamputation vor. C. ist schwerbehindert (GdB von 100 sowie Merkzeichen "G", "B" und "H"). Nachdem C. zunächst seit Oktober 1990 Sozialhilfe und ab dem 1. Januar 2003 Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz bezogen hatte, erhält er seit Januar 2005 Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII von der Klägerin. In L wohnte C. in einer Unterkunft, in die er als Nutzungsberechtigter eingewiesen worden war.
Auf seinen Antrag auf ambulante Eingliederungshilfe zum selbstständigen Wohnen vom 25. April 2005 bewilligte der Landschaftsverband S mit Bescheid vom 29. Dezember 2005 ab dem Aufnahmetag (ab Umzug) für die Dauer von zwölf Monaten regelmäßig fünf Fachleistungsstunden wöchentlich, erbracht vom T Haus in X.
C. zog Ende August 2006 nach X in eine von ihm angemietete Einzelwohnung, um in der Nähe seines Sohnes und dessen Mutter, seiner Lebensgefährtin, ebenfalls wohnhaft in X, zu sein. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21.06.2006 die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt ab, weil nach ihrer Auffassung hierfür gem. § 98 Abs. 5 SGB XII der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig sei, der vor Eintritt in die Wohnform örtlich zuständig gewesen sei.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2007 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. SGB X an, da nicht feststehe, ob weiterhin Eingliederungshilfe gewährt werde.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2008 machte die Klägerin sodann bei der Beklagten für die Zeit ab dem 1. Februar 2007 einen Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X geltend. C. habe zum September 2006 eine eigene Wohnung in X bezogen und erhalte seit dem gleichen Tag vom Landschaftsverband ambulante Eingliederungshilfe zum selbstständigen Wohnen. Die Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII greife nicht ein. Als ambulant betreute Wohnmöglichkeiten kämen nur Wohngemeinschaften, nicht aber Einzelwohnungen in Betracht. Zudem habe der Landschaftsverband über den Leistungsantrag für die Zeit ab dem 1. September 2007 bislang noch nicht entschieden. Sie werde zunächst als vorläufig leistender Träger bis zur Klärung der Rechtsfrage weiter Leistungen erbringen. Dem Hilfeempfänger teilte die Klägerin mit Bescheid vom 12. Februar 2008 entsprechendes für die Zeit ab April 2008 mit.
Die Beklagte vertrat demgegenüber im Schreiben vom 20. Februar 2008 die Auffassung, dass das so genannte betreute Wohnen nicht vom Vorhandensein einer Wohngemein- schaft abhängig sei. Auch sei es nicht erforderlich, dass der "Betreuer" die Wohnung zur Verfügung stelle beziehungsweise anmiete. Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob es sich um betreutes Wohnen handele, sei allein die Gewährung von entsprechenden Leistungen.
Mit Bescheid vom 2. Juli 2008 bewilligte der Landschaftsverband S dem Hilfeempfänger für den Zeitraum vom 1. September 2007 bis zum 31. August 2009 regelmäßig 4,5 Fachleistungsstunden wöchentlich.
Am 20. Juni 2008 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie einen Erstattungsanspruch gemäß § 102 SGB X für die Zeit ab dem 1. September 2007 verfolgt. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Darüber hinaus hat sie die Auffassung vertreten, es spreche vieles dafür, dass mit der Regelung des § 98 Abs. 5 SGB XII dem Umstand Rechnung getragen werden solle, dass sowohl im Bereich der Eingliederungshilfe oder der Hilfe zur Pflege als auch bei der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten bundesweit immer mehr betreute Wohngemeinschaften gegründet worden seien. Hierdurch verringerten sich die Aufwendungen der Herkunftskommune für stationäre Maßnahmen zu Lasten der Kommunen, in deren Bereich ambulante betreute Wohngemeinschaften entstanden seien. § 98 Abs. 5 SGB XII dürfte geschaffen worden sein, um auch hier einen "Schutz des Anstaltsortes" zu gewährleisten. Die Bewilligung von Fachleistungsstunden löse nicht automatisch die Sonderzuständigkeit des § 98 Abs. 5 SGB XII aus.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zur Erstattung der ihr für den Hilfeempfänger C. in der Zeit ab dem 1. September 2007 entstandenen Sozialhilfeaufwendungen zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, auf Grund der Bewilligung von Eingliederungshilfe bleibe die örtliche Zuständigkeit der Klägerin weiter bestehen. Der Betroffene könne sich das betreute Wohnen selbst organisieren.
Mit Urteil vom 27. März 2009 hat das Sozialgericht Köln die Klage abgewiesen. Ein Erstattungsanspruch gemäß den §§ 102 ff. SGB X bestehe nicht. Die Klägerin sei gemäß § 98 Abs. 5 S. 1 SGB XII für die Leistungserbringung zuständig. Der Hilfeempfänger erhalte seit seinem Umzug nach X vom Landschaftsverband S Leistungen der Eingliederungshilfe, also Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII durch die Bewilligung von Fachleistungsstunden, die eine Form der ambulant betreuten Wohnmöglichkeit im Sinne von § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII darstelle. Dieser Begriff orientiere sich an § 55 Abs. 2 Nummer 6 SGB IX. Die Formen des betreuten Wohnens könnten vielfältig sein. Wie es zu der Anmietung beziehungsweise Vermittlung der Wohnung gekommen sei, stelle kein geeignetes Abgrenzungskriterium zur Beurteilung der Frage dar, ob es sich um eine ambulant betreute Wohnmöglichkeit handele. Entscheidend sei auf die Art und die Zielsetzung der Betreuungsleistungen abzustellen. Danach liege eine betreute Wohnmöglichkeit nur vor, wenn fachlich geschulte Personen Betreuungsleistungen erbringen würden, die darauf gerichtet seien, dem Leistungsberechtigten Fähigkeiten und Kenntnisse zum selbstbestimmten Leben zu vermitteln. Dabei dürfe es sich nicht nur um sporadische, situativ bedingte Betreuungsleistungen handeln, sondern diese müssten in einer regelmäßigen Form erbracht werden und in eine Gesamtkonzeption eingebunden sein, die auf die Verwirklichung einer möglichst selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung ausgerichtet sei. Dann liege eine betreute Wohnmöglichkeit auch vor, wenn Einzelpersonen in einer selbst angemieteten Wohnung lebten.
Gegen das ihr am 27. April 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. Mai 2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, dass es vom Gesetzgeber nicht gewollt sein könne, in jedem ambulanten Fall, in dem Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege oder Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten ambulant gewährt werde und ein Umzug erfolge, die Sonderzuständigkeit nach § 98 Abs. 5 SGB XII anzuwenden. Für die Leistungsberechtigten würde dies einen erheblichen Verlust an Ortsnähe und Beratungskompetenz mit sich bringen. Die persönliche Hilfe würde insbesondere für schwerstbehinderte und pflegebedürftige Personen durch die räumliche Distanz erheblich erschwert. Soweit auf Amtshilfe zurückgegriffen werde, wären letztlich zwei Sozialleistungsträger mit dem Fall befasst. Bei ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten im Sinne des § 98 Abs. 5 SGB XII handele es sich um Wohngemeinschaften, in denen mehrere Personen (nicht Ehegatten/Lebensgefährten, Verwandte oder verschwägerte Personen) unter Nutzung privater und allgemeiner Wohnflächen (zum Beispiel Küche, Gemeinschaftsräume usw.) zusammenlebten und gemeinsam durch Dienstleister mit ambulanten Leistungen betreut würden. Im Fall des C. fehle es an einem derartigen Gesamtkonzept, so dass nicht von einer ambulant betreuten Wohnmöglichkeit ausgegangen werden könne.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27. März 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr die für den Hilfeempfänger C. in der Zeit ab 1. September 2007 entstandenen Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass das Gesetz eine Ausnahme oder Sonderregelung hinsichtlich des notwendigen Stundenumfanges, der von den Leistungsträgern erbracht werde, nicht vorsehe. Es könne keinesfalls im Belieben eines Sozialhilfeträgers liegen, eine Stundenzahl festzulegen, ab wann das betreute Wohnen vorliege. Bei den Fachleistungsstunden handele es sich nicht nur um eine sporadische Einzelfallhilfe, sondern der Hilfeplan stelle eine systematische, fachliche Betreuung dar. Die Bedarfsfeststellung erfolge in einer Hilfeplankonferenz, die aus fachlicher Sicht den Umfang und die Notwendigkeit der Fachleistungsstunden festlege. Nur auf Grund dieser Fachleistungsstunden könne der Hilfeempfänger überhaupt erst außerhalb einer Einrichtung wohnen.
Der Senat hat die Notizen der Hilfeplankonferenzen vom 26. Mai 2008 und vom 7. September 2009 nebst den individuellen Hilfeplanungen beigezogen. Aus dem von der Beklagten vorgelegten Bescheid des Landschaftsverbandes S vom 25. Januar 2010 ergibt sich, dass C. für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 31. August 2010 regelmäßig 2,5 Fachleistungsstunden wöchentlich bewilligt worden sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug, die vorgelegen und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere wird der Wert des Beschwerdegegenstandes von 10.000 EUR gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG überschritten. Dieser bestimmt sich danach, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt wird (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 144, Rdnr. 14). Maßgebender Zeitpunkt ist gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Einlegung der Berufung (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. November 2005, Az. B 11a/11 AL 57/04 R). Die Klägerin begehrte zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung die Erstattung der Aufwendungen von September 2007 bis Ende April 2009 in Höhe von 19.909 EUR.
Die Berufung ist aber unbegründet. Zu Recht und mit im Kern zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Erstattungsanspruch gemäß § 105 Abs. 1 SGB X. Sie bleibt weiter zuständig für die bislang von ihr dem Hilfeempfänger gegenüber erbrachten Leistungen nach dem SGB XII.
Nach § 105 Abs. 1 SGB X ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat.
Die Beklagte ist nicht zur Erstattung der Leistungen nach dem SGB XII verpflichtet, weil die Klägerin als zuständiger Leistungsträger geleistet hat. § 98 Abs. 1 SGB XII trifft zwar die generelle Regelung, dass für die Sozialhilfe der Träger örtlich zuständig ist, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der gewöhnliche Aufenthalt des Leistungsberechtigten liegt. Danach wäre die Beklagte der örtlich zuständige Träger für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen. Den gewöhnlichen Aufenthalt in L beendete der Hilfeempfänger nämlich mit dem Umzug nach X Ende August 2006. Da der Aufenthalt in X nicht befristet oder vorübergehender Natur ist, begründete er mit dem Zuzug dort seinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt.
Die Klägerin ist aber auf Grund der Regelung in § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII der zuständige Leistungsträger geblieben. Die Voraussetzungen des § 98 Abs. 5 Satz 1 sind erfüllt. Die Leistungserbringung erfolgt in einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit.
§ 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII (in der hier maßgeblichen Fassung durch Art. 1 des Gesetzes vom 27.12.2003, BGBl. I, 3022) sah und sieht mit leicht veränderter Formulierung (in der Fassung durch Art. 1 Nr. 18 des Gesetzes vom 02.12.2006, BGBl. I, 2670 mit Wirkung vom 07.12.2006) vor, dass für Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig bleibt, der vor Eintritt in diese Wohnformen zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Erfasst von dieser Sonderregelung sind nur ambulante Fälle, in denen Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege oder Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten tatsächlich geleistet wird. Diese Regelung wurde neu mit dem Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in das SGB XII aufgenommen. Eine Vorläufernorm existiert nicht. Welchen Zweck der Gesetzgeber mit dieser Sonderregelung verfolgt, die in ihrem Anwendungsbereich die allgemeine Zuständigkeitsbestimmung des § 98 Abs. 1 SGB XII verdrängt, bleibt unklar. Die Gesetzesbegründung äußert sich hierzu nicht (vergleiche BT-DrS 15/1514, Seite 67, zu § 63). Den von der Klägerin eingewendeten Verlust an Ortsnähe und Beratungskompetenz hat der Gesetzgeber bei der Schaffung der Ausnahmeregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII allerdings bewusst in Kauf genommen.
Eine Legaldefinition des Begriffs der ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit fehlt. Nach der amtlichen Begründung orientiert sich der Begriff "betreute Wohnmöglichkeit" an dem des § 55 Abs. 2 Nummer 6 SGB IX (vergleiche BT-DrS 15/1514, Seite 67 zu § 93). Diese Verweisung hilft im Ergebnis nicht weiter, weil eine Legaldefinition für diese Form der Leistungserbringung ebenfalls nicht existiert. Der Begriff ist eine gesetzliche Neuschöpfung. Die schwierige nähere Bestimmung des Begriffs hängt damit zusammen, dass Formen des betreuten Wohnens vielfältig sein können (vergleiche Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage 2010, § 98, Rn. 35).
Entgegen der Auffassung der Klägerin muss die Wohnung, in der die ambulanten Leistungen erbracht werden, nicht vom Anbieter der ambulanten Dienstleistungen organisiert sein, sondern es reicht auch aus, wenn der Hilfeempfänger – so wie hier – die Wohnung selbst anmietet (so auch: Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 26. Juni 2006, Az.: S 3 B 188/06; Sozialgericht Duisburg, Beschluss vom 16. März 2006, Az.: S 10 SO 6/06 ER; Sozialgericht Heilbronn, Urteil vom 5. November 2009, Az.: S 13 SO 494/08; Gerlach, ZfF 2008, S. 1; Josef/Wenzel, NDV 2007, S. 85, 89; Steimer in Mergler/Zink, SGB XII, 10. Lieferung, § 98, Rn. 85). Die gegenteilige Auffassung (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. Juni 2007, Az.: L 13 SO 5/07 ER; Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 19. Dezember 2005, Az.: S 2 SO 256/06 ER; Sozialgericht Stade, Urteil vom 21. Dezember 2009, Az.: S 33 SO 16 und 18/07; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 98, Rn. 97), die eine ambulant betreute Wohnmöglichkeit nur dann bejaht, wenn die Wohnung gerade vom Betreuungsträger ausgewählt und zur Verfügung gestellt worden ist, nicht aber dann, wenn sich der Hilfebedürftige die Wohnung selbst gesucht und von dort aus die ambulante Hilfe organisiert hat, vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen.
Es ist ein Kennzeichen der ambulanten Betreuung, dass es nicht auf eine Verknüpfung im institutionellen Sinne ankommt. Dies würde dieser Wohnform schon einen Einrichtungscharakter geben. Die Regelung des § 98 Abs. 5 SGB XII findet Anwendung bei Leistungen in Formen ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten, was nach dem Wortlaut des Gesetzes und auch der Zielsetzung der zur Auslegung herangezogenen Vorschriften – insbesondere § 55 Abs. 2 Nummer 6 SGB IX – das Wohnen in vielen verschiedenen Formen möglich macht. Das betreute Wohnen kommt in Gestalt von Wohngruppen oder -gemeinschaften, aber auch als Paar- und Einzelwohnen vor, sofern die in diesen verschiedenen Formen von Wohnmöglichkeiten lebenden Personen eine ambulante Wohnbetreuung erfahren (Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 26. Juni 2006, Az.: S 3 B 188/06; Gerlach, ZfF 2008, S. 1, 6). Das Selbstbestimmungspostulat ist wesentlicher Bestandteil des gesetzlichen Selbstverständnisses in §§ 1 und 4 Abs. 1 Nummer 4 SGB IX und bedingt eine angemessene Berücksichtigung der Wohn- und Lebens-vorstellungen des behinderten Menschen nebst der hierauf bezogenen berechtigten Wünsche im Sinne des § 9 SGB IX bei der Konkretisierung der Leistungen und ihrer Voraus-setzungen. Der Sache nach soll der behinderte Mensch so weit wie möglich befähigt werden, alle wichtigen Alltagsverrichtungen in seinem Wohnbereich selbstständig vornehmen zu können, sich im Wohnumfeld zu orientieren oder zumindest dies alles mit sporadischer Unterstützung Dritter zu erreichen. Hierzu kann auch die Motivierung des Betroffenen gehören, die für ihn gegebenenfalls neue Lebenssituation anzunehmen und konstruktiv zu bewältigen (Luthe in jurisPK-SGB IX, § 55 SGB IX, Rdnr. 43 f.).
Mit Rücksicht auf dieses Verständnis ist beim betreuten Wohnen weniger auf die Wohnform abzustellen, sondern auf Art und Zielsetzung der Betreuungsleistungen. Eine betreute Wohnmöglichkeit liegt nur dann vor, wenn fachlich geschulte Personen Betreuungsleistungen erbringen, die darauf gerichtet sind, dem Leistungsberechtigten Fähigkeiten und Kenntnisse zum selbstbestimmten Leben zu vermitteln. Dabei darf es sich nicht um sporadische, situativ bedingte Betreuungsleistungen handeln, sondern diese müssen in einer regelmäßigen Form erbracht werden und in eine Gesamtkonzeption eingebunden sein, die auf die Verwirklichung einer möglichst selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung ausgerichtet sein muss (so zutreffend mit weiteren Nachweisen: Sozialgericht Duisburg, Beschluss vom 16. März 2006, Az.: S 10 SO 6/06 ER). Unter diesen Voraussetzungen liegt eine betreute Wohnmöglichkeit auch dann vor, wenn Einzelpersonen oder Einstandsgemeinschaften in einer selbst angemieteten Wohnung leben. Die möglichen Hilfeleistungen, die das erforderliche Merkmal der Betreuung erfüllen, umfassen insbesondere die Vermittlung von Fähigkeiten, sich selbstständig in der Wohnung zurecht zufinden, die Wohnung eigenverantwortlich sauber zu halten, den sozialen Umgang mit den Mitbewohnern und anderen Mietern im Haus zu erlernen, eigene Interessen zu artikulieren und adäquat zu vertreten. Auch die Begleitung in die nähere Umgebung zu Einkäufen, notwendigen Arztbesuchen oder in der Nähe wohnenden Familienangehörigen kann beispielsweise der Hilfe nach § 55 Abs. 2 Nummer 6 SGB IX zugeordnet werden, wenn sie das Ziel verfolgt, die leistungsberechtigte Person so an ihre Umgebung zu gewöhnen, dass sie sich nach einer Orientierungs- und Trainingsphase möglichst selbstständig inner- und außerhalb der Wohnung bewegen kann (Lachwitz in Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, § 55, Rdnr. 64 ff; Gerlach, ZfF 2008, S. 1 , 5).
Der mutmaßliche Normzweck des § 98 Abs. 5 SGB XII, nämlich der Schutz der Orte mit einer besonderen Form des ambulanten Betreuungsangebotes (mit weiteren Nachweisen: Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 98, Rdnr. 94), dürfte es hingegen erforderlich machen, eine besonders qualifizierte Art der Leistungserbringung im ambulanten Bereich zu fordern. Ferner ist es Programmsatz des § 55 Abs. 2 Nummer 6 SGB IX, der leistungsberechtigten Person nach dem Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII ein selbstständiges Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Mit Rücksicht auf den Schutzzweck der in Rede stehenden Zuständigkeitsnorm und der ebenfalls zu verwirklichenden Zielsetzung von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft muss gefordert werden, dass die ambulant erbrachte Betreuungsleistung in ein auf die Person des Leistungsberechtigten zugeschnittenes Konzept einbezogen ist und daher eine gewisse Qualität als auch Quantität aufweist (Gerlach, ZfF 2008, S. 1 , 5 f.).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. C. erhält in seiner selbst angemieteten Wohnung seit September 2006 Betreuungsleistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII in Form von Fachleistungsstunden von zunächst fünf, sodann 4,5 und schließlich seit September 2009 2,5 Stunden pro Woche als Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Damit zeigt sich die Tendenz, dass der Hilfebedürftige an ein selbstständiges Leben in der eigenen Wohnung ohne Unterstützung von Außen herangeführt wird und vor allem, dass dieses offenbar auch erfolgreich gelingt. Die Fachleistungsstunden werden auf der Grundlage der Hilfeplankonferenzen vom Landschaftsverband bewilligt. Dies stellt ein individuell zugeschnittenes alle Bereiche abdeckendes Gesamtkonzept dar. Aus den Notizen zur Hilfeplankonferenz am 26. Mai 2008 ergibt sich z.B., dass die Wohnung behindertengerecht eingerichtet werden muss. Der Hilfeempfänger geht konstruktiv mit seiner Behinderung um und möchte das Beste daraus machen. Er möchte langfristig eine Beschäftigungsmaßnahme wahrnehmen und wieder mit seiner Lebensgefährtin und Mutter seines Sohnes zusammenziehen. Die individuelle Hilfeplanung des Hilfebedürftigen und die ergänzende fachliche Sicht bestätigen dies. Im Lebensbereich Wohnen hält der Hilfeempfänger nach seinen Möglichkeiten zufriedenstellend Ordnung. Die fachliche Sicht weist darauf hin, dass er durch die extreme Gangunsicherheit und den Verlust des rechten Arms im alltäglichen Leben ein hohes Maß an Hilfestellung benötige. Im Lebensbereich Arbeit und Beschäftigung teilt der Hilfebedürftige mit, arbeiten zu wollen, und die fachliche Sicht sieht langfristige Möglichkeiten bei einer Beschäftigungsmaßnahme. Im Freizeitbereich muss aus fachlicher Sicht das Selbstbewusstsein gestärkt und weiter Motivationshilfe geleistet werden. C. hat begonnen im Bereich Begegnung und Sport Freizeitmöglichkeiten aufzusuchen. Im Lebensbereich der sozialen Beziehungen hat der Hilfebedürftige regelmäßig Kontakt zur Lebensgefährtin und zum Sohn. Der Nachbar hilft bei kleineren handwerklichen Tätigkeiten. Der Hilfeempfänger muss nur lernen, nachzufragen und anzunehmen. Als konkrete Ziele und Maßnahmen werden am Ende zum Beispiel im Bereich Wohnen so bald wie möglich die Installation einer Spülmaschine, eines behindertengerechten Badezimmers und die Sicherstellung einer warmen Mahlzeit vorgesehen. C. wird zwei- bis dreimal wöchentlich vom T Haus in X betreut. Aus den Notizen zur Hilfeplankonferenz am 7. September 2009 ergibt sich z.B., dass der Leistungsberechtigte im vorangegangenen Jahr sehr an sich gearbeitet habe. Essen auf Rädern sei installiert und eine Waschmaschine, eine Spülmaschine sowie ein behindertengerechtes Fahrrad angeschafft. Die individuelle Hilfeplanung weist unter anderem im Bereich Wohnen darauf hin, dass der Hilfeempfänger nach seinen Möglichkeiten mitarbeitet, aber auf Hilfestellungen einer Haushaltshilfe und eines Pflegedienstes angewiesen ist. Er arbeite in einer Beschäftigungsmaßnahme und wechselte als konkretes Ziel zum 1. September 2009 in eine Werkstatt für behinderte Menschen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision gemäß § 160 Abs. 1 Nummer 1 SGG zugelassen. Die Rechtsfrage, wann eine "ambulant betreute Wohnmöglich- keit " im Sinne des § 98 Abs. 5 SGB XII vorliegt, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, hat jedoch über den Fall hinaus Bedeutung. Sie ist zudem beim Bundessozialgericht (Az.: B 8 SO 7/10 R und B 8 SO 8/10 R) anhängig.
Erstellt am: 28.02.2012
Zuletzt verändert am: 28.02.2012